Wie viel DDR steckt in mir?

Ein Mamawelt-Post der ganz besonderen Art. Ich bin nämlich weder in der DDR geboren noch aufgewachsen. Aber seit 2014 lebe ich im Gebiet, das früher zur DDR gehörte. Und über diese Erfahrung schreibe ich heute.

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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.

Blogparade zum Thema „35 Jahre danach: Wieviel DDR steckt noch in mir?“

Die Blogparade von Sylvia Tornau hat sofort etwas in mir ausgelöst, obwohl ich 1988 in Nordrhein-Westfalen geboren wurde. Ich bin also weder zeitlich noch räumlich ein DDR-Kind und konnte mit der DDR jahrelang nur sehr wenig anfangen.

Kind der Einheit

In der dritten Klasse lernten wir die deutschen Bundesländer und deren Hauptstädte auswendig. Als ich damals mit meiner besten Freundin sowohl bei mir als auch bei ihr zu Hause die Namen der Bundesländer und Städte übte, sagten sowohl meine Mutter als auch ihre Mutter unabhängig voneinander, dass sie die alten Bundesländer zusammenbekämen, bei den neuen aber immer noch etwas unsicher seien. Für meine Freundin Stephanie und mich klang das ziemlich seltsam, denn wir kannten keine neuen und alten Bundesländer, sondern nur 16 Bundesländer und 16 Landeshauptstädte, die wir auswendig lernen sollten.

Für uns waren Sachsen-Anhalt und Magdeburg genauso selbstverständlich wie Hessen und Wiesbaden. Manche konnten wir uns besser merken, manche schlechter, aber das hatte nichts mit der geografischen Lage zu tun. Am einfachsten fanden wir natürlich die drei Stadtstaaten: Bremen – Bremen, Hamburg – Hamburg, Berlin – Berlin. Warum sowohl meine Mutter als auch Stephanies Mutter das damals seltsam fanden, konnte ich nicht nachvollziehen. Alte und neue Bundesländer – keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Irgendwie war es mir schon klar, aber so richtig damit beschäftigt habe ich mich nicht.


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Auch in diesem Jahr gibt es einen Geburtsgeschichten-Adventskalender und ein paar Adventsverlosungen. Sei dabei!


Genauso wenig beschäftigte ich mich damit, als wir Mitte der 90er im Bekanntenkreis jemanden hatten, der Sächsisch sprach. Ja, Sächsisch klang ungewohnt, aber ehrlich gesagt, nicht viel ungewöhnlicher als Bayerisch.

Geschichte, nicht Lebenswirklichkeit

So richtig mit der DDR beschäftigte ich mich erst in der Oberstufe im Geschichtsunterricht. Da ging es dann natürlich, wie so häufig, um die einflussreichen Männer, ihre Art, Länder zu führen, und ihre Vorstellungen davon, was richtig und was falsch war. Es ging um den Ost-West-Konflikt, die Berlin-Blockade, den Bau und Fall der Mauer, den Warschauer Pakt und die NATO.

Ich bin meiner damaligen Lehrerin im Geschichtsleistungskurs sehr dankbar, dass sie einen Zeitzeugen für eine Unterrichtsstunde gewinnen konnte. Dieser Mann hatte versucht, einen Ausreiseantrag zu stellen, war damit durchgekommen und hatte dann, praktisch ohne Hab und Gut, die innerdeutsche Grenze passiert, um im Westen zu leben. Er erzählte uns von seiner persönlichen Geschichte und auch von absurden Situationen. Zum Beispiel, dass Engel nicht Engel genannt werden sollten, weil die DDR ja ein atheistischer Staat war, und dass sie stattdessen „Jahresendzeitfiguren“ genannt werden sollten. Seine Version der DDR war, nicht überraschend, ausgesprochen negativ. Immerhin so negativ, dass er beschlossen hatte, alles zurückzulassen, um in der Bundesrepublik zu leben. Dieser Blick, zusammen mit den weltgeschichtlichen Ereignissen, prägte lange mein Bild von der DDR.

Berlin, Halleluja, Berlin

2004 war ich das erste Mal für ein Praktikum in Berlin. (Danke Mama und Papa, dass ihr mir das damals, gerade erst 16-jährig, schon zugetraut habt.) Ich arbeitete im Bezirk Tiergarten, wohnte aber im Prenzlauer Berg. Ich überquerte also jeden Tag die Spree, um zum Arbeitsplatz zu kommen. Das Sony Center am Potsdamer Platz war damals gerade erst eröffnet worden. Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas war noch eine große Baustelle. Überall in Berlin wurde gebaut, besonders im ehemaligen Mauerstreifen. Die ehemalige Todeszone wurde mit Leben gefüllt. Die S-Bahnen und U-Bahnen fuhren wieder über den ehemaligen Mauerstreifen hinweg. Buslinien wurden unabhängig von der ehemaligen West- und Ostgrenze eingerichtet. Berlin hat mich damals schon fasziniert. Aber ich habe immer noch sehr wenig über die Teilungsgeschichte und vor allem über das Leben der Menschen in der DDR erfahren. Daran konnte auch ein späterer Besuch im DDR-Museum in Berlin nichts ändern.

2007, nach dem Abitur, zog ich zum Studium nach Berlin. Zunächst studierte ich an der alten West-Berliner Uni, der Freien Universität, und dann an der alten Ost-Berliner Uni, der Humboldt-Universität.

Innerdeutsche Beziehungen

Und dann passierte etwas Alltägliches: Ich war tanzen, lernte einen interessanten Menschen kennen, mit dem ich mittlerweile Kinder habe und gemeinsam in Brandenburg wohne. Mein Mann ist Jahrgang 1990, also auch ein Kind der Wendezeit, und hat die DDR nie erlebt. Aber seine Eltern und Großeltern sind in der DDR aufgewachsen, haben dort bis zur Wende gelebt und leben heute immer noch dort.

Seitdem bin ich in so einige Fettnäpfchen getreten und habe kulturelle kleine oder größere Unterschiede kennengelernt. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob das familiäre Dinge sind, die nur hier so ablaufen, oder ob es ein Ausdruck der Teilungsvergangenheit ist, die diese Menschen hatten.

Beispiele für solche Unterschiede sind die Dauer der Elternzeit, die Wahl der Steuerklasse, Geschichten von Urlaubszielen, aber auch Erzählungen aus der Zeit in der Armee oder von Frühgeburten wegen des Schrecks durch den Mauerbau.

Feministischer Blick von Außen und Innen

Als ich mich 2019 selbstständig machte, schloss ich mich dem Netzwerk der Unternehmerinnen in Oberhavel an, in dem ebenfalls viele Frauen aktiv sind, die auch schon zu DDR-Zeiten in Oberhavel oder anderen Regionen in Brandenburg lebten.

Sowohl meine privaten als auch meine geschäftlichen Kontakte haben mir gezeigt, dass es durchaus möglich war, in der DDR ein zufriedenes Leben zu führen. In gewisser Weise bin ich stolz darauf, eine gemischtdeutsche, eingeheiratete Familie zu haben und mit Menschen zu tun zu haben, die diese andere Vergangenheit haben. (Dabei ist das ja gar kein „Verdienst“, auf den man stolz sein müsste…) In gewisser Weise stellt mich meine Situation auch vor Herausforderungen.

Gerade beim Thema Feminismus reagieren viele Menschen, die in der DDR groß geworden sind, überzeugt: „Wir waren viel feministischer, bei uns hatten Frauen viel mehr Rechte, bei uns durften Frauen arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen, wir hatten die Kinderbetreuung.“ Und das stimmt, diese Aspekte waren viel unkomplizierter, genauso wie die Pille oder die Frage der Abtreibung. Und dennoch, wenn man mit den Menschen näher ins Gespräch kommt, auch mit den Frauen, wird schnell klar, dass all diese Dinge nicht implementiert wurden, weil die herrschenden Männer so feministisch waren, sondern dass es schlicht ökonomische Gründe hatte, die Frauen so einzubinden.

Auf einer Podiumsdiskussion, an der ich letztes Jahr teilnahm, sagte eine Frau, selbst mittlerweile erfolgreiche Unternehmerin, die ihr Leben lang in den östlichen Bundesländern gelebt hatte:

„Die DDR war genauso ein Patriarchat, wie es die Bundesrepublik war und ist. Aber sie war das besser organisierte Patriarchat.“

Dieser Punkt ist extrem wichtig. Gleichzeitig fällt es mir aber nach wie vor schwer, ihn in Diskussionen so kenntlich zu machen, dass ich damit die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort nicht in Zweifel ziehe. Denn niemand hört natürlich gerne „naja, eigentlich war die DDR gar nicht so feministisch.“ Denn in der Wirkung waren in der DDR viele Aspekte gegeben, für die Frauenrechtler(*innen) in der Bundesrepublik lange streiten mussten (und z.B. beim Thema Schwangerschaftsabbruch immer noch streiten).

Es bleibt ein Ritt auf des Messers Schneide, einerseits die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht in Zweifel zu ziehen, und andererseits zu wissen: Bestimmte Aspekte werden im Nachhinein vermutlich glänzender dargestellt, als sie es verdient hätten.

Diese Ambivalenz zwischen der gelebten Realität und den zugrunde liegenden Strukturen macht es so herausfordernd, über die DDR zu sprechen – besonders für jemanden wie mich, der sie nicht selbst erlebt hat. Es ist ein Balanceakt zwischen Anerkennung der positiven Aspekte und kritischer Reflexion der Hintergründe. Vielleicht liegt gerade in dieser Spannung die Chance für einen differenzierten Dialog. Indem wir sowohl die Errungenschaften als auch die Schattenseiten der DDR betrachten, können wir ein vollständigeres Bild gewinnen. Dies ermöglicht es uns, aus der Vergangenheit zu lernen und gleichzeitig die individuellen Erfahrungen der Menschen zu respektieren.

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Katharina Tolle

Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.

Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.

Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!

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1 Gedanke zu „Wie viel DDR steckt in mir?“

  1. Liebe Katharina, ich danke dir sehr für deinen Beitrag zu meiner Blogparade. Für diesen Blick von Außen, der sehr vertraut mit dem Innen ist. Aufgrund deiner Lebenserfahrung und deines Lebensortes samt Austausch mit Menschen, die in der DDR lebten und deren Prägungen du jeden Tag mitbekommst, hast du einen sehr genauen Einblick in die Unterschiede der Erfahrungswelten Ost und West, aber auch in die Gemeinsamkeiten. Schmunzeln musste ich über deine Beschreibung, als du die 16 Bundesländer lerntest und eure Mütter damit Schwierigkeiten hatten. Das ging mir ähnlich, als meine Tochter dies lernen musste und ich beim Abfragen immer ins Schulbuch lugte, weil die mir auch nicht alle präsent waren.
    Die Geschichte von den „Jahresendzeitfiguren“ habe ich schon mal gehört, in meinem persönlichen Umfeld hat dies niemand gesagt und ich kann mich auch nicht erinnern, dass dies jemand von uns gefordert hätte. Aber vielleicht gab es da auch regionale Unterschiede.
    Den Satz „Die DDR war genauso ein Patriarchat, wie es die Bundesrepublik war und ist. Aber sie war das besser organisierte Patriarchat.“ halte auch ich für dringend beachtenswert und richtig. Feminismus gab es in der DDR vielleicht im Untergrund, aber nicht gesellschaftlich ausgeprägt. Alles, was da für Frauen erreicht und geschaffen wurde, wurde mit Blick auf die notwendige Arbeitskraft von Frauen und die ebenfalls notwendige Geburtenrate eingeführt. Das kam den Frauen zugute, hatte aus meiner Sicht aber nichts mit Feminismus und Gleichberechtigung zu tun. Der Staat hat es den Frauen nur leichter gemacht, um die eigenen Ziele zu erreichen. Wer will, dass Frauen arbeiten und Kinder bekommen, muss dafür etwas tun und das hat die DDR erkannt.
    Danke für deine ganz individuelle Sichtweise auf das Thema DDR Prägungen. Herzliche Grüße Sylvia

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