Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache

Geschlechtergerechte Sprache und das Verständnis von Sex und Gender sind auch bei Geburten relevant. In diesem Text gebe ich meinen persönlichen Stand der Entwicklung wider und schreibe über Transsexualität und Geburt, über Gender, Sex, Sprache und Selbstbestimmung.

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Einführung — ja, wirklich

Ich habe mir lange überlegt, ob ich zu diesem Thema etwas schreibe. Denn mir ist klar: Das hier wird kein einfacher Beitrag. Viel leichter wäre es, eine Liste über süße Geschenke zur Babyparty zu schreiben.

Doch das Thema liegt mir am Herzen.

Transsexualität und Non-Binarität betrifft statistisch gesehen eine Minderheit der Menschen (wobei es vermutlich mehr sind, als in der Vergangenheit vermutet). Manche Menschen sagen, dass es deshalb nicht gerechtfertigt sei, diese Gruppe so in den Fokus zu rücken und vor allem nicht diejenigen damit zu behelligen, die es nicht betrifft.

Ich sehe das anders. Für mich ist es wichtig, Transsexualität und Non-Binarität zumindest im Ansatz zu verstehen, denn ich will Menschen nicht in Schubladen stecken, in die sie selber nicht passen.

Bild von bs-matsunaga

Diesen Beitrag schreibe ich aus meiner persönlichen Lebensgeschichte heraus: Ich bin eine heterosexuelle cis-Frau, dazu noch weiß, ohne (starke) Behinderungen und mit genügend Geld auf dem Konto. Sprich: Ich bin in vieler Hinsicht privilegiert. Die systematische Benachteiligung, die trans Personen häufig erleben, kenne ich nur vom Hörensagen. Deshalb maße ich mir nicht an, für Menschen zu sprechen, die sich selbst als trans oder non-binär identifizieren. Es ist mein Blick von Außen; nicht mehr und nicht weniger.

Begriffserklärungen

Begrifflichkeiten sind nicht immer einfach. Und manchmal wünschen wir uns, dass wir uns mit all diesen Fachbegriffen nicht auseinandersetzen müssen. Mir geht es selber so. Meine Kinder betreiben Sportarten, bei denen ich mich nur sehr begrenzt auskenne. Ich habe die bewusste Entscheidung getroffen, mich mit den Begrifflichkeiten auseinander zu setzen, die Regeln zu lernen und die Sportart zumindest in der Theorie nachvollziehen zu können. Denn ich will, dass ich verstehe, wovon sie reden.

Ich habe also im Folgenden ein paar Begriffe recht kurz erklärt, greife diese aber dann in den folgenden Abschnitten auch immer mal wieder auf.

Randsportart, nur nicht in unserer Familie… Foto von W O L F ? R T

Cis / cisgender: Das biologische Geschlecht stimmt mit dem Geschlecht überein, das wir uns selbst zuschreiben.

Trans / transgender: Das biologische Geschlecht stimmt nicht damit überein, welches Geschlecht wir uns selbst zuschreiben.

Heterosexuell: Du stehst auf Menschen, deren Geschlecht (wie sie es selbst sehen), nicht deines ist. Ob cisgender oder transgender ist genauso egal wie bei homosexuellen Menschen.

Homosexuell: Du stehst auf Menschen, deren Geschlecht (wie sie es selbst sehen), auch deines ist. Ob cisgender oder transgender ist genauso egal wie bei heterosexuellen Menschen.

Foto von Gustavo Peres

Bisexuell: Du stehst auf Menschen aller Geschlechter.

Non-Binarität: Weder ausschließlich männliche noch ausschließlich weibliche Geschlechtsidentität.

Foto von Armin Rimoldi

Inter: Intersexualität bezieht sich auf angeborene biologische Variationen im Geschlecht, die dazu führen können, dass eine Person anatomische, chromosomale oder hormonale Merkmale hat, die nicht strikt männlich oder weiblich sind. Intersexualität ist keine Geschlechtsidentität, sondern bezieht sich auf die biologischen Merkmale einer Person. Intersexuelle Menschen können sich als männlich, weiblich, non-binär oder in jeder anderen Geschlechtsidentität identifizieren.

Der Unterschied zwischen Sex und Gender

Vermutlich erzähle ich hier nichts Neues; und vermutlich hast du bereits deine fertige Meinung, ob Sex und Gender eindeutig verknüpft sind oder nicht.

Im Englischen steht Sex für das biologische Geschlecht. Gender steht für die gesellschaftliche Rolle, die damit verbunden ist.

Exkurs: Biologisches Geschlecht und Rollenwandel

(bitte zum Lesen aufklappen)

Stellen wir uns vor, ich wäre Eine von eineiigen Drillingen. Wir haben also Körper, die so gut wie identisch sind. Meine eine Schwester hat ein Sixpack, weil sie mehr trainiert als ich. Die andere hat sich die Haare rot gefärbt. Aber wenn wir wollten, könnten wir uns so stylen, dass wir für andere Personen identisch aussähen.

Während ich hier bleibe, im Deutschland des Jahres 2023, fliegt eine meiner Schwestern nach Afghanistan. Sie kann dort alleine die Straßen nicht betreten; sie braucht immer eine männliche Person, wenn sie in der Öffentlichkeit ist. Denn ihr wird aufgrund ihres biologischen Geschlechts eine soziale Rolle gegeben, die sich stark von der Rolle in Deutschland unterscheidet. Schreiben für die Öffentlichkeit? Über Geburt, Sexualität, Feminismus? Eigenes Geld verdienen? Geht nicht.

Meine andere Schwester setzt sich in eine Zeitmaschine. Wann soll sie wieder aussteigen? 1917, als Frauen erstmals wählen durften? Oder ins letzte Jahrhundert vor Christus, als Kleopatra Ägypten beherrschte? Jeweils wäre meine Schwester in einer ganz anderen gesellschaftlichen Umgebung und entsprechend wäre die ihr aufgrund ihrer Vagina und ihrer Brüste (und der damit assoziierten Gebärfähigkeit) zugeschriebene soziale Rolle eine andere. Spielen wir den Gedanken noch kurz weiter: Was wäre, wenn sich herausstellte, dass sie aus irgendeinem Grund steril wäre? Wie änderte sich dadurch ihre Rolle?

Gender ist etwas, das uns umgibt, und wir merken es meist nur, wenn es sich ändert. Gender ist, wie wir selbst und andere unsere Rolle in der Gesellschaft aufgrund unseres biologisch vermuteten Geschlechts sehen.

Gender ist zum Beispiel, dass wir aufgrund einer Farbe vermuten, dass ein Baby einen Penis hat. (Denn ganz ehrlich, ohne den Blick zwischen die Beine können wir anhand des Verhaltens, des Gesichts oder der Geräusche nicht wissen, welches Geschlecht es hat.)

Lesetipp mit Lnk zum Beitrag "ich gebäre ein Mädchen! Oder einen Jungen! Oder auch nicht. Oder überhaupt."

Biologisches Geschlecht ist ein Kontinuum

Die Annahme, dass es genau zwei geschlechtliche Optionen gebe, ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. Es gibt so einige mögliche Kombinationen, zum Beispiel Menschen mit mehr als zwei Geschlechtschromosomen, Menschen mit uneindeutigen äußeren Geschlechtsmerkmalen oder Menschen, die trotz eindeutiger äußerlicher Geschlechtsmerkmale steril sind.

Eine Ausformung ist zum Beispiel die Neuro-Genitale Diskrepanz, von der Sabrina im Interview berichtet.

All diese Optionen sind vermutlich statistisch gesehen eine Minderheit; für die allermeisten Menschen gilt: Die Kombination aus XY-Chromosomen führt zu männlichen Geschlechtsteilen; zwei X-Chromosomen führen dagegen zu weiblichen Geschlechtsteilen. 

Von manchen Menschen werden Abweichungen von dieser Mehrheit als Behinderungen angesehen. Doch das muss nicht so sein. Wir können sie auch einfach als Variationen anerkennen.

Schön fand ich einen Vergleich, den ich letztens gelesen habe: Gemessen an der Weltbevölkerung hat nur ein verschwindend geringer Teil der Menschen rotes Haar. Dennoch käme kaum jemand auf die Idee, diese Menschen als „unnormal“ abzustrafen. (Okay, es gibt obszöne Witze über Rothaarige, aber spätestens bei Rechtsfragen gelten die Menschen dann doch wieder als „normal“.) Rothaarigkeit wird einfach als eine Variation des Normalen angesehen.

Genauso könnten Transsexualität, Intersexualität und Non-Binarität als normale Variationen angesehen werden.

Transsexualität

Eigentlich ist der Begriff „Transsexualität“ irreführend, denn ob jemand trans ist oder cis hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun.

Trans Menschen sind mit äußeren Geschlechtsmerkmalen geboren, die nicht dazu passen, wie sie sich fühlen. Ein trans Mann ist eine Person, die sich als Mann fühlt, aber mit weiblichen Geschlechtsteilen geboren wurde. Eine trans Frau ist eine Person, die sich als Frau fühlt, aber mit männlichen Geschlechtsteilen geboren wurde.

Manche dieser Personen streben eine Geschlechtsumwandlung an, andere nicht.

Exkurs: Der Unterschied zwischen Geschlecht und sexueller Ausrichtung

(bitte zum Lesen aufklappen)

Ob jemand trans ist oder nicht sagt noch nichts darüber aus, zu welchen Menschen sich diese Person sexuell hingezogen fühlt. Hetero-, Homo-, Bi-, Pan- und Asexualität sind Begriffe, die beschreiben, zu wem (wenn überhaupt) sich ein Mensch sexuell hingezogen fühlt.

Eine trans Frau ist also eine Frau. Diese Frau kann sich zu Frauen hingezogen fühlen, dann ist sie eine homosexuelle trans Frau. Wenn sie sich dagegen zu Männern hingezogen fühlt, ist sie eine heterosexuelle trans Frau.

Können nur Frauen Kinder bekommen?

Die kurze Antwort ist: Nein. Obwohl die meisten von uns das vermutlich als Kinder anders gelernt haben. Doch die Frage ist komplizierter als sie zunächst vermuten lässt. Der Begriff „Frau“ kann für vieles stehen. Er kann für eine Zuschreibung von Außen stehen, oder für eine Selbstdefinition. Er kann sich auf körperliche Merkmale beziehen oder auf eine gesellschaftliche Rolle.

Dass diese gesellschaftliche Rolle durchaus auch Männern zugeschrieben wird, ist übrigens gar nicht so abwegig. Ich erinnere mich an eine Biologiestunde in der Mittelstufe, in der uns unsere Lehrerein erzählte, dass sie bei einem befreundeten schwulen Pärchen eingeladen waren. „Während der Party übernahm dann der eine den Grill, und der andere war die Frau und kümmerte sich um die Salate.“

So sagte sie damals. Uns war allen klar, dass sie damit keineswegs meinte, dass einer der beiden nun weibliche Geschlechtsteile ausbilden würde, sondern dass es darum ging, dass er Tätigkeiten übernahm, die von vielen Menschen als „typisch weiblich“ angesehen wurden.

Sprich: „Frausein“ wird meistens, aber nicht immer, mit weiblichen Geschlechtsteilen definiert. Wer, so die umgekehrte Logik, keine Vagina, Gebärmutter und Eierstöcke hat, kann in dieser Definition keine Frau sein. Aber das gilt eben nicht immer. „Frausein“ ist manchmal auch etwas ganz anderes.

Ich bin davon überzeugt, dass Menschen selbst am besten fühlen und wissen, wer und was sie sind, und ob sie sich als Mann oder Frau sehen – oder sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen.

Mehrere Personen in meinem Umfeld sagen, die Kategorien „Mann“ und „Frau“ passen nicht auf sie. Sie wollen zum Beispiel gerne ohne geschlechtsspezifische Anrede angesprochen werden. Nehmen wir an, eine dieser Personen heiße Hadar. Hadar ist ein hebräischer Name und wird nicht geschlechtsspezifisch vergeben. Statt meine E-Mail mit „liebe Hadar“ oder „lieber Hadar“ anzufangen, schreibe ich also zum Beispiel „Hallo Hadar“. Denn das entspricht Hadars Lebensrealität, die ich achten möchte.

Hadar hat übrigens zwei Kinder geboren.

Klar könnte ich jetzt sagen: Hadar ist also eine biologische Frau, und hat Kinder geboren. Das ist allerdings genau die Anmaßung von Außen, die ich verhindern will. Denn Hadar hat eine Gebärmutter, bezeichnet sich aber nicht als Frau. Welches Recht habe ich, Hadar als Frau zu bezeichnen?

Es gibt auch trans Männer, die sich entscheiden, Kinder auszutragen. Diese Männer haben, weil sie in einem weiblichen Körper geboren wurden, Eierstöcke und eine Gebärmutter. Auf diese Menschen passt die Bezeichnung „Frau“ ebenfalls nicht.

Manchmal höre ich das Argument: Alles Bullshit, wer eine Gebärmutter hat und eine Vagina, hat einen weiblichen Körper und ist deshalb eine Frau. Also können doch nur Frauen Kinder bekommen.

Wenn du diese Meinung hast, werde ich sie mit diesem Text wohl kaum umstimmen können.

Denn die Frage, die dahintersteht, ist ganz einfach: Sind die biologischen Merkmale für dich ausschlaggebend oder ist ausschlaggebend, was die Person dir von ihr mitteilt? Wenn ersteres der Fall ist, wirst du dich nicht davon überzeugen lassen, dass die Person selbst sich anders sieht.

 Geschlechtersensible Sprache

Wenn ich nun also für mich entschieden habe, dass ich berücksichtigen möchte, wie Menschen sich selbst sehen statt wie sie aufgrund bestimmter Merkmale einsortiert werden, wirkt sich das auf meine Sprache aus.

„Frau“ umfasst die Menschen, die sich selber als Frau sehen. Das sind cis Frauen und trans Frauen. Damit schließe ich Menschen aus, die Kinder bekommen haben oder können, sich aber nicht als Frau sehen. Andererseits schließe ich alle Menschen ein, die sich selbst als Frau sehen, aber keine Kinder bekommen können. Wenn es mir also um Gebärfähigkeit geht, ist das Wort unzureichend. Geht es um zugeschriebene (erwartete) Gebärfähigkeit, ist es ebenfalls ungenau, da es sowohl cis als auch trans Frauen gibt, die keine Kinder bekommen können.

„Mutter“ ist in unserer Kultur ein Begriff für Frauen, die Kinder haben. Wiederum kann ich also cis Frauen und trans Frauen als Mutter bezeichnen. Ich schließe damit Menschen aus, die Kinder geboren haben, sich selbst aber nicht als Frau sehen – zumindest, wenn ich davon ausgehe, dass „Frausein“ die Voraussetzung für Mutterschaft ist.

Foto von Mikhail Nilov

„Gebärende“ ist erstmal ein Wort ohne grammatikalische geschlechtliche Zuordnung. „Der Gebärende“ ist in der deutschen Grammatik genauso korrekt wie „die Gebärende“ und im Plural gibt es so oder so nur die Form „die Gebärenden“. Gebärende ist als Gerundium genauso wie Studierende eigentlich ein Wort, was den Vorgang in den Mittelpunkt rückt. Gebärend bin ich zum Zeitpunkt der Geburt; davor bin ich schwanger, danach habe ich geboren. Gebärende ist also ein Wort, das alle Menschen umfasst, unabhängig von ihrem vermuteten oder selbst zugeschriebenen Geschlecht. Allerdings schließt es nur Menschen zum Zeitpunkt des Geburtsprozesses ein.

Das verstehen übrigens nicht alle Menschen so, wie Michael Bloss feststellen musste, als er nach der Geburt seiner Tochter nicht nur seiner Frau, sondern allen Gebärenden seine Bewunderung aussprach. (Je nach Datenschutzeinstellungen siehst du hier seinen Twitterpost und die Reaktion eines Menschen, der sich HeiLender nennt.)

Bloss‘ Reaktion darauf war stark:

„Schwangere“ ist, ähnlich wie Gebärende, geschlechtsneutral. Ja, vor „Schwangere“ kannst du jeden Artikel setzen und das Wort bleibt sprachlich korrekt. Dass die meisten Menschen beim Wort „automatisch“ eine Person im Kopf haben, der sie Frausein und Weiblichkeit zuordnen, ist nicht verwunderlich; immerhin wird uns genau das von Kindesbeinen an beigebracht. Schwangere umfasst also Menschen aller Geschlechter unter der Voraussetzung, dass diese zu diesem Zeitpunkt schwanger sind.

Es kommt also ganz darauf an, was ich aussagen will. In meinem Blog wirst du Texte finden, in denen ich recht unbedacht von Frau und Mutter spreche. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass auch ich erst eine Entwicklung durchmache. Viele meiner alten Texte sind immer noch nicht bearbeitet und zeigen deutlich: Mein Weg als Feministin ist lange nicht am Ende.

Die Tücken gendersensibler Sprache

Immer wieder gibt es Fälle, in denen der Versuch einer gendersensiblen Sprache scheinbar nach hinten losgeht. Wenn zum Beispiel die Nebenwirkungen eines Medikaments beschrieben werden, kann es sinnvoll sein, Unterschiede herauszustellen. „25 Prozent der Probant*innen klagten über eine bestimmte Nebenwirkung“ hat eine andere Aussagekraft als „49 Prozent der Frauen aber nur 1 Prozent der Männer klagten über eine bestimmte Nebenwirkung.“ Auf den ersten Blick scheint die Nutzung von „Mann“ und „Frau“ also sinnvoll. Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass die Worte „Frau“ und „Mann“ auch trans Personen einschließen, sind sie für biologische Studien nicht uneingeschränkt brauchbar.

Sinnvoller wäre es also, die körperliche Ebene sprachlich sichtbar zu machen, zum Beispiel so: „49 Prozent der Menschen mit weiblichen Hormondrüsen klagten über diese Nebenwirkung. Bei Menschen mit männlichen Hormondrüsen kam diese Nebenwirkung nur bei 1 Prozent vor.“ So ist klar, dass trans Menschen sich jeweils individuell damit befassen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, Nebenwirkungen von diesem Medikament zu spüren.

Ähnlich tückisch ist die Frage nach systematischer Diskriminierung, also Sexismus und Frauenfeindlichkeit. Es gibt durchaus Menschen, die der Meinung sind, dass wir mit der Frage, wer als Frau gilt, diejenigen verraten, die in der Vergangenheit für Frauenrechte gekämpft haben. Diese Menschen sehen es so: Wer nicht mit weiblichen Geschlechtsteilen geboren wurde, hat nicht dieselbe systematische Diskriminierung erfahren wie Menschen, die eben mit diesen Geschlechtsteilen geboren wurden. Und weil sie diese Diskriminierung nicht erfahren haben, dürfen sie sich unter keinen Umständen als Frau bezeichnen.

Anders ausgedrückt: Es gibt Menschen, die der Meinung sind, trans Frauen dürften nicht als Frauen gelten, weil sie von der Gesellschaft anders behandelt wurden und werden als cis Frauen.

Ich kann diesen Gedankengang durchaus nachvollziehen, allerdings ist er aus meiner Sicht nicht zu Ende gedacht.

Das Patriarchat ist ein System, das den weißen heterosexuellen, nicht behinderten cis Mann in den Mittelpunkt rückt. Alle Menschen, die davon abweichen, werden benachteiligt. Das gilt für Frauen, Homosexuelle, People of Color, Menschen mit Behinderung und auch für trans Menschen. Und erst recht gilt das natürlich für Menschen, auf die gleich mehrere dieser Zuschreibungen gelten, zum Beispiel für women of color (siehe dazu meine Rezension des Buches von Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche.)

Trans Personen leiden unter dem Patriarchat, denn sie werden als Abnormalität gesehen. Je nach politischer Ausrichtung werden sie akzeptiert, ignoriert oder sogar verfolgt. Doch nie gelten sie als Idealfall.

Ich finde es mies, diese Gruppe gegen cis Frauen auszuspielen. Die Art der Unterdrückung mag sich voneinander unterscheiden, doch leiden sowohl cis Frauen als auch trans Frauen und trans Männer unter patriarchalen Strukturen.

Diese verschiedenen strukturellen Benachteiligungen sichtbar zu machen, ist nicht immer einfach. Vor einiger Zeit fing ich an, in meinen Beiträgen von Frau* statt Frau zu schreiben, um sichtbar zu machen, dass ich damit nicht nur cis Frauen meine. Je nach Kontext funktioniert das gut oder auch nicht. Doch einfachmachen ist halt auch keine Lösung. Denn „einfach“ ist es dann nur für mich. Für Betroffene nicht. Ich, die ich nicht marginalisiert werde, trage die Verantwortung für das Sichtbarmachen eben auch.

Geschlechtersensible Sprache im Kontext von Geburten

Puh, auch dieses Thema könnte ein ganzes Buch einnehmen. Dabei ist dieser Beitrag schon unglaublich lang. Ich will versuchen, es an dieser Stelle recht kurz herunterzubrechen.

Es dürfte mittlerweile Konsens sein, dass sich Menschen unter der Geburt in einer ausgesprochen sensiblen Situation befinden. Um das Geburtssystem optimal zu beeinflussen, ist Vertrauen in die anwesenden Personen notwendig. Wir vertrauen eher Menschen, die uns kennen, als Fremden. Ein Zeichen von Vertrautheit ist es, dass wir die Person mit dem Namen ansprechen. Und dass wir, wenn wir über sie sprechen, wertschätzende Formulierungen benutzen.

Was meint ihr, wie fühlt sich eine Frau, die als Mann angesprochen wird? Nicht besonders wertgeschätzt, vermute ich. Und wie geht es einer Person, die sich nicht als Frau identifiziert, aber als solche angesprochen wird? Oder wie geht es einer Frau Hohenridder, die immer als Frau Hochreiter angesprochen wird?

Die Personen fühlen sich nicht ernstgenommen, nicht wertgeschätzt. Das kann dann dazu führen, dass sie sich im Geburtsverlauf nicht so hingeben können, wie es sinnvoll wäre.

Eine wertschätzende Ansprache ist also sinnvoll unter der Geburt. Dazu gehört es, sich die Zeit zu nehmen, schwierige Namen korrekt auszusprechen. (Selbst Menschen in meinem Umfeld, die sich selbst als recht klug bezeichneten und für die Worte wie Sondereingreiftruppe, High Commissioner for Human Rights oder Arachnophobie kein Problem waren, konnten sich auf einmal ausländische Namen nicht merken, weil die ja zu schwierig seien. Ich wette, wenn es sie in ihrer Karriere weitergebracht hätte, die Namen zu können, hätten sie diese auch gelernt…)

Zur wertschätzenden Ansprache unter der Geburt gehört auch die Nutzung derjenigen Pronomen, mit der sich die entsprechende Person wohlfühlt. Hadar würde sich also wünschen, dass keine Pronomen genutzt werden. Das erfordert natürlich einen Mehraufwand. Und wer hat schon gerne Mehraufwand. Ich kann es deshalb verstehen, dass medizinisches Personal diesen Aufwand nicht immer freiwillig betreibt. Und nicht jede Person macht es absichtlich, Hadars Wunsch zu ignorieren. Doch wenn Hadar bereits so weit gegangen ist, den Wunsch zu äußern (was aufgrund des Machtgefälles nicht selbstverständlich ist), sollten alle anderen Personen ihr Möglichstes tun, sich danach zu richten. Dabei geht es nicht um Fehlerlosigkeit. Die haben wir alle nicht. Es geht um Übung und den guten Willen. Wie bei fremd klingenden Namen auch.

Für dieses und andere Themen setzt sich übrigens die Initiative Critical Midwifery Germany ein, die sich über Mitstreiter*innen freuen!

Ich mache in der Ansprache mancher Personen nach wie vor Fehler. Es ist eine Sache der Übung. Und niemand mag gerne darauf hingewiesen werden, dass man etwas falsch gemacht hat.

Doch letztendlich ist es eben auch kein Weg, es einfach zu ignorieren.


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Ostern ist vorbei, jetzt kommt der Storch! Ich verlose das Storchenmalbuch der edition.riedenburg:

Titelbild: Buchrezension: Das große Storchenmalbuch

Menschen selbst zu Wort kommen lassen

Erfahrungsberichte helfen uns, die Lebenswirklichkeit von Menschen zu verstehen. Auf diesem Blog gibt es Platz nicht nur für Geschichten, die dem statistischen Durchschnitt entsprechen, sondern auch für viele andere Geschichten. Das wird besonders deutlich, wenn du durch die Geburtsgeschichten scrollst und merkst, wie viele Hausgeburten dabei sind. Insofern ist klar: Auch Minderheiten sollen hier Raum finden, zu erzählen.

Leider sind die Stimmen von trans Personen, homosexuellen Paaren und anderen marginalisierten Gruppen hier bisher kaum vertreten. Ich möchte das gerne ändern und werde mich in Zukunft bemühen, bewusst auch die Geschichten dieser Menschen zu erzählen.

Fazit: Wir sind bei Gender, Sex und Geburten erst am Anfang

Auch aufgrund der Forschung am menschlichen Genom sind wir erst seit Kurzem in der Lage, die Vielfalt von biologischem Geschlecht zu begreifen. Das gesellschaftliche Geschlecht davon getrennt zu sehen, wird zwar normaler, doch gibt es auch dort noch viel zu forschen und zu redigieren, was bisher als „normal“ gesehen wurde.

Die Lebenserfahrungen von trans Personen, intersexuellen Menschen und anderen bisher als unnormal geltenden Menschen sind leider noch immer Nischenthemen, sodass wir vielfach die Lebensrealität dieser Menschen nicht anerkennen.

Und im Rahmen von Geburten stehen wir erst ganz am Anfang bei der Frage, geschlechtersensibel Menschen zu begleiten. Einfach ist das nicht. Klar können wir es uns einfach machen, sagen, dass das alles nicht zählt, und behaupten: Wer ein Kind bekommt, ist eine Frau. Das können wir vor allem, weil wir zu der Mehrheit zählen, die sich selber damit eingeschlossen fühlt. Sobald wir aber nicht mehr zur Mehrheit gehören, wünschen wir uns, dass auch sogenannte Randgruppen mehr gehört werden. Also sollten wir genau das auch immer tun, wenn wir in der Mehrheit sind.

Ich für meinen Teil werde auf diesem Blog also weiterhin meinen Weg finden, um geschlechtersensibel und inkludierend zu schreiben. Am Ende meines Weges bin ich damit nicht, aber das ist ja auch gar nicht so wichtig. Wichtig ist, den Schritt zu gehen.

Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen

Katharina Tolle

Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.

Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.

Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!

Foto von Katharina

6 Gedanken zu „Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache“

  1. Vielen lieben Dank für diesen reflektierten und tollen Beitrag. Es bricht mir das Herz zu sehen, wie gewisse politische Ideologien immer heftiger auf dem Rücken einer sehr schwachen Minderheit ausgetragen werden.

    Trans* Frauen werden häufiger Opfer von Gewalt als jede andere Personengruppe – für trans* POC gilt das sogar noch mehr. Solche Menschen, die nach außen weiblich gelesen werden können, z.B. in vorwiegend männliche Räume wie Toiletten, Umkleiden etc. zu zwingen (und sie damit auch erzwungenermaßen zu outen), wie es gerade auch von TERF-Feministinnen häufig gefordert wird, kann sie in akute Lebensgefahr bringen.

    Gerade das Ausspielen von Frauen und trans* Personen gegeneinander ist ganz furchtbar. Profitieren tut davon nur das patriarchische System, denn gespaltene Gruppen sind schwächer als eine vereinte Front.

    Deshalb ist es soooo wichtig, sie sichtbar zu machen, ihnen eine Stimme zu geben und sie als Teil unserer Gesellschaft nicht nur zu tolerieren, sondern wertzuschätzen. Danke für deinen Einsatz.

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  2. Vielen Dank für diesen ausführlichen Blogartikel. Ich empfinde ihn als sehr wertvoll. Das Thema ist nicht einfach. Welches Thema ist das schon?! Selbst bei Apfelkuchen wird es kompliziert – abhängig davon, mit wem ich spreche…

    Meine Sicht: Respekt vor dem Leben und jedem Wesen gegenüber – unabhängig davon, in welchen Körper es inkarniert ist – geht vor „Festlegen von Vokabeln“. Wobei dies nicht bedeutet, dass die Worte unwichtig sind.
    Wir brauchen nicht nur ein Bewusstsein dafür, wie oder als was wir uns fühlen, sondern auch was es für jedes einzelne Wesen bedeutet.

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  3. Katharina, wie immer lese ich voller Freude, was du zu sagen hast. Erneut ist es dir gelungen mich mit einem Thema derart zu fesseln, dass ich mich seit Stunden durch deine Blogartikel klicke.
    Ich danke dir sehr für deine Arbeit und deine Leidenschaft und wünsche mir täglich mehr Menschen wie dich in der Öffentlichkeit!

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