[Serie: Was hat Geburt mit Feminismus zu tun?] Teil 5: Was bedeutet Gleichberechtigung bei der Geburt?

Dies ist der 5. Teil der Serie zu Geburten und Feminismus. In diesem Beitrag geht es nun um die Frage, ob Gleichberechtigung bei der Geburt möglich ist. Bisher erschienen sind:

  1. Mein Feminismus
  2. Was hat eine Geburt mit Feminismus zu tun? Geburten aus gesellschaftlich-feministischer, machtsystemischer Sicht
  3. Feministische Geburtsvorbereitung
  4. Hebammen jenseits des Systems
  5. Die Praxis: Gleichberechtigung und Geburt — überhaupt möglich?
  6. Geburten und Corona: Die Gesellschaft unter dem Brennglas der Pandemie

In diesem Teil nun geht es um Gleichberechtigung unter der Geburt. Ich schreibe in diesem Beitrag deshalb sehr häufig von „Partnern“. Die Entscheidung dazu habe ich mir nicht leicht gemacht. Denn die Frage der Mitbestimmung stellt sich auch bei Regenbogenfamilien, in denen die nicht-gebärende Person sich nicht als Mann identifiziert. Für diesen Beitrag habe ich mich dennoch für „Partner“ entschieden – nicht aus Faulheit (im Gegenteil, ich habe die Sternchen wieder herausgenommen), sondern weil ich an dieser Stelle bewusst auf die Geschlechterkomponente bei der Macht der Entscheidung eingehen möchte.

Und nun genug der Vorrede. Ab ins Getümmel.

Der Mann könnte doch auch das Kind bekommen!

In der taz kommentierte ein*e Nutzer*in unter einem Artikel über Corona:

Daß [sic] bei der Entbindung keine Begleitperson dabei sein darf, ist zwar verständlich, aber es ist doch mal wieder typisch, daß von einer klassischen, spießigen Rollenverteilung ausgegangen wird.

Im Sinne der Gleichberechtigung sollte Paaren erlaubt sein, wenigstens selbst zu entscheiden, ob entweder die werdende Mutter oder der werdende Vater bei der Geburt anwesend sein soll.

„Baser Saber“ als Kommentar unter dem taz-Artikel Gebären in Corona-Zeiten: Mutterseelenallein im Kreißsaal

Das bringt das Dilemma ziemlich gut auf den Punkt. Männer und Frauen sollen gleichbereichtigt sein. Nachdem ich in Teil 2 bereits beschrieben habe, warum aus meiner Sicht die wenigsten Schwangerschaften und Geburten feministisch ablaufen, möchte ich nun noch eine konkretere Ebene beleuchten:

Im (gesellschaftlich als normal geltenden und somit mit Privilegien versehenen) Fall, dass ein Paar gemeinsam Eltern werden will und beide auch am gleichen Ort sind, stellt sich heutzutage für viele Paare die Frage, ob der Vater bei der Geburt dabei sein will, soll, kann, muss, darf und – schlussendlich – wird.

Geburten waren den werdenden Vätern lange vorenthalten. Auch bei Hausgeburten waren es meist die anderen Frauen*, die sich um die Gebärende kümmerten. Im Krankenhaus wurde die Trennung von Gebärender und werdendem Vater dann noch stärker.

Müssen Männer dabei sein? Nein!

Dieser Trend dreht sich seit einigen Jahren um. Immer mehr Männer sind bei den Geburten ihrer Kinder dabei. (Dies hat sich 2020 durch die Corona-Pandemie geändert. Dazu gehe ich im nächsten Teil der Serie ausführlich ein.) Manchmal scheint es mir, dass sich ein werdender Vater heute sogar dafür rechtfertigen muss, wenn er bei der Geburt seines Kindes nicht dabei sein möchte. Diese These unterstützt auch Richard Schneebauer, der sich selber Männerkenner nennt, in seinem Buch Männerherz (Werbelink) und in diesem Beitrag:

Heute müssen sie dabei sein und trauen sich nicht zu sagen, ich möchte das nicht.

Richard Schneebauer, Quelle: NTV.

Das bringt die unterschiedlichen Positionen und Herausforderungen schön auf den Punkt.

Männer können sich entscheiden, dabei zu sein, oder nicht.

Frauen erleben die Geburt des Kindes mit.

Was bedeutet diese Ungleichheit für die weiteren Rollenbilder?

Folgt aus der Tatsache, dass Frauen die Geburt in jedem Fall erleben, eine Vormachtstellung bei allen Fragen rund um die Geburt?

In meinem Ebook Der kompetente Hausgeburtsvater geht es auch um genau diese Frage. Natürlich stellt sie sich aber genauso für Paare, dessen Kinder im Krankenhaus zur Welt kommen sollen.

Folgende Szenarien sind denkbar:

  • Die Gebärende entscheidet alles Alleine. Der Partner führt dann aus.
  • Die Gebärende entscheidet alles Alleine. Der Partner hält sich raus.
  • Gebärende und Partner stimmen sich ab. Der Partner ist dabei.
  • Gebärende und Partner stimmen sich ab. Der Partner ist nicht dabei.
  • Der Partner bestimmt und die Gebärende führt aus.

Okay, gehen wir mal davon aus, dass die letzte Option tatsächlich nur theoretisch vorkommt oder es bei Einzelfällen bleibt. Dass diese Situation aus feministischer, menschlicher und partnerschaftlicher Sicht mies ist, brauche ich wohl nicht noch weiter asuzufähren. [Allerdings klingt das Szenario gar nicht mehr so komisch, wenn wir „Partner“ durch „Ärzt*in“ ersetzen… Huch! Da es um diese Ebene bereits in Teil 2 ging, beschränke ich mich jetzt auf die Situation des Paares.]

Aber welche andere Option ist aus feministischer Sicht sinnvoll? Was fördert die Gleichberechtigung zwischen den Partner*innen?

Gleichberechtigung = 50/50?

Eine Möglichkeit ist natürlich, dass die Paare alle Entscheidungen untereinander aufteilen. Das könnte dann zum Beispiel so aussehen, dass die Schwangere entscheidet, dass sie eine Krankenhausgeburt möchte, der Partner dann entscheidet, welches Krankenhaus es sein soll, die Schwangere wiederum entscheidet, wann sie dort hin fahren, der Partner wiederum, ob er dort bleibt…

Ich persönlich halte von dieser Art der Aufrechnung nichts. Denn ganz ehrlich: Es gibt wohl kaum 2 Entscheidungen mit gleicher Tragweite. Und was ist überhaupt eine getrennte Entscheidung; was gehört noch zu anderen Entscheidungen dazu? Was ergibt sich schon fast zwangsläufig aus anderen Entscheidungen? Pfadabhängigkeiten und unterschiedliche Prioritäten verhindern, dass dieser Ansatz eine gerechte Lösung beinhaltet.

Gleichbereichtugng = Veto-Recht?

Ein anderer Ansatz is das Vetorecht. Dabei gehe ich davon aus, dass die Schwangere diejeinge ist, die die Entscheidungen fällt — aber der Partner ein Vetorecht hat. Das bedeutet nicht, dass alle einzelnen Entscheidungen dann doch wieder zugunsten des Partners ausfallen.

Es bedeutet nicht „Ich habe einen Verbesserungsvorschlag“. Nur ein „damit kann ich absolut nicht leben!“ zählt als Veto und muss entsprechend begründet werden.

Wessen Bauch, deren Entscheidung

Aus feministischer Sicht es ist natürlich auch denkbar, einfach zu sagen: Ich habe das Baby im Bauch. Ich entscheide. Du nicht. In der Tat ist das meine grundlegende Überzeugung: Wenn die beiden Personen keinen gemeinsamen Weg finden, entscheidet die Schwangere. Denn sie ist diejenige, die auch die Konsequenzen trägt.

Allerdings ist mir eine Einschränkung sehr wichtig:

Genauso wenig, wie der Partner über die Schwangere bestimmt, bestimmt die Schwangere über den Partner.

Sprich: Wenn die Schwangere eine Entscheidung bezüglich der Geburt trifft, die der Partner nicht mitträgt, kann sie ihn nicht zwingen, bei der Geburt dabei zu sein.

Gleichberechtigung = aktive Partizipation?

Ergibt sich aus dem Veto-Recht die Pflicht, bei der Geburt anwesend und aktiv zu sein? Wie viel darf ein Partner mitsprechen, der nicht auch seinen Teil zur Geburt leistet? Und was ist dieser Teil überhaupt? Was kann der Partner leisten, was soll er leisten und was muss er leisten?

Gleichberechtigung ist bei Geburten nicht zu erreichen, wenn wir damit meinen, dass beide Menschen genau die gleichen Rollen übernehmen. Während wir im Haushalt genau sagen können, dass beide Menschen genau die gleiche Anzahl von Stunden mit unbezahlter Haushaltsarbeit zubringen, ist eine solche Aufteilung bei der Geburt nicht umzusetzen.

Gibt es also überhaupt eine Möglichkeit, Schwangere und Patner gleichberechtigt in die Geburt einzubeziehen? unter welchen Aspekten ist es dann eine feministische Aufteilung?

Hier gibt es vermutlich nicht den einen richtigen Weg.

Genauso, wie Feminismus sehr unterschiedliche Aspekte beinhalten kann, ist auch die Frage der gleichberechtigten Gebutrsleistung sehr individuell.

Mein Manifest für eine gleichberechtigte Geburtsleistung

Hier kommt deshalb mein Minimanifest für eine gleichberechtigte Geburtsleistung:

  1. Der Partner erkennt an, dass es um den Körper der Schwangeren geht und dass alle Entscheidungen, die diesen Körper betreffen, in letzter Instanz von der Schwangeren / Gebärenden getroffen werden.
  2. Die Schwangere erkennt an, dass ihr Partner ein legitimes Interesse an einer guten Geburt mit einer gesunden Mutter und einem gesunden Kind hat.
  3. Die Schwangere informiert sich umfassend und formuliert auf Grundlage dieser Informationen Wünsche. Sie kommuniziert diese Wünsche klar.
  4. Der Partner kann zu dieser Entscheidungsfindung beitragen, indem auch er Informationen sammelt. Er kommuniziert diese ebenfalls klar.
  5. Die Schwangere und ihr Partner gleichen ihre Wünsche miteinander ab. Wenn die überlappen, fällen sie gemeinsam eine Entscheidung. Wenn sie nicht überlappen, gehen sie ins Gespräch und finden heraus, warum sie zu unterschiedlichen Einschätzungen gekommen sind. Dabei gelten die Regeln von offenem und respektvollem Dialog. Es geht nicht um eine wortgeandte Debatte mit Auszeichnung. Es geht darum, die andere Person zu verstehen — intellektuell und emotional. Hilfreiche Tpps für den Umgang mit solchen Gesprächen bietet zum Beispiel das Buch Difficult Conversations (Affiliate-Link).
    Hilfreich ist in diesem Fall auch immer der Ansatz, einen Kompromiss nicht als die Mitte zwischen zwei Positionen zu sehen. Stattdessen werden durch die Zusammenarbeit Lösungen möglich, die allein nicht umzusetzen gewesen wären.
    Die folgende Grafik veranschaulicht das:
Eine gemeinsame Position ist mehr als ein Kompromiss.
  1. Die Schwangere und der Partner konkretisieren, in welchen Aspekten Einigkeit besteht. Wenn elementare Aspekte selbst mit kreativer Ideenfindung nicht zusammengebracht werden können, einigen sich beide darauf, dass sie keine gemeinsame Lösung gefunden haben.
  2. In diesem Fall gilt die Entscheidung der Schwangeren. Allerdings darf sie von ihrem Partner nicht verlangen, dessen Grenzen zu überschreiten. Konkret bedeutet das: Die Schwangere entscheidet einen konkreten Punkt. Wenn ihr Parter diesen Punkt aber nicht mittragen kann, kann sie ihn nicht dazu zwingen. Wenn sie zum Beispiel auf einer Hausgeburt besteht, während er eine Hausgeburt ablehnt, trifft sie diese Entscheidung nur für sich und nicht für ihn. Sie darf nicht von ihm erwarten, bei der Hausgeburt dabei zu sein.
  3. Beide Menschen anaylsieren zusammen, in wie weit sie die Punkte, in denen sie einig sind, auch gemeinsam umsetzen können – sei es vor, während oder nach der Geburt.

Dieser Vorschlag mag manch Leser*in offensichtlich erscheinen, anderen dagegen zu radikal oder nicht radikal genug. Deshalb schreibe ich ja oben auch konkret von meinem persönlichen Vorschlag.

Idealvorstellungen ändern sich

Natürlich ist es unsere Idealvorstellung, dass wir uns einig sind mit unserem Partner. So sagen wir zumindest heute. Vor 100 jahren war die Idealvorstellung eben noch ganz anders. Deshalb ist mein Vorschlag auch nicht unumstößlich. Er ist das, was ich mir in meiner jetzigen Situation als Idealbild vorstelle. Und ich bin neugierig, was eure Gedanken dazu sind.

Übrigens funktioniert dieses Gerüst aus meiner Sicht tatsächlich nur, wenn die erste Maxime erfüllt wird: Die Schwangere trifft ihre Entscheidungen informiert. Wie ich bereits im 3. Teil der Serie schrieb, ist Information für mich eine essentielle Voraussetzung für eine feministische Geburt.

Der Partner als Raumhüter

Nachdem ich nun viel darüber geschrieben habe, dass eine wirkliche Gleichberechtigung zwischen Schwangerer und Partner während der Geburt wohl nicht möglich ist, sondern es nur Annäherungen daran geben kann, möchte ich nun abschließend eine Lanze für die Anwesenheit von werdenden Vätern bei der Geburt brechen.

Ausführlich gehe ich darauf auch in meinem Buch Der kompetente Hausgeburtsvater ein.

Werdende Väter können, egal wo die Geburt stattfindet, den Raum hüten, in dem die Frau gebiert. Diese Rolle hatten Väter in vielen Kulturen: Je unsicherer das Umfeld, desto wichtiger war es, dass nichts Gefährliches die Frau störte. Sie brauchte Ruhe, und sie brauchte Schutz. Nicht immer bedeutete das die direkte Anwesenheit — je nach individueller Lage.

Auch, wenn die meisten Frauen in den westlichen Ländern heute keinen Überfall während der Geburt fürchten müssen, gibt es doch sowohl bei außerklinischen Geburten als auch im Krankenhaus Situationen, in denen die Frau „überfallen“ wird. Sei es das Klingeln an der Haustür [wie Trudy berichtet] oder eine unangenehme Situation im Krankenhaus: Frauen brauchen Sicherheit, um ihr Kind zu gebären. Ein Fluchtreflex ist ausgesprochen hinderlich.

Diese Sicherheit kann der Mann bieten. Es kann bei Kleinigkeiten anfangen: Vorhang zu, wenn sie das möchte. Bett so stellen, dass ihre Geschlechtsteile nicht vom Flur aus schon einsehbar sind. Begleitung beim Gang zur Toilette, damit sie nicht eine fremde Person fragen muss.

Es kann aber auch um wichtigere Aspekte gehen: Manche Frau fühlt sich während der Geburt unfähig, eine über ihren Kopf hinweg getroffene Entscheidung anzufechten. Da hilft es ungemein, wenn nicht nur sie sagt „ich will das nicht“, sondern ihr Partner sie dabei unterstützt. Und noch mehr hilt es, wenn die beiden bereits vor der Geburt diese Dinge durchgesprochen haben, so dass er sich sicher ist, was sie will.

Schwierig wird es dagegen, wenn der Partner nicht sie, sondern die andere Partei unterstützt. Aus meiner Sicht gilt hier wieder der Grundsatz, dass sie das letzte Wort hat — auch, wenn ich mir natürlich wünsche, dass es dazu gar nicht erst kommt.

Fazit: Gleichberechtigung unter der Geburt

Nein, wir können keine Gleichberechtigung unter der Geburt erreichen. Wir können uns dieser annähern, indem wir beide Seiten ernst nehmen. Da aber die Schwangere das Kind zur Welt bringt, gilt für mich das gleiche Prinzip wie bei Abtreibungen: Da sie in letzter Instanz die Konsequenzen trägt, ist es ihre Entscheidung.

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Dieser Beitrag gehört wohl zu den kontroversesten, die ich bisher veröffentlicht habe. Umso mehr interessiert mich deine Einschätzung! Hierlass mir gerne einen Kommentar oder eine Nachricht.

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