Diese Geschichte darf ich im Rahmen des Geburtsgeschichten-Adventskalenders veröffentlichen. Unter der Geschichte findest du alle bisher erschienenen Geschichten. Viel Spaß mit dem ersten Türchen des Geburtsgeschichten-Adventskalenders 2021.
Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung
Nachdem meine Cousine mir von ihren beiden Hausgeburten erzählt hatte, war mein Interesse schon lange vor der Schwangerschaft geweckt. Als dann ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit der positive Schwangerschaftstest auf
dem Tisch lag und mein Mann voll hinter mir stand war für uns klar: Wenn medizinisch nichts dagegen spricht, wollen wir unser Kind in gewohntem Umfeld, mit Menschen denen wir vertrauen und einer entspannten Atmosphäre auf der Welt begrüßen!
Die negativen Reaktionen darauf waren erschreckend: Waaas? Beim ersten Kind? Seid ihr euch sicher? Dieses Risiko! Wollt ihr euch das wirklich antun? Unser Entschluss stand fest und obwohl wir das auch sehr gut begründen konnten, mussten wir mit den Konfrontationen bis zum Ende der Schwangerschaft umgehen. Nur, weil wir beide sehr schwer aus der Ruhe zu bringen sind und ein dickes Fell haben (bzw. einen Dickschädel – wir sind beides Löwen), haben wir uns dadurch nicht beeinflussen lassen.
Die Suche nach einer Hausgeburtshebamme
Eine Hebamme zu finden, ist ja generell schon schwer. Aber eine Hausgeburtshebamme zu finden ist normalerweise noch schwerer. Wir hatten unglaubliches Glück, dass eine Bekannte meines Mannes, die gelernte Kinderkrankenschwester ist, sich gerade als Hausgeburtshebamme selbständig gemacht hatte. Ich machte die gesamte Schwangerschaftsvorsorgen bereits bei ihr und ging nur zu den 3 Ultraschallterminen zum Frauenarzt. So konnten wir uns richtig gut kennenlernen und es entstand ein vertrautes, freundschaftliches Verhältnis.
Pole-Dance und Reiten, Yoga und Gymnastik
Die Schwangerschaft war komplikationslos. Ich hatte bis auf Ischiasschmerzen keinerlei Probleme und konnte bis zur 37. Schwangerschaftswoche regelmäßig Sport machen. An der Stange beim Pole Dance war ich bis zum 6. Monat und ausreiten bis zum 7. Monat. Auch hier haben viele gemeint, das wäre viel zu gefährlich in meinem Zustand. Aber ich habe auf meinen Körper vertraut.
Solange ich mich gut dabei fühlte sprach aus meiner Sicht auch nichts dagegen. Bei beiden Sportarten kam dann tatsächlich der Punkt, andem ich mich einfach nicht mehr wohlgefühlt habe. Anschließend habe ich Schwangerschaftsgymnastik und Yoga gemacht; auf Grund der Corona-Einschränkungen hauptsächlich über Zoom und Youtube.
Wenn der Papa aus dem Haus ist…
Mein Mann fuhr von Sonntag bis Donnerstag nach Frankfurt zu einem Seminar. Ich war in Schwangerschaftswoche 38 und der Wäschekorb mit den Utensilien für die Hausgeburt seit einer Woche gepackt. Wir hatten gehofft, dass sich das Baby noch etwas gedulden würde… Aber kaum war Papa sonntags weg, kamen die ersten Wehen. „Das war ja klar“ dachte ich und war drauf und dran ihn wieder zurück zu rufen. Aber nach Mitternacht waren die Abstände wieder kleiner und die Intensität ließ nach.
Tagsüber war der Bauch ab und zu hart, aber nicht schmerzhaft. Montag, Dienstag und Mittwochabend immer wieder das gleiche Spiel. Ab ca. 17 Uhr fingen die Wehen an und gegen Mitternacht schwächten sie dann wieder ab. Mittwochs wollte ich den Trick mit der Badewanne ausprobieren.
Der Badewannentrick
Eine Freundin kam vorbei und spielte Bademeisterin. Und tatsächlich: Die Wehen gingen im warmen Wasser nicht weg. Die Abstände wurden sogar noch kürzer – sprach also eindeutig für Geburtswehen. Ich rief meine Hebamme an und sie meinte, ich würde die Geburt unterbewusst unterdrücken, da mein Mann nicht da wäre.
„So ein Quatsch“, dachte ich… Sie hatte wohl Recht, denn kaum war Donnerstag und mein Mann zurück, gingen die Wehen um Mitternacht nicht mehr weg…
Geburt mit Partner
Es war Donnerstag, der 16.07., ich lag mit meinem Mann auf der Couch und veratmete Wehen. Doch irgendwie merkte ich, dass die Wehen anders waren als die Abende zuvor. Ich konnte irgendwann während der Wehen nicht mehr liegen und musste mich bewegen. Ich holte meinen Pezziball und hielt mich während der Wehen am Tuch fest. Die Wehenabstände überwachte ich mit einer App. Die hatte die Abende davor aber schon ab und zu gesagt, ich solle ins Krankenhaus fahren weil die Abstände zu kurz waren.
Diesmal sagte mir aber mein Gefühl um Mitternacht, dass ich jetzt lieber mal die Hebamme anrufen sollte.
Sie machte mir Mut und meinte ich solle genauso weitermachen, in den verschiedenen Positionen. Wenn ich das Gefühl hätte, dass ich sie bräuchte, sollte ich mich nochmal melden. Sie wäre dann in zehn Minuten da.
Mein Mann ging ins Bett. Ich legte mich kurz dazu um dann aber gleich zu merken, dass Liegen wirklich nicht mehr angenehm war. Ich legte im Wohnzimmer meine Geburts-Playlist auf, machte Kerzen🕯 an und tigerte durch das Haus.
Hausgeburt mit Hebamme und Partner
Um 3.40 Uhr war der Punkt erreicht. Jetzt wurde es ernst. Unser kleines Wunder hatte sich auf den Weg gemacht. Wir wussten übrigens noch nicht ob Bub oder Mädel. Es hatte sich bei den Ultraschallterminen immer geschickt weggedreht.
Die Abstände waren bei circa drei Minuten und so intensiv, dass ich kaum mehr sprechen beziehungsweise singen konnte. Ich weckte meinen Mann und rief die Hebamme an. Um 4 Uhr schob mein Mann sich eine Pizza in den Ofen. Er meinte: „Wer weiß, wann ich das nächste Mal was bekomme.“ Ich ließ mich anstecken und machte mir ein Fleischsalat-Brot.
Die Atmosphäre war total entspannt. Die Hebamme breitete ihre Utensilien aus, schrieb ihren Bericht und beobachtete mich. Mein Mann massierte mir das Kreuzbein während der Wehen und als ich um cira 7 Uhr auf der Toilette war, blutete ich etwas. Ein gutes Zeichen. Am Muttermund tat sich was. Also untersuchte mich die Hebamme und der Muttermund war bis auf einen kleinen Saum vollständig geöffnet.
Sie verständigte die zweite Hebamme und ich wollte nun in unsere Whirpoolwanne. Das tat gut! Die Wehen waren gleich viel angenehmer im warmen Wasser. Ich dachte: „Wenn jetzt die zweite Hebamme kommt, kann es nicht mehr lange dauern bis wir den kleinen Wurm in den Armen halten!“ Aber damit lag ich leider falsch…
Ich wollte während der gesamten Geburt positiv gestimmt sein und das hat auch gut funktioniert. Jetzt im Nachhinein würde ich sagen es war meine Traumgeburt. So anstrengend sie auch war, die Hormone haben mich viel vergessen lassen. (Oder vielleicht die Stilldemenz…)
Als die zweite Hebamme eintraf, sagten sie mir, dass das Baby sich nicht ins Becken eindrehen wolle. Wir müssten ein bisschen „arbeiten“ um es durchs Becken zu schunkeln. Also musste ich während der Wehen abwechselnd die Beine auf den Stuhl stellen, das Becken am Tuch hängend kreisen oder im Storchenschritt durch die ganze Wohnung laufen. Anschließend durfte ich wieder in die Wanne.
Pieks in die Fruchtblase
Die Fruchtblase war noch nicht geplatzt und der Druckschmerz unter der Wehe, am Kreuzbein, war enorm. Ich bat darum, ob die Hebamme nicht etwas beim Öffnen nachhelfen könnte und sie erzeugte bei der nächsten Wehe einen leichten Gegendruck mit dem Finger. Prompt gab die Blase nach. Sofort war auch der Druck nicht mehr so stark. Das war erst um 11.20 Uhr, wie ich nachher im Geburtsbericht gelesen hatte.
Mein Zeitgefühl war während der Geburt gleich Null. Trotz, dass nun Fruchtblase und Muttermund offen waren, tat sich anderthalb Stunden kaum was am Köpfchen. Das hatte sich im Becken festgesetzt. (Auch ein Dickschädel!)
Drohung mit Gymnastik
Als die Hebamme mir „androhte“, dass ich wieder aus der Wanne solle und wir es mit einer speziellen Technik probieren würden, das Köpfchen einzudrehen (Kerze — zurück in die Gebärmutter — herabschauender Hund — neu Anlauf nehmen) habe ich innerlich vermutlich rebelliert, denn die nächste Wehe war eine kraftvolle Presswehe. In der Badewanne waren diese aber nicht so erfolgreich wie erhofft und ich musste doch wieder raus.
Langsam war ich mit meinen Kräften wirklich am Ende. Ich hatte wohl mehrmals gesagt, dass ich nicht mehr könne und doch gab ich nicht auf. Ich redete mir innerlich zu: Dein Körper ist dazu geschaffen ein Kind zu gebären…du willst auf keinen Fall ins Krankenhaus, das ziehst du jetzt durch!!!
Mein Mann saß neben der Badewanne auf einem Geburtshocker, ich nahm rücklings auf ihm Platz. Eine Hand um seinen Nacken gelegt, eine gegen die Wand und beide Beide in den Boden gestemmt. Nun hatte ich enorme Kraft zu pressen. Weil ich mein Baby endlich kennenlernen wollte, habe ich auch nach der Wehe weiter gepresst, so dass das Köpfchen die letzte Kurve noch bekommen konnte.
Beide Hebammen ermahnten mich aufzuhören zu pressen und schön langsam zu machen. Aber meine Geduld war am Ende angelangt. Daraufhin nahm mich die eine Hebamme, auf der Toilette sitzend, auf den Schoß und kreuzte die Arme vor meinem Bauch. Ich bemerkte, dass die andere Hebamme bereits warme Handtücher aus dem Backofen geholt (für meinen schwäbischen Ehemann war das Schlimmste, dass der Backofen so lange lief ) und Abnabel-Utensilien bereitgelegt hatte… Also Endspurt!
Sie untersuchte mich noch ein letztes Mal und sagte ich hätte am Kreuzbein viel Platz und solle mich drauf konzentrieren, das Kind in Richtung Kreuzbein zu pressen. Ich war immer der Meinung, pressen geht einfach so wie beim großen Geschäft…aber bei der nächsten Wehe konzentrierte ich mich auf das Kreuzbein und die Hebamme, auf deren Schoß ich saß, drückte mit den überkreuzten Armen etwas gegen den Bauch…
Und ZACK, schoss das Baby um 13.04 Uhr, in einem Affenzahn, der vor mir knienden Hebamme in die Arme. Es schrie gleich mit einem ungeheuer lauten Organ los und ließ sich erst nach fünf Minuten in meinen Armen beruhigen. Es hatte eine ordentliche Beule am Kopf dort wo es im Becken fest hing. Das fiel mir direkt auf.
Junge oder Mädchen?
Mein Mann hatte mit der Hebamme auf der Toilette die Plätze getauscht und saß nun hinter mir. Neugierig auf das Geschlecht, lugten wir beide unter das Handtuch: ein Junge! OLIVER – 3340g – 52cm.
Wir sind unendlich glücklich, diese Hausgeburt ohne irgendwelche Eingriffe und Medikamente durchgezogen zu haben und würden es jederzeit wieder tun (trotz hoher Stomrechnung bzgl. des Backofens). Der größte Dank geht an die zwei Hebammen, welche mich ununterbrochen motiviert und gestärkt haben und natürlich an meinen Mann.
Und deine Geschichte?
Diese Geschichte habe ich nicht geschrieben, durfte sie aber veröffentlichen. Hast du deine Geburtsgeschichten aufgeschrieben? Oder fehlen mir dir die Worte? Willst du dazu meine Unterstützung in Anspruch nehmen, um die richtigen Worte zu finden? Ich helfe dir beim Schreiben der Geburtsgeschichte. Achtung, sie wird lang. Viel länger als diese hier. Das liegt alleine schon daran, dass du nicht schreiben musst, sondern erzählst. Hier gibt es mehr Informationen!
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Alle Geschichten des Geburtsgeschichten-Adventskalenders 2021
An dieser Stelle findest du alle Adventskalendergeschichten, sobald sie erschienen sind.
- Rebekka: Traumgeburt mit Pizza
- Doris: Nele — Geburt in drei Akten
- Jeanette: Heilsame Hausgeburt im Wohnzimmer
- Dieter & Katrin: Alleingeburt aus Sicht eines Vaters
- Franziska: Das fünf-Kilo-Baby
- Franziska: Ein Sternengucker
- Carina: Schnelle Alleingeburt
- Sintia: Alleingeburt beim ersten Kind: Weil es genau das Richtige war
- Cindy: Angst ist ein schlechter Ratgeber
- Jana: Hockergeburt im Krankenhaus
- Nora: Beckenendlagengeburt
- Nora: Wassergeburt zu Hause
- Katrin: Hausgeburt einer Hebamme
- Barbara: Hausgeburt trotz extrem kurzer Nabelschnur
- Miriam: Geburt einer Sternenguckerin mit PDA und toller Unterstützung
- Andrea: Wassergeburt im Krankenhaus
- Nora: ungeplante Alleingeburt
- Kasia: Magische Vollmondgeburt
- Jana: Geburtshausgeburt mit viel gelassener Zeit und viel Geburtskraft
- Jessica: Die Wellensurferin
- Anna-Elisabeth: Drei Tage Blubbern vor dem Kaiserschnitt
- Katrin: Ein sanfter Notfallkaiserschnitt
- Sintia: Alleingeburt vor dem Klo
- Franziska: Wehencocktail vor der Hausgeburt