Heute veröffentliche ich den dritten Teil meiner Rezension von In Guten Händen von Nora Imlau. Weiter unten im Text findest du auch die Links zu den anderen Teilen.
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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.
In guten Händen: Alle Teile der Rezension
(bitte zum Lesen aufklappen)
- Teil 1: (hier lesen)
- Überblick
- Einleitung
- Kapitel 1: Ein Dorf für uns und unser Kind
- Teil 2: (hier lesen)
- Kapitel 2: Auf die Bindung kommt es an
- Kapitel 3: Familie und Freundeskreis (Einleitung, Bezugspersonen von Babys)
- Teil 3:
- Kapitel 3: Familie und Freundeskreis (Fortsetzung bis Kapitelende)
- Teil 4:
- Kapitel 4: Was prägt uns in der Betreuungsfrage? Eine Spurensuche
- Teil 5:
- Kapitel 5: Unseren Weg als Familie finden
- Teil 6:
- Kapitel 6: Ein guter Ort für unser Kind
- Teil 7:
- Kapitel 7: Es geht los
- Teil 8:
- Kapitel 8: Neue Beziehungen: Schule und Kinderfreundschaften
- Teil 9:
- Der Schluss: Ein Netz, das trägt
- Meine Meinung: In guten Händen
- Fazit
Fortsetzung Kapitel 3: Familie und Freundeskreis
In ersten Abschnitt dieses Kapitels ging es um Beziehungspersonen von Babys. Diesen kannst du im vorigen Blogpost nachlesen. Hier mache ich weiter mit dem nächsten Abschnitt des Kapitels. Es geht darum, welche Familienbilder wir haben und was uns davon überhaupt förderlich ist. Der wichtigste Gedanke aus diesem Abschnitt ist:
Familien sind so einzigartig wie die Menschen, aus denen sie bestehen.
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 95
Egal ob Groß- oder Kleinfamilie, überall gibt es Widersprüche und schmerzliche Erfahrungen, die das Miteinander erschweren. Das ist normal. Doch eine Normfamilie gibt es nicht.
Großeltern-Enkel-Beziehung
Darauffolgend geht die Autorin näher auf die Verbindung zu den Großeltern ein. Sie macht dabei deutlich, dass es sinnvoll ist, unsere Beziehung zu unseren Eltern ebenfalls immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.
Unsere Eltern sind immer ein Teil von uns und ein Teil unseres Elternseins.
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 100
Das kann bedeuten, dass wir Dinge genauso machen wollen, wie unsere Eltern das gemacht haben (obwohl sich die Rahmenbedingungen vielleicht geändert haben), es kann aber auch bedeuten, dass wir bestimmte Dinge bewusst ganz anders machen wollen als unsere Eltern. Oder wir geben einfach ohne darüber nachzudenken das weiter, was wir selbst erlebt haben, weil es das einzige Modell ist, das wir kennen.
Unabhängig von unserer Bindung zu unseren Eltern bedeuten Großeltern für Kinder vor allem eines: Sie lernen in einem geschützten Rahmen, wie unterschiedlich Menschen sein können (und dass anders erst mal nur anders ist, nicht schlechter oder besser). Oft zeigen die Großeltern ihren Enkelkindern bewusst oder unbewusst, dass die Herangehensweise der Eltern nicht die einzige Option darstellt.
Wichtig fand ich folgenden Satz, den ich hier inklusive der Hervorhebungen zitiere:
„Die reine Präsenz von Großeltern im Familiensystem sagt noch nichts über die Beziehungsqualität zwischen ihnen, ihren Kindern, Schwiegerkindern und Enkelkindern aus.“
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 103f
Nora Imlau erklärt im Folgenden den schwierigen Spagat zwischen der Elternrolle zum Baby oder Kleinkind (in der man nicht bevormundet werden will) und einer Beziehung unter Erwachsenen mit den eigenen Eltern – die manchmal ihre neue Lebensaufgabe in der Unterstützung der Kinder (und vor allem Enkel) sehen und somit manchmal den frischgebackenen Eltern das Gefühl geben, immer noch unmündig zu sein.
Besonders kritisch wird es, wenn Großeltern nur zu den eigenen Konditionen helfen wollen. In diesen Fällen ist es häufig reiner Selbstschutz, wenn junge Familien keine Hilfe von den Großeltern annehmen wollen. Wichtig finde ich den Aspekt Geld: Je mehr Geld von Großeltern in die junge Familie fließt, desto abhängiger fühlen sich die frischgebackenen Eltern häufig, und sind (weil sie auf das Geld angewiesen sind) schneller bereit, Kompromisse gegenüber den Großeltern zu schließen, die sich nicht gut anfühlen.
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Die Autorin geht übrigens in diesem Abschnitt auch kurz darauf ein, wie es ist, wenn die Großeltern ihrerseits pflegebedürftig sind. Diese doppelte Fürsorgepflicht kann eine junge Familie umso stärker belasten.
Wie also soll man am besten umgehen mit Großeltern, wenn nicht alles perfekt läuft? Die Autorin sagt dazu:
Welchen Platz die Großeltern in unserem Familiendorf einnehmen, sollte nicht nur von unserer eigenen Beziehung zu ihnen abhängen – sondern auch davon, welches Bindungspotential in einer Beziehung mit ihnen für unsere Kinder liegt.
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 107f
Dabei ist es ihr durchaus bewusst, dass es nicht immer einfach ist, die Rolle der Großeltern nicht primär in der Entlastung der Eltern zu sehen, sondern im Gegenteil eventuell sogar noch Mehraufwand in Kauf zu nehmen, um die Beziehung zu den Großeltern zu ermöglichen.
Der Gedanke dahinter ist: Klar koordinieren wir, wie sich Enkelkinder und Großeltern begegnen, aber die Beziehung der Kinder zu den Großeltern ist ihre eigene, und nicht unsere.
Folgende Grundregeln stellt die Autorin für die Beziehung zwischen Enkelkindern und Großeltern auf:
- Gewaltvolle Übergriffe sind tabu.
- Die Ernährungsgrundsätze der Familie werden in den wichtigsten Punkten respektiert und befolgt (egal, aus welchen Gründen wir die haben).
- Das Kind wir nicht in beängstigende oder traumatisierende Situationen gebracht (das gilt auch schon für Medienkonsum!).
- Es wird kein Keil zwischen Eltern und Großeltern getrieben. Man redet nicht schlecht übereinander und die Kinder dürfen immer alles erzählen, was passiert ist. Es gibt keine Geheimnisse, die Kinder von den Großeltern wieder mitbringen.
Die Autorin zeigt, dass diese Regeln einerseits von vielen Großeltern akzeptiert werden, aber wenn es dann doch mal zu Verstimmungen kommt, nehmen sie das oft sehr ernst und fühlen sich in ihrer Gesamtheit angegriffen. Bestimmt kennst du den Satz so oder anders: „Wir haben das früher so gemacht. Haben wir etwa alles falsch gemacht!?“
Nora Imlau rät in solchen Situationen, klar zu kommunizieren:
„Ich sage nicht, dass ihr schlechte Eltern gewesen seid. Was ich sage, ist: Diese Regeln gelten im Umgang mit unserem Kind, weil wir wir das so entschieden haben.“
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 110
Wenn wir davon ausgehen müssen, dass Großeltern sich an diese Regeln nicht halten, sollten wir den Kontakt nicht komplett abbrechen, sondern die Kinder zu diesen Begegnungen begleiten, sodass wir notfalls eingreifen können.
Je älter das Kind wird, desto eigenständiger darf dann auch die Beziehung zu den Großeltern werden. So können Kinder ab dem Kindergartenalter auch lernen, dass nicht bei allen Menschen dieselben Regeln gelten. Was zu Hause okay ist, geht vielleicht bei den Großeltern nicht – oder andersherum! Kinder kommen mit diesen unterschiedlichen Regeln meist gut klar:
Solange die großelterlichen Regeln ihnen nichts Unmögliches abverlangen, halten sie sich meist gerne und problemlos daran – und wenn nicht, ist es die Sache der Großeltern, eine Lösung zu finden.
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 111
Besonders interessant fand ich einen weiteren Aspekt in diesem Kapitel: Die meisten Menschen, die heute Großeltern sind, haben die eine oder andere schwierige Kindheitserfahrung gemacht, und wurden in ihrem Leben vermutlich bereits viel und ausgiebig kritisiert. Die Liebe eines Kindes, ganz ohne Erwartungen, kann da süchtig machen. Nach langer Zeit gibt es endlich wieder einen Menschen, der diese Person so nimmt, wie sie ist. Manche Großeltern können von diesem Gefühl gar nicht genug bekommen.
Dennoch sollten wir aufpassen, dass die Enkelkinder nicht zur neuen Lebensaufgabe der Großeltern werden, weil dadurch Grenzüberschreitungen und Konflikte wahrscheinlicher werden. Das deutlich zu machen, kann schwierig sein – besonders, wenn die Großeltern selber eher unsichere Bindungsmuster kennen und die Klarstellung als Zurückweisung sehen. Doch gezogen werden muss die Grenze dennoch.
Nachdem es bisher viel um engagierte, vielleicht zu engagierte, Großeltern ging, geht die Autorin danach auch auf abwesende Großeltern ein, und macht deutlich, dass wir als Eltern kein Anrecht haben auf die Unterstützung durch die Großeltern.
Die Beziehung zwischen Kindern, Eltern und Großeltern ist keine Pflicht, sondern ein Privileg, das einander zugestanden und entzogen werden kann, so schmerzlich dies auch ist.
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 115
Wenn Großeltern nur wenig Zeit mit Enkelkindern verbringen wollen (zum Beispiel, weil diese ihnen zu anstrengend sind), müssen wir das akzeptieren. Und noch etwas müssen wir akzeptieren:
Jede Bindung zu jeder Person ist einzigartig. Unsere Kinder haben andere Beziehungen zu unseren Eltern als wir. Eines dürfen wir dabei nie vergessen: Die Bindung unserer Kinder zu ihren Großeltern [tritt] niemals in Konkurrenz zu ihrer Bindung zu uns […].“
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 120
Tanten, Onkel und Menschen ohne Verwandtschaftsgrad
Nach diesem recht ausführlichen Unterkapitel über Großeltern geht es im nächsten Abschnitt um Tanten und Onkel. Dabei ist der tatsächliche Verwandtschaftsgrad eher unwichtig, so Nora Imlau. Viel wichtiger ist die Frage, ob wir als Eltern diesen anderen Erwachsenen vertrauen. Wenn das das Fall ist, können auch Kinder eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen.
Ob Erwachsene diese Bindung wünschen oder nicht, bleibt ihnen überlassen. Es ist nicht unsere Aufgabe als Eltern, die Bindung unserer Kinder zu anderen Erwachsenen zu pflegen (sondern lediglich, sie zu ermöglichen). Wenn aber diese anderen Erwachsenen sich nicht aktiv um eine gute Beziehung zu den Kindern bemühen, stehen wir nicht in der Pflicht, daran etwas zu ändern.
Ob nun verwandt oder nicht: Oft ändern sich gute Beziehungen zwischen Erwachsenen, wenn Kinder die Gleichung verändern. Nicht alle Menschen wollen nämlich auch mit unseren Kindern befreundet sein. Und nur weil jemand bisher zum engsten Kreis gehörte, heißt das nicht, dass diese Person auch eine enge Bindung zu unseren Kindern haben wird.
Als Eltern, so Nora Imlau, müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, bestimmen zu wollen, welche anderen Erwachsenen in den nächsten 20 Jahren für unsere Kinder am wichtigsten sein werden. Wahrscheinlich ist, dass Kinder so etwas wie einen „Patenonkel“ oder eine „Patentante“ im Laufe der zeit selber aussuchen, wenn sie merken, mit wem sie gut klarkommen und eine sichere Bindung haben.
Menschen, die uns nicht guttun
Das nächste Unterkapitel handelt von Menschen, die uns nicht guttun. Die Autorin sagt ganz klar:
Wir dürfen uns jederzeit von Menschen lösen, die uns respektlos behandeln, uns missbrauchen und verletzen – selbstverständlich auch, wenn sie zu unserer Familie gehören.
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 129
Allerdings sieht sie es kritisch, sofort alle aus dem Umfeld auszustoßen, die uns mehr Energie nehmen als die geben – einfach,weil sie gerade selber energielos sind.
Es wäre so zynisch wie menschenverachtend, sie rauszukicken, weil sie nicht genügend positive Energie beitragen oder nicht jeden belastenden Gedanken mit einem ‚Aber hach, das kriegen wir schon hin‘ wegpusten können.
Nora Imlau: In guten Händen, Seite 131
Ihr Quintessenz: Ein Bindungsnetz ist dann ein Netz, wenn es in alle Richtungen funktioniert. Zu manchen Zeiten können wir mehr geben, zu anderen Zeiten sind wir mehr auf die anderen angewiesen. Doch wir bleiben im Netz, denn dieses Vertrauen zu einander ist es, was das Netz ausmacht.
Im nächsten Teil der Rezension widme ich mich dem Kapitel der Spurensuche in der Betreuungsfrage.
- Schmid, Sarah (Autor)
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Katharina Tolle
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