Vor einiger Zeit hat Tanja von ihrem Projekt erzählt, Sternenkinder sichtbar zu machen. In ihrem heutigen Gastbeitrag erzählt sie davon, wie es ist, in China schwanger zu sein.
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Kinder kriegen in China
Von der Geburt meiner Tochter in China gibt es im Vergleich zu den Geburten meiner Kinder in Deutschland so viele neue Eindrücke, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen will. Also habe ich mich entschieden, eine Auswahl aus den Eindrücken zu treffen, die mir bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in China ganz besonders aufgefallen sind.
Meine Eindrücke rund um das Thema Geburt rühren von den Geburten meiner zwei Sternenkinder, einer Tochter in Deutschland und einer in China. Momentan sind wir mit einem weiteren Kind schwanger und werden es voraussichtlich Ende Oktober in unsere Arme schließen.
[Anmerkung von Katharina: Diesen Beitrag hat Tanja schon geschrieben, als die Geburt noch nicht kurz bevorstand…]
Die deutsche Privatsphäre
In China ist die Darmspiegelung oder die konkrete Gehaltserhöhung ein so normales Small-Talk-Thema wie in Deutschland das Wetter. Da ist es für einige in der internationalen Community sehr überraschend, wenn nicht nur Freunde oder Bekannte, sondern auch Nachbarn und fremde Menschen auf der Straße Ratschläge erteilen.
- Ist dein Kind zu kalt oder zu warm angezogen,
- hat es zu viel oder zu wenig gegessen,
- läufst du zu schnell oder zu langsam in der Schwangerschaft,
- isst du zu viel, zu wenig oder falschen Fisch im falschen Trimester,
- bewegst du dich zu viel, zu wenig oder falsch,
- oder oder oder.
Die Liste ist endlos. Je nach Tagesform fasse ich diese Äußerungen als Meinung, Empfehlung, Ratschlag, Erfahrung, Kulturaustausch oder Wertschätzung auf oder eben als Eingriff, Bevormundung, Verurteilung und unerwünschte oder unangemessene Hinweise.
Zum Weiterlesen: Wenn es wirklich nur zur Geburt in ein anderes Land geht.
Die deutsche Komfortzone
Im interkulturellen Training für unseren Aufenthalt in China hieß es, eine Armlänge Abstand zu ihrem Gegenüber lieben die Deutschen. Hier in Shenyang, im Nordosten von China, werden wir mit dem westlichen Aussehen als Attraktion behandelt und so verkürzt sich die Armlänge ziemlich oder fällt ganz weg.
Neugierig werden wir nach Fotos gefragt, viele schauen uns überrascht an oder zeigen auch mal mit dem Finger auf uns. Als Schwangere ist es noch einmal was ganz besonders. Hier werde ich von Nachbarn, den Kindergärtnerinnen meiner Töchter und auch einfach mal von Leuten auf der Straße angefasst. Beim Treppensteigen wird die Hand gehalten, beim Straße-Überqueren sind gleich von beiden Seiten Menschen neben mir und jegliche Türen werden aufgehalten und Einkaufstaschen getragen.
Das änderte sich mit der 3. Schwangerschaft. Seit ich mit zwei Kindern an der Hand und einem Schwangerschaftsbauch umherlaufe, gehen so gut wie alle davon aus, dass ich schlicht einen dicken Bauch haben muss. Drei Kinder ist außerhalb der Vorstellungskraft.
Ein Kind ist die Regel und obwohl die Ein-Kind-Politik vor 9 Jahren abgeschafft wurde, haben sich nach 30 Jahren alle daran gewöhnt. Zwei Kinder sind eine riesige Attraktion und werden von allen gefeiert. In China sind die Menschen so kinderlieb, wie ich es sonst nirgends auf der Welt erlebt habe. Aber selbst drei Kinder haben, das wollen die wenigsten. Also kann eine Frau wie ich mit zwei Kindern an der Hand nicht schwanger sein, ganz einfach.
3 oder 5 Kinder?
In unserem Fall sind es keine drei Kinder, sondern fünf Kinder. Diese Antwort auf die Frage nach der Anzahl meiner Kinder fällt mir in Deutschland nicht immer leicht, weil mich die Situation oder das Gegenüber verunsichern. Ganz anders hier in China.
Über Sternenkinder lässt sich offen sprechen. Als Mama werde ich öfter mal gefragt: Wie viele Kinder hast du? Wie oft warst du schon schwanger? Die dritte Schwangerschaft ist sicher leichter, oder?
Manchmal habe ich das Bedürfnis, von meinen fünf Kindern, meiner fünften Schwangerschaft und den körperlichen Belastungen bei fünf Schwangerschaften in sechs Jahren zu erzählen. Wenn ich nicht davon erzähle, habe ich das Gefühl, meine Sternenkinder zu verdrängen oder mich als Teil des Tabus zu sehen, weil ich schweige. Und dieses deutsche Schweigen über Sternenkinder hat mich in der Trauer sehr herausgefordert und behindert. Deshalb will ich es anders machen.
Dass in China über Sternenkinder offen gesprochen wird, erkläre ich mir damit, dass gar nicht infrage gestellt wird, ob es von Beginn der Schwangerschaft schon ein Kind ist. Im Gegenteil, in China antworten viele auf die Frage, wie alt sie sind, mit einem Jahr mehr, als es in ihrem Personalausweis steht. Die Schwangerschaft wird ganz selbstverständlich als erstes Lebensjahr zum Alter dazu gezählt wird.
Keine Person würde infrage stellen, warum über Sternenkinder gesprochen oder um sie getrauert wird. Einige Generationen früher gab es Sternenkinderbestattungen und Zeremonien. Mit dem westlichen Einfluss hat sich das verändert, aber das Verständnis zum Leben nicht.
Krankheit, Umstand oder Schwangerschaft
In Deutschland war es mir immer wichtig, deutlich zu machen, dass eine Schwangerschaft zwar keine Krankheit, aber doch ein Umstand ist. Ich hatte oft das Gefühl, als Schwangere komplett gleich behandelt zu werden, wie alle anderen. Wobei es bei mir jedes Mal im ersten und dritten Trimenon erhebliche körperliche Herausforderungen gab. Etwas mehr Rücksicht oder Nachfragen hätten mir nichts ausgemacht.
In China sieht es da komplett anders aus: Kein Reiten, Wandern, Joggen, Fahrradfahren oder sonstiger Sport. Nur Yoga. Keine Massagen und wenn überhaupt, dann nur bestimmte traditionelle chinesische Medizin, aber auf keinen Fall meine geliebte Fußreflexzonenmassage. Jegliche Schlaglöcher auf Straßen werden umfahren und beim Essen gibt es so viele unterschiedliche Regeln für jedes Trimenon, dass ich sie mir nicht merken kann, außer dass ich keinen chinesischen Tee trinken soll. Beim Treppensteigen, Türe-öffnen, Straße-überqueren, helfen überall alle möglichen Menschen. Selbst die ältesten Menschen mit Gehhilfe bieten in öffentlichen Verkehrsmitteln ihre Hilfe an und ich könnte noch viele weitere Beispiele aufzählen, die keine Ausnahmen, sondern wirklich die Regel sind.
Spezialistinnen statt Generalistinnen
In China gibt es nicht eine generelle medizinische Fachkraft rund um Frauenthemen, sondern für jedes Gebiet eine Spezialistin: Vorsorge, Kinderwunsch, 1. Trimenon und so weiter. Am Anfang war das für mich sehr komisch, aber mittlerweile taugt es mir sehr. Nicht nur die verschiedenen Beweggründe, eine gynäkologische Praxis aufzusuchen, werden von unterschiedlichen Fachkräften ausgeführt. Auch jegliche Abläufe wie Ultraschall oder Blutabnehmen werden immer von ein und derselben Person durchgeführt. Diese Person macht nichts anderes.
Beim Blutabnehmen hatte das bei mir die schöne Wirkung, dass es jedes Mal beim ersten Stich auf Anhieb ohne blaue Flecken funktionierte. In Deutschland waren es bei mir durchschnittlich zwei bis drei Versuche, bis die Vene gefunden war und genug abgegeben hat.
Auch in diesem Jahr gibt es einen Geburtsgeschichten-Adventskalender und ein paar Adventsverlosungen. Sei dabei!
Direkt nach der Geburt, im Wochenbett im Krankenhaus, bekamen wir neben einer Expertin für Stillberatung auch eine Expertin „für die ersten 30 Tage“ angeboten. Wir wollten so wenig fremde Personen im Raum mit unserem Neugeborenen wie möglich. Außerdem machten wir das alles nicht zum ersten Mal. Die Muttermilch war bei mir glücklicherweise direkt vorhanden und unsere Kleine trank gut. Warum also fremde Personen hinzuziehen. Mehr oder weniger aus Höflichkeit habe ich die „30-Tage-Expertin“ dann doch hereingebeten.
Nach dem Grüßen und Vorstellen hätte ich sie ja wieder verabschieden können. Eine herzliche, liebevolle, perfekte Expertin, die seit 30 Jahren nichts anderes macht, als Eltern mit ihren Neugeborenen exakt die ersten 30 Tage nach der Geburt zu begleiten, hat dann doch so einiges drauf, was uns begeistert hat und wovon wir viel lernen konnten. Sie sprach nur Chinesisch, kein Wort Englisch und trotzdem haben wir uns mit ihr und unserem Neugeborenen direkt nach der Geburt wohlgefühlt und uns wunderbar verstanden. Sie wusste, zeigte, fühlte einfach alles, bei Kind und Mutter. Nie wieder ohne. Ich bin sehr froh, dass meine nächste Geburt wieder in China stattfindet.
Ernährung
Fisch. Fisch. Fisch. Ganz wichtig, aber nur im richtigen Trimenon . Für die Garnelen bitte um fünf Uhr für den Markt aufstehen, weil es die ganz, ganz frischen sein sollen, Tiefkühlware ist schon nicht mehr adäquat. Selbst für Kinder sind eingefrorene Garnelen okay, aber für Schwangere auf keinen Fall.
Bei der Ernährung gibt es aber so viel, dass ich es selbst nicht überreiße. Es ist wichtig, sich hier die Größe von China bewusst zu machen. Das Land ist 27 mal so groß wie Deutschland und es leben 67 Volksstämme mit ihren eigenen Kulturerfahrungen rund um das Thema Gebären zusammen. Daher gibt es so viele unterschiedliche Aussagen.
Die Schildkrötensuppe ist der Klassiker. Super für die Milchproduktion soll sie sein. Unsere „30-Tage-Expertin“ kennt sie auch, aber hier im Norden ist sie nicht üblich. Ich habe Schildkröten noch nie gegessen und nur einmal auf dem Night Market gesehen. Das war für die Eltern einer chinesischen Freundin aus dem Süden sehr bitter, sie haben sich große Sorgen gemacht, dass ihre Tochter im Norden keine Schildkröten nach der Geburt bekommt und haben direkt welche mitgebracht.
Geburt in China
Mir war es am wichtigsten, dass unser Nachwuchs so schnell wie möglich nach der Geburt an die Brust seines Vaters kommen würde. Denn meine eigene Brust war in Deutschland wie in China direkt nach der Geburt für eine knappe Stunde nicht erreichbar, weil es beide Male Kaiserschnitte waren – leider, wie ich finde. Sie versuchten in China einen Kaiserschnitt zu verhindern, aber es ging für mich nicht anders (das wäre auch ein eigener Artikel).
In beiden Ländern hat es wunderbar geklappt. Unsere Kinder haben fleißig bei Papa genuggelt und als ich bereit war, konnte es mir nie schnell genug gehen, dass sie bei mir trinken, weil ich immer große Sorge hatte, dass es mit dem Stillen nicht klappen könnte. In unserer Familie war das häufiger der Fall. Bei mir hat es glücklicherweise jedes Mal super geklappt. Allerdings waren in China die medizinischen Fachkräfte um mich herum für einen kurzen Moment leicht überrascht, entsetzt und einfach sprachlos. Ich habe meine Kinder in beiden Ländern direkt auf dem Krankenhausbett vom OP-Saal ins eigene Krankenzimmer auf den Arm erhalten. Und jedes Mal habe ich schon auf dem Weg direkt das Stillen probiert. Was bedeutet, dass ich meine Brüste etwas auspacken musste und nach dem ersten Mal persönlich Hallo sagen und das erste Mal andocken, nehme ich mir dafür etwas Zeit.
In China ist es nicht wie in religiösen Staaten, dass es ein Verbot gäbe oder es kulturelle klare Vorgaben gibt. Es geht also nicht darum, dass jemand das Gefühl hatte, ich würde falsch handeln, wenn ich meine Brust zeige (wohlgemerkt im Krankenhaus, nach einer Geburt, in der gynäkologischen Abteilung). Es geht darum, dass sie mein Gesicht wahren wollen, dass sie mich schützen wollen, weil ich zu offen bin und somit zu verletzbar.
Im Nachhinein war es sehr süß. In dem Moment selbst hatte ich so gar keine Antennen für die Gefühle aller anderen drumherum und habe deutlich gemacht, dass ich mein Kind jetzt und hier und auf der Stelle und in Ruhe stille.
Der Happy-Birthday-Song
Es gibt sehr viele Möglichkeiten und Fragen zur Geburt im Vorfeld. Von Wassergeburt, über Gerüche, Musik, Geschmack, was auch immer. Jegliche Sinne sollen so sein, dass das Motto happy Mommy happy Baby erfüllt wird. Nach zwei Sternenkindern ist meine Relation etwas verschoben und ich kann mich nur darauf konzentrieren, dass mein Kind lebt. Daher verwende ich auf jegliche Wohlfühlmöglichkeiten keine Kapazitäten, weil ich mir das aus meiner Erfahrung und persönlichen mentalen Geburtsvorbereitung hole. Daher habe ich keine Musikwünsche angegeben und mich auch nicht gegen Musik ausgesprochen, was im Ergebnis in der chinesischen Kreißsaalmusik resultierte: Wenn die Babys schreien, wird „Happy Birthday to you“ abgespielt, was uns beide sehr zum Lachen brachte.
Betreuung ist immer menschlich
Alles ist möglich und medizinische Fachkräfte in China wie Deutschland lieben die Menschen, denen sie helfen. Ich weiß, es gibt so viele Negativbeispiele von der Betreuung oder Behandlung in Krankenhäusern. Eines habe ich selbst erlebt, als ich für die Geburt ins Krankenhaus kam. Zwei Stunden war ich mit einer Hebamme zusammen bzw. war sie offiziell für mich zuständig, gesehen habe ich sie 5 Minuten und mir konnte nichts Besseres passieren als ein weiterer Schichtwechsel. Bis auf diese Hebamme war jede Person auf ihre Art bei meinen fünf Schwangerschaften und vier Geburten (eine folgt voraussichtlich in einem Monat) voll für mich da. Was in beiden Ländern bedeutet, dass sie menschlich handelten. Also ja, jegliche Vorschriften (beide Länder schenken sich hier in der Intensität ihrer Regularien nichts) werden eingehalten – solange sie zum Wohle der Menschen sind, die sie umsorgen. Worauf ich hinaus will, ist: Der Vater, mein Mann, war immer dabei.
Eigentlich hätte mein Mann wegen der Corona-Bestimmungen bei der 3. Geburt in Deutschland nicht immerzu dabei sein dürfen und in China darf eigentlich nie eine externe Person bei Operationen, was der Kaiserschnitt ist, dabei sein. Mein Mann war bei allen Geburten komplett dabei und jedes Mal haben wir sie zusammen durchgezogen. Ich ziehe meinen Hut vor allen Frauen, die eine Geburt ohne den Vater vollbringen. Wenn ich mir das nur vorstelle, macht es mir mehr Angst als Kaiserschnittschmerzen (die finde ich noch schlimmer als Wehen…)
Private Gesundheitsversorgung in China und Deutschland
Eine Sache ist allerdings jeweils zu berücksichtigen: In China nutze ich Privatkrankenhäuser. Aus Erzählungen und Recherche weiß ich, dass die Situation in der öffentlichen Gesundheitsversorgung anders aussieht, was wieder eine Gemeinsamkeit mit Deutschland ist. Auch hier war ich immer privat versichert und noch dazu Beamtin. Versicherung und Art des Arbeitgebers haben meiner Erfahrung nach in Deutschland einen erheblichen Einfluss auf die gesundheitliche Versorgung.
Mein Fazit
Ich würde gerne noch so viel mehr von China berichten, weil ich die Kombination von Deutschland und China für den Alltag und den Körper einer Mutter einfach genial finde. Und das ist automatisch ein Mehrwert für die ganze Familie und Gesellschaft. Wenn ich mich entscheiden könnte, wo ich eine weitere Schwangerschaft, Geburt und das erste Jahr danach erleben möchte, wäre es definitiv China, obwohl ich ohne den Vergleich superglücklich über meine Erfahrungen in Deutschland war.
Mama von Sternenkindern
Wer mehr über mich als Mutter von Sternenkindern erfahren will, Auf meiner Website www.sternenkinder.org teile ich meine Erfahrungen und Sichtweisen zu Sternenkindern. Alle sind herzlich eingeladen ihre Blickwinkel mit mir zu teilen: tanja@sternenkinder.org
Gerne könnt ihr mir auch Ideen für Fragen und Themen senden, zu denen euch die verschiedenen Blickwinkel vieler interessieren würden.
Tanja
In Vöhringen, München und Shenyang daheim, schreibe ich als Lehrerin für Wirtschaft, Ethik und Recht über mein Leben als Mutter von zwei Sternenkindern, zwei an der Hand und einem Kind im Bauch, weil ich die Elternzeit für einige Jahre in China verbringe.
Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen
Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!