Außer der Reihe erscheint heute ein Blogbeitrag, und zwar, weil ich auf eine Blogparade aufmerksam geworden bin, an der ich mich gerne beteiligen möchte.
Brauchen wir (noch) mehr Gendergerechtigkeit?, fragt Nicole Isermann auf ihrem Blog PRojektText und bietet somit den Anlass für meinen Beitrag hier, der so ähnlich schon eine ganze Weile in meinem Kopf schlummerte. Da es sich um einen Beitrag auf Meta-Ebene handelt, erscheint er mal wieder zusätzlich zu den inhaltlichen Mittwochsbeiträgen.
Ziel: Diskriminierungsfreie Sprache
Hier auf Ich Gebäre habe ich mir zum Ziel gesetzt, Sprache diskriminierungsfrei zu nutzen. Das ist nicht immer einfach. Manchmal vergesse ich es schlicht, andere Male entscheide ich mich doch bewusst für eine nicht diskriminierungsfreie Formulierung. Es ist Mehraufwand, den ich eigentlich gern betreiben möchte und der mich dennoch manchmal nervt.
An dieser Stelle gibt es deshalb eine aktuelle Bestandsaufnahme. Sie ist keine endgültige Lösung, sondern ein Zwischenstand, der vor allem eines zeigt: Diskriminierung ist vielschichtig und ich habe keine optimale Lösung. Ich beschäftige mich mit dem Thema und finde immer wieder neue Impulse. Die nutze ich.
Geschlechtergerechte Sprache auf Ich Gebäre
Sprache schafft Realität. Wenn wir also eine bestimmte Realität wollen, hilft es, sie sprachlich auch so auszudrücken. Ich will eine Welt, in der Menschen nicht aufgrund einer gewissen Schubladenzugehörigkeit (oder weil sie in keine Schublade passen) bestimmte Nachteile erleiden. Also sollte ich diese Welt sprachlich umsetzen. Auf Ich Gebäre habe ich mich dazu entschieden, geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden oder das Gendersternchen zu nutzen.
Allerdings bin ich dabei lange nicht konsistent. Einige Punkte möchte ich diesbezüglich hervorheben.
Hebamme & Entbindungspfleger
Häufig schreibe ich zwar von Ärzt*innen, aber nur von Hebammen. Damit unterschlage ich die Entbindungspfleger. Klar: Davon gibt es nur wenige. Das sollte aber echt kein Argument sein. Denn es gibt gerade auch nur circa 25% weibliche Professorinnen an deutschen Hochschulen. Dennoch schreibe ich Professor*innen, denn es geht mir ja gerade darum, die Minderheit sprachlich auszulassen und dadurch unsichtbar zu machen.
Wenn es um eine Geburtsgeschichte geht, bei der tatsächlich nur Hebammen anwesend waren, ist es okay, Hebammen zu schreiben. In den anderen Beiträgen sollte ich es ausschreiben. Entbindungspfleger sollten sich nicht mitgemeint fühlen müssen.
Gendersternchen, Doppelpunkt
Wenn ich ein Wort nutze, das es in der weiblichen und männlichen Form gibt („Ärzte und Ärztinnen“), nutze ich das Gendersterchen zwischen dem Wortstamm und der weiblichen Endung. So will ich auch diejenigen Menschen einschließen, die sich nicht binär einem Geschlecht zuordnen mögen.
Es geht mir in diesem Punkt also um Inklusion. Nun schließe ich durch die Nutzung des Gendersternchens aber eine andere Gruppe aus: Menschen, die digitale Texte mithilfe eines automatischen Programms, eines Screenreaders, vorgelesen bekommen, leiden unter der Nutzung des Sternchens. Dieses wird in den Programmen nämlich häufig als „Sternchen“ gelesen. Der Doppelpunkt dagegen wird häufig als kurze Pause gesprochen — und ist damit sinnvoller. Ich überlege nun, ob ich wechsle. Spannend in diesem Zusammenhang finde ich, dass bisher (soweit ich weiß) keine der Firmen, die eine entsprechende Screenreader-Software vertreiben, das Gendersternchen zu Marketing-Zwecken doch als Pause konfiguriert hat.
Konsequent wäre es übrigens, auch Begriffe zu gendern, die nur weiblich sind: Nach Frau*, Mutter* und Hebamme* setze ich bisher keine Gendersternchen. Das sollte ich aber eigentlich, um Menschen einzubinden, die sich nicht eindeutig dem bipolaren Geschlecht zuordnen wollen.
In diesem Zusammenhang wiederum ist der Doppelpunkt schwierig. Wenn ich über Ärzt:innen spreche, ist wohl zu verstehen, dass es hierbei um einen gegenderten Begriff geht. Stellt euch aber vor, ich spreche in einem Satz von Müttern:, die zum Beispiel anderen Frauen: gute Tipps geben wollen. In diesem Zusammenhang kann der Doppelpunkt wesentlich stärker verwirren als das Gendersternchen.
Nun kommt noch eine dritte Ebene zum Sternchen dazu, nämlich das Affiliate-Marketing. Viele Blogs finanzieren sich über Affiliate-Marketing. Auch auf Ich Gebäre gibt es Affiliate-Links. Manchmal schreibe ich dann dahinter, dass es sich um einen Affiliate-Link handelt. Manchmal schreibe den Hinweis aber auch bloß am Anfang eines Beitrags oder Abschnitts und weise dann darauf hin, dass die Affiliate-Links mit einem Sternchen gekennzeichnet sind. Das ist dann natürlich wiederum verwirrend, wenn ein*e Leser*in sich dann wundert, warum denn nun mein Manifest* ein Gendersternchen erhält. (Ja, ich konnte es mir nicht verkneifen, hier einen Affiliate-Link zu meinem — bisher nur auf Englisch erschienenen — Manifest für eine selbstbestimmte Geburtskultur zu verlinken.)
Typisch weiblich, typisch männlich
Ich schreibe also das Gendersternchen nicht als Selbstzweck oder Stilmittel, sondern um damit sprachliche Inklusion zu fördern. Dabei geht es natürlich auch um den Abbau von Vorurteilen.
Um Vorurteile und deren Folgen geht es hier im Blog auch an anderer Stelle, zum Beispiel, wenn ich verdeutliche, warum ich das Geschlecht meines Babys vor der Geburt nicht kennen möchte.
Einen anderen Blickwinkel auf „typisch Frau“ werde ich demnächst in einem Interview veröffentlichen, in dem es unter anderem um Geschlechtsumwandlungen geht. (Wenn du es nicht verpassen willst, abonniere meinen Newsletter.)
Und generell ist natürlich auch noch die Frage, wie ich mich als Frau — ohne Gendersternchen — eigentlich hier positioniere. Als weiße, nicht behinderte, verheiratete Frau mit Kindern, ohne Geldsorgen und mit dem Freiraum, genau das zu arbeiten, was ich will, bin ich wesentlich weniger benachteiligt als andere Menschen. Andersherum formuliert: Ich bin privilegiert. Dennoch kämpfe ich auch immer für mehr Gleichstellung, für eine gleichberechtigte Care-Arbeit, gegen die 40-Stunden-Woche als normales Arbeitszeitmodell. Ich habe viele Ideen, wie diese Gesellschaft gerechter sein könnte. Gerechter — aus meiner privilegierten Sicht.
An dieser Stelle möchte ich das Thema nicht noch weiter ausführen, sondern verweise stattdessen einerseits auf meine Serie zu Feminismus und Geburten (Was hat Geburt mit Feminismus zu tun?) und auf den Brief an meine Tochter, den ich anlässlich des Frauentags 2020 geschrieben habe.
Bilder
Auch Bilder sind häufig nicht frei von Diskriminierung. Das fängt natürlich damit an, dass ich selber weiß bin. Ich habe Fotos von mir auf meinem Blog. Da ich sonst nur wenig mit Fotos arbeite, ist der Blog leider überproportional weiß.
Nun ist seit ein paar Wochen eine Anzeige bei Jooble geschaltet, die auf mein Angebot von Geburtsgeschichten hinweist. (Mehr dazu in meinem NSOC-Beitrag). Ich hatte dafür mein Logo zur Verfügung gestellt: Das Wort Geburtsgeschichte, das aus einer Feder entspringt, zusammen mit meinem Namen. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass daraus noch ein „angepasstes Logo“ entstehen würde. Es ist rosa, hat ein Häschen und ein Babyköpfchen — weiß — im Mittelpunkt. Autsch. Glücklich bin ich damit nicht. Ich schreibe schließlich erstens nicht nur für Menschen, die rosa mögen und zweitens nicht nur für weiße Kinder und drittens ist es auch keine Notwendigkeit, flauschige Karnickel zu mögen. Die Zukunft wird zeigen, was ich da noch ändern kann.
Das Bild findet ihr übrigens, wenn ihr bei jooble nach Hebammen sucht.
Tatsächlich gibt es auf dem Blog einen Beitrag, in dem eine Hebamme von ihrer Erfahrung in Ländern des globalen Südens berichtet. Da gibt es auch ein paar Bilder. Wie ich das nun aber in Bezug auf Diskriminierungsfreiheit bewerte, weiß ich wirklich noch nicht. Ist das nun eher positiv oder negativ?
Geschlechtergerechte Sprache im E-Book Der kompetente Hausgeburtsvater
Seit November ist mein E-Book „der kompetente Hausgeburtsvater“ erhältlich. Ich habe lange überlegt, wie ich es nenne. Nutze ich das Wort Vater? Begleiter? Begleitung? Wie nenne ich denn nun mein E-Book? Wie stelle ich den Innenteil dar? Beziehe ich mich eindeutig auf Männer und diskriminiere damit alle Menschen, deren Partner*in ein Baby zur Welt bringt, die sich aber nicht als „Vater“ bezeichnen wollen?
In diesem Fall war tatsächlich das Marketing für das Buch mit ausschlaggebend.
„Schreib deine Texte genau für eine Person. Deine*n Wunschkund*in. Nur für diesen einen Avatar. Dann ist die Positionierung so spitz, dass diese Person sich magisch zu dir hingezogen fühlen wird.“
Jede*r Marketing-Expert*in im Internet.
So lernen wir alle es, wenn wir uns mit Marketing auseinandersetzen. Das ist aber problematisch, wenn ich mir andererseits Inklusion zum Ziel gesetzt habe.
Ich habe mich dann für „Vater“ entschieden. Hier zitiere ich aus dem Buch die entsprechende Erklärung:
Selbstverständlich richtet sich dieses Buch auch an Partner*innen, die sich nicht als Vater bezeichnen wollen, weil sie sich nicht dem binären Geschlechtssystem zuordnen möchten. In meinen Texten achte ich sehr auf geschlechtsneutrale oder geschlechtergerechte Sprache. In diesem Falle habe ich mich für Vater entschieden, weil mit diesem Begriff auch ein Rollenbild einhergeht, das ich mithilfe dieses Buches zumindest teilweise aufbrechen möchte: Dem „Ich kann doch so oder so nichts tun. Die Frau bekommt das Kind“ möchte ich mit diesem Buch entgegentreten. Wenn du als Partner*in bei der Geburt eures Kindes dabei bist, wird dieses Buch dir viele praktische Tipps geben — unabhängig davon, ob du aus genetischer Sicht Vater des Kindes bist. Gerne stehe ich für eine Diskussion zu dieser Thematik zur Verfügung.
Auszug aus meinem Buch der kompetente Hausgeburtsvater
Allerdings ist offen, ob das in den nächsten Auflagen des Buches so bleiben wird.
Newsletter
Meine Newsletter schreibe ich spontan. Manche im „du“, andere im „ihr“. Ich versuche auch hier, inklusive Sprache zu verwenden. Das gelingt meist gut — bis auf die oben angesprochenen Hebammen / Entbindungspfleger sowie die Frage von weiblichen Begriffen ohne Inklusivitätsmerkmal.
Werbung: Meine Zielgruppe
Und nun komme ich abschließend noch zu einem spannenden Aspekt, den auch Judith von Sympatexter in ihrem Beitrag zur Blogparade aufgreift: Ist es eigentlich sinnvoll, durch ein Gendersternchen oder einen Doppelpunkt auch Männer mit einzuschließen? Oder sollte ich, weil mein Blog zum überwiegenden Teil von Frauen gelesen wird, nicht mal einfach das generische Femininum verwenden und Männer dürfen sich dann mitgemeint fühlen? (Inwiefern sich das jeweils mitgemeinte Geschlecht tatsächlich mitgemeint fühlt, ist allerdings fraglich. Dazu gibt es viele Studien, zum Beispiel diese hier.)
Ich schreibe über Geburten und damit hauptsächlich an Frauen. Wenn ich Geburtsgeschichten aufschreibe, geben die Frauen sie in Auftrag. Manchmal kommen noch ein paar Ergänzungen vom Vater* des Kindes.
Da beißt sich die Katze in den Schwanz: Führt meine Positionierung (ich spreche die Person an, die das Kind geboren hat) dazu, dass nur Frauen sich melden, oder haben nur Frauen das Bedürfnis, ihre Geschichte aufzuschreiben?
Im April werde ich Teil der PowerFrauen Online-Woche sein. Die trägt die Frauen ohne Sternchen bereits im Namen. Das Programm ist von Frauen für Frauen. Die Gruppe ist sich noch nicht einig, ob interessierte Männer zugelassen werden. Mein Wunsch wäre: Klar dürfen sie, wenn sie sich trotz der eindeutigen Werbepositionierung an Frauen für einen Workshop interessieren. Aber klar ist auch: Männer werden sich kaum angesprochen fühlen. „Von Frauen für Frauen“ ist einfach sehr klar und deutlich formuliert. Für Frauen. Damit ist zumindest unterschwellig auch klar: Gegen Männer.
Auch jenseits dieser Workshops habe ich weitere Angebote für Frauen. Mein Kurs Mamaglück richtet sich ausdrücklich an Mütter. Diskriminierung? Klare Positionierung? Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf? Bei Werbung, gerade an Kinder gerichtet, rege ich mich immer ziemlich auf, wenn diese die Kinder sofort in die Puppen-gegen-Traktor-Ecke steckt.
So verfolge ich zum Beispiel schon lange die Verleihung des Goldenen Zaunpfahls des Vereins klischee*esc. Es ist erschreckend, wie stark selbst meine Zweijährige schon anhand von Farben im Kinderbuch sagt, ob es sich um Jungen oder Mädchen handle. Ich wirke gegen. Andere im Umfeld nicht. Was kommt von ihr, was kommt von außen? Ein ewiges Dilemma.
Tja. Werbung und Rollenklischees sind doof. Meine Werbung ist dennoch eigentlich genauso: Sie richtet sich an bestimmte Personen und schließt damit andere aus. Meine Wunschkundin ist, mit Ausnahme des Ebooks, weiblich und mir außerdem auch in anderen Punkten ähnlich (ist ja meist so), also weiß, heterosexuell, nicht behindert (bis auf die Brille…), hat Kinder und Job und liebt ihr Leben. Und, immerhin das: Sie weiß um ihre Privilegien und weiß auch, dass ihre Sichtweise nicht die einzig gültige ist.
Fazit: da geht noch mehr.
Da geht noch mehr. Mehr Inklusion zulasten der Positionierung? Mehr Marketing zulasten der Inklusion? Mehr Inklusion mit genauso guter Zielgruppenansprache?
Ich bin noch immer nicht klar.
Dabei bin ich nicht alleine. Auch Susi hat das in ihrem Beitrag zur Blogparade schön beschrieben.
Für den Moment kann ich mit dem Gendersternchen-Kompromiss leben. Wenn ich mir überlege, mit wem ich gern zusammenarbeiten möchte, sind Hautfarbe, Herkunft und Ausbildung eher zweitrangig. Viel mehr geht es mir um die Einstellungen: Der Glaube an die Macht der Sprache, an Liebe als Essenz des Lebens, an Eigenverantwortung und persönliche Weiterentwicklung stehen dagegen im Fokus.
Ob das so bleibt, ist offen. In jedem Fall bedanke ich mich bei Nicole Isermann für die Ausrichtung der Blogparade. Sie hat mir sehr geholfen, meine eigenen Gedanken zum Thema zu ordnen.
Schreiben hilft dabei. Das sage (und schreibe) ich ja so oder so ständig.
Deshalb werde ich auch weiterhin versuchen, Inklusion auf Ich Gebäre umzusetzen. Hoffentlich werde ich dabei nach wie vor besser.
Ein wunderbar zu lesender Beitrag, der gleichzeitig informiert, nachdenklich macht und anschubst. Vielen Dank dafür!
Gruß Alisa