Einer der wichtigsten Übergänge im Leben – oder sogar der wichtigste Übergang – ist es wohl für einen Menschen, wenn er auf die Welt kommt. Der Überang zwischen innerhalb-der-Gebärmutter und außerhalb-der-Gebärmutter nennen wir normalerweise Geburt.
Und selbst in einer Geburt gibt es eine Phase mit Namen Übergang: Nachdem sich der Muttermund vollständig geöffnet hat und bevor die Presswehen einsetzen, befindet sich der Körper der Gebärenden in der Übergangsphase. Diese Übergangsphase wird manchmal auch „Arschlochphase“ genannt. Häufig haben Gebärende nämlich genau in diesem Moment das Gefühl, dass sie nicht weiter können. Dass alles Mist ist. Dass die Menschen um sie herum Blödsinn erzählen.
Dann beginnen die Presswehen, und bald darauf ist das Kind geboren.
Für das Baby hingegen können wir festhalten, dass die gesamte Geburt ein Prozess ist. Ein Übergang. Von der angenehmen, wenn auch etwas engen, Präsenz in der Gebärmutter arbeitet sich das Kind langsam in Richtung Gebärmutterhals und Muttermund vor. Es schiebt und strampelt und dreht sich zur Unterstützung der Geburt um sich selbst.
Dann gebiert die Mutter das Kind.
Nach der Geburt: Alles ist neu
Plötzlich muss das Baby mit den Lungen atmen statt über die Nabelschnur. Plötzlich sind die Geräusche anders, das Licht ins anders, die Umgebung fühlt sich anders an. Temperatur, Luft statt Wasser, Wind auf der Haut. Alles ist neu. Die Ansprüche an diesen kleinen Körper sind komplett anders. Bald wird es herausfinden, dass auch die Nährstoffzufuhr nicht mehr so einfach wie bisher über die Nabelschnur läuft.
Dieser Übergang ist heftig.
Die meisten Babys sind danach zumindest ein wenig erschöpft – wie ihre Mütter.
Selbst bei körperlich einfachen Geburten ist das Neugeborene an diesem Übergang ins Leben darauf angewiesen, dass wir es unterstützen.
Die Idee, diesen Übergang so sanft wie möglich zu gestalten, ist nicht neu.
Ein sanfter Übergang ins Leben ist nicht neu…
Tiermamas versuchen, den Übergang für ihren Nachwuchs so sanft wie möglich zu gestalten. (Okay, Giraffenbabys fallen aus einigen Metern Höhe in die Welt. Danach aber werden sie liebevoll umsorgt…)
Menschenmamas versuchen ebenfalls instinktiv, den Übergang so danft wie möglich zu gestalten: Sofort nach der Geburt nehmen sie ihr Baby auf den Arm. Sie kuscheln es ein, halten es warm. Sie schützen ihr Baby damit und imitieren gleichzeitig die Enge und Wärme der Gebärmutter.
… muss aber neu entdeckt werden!
Obwohl bereits Jahrtausende praktiziert, war die Idee von sanften Übergängen während der Industriellen Revolution und den beiden Weltkriegen eher nicht im Fokus der Entwicklungen. Auch danach wurde es nicht radikal besser. Auch im letzten Jahrhundert gab es viele verschiedene Ideen, wie die Geburtsmedizin die Geburten sicherer, planbarer, schmerzärmer, kurz besser machen könnte. Nicht alles davon sehen wir heute rundheraus positiv. Im Gegenteil gibt es wohl viele Entwicklungen, die wir gerne nicht nur aus den Geschichtsbüchern, sondern auch auch der Geschichte streichen würden. Auf dem Rücken festgebundene Frauen, Kristellergriff und Trennung von Mutter und Kind ohne medizinische Indikation sind heutzutage nicht mehr Standard. Andere Aspekte dagegen sind nach wie vor häufig, obwohl sie den sanften Übergang ins Leben nicht begünstigen.
Die Geburt ohne Gewalt wurde als solche von Frederic Leboyer beschrieben. Auch Grantly Dick Read beschrieb bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts das, was wir heute einen sanften Übergang für Mutter und Kind nennen würden. Obwohl wir uns wohl theoretisch einig sind, dass es sinnvoll ist, Neugeborenen einen sanften Start ins Leben zu ermöglichen, gibt es bei der genauen Ausgestaltung dieses Anspruches große Unterschiede.
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Dammschnitte, Nabelschnurdurchtrennungen, Saugglockengeburten und Kaiserschnitte sind manchmal medizinische Notwendigkeiten, um Leben zu retten. Häufig aber sind sie nicht überlebensnotwendig und werden dennoch praktiziert. (Oder sind Krankenhäuser mit mehr Kaiserschnitten als vaginalen Geburten etwa bald der Normalfall?)
Wie können wir eine Geburt mit sanftem Übergang gestalten?
Sanfte Übergänge gestalten wir immer dann, wenn wir versuchen, die Umgebung nach der Geburt so weit wie möglich an die Umgebung im Mutterleib anzupassen.
Wassergeburt
Das Baby schwimmt während der gesamten Schwangerschaft im Fruchtwasser. Wasser ist das einzige Element, das es kennt. Der Übergang auf Luft und Land ist erheblich für das Baby. Wir können diesen Übergang erleichtern, indem wir die Anstrengung der Geburt vom Wechsel des umgebenden Elements trennen. Anders formuliert: Bei einer Wassergeburt wird das Baby zuerst geboren, und erst danach kommt es mit Luft und Land in Berührung.
Nabelschnur auspulsieren lassen
So lange keine medizinischen Gründe dagegen sprechen, kann der Übergang sanfter gestaltet werden, indem die Nabelschnur nicht sofort durchtrennt wird. So wird das Neugeborene weiterhin mit sauerstoffreichem Blut von der Mutter versorgt und gerät, selbst wenn es nicht sofort atmet, nicht in Saurestoffmangel.
Ruhe
Wir kennen das alle: Wenn wir unseren Kopf unter Wasser halten, hören wir alles um uns gedämpft. Selbst das laute Freibad wird ein Ort der Stille.
Dann heben wir den Kopf aus dem Wasser und sind umgeben von vielen lauten Geräuschen. So geht es dem Baby ebenfalls, wenn es aus dem Wasser gehoben oder (bei einer Landgeburt) geboren wird.
Damit der Unterschied nicht zu groß ist, sollten wir darauf achten, dass die Umgebung möglichst keine lauten Geräusche hat.
Wenig Licht
Selbst bei geschlossenen Augen nehmen wir wahr, ob wir an einem hellen oder dunklen Ort sind. Das Baby ist kein grelles Licht gewohnt. Wir sollten also grelles Licht unter der Geburt vermeiden.
Rot, blau, Lila
Bei geschlossenen Augenlidern scheinen die Farben eher rot, blau oder lila. Wenn du deine Hand direkt vor eine helle Lampe hältst, scheint sie ebenfalls lila. Das sind die Farben, die das Neugeborene aus dem Mutterleib kennt. Ein sanfter Übergang wird durch Handtücher, Laken oder Kleidung in diesen Farben unterstützt.
Wärme
Die Gebärmutter war immer perfekt temperiert. Neugeborene können ihre Tempereatur noch nicht selber halten. Sie müssen deshalb eingekuschelt werden. Das kann mit Decken passieren; noch besser ist aber der direkte Hautkontakt, denn:
Geruch und Herzschlag von Mama
Aus dem Mutterleib kennt das Baby auch bereits den Herzschlag der Mutter sowie ihren Geruch. Diese vertrauten Elemente beruhigen das Kind. Indem wir das Kind nach der Geburt nicht sofort von der Mutter trennen, können wir diese sanften Beruhigungsmethoden nutzen.
Sanfter Kaiserschnitt – ein guter Übergang?
Ein Kaiserschnitt ist selbst heutzutage ein Erlebnis, das wohl selten das Prädikat sanft verdient. Dennoch kann auch hier einiges getan werden, damit das Neugeborene wenigstens halbwegs sanft in unserer Welt ankommt. Decken, Mamas Geruch und Wärme sind schließlich auch da möglich. Schau doch mal in Monis Geschichte ihrer Kaisergeburt für mehr zu sanften Kaiserschnitten.
Fazit
Es ist nicht so, dass ein sanfter Übergang aus dem Mutterleib ins Leben außerhalb dessen nicht möglich wäre. Aktiver formuliert: Wir können für einen sanften Übergang sorgen, wenn er uns nur wichtig genug ist. Nicht immer lässt sich alles umsetzen. Nicht immer können wir alles selber bestimmen. Doch wir können uns im Vorhinein darüber Gedanken machen, was wir wie umsetzen möchten. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass das alles schon normalerweise so oder so gemacht wird. Nein, es ist nicht immer normal.
Bei Hausgeburten hast du mehr Einfluss als in einem Krankenhaus. Aber auch in Krankenhäusern lässt sich einiges umsetzen, wenn du von vorn herein Wert darauf legst. Kein Krankenhaus hat etwas dagegen, wenn du die eigenen Handtücher in dunklen Rottönen mitbringst. (Falls du anderes weißt, gib mir Bescheid!) Die Lautstärke und das Licht dagegen will das Kreißsaalpersonal häufig selber bestimmen. Frag nach, was machbar ist. Als Gebärende bist du die wichtigste Person bei der Geburt deiner Kinder. Sei Subjekt, nicht Objekt – Sogar, wenn ein Kaiserschnitt nötig wird.
Danke für den Anstoß zu diesem Thema an Birthe vom Blog Leuchtturm-Eltern, die in ihrer Blogparade dazu aufruft, Ideen zu sammeln, wie wir Übergänge für unsere Kinder sanfter gestalten können.
1 Gedanke zu „Übergang Geburt sanft gestalten“