Gender Sleep Gap: Schlafgerechtigkeit unter Geschlechtern

Wir brauchen nicht alle gleich viel Schlaf. Und wir bekommen nicht alle gleich viel Schlaf. Individuelle Probleme, glaubst du? Nur zum Teil, erzählt uns Janna heute in ihrem Gastbeitrag.

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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.

Gender Sleep Gap: Schlafgerechtigkeit unter Geschlechtern

Wie lange überleben wir ohne Luft? Wie lange ohne Trinken? Ohne Essen? 

Und ohne Schlaf?

Falls du es wagen solltest, den Rekord im Nicht-Schlafen brechen zu wollen – ich rate dir dringendst davon ab – müsstest du über 11 Tage lang wach bleiben. Du würdest, wie du dir sicher ganz gut selbst ausmalen kannst, ziemliche Qualen erleiden. 

Einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde gäbe es dafür auch nicht: Diese Kategorie ist aufgrund der gesundheitlichen Bedenken zum Glück gestrichen worden.

So grundlegend wichtig ist Schlaf für uns, auch wenn sich das nicht gerade durch Wertschätzung des Schlafens in unserer Gesellschaft bemerkbar macht. Wir müssen zwar nicht alle drei Minuten schlafen, aber täglich. Und wenn uns jede Nacht ein paar Stunden oder sogar nur Minuten Schlaf fehlen, leben wir früher oder später nicht mehr. Genau wie mit Sauerstoff-, Wasser-, oder Nahrungsmangel. 

Zumindest überleben wir dann mehr als zu leben.

Was wäre, wenn einem Geschlecht – warum auch immer – der Zugang zu Luft, Wasser oder Essen eingeschränkt würde? 

Grausam? Unfair? Unvorstellbar? Schrecklich?

Genau das passiert mit Schlaf. Es nennt sich Gender Sleep Gap.

Gender Sleep Gap, was ist das?

Aufmerksam auf den Gender Sleep Gap machte eine große in Deutschland durchgeführte Studie zum Elternschlaf. Danach schlafen Eltern insgesamt weniger und schlechter als Menschen ohne Kinder im Haushalt, und das auch noch vier bis sechs Jahre lang nach der Geburt eines Kindes.

Das allein überrascht wahrscheinlich niemanden. Doch hier wurde auch deutlich, dass Mütter im Durchschnitt noch weniger Schlaf bekommen und sich weniger erholt fühlen als Väter. Besonders stark in den ersten drei Lebensmonaten des Kindes, aber immer noch messbar nach bis zu sechs Jahren.

Aber auch über die Elternschaft hinaus herrscht Schlafungleichheit zwischen den Geschlechtern: Laut Sleep Foundation leidet der Schlaf von 37 % der befragten Frauen durch den Einfluss weiblicher Hormone, darunter Prämenstruelles Syndrom, Schwangerschaft, Perimenopause und Menopause.

Warum ist der Gender Sleep Gap ein Problem?

An sich ist es nicht schlimm, wenn Frauen und Männer unterschiedlich viel schlafen. Problematisch wird es erst, wenn ein Geschlecht unfreiwillig weniger Schlaf bekommt, als es eigentlich bräuchte. Und das auf gesellschaftlicher Ebene.

Frauen haben im Durchschnitt einen höheren Schlafbedarf als Männer und schlafen gleichzeitig statistisch gesehen, insbesondere mit Kindern, weniger. 

Es geht also weniger um die Lücke zwischen den Geschlechtern als darum, dass alle ausreichend guten Schlaf bekommen sollten. Warum?

Ein guter Grund dafür sind unmittelbare gesundheitliche Folgen. Schlafmangel schwächt das Immunsystem, sodass wir leichter krank werden. Wenn wir zu kurz oder schlecht schlafen, können wir Zucker schlechter aus unserem Blut und in Zellen, wo er hin soll, bringen. Gleichzeitig haben wir mehr Hunger und Appetit auf Süßigkeiten.

Auch mental geht es uns nach schon einer Nacht mit zu wenig Schlaf schlechter: Es fällt schwerer, mit Schlafmangel optimistisch zu denken, sich zu motivieren oder konzentriert an etwas zu arbeiten. Auch Lernfähigkeit und Gedächtnis leiden darunter. 

Nicht genug Schlaf zu bekommen, beeinflusst sogar unsere Emotionen. Wir sind möglicherweise näher am Wasser gebaut, rasten schneller aus, sind ungeduldig und unausgeglichen. Noch dazu können wir uns schlechter in andere Menschen hineinversetzen und reagieren so mit weniger Mitgefühl oder Verständnis.

Im Alltag ist all das nicht nur unangenehm, was eigentlich schon schlimm genug wäre. Es ist auch eine Benachteiligung auf vielen Ebenen: Wie soll ein Mensch mit Schlafmangel 

  • konzentriert und strukturiert sich selbst und den Alltag anderer Menschen (mit-)gestalten,
  • täglich zig wichtige, oft für andere Menschen wie die eigenen Kinder einschneidende Entscheidungen treffen,
  • möglicherweise auch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, die vielleicht körperliche Kraft oder eine gewisse Denkfähigkeit verlangt,
  • sich einfühlsam, geduldig und verständnisvoll um Kinder und vielleicht andere Personen kümmern,
  • zur positiven Beziehungen zum anderen Elternteil oder auch im Freundeskreis und der Familie beitragen,
  • Konflikte konstruktiv lösen,
  • sich um sich selbst und um die eigene Gesundheit kümmern,
  • sich informieren, um eine bewusste Wahlentscheidung zu treffen, 
  • sich über persönliche Einkaufsentscheidungen hinaus mit eigenen Überzeugungen und Werten in die Gesellschaft einbringen (wobei auch das Konsumverhalten nicht vom Einfluss des Schlafmangels verschont bleibt),
  • sicher am Straßenverkehr teilnehmen, womöglich mit anderen Personen im Fahrzeug? (Studien zeigen, dass kognitive Fähigkeiten nach ca. 17 Stunden ohne Schlaf vergleichbar mit 0,5 Promille Alkohol im Blut sind.)

Kurz: Wie soll ein Mensch mit Schlafmangel dauerhaft gesund, munter und verantwortungsvoll am gesellschaftlichen Leben teilnehmen?

Keine Ahnung.

Und das waren „nur“ die eher kurzfristigen Probleme. 

Wie auch bei der Rentenlücke macht sich jahrelanger Schlafmangel und damit zusammenhängende Gewohnheiten erst sehr viel später bemerkbar. Eine unfaire Quittung im Alter.

Wo kommt der Gender Sleep Gap her?

Gender Sleep Gap, weil Frauen eben Frauen sind

Wäre Schlafen eine Olympische Disziplin, würden die Geschlechter, wie in anderen Sportarten auch, getrennt voneinander antreten. Es gibt zu viele Unterschiede, als dass sie sich im Schlaf miteinander messen könnten.

Zum einen brauchen Frauen im Durchschnitt mehr Schlaf. Laut Schlafforscherin Prof. Dr. Birgit Högl liegt der durchschnittliche Schlafbedarf von Frauen bei 8–9 Stunden pro Tag, bei Männern sind es 7–8 Stunden. 

In der Teildisziplin Langschlafen wären weibliche Schlafsportlerinnen demnach ihren männlichen Kollegen überlegen. Im Alltag allerdings bedeutet der höhere Schlafbedarf, dass sie weniger Zeit für anderes haben. Oder aber trotz gleicher Rahmenbedingungen oder gleicher Aufgaben im Alltag Schlafmangel bekommen.

In der sportlichen Teildisziplin Ein- und Durchschlafen würden Männer dagegen weibliche Teilnehmerinnen besiegen. 

Schwangerschaften, Wechseljahresbeschwerden, Beschwerden und Schmerzen im Zusammenhang mit dem weiblichen Zyklus und eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Restless Legs Syndrom machen Probleme beim Ein- oder Durchschlafen für Frauen wahrscheinlicher.

Frauen bekommen außerdem laut der Sleep Foundation zu 40 % eher eine Insomnie, also eine Ein- oder Durchschlafstörung, als Männer.

Dafür ist die Biologie aber nur zum Teil verantwortlich. Auch unsere Gesellschaft begünstigt diese Statistik: Hier kommt eine weitere schlafraubende Lücke zwischen den Geschlechtern ins Spiel, der Gender Care Gap.

Wir stecken alle unter einer Decke – Schlaflücke als gesellschaftliches Problem

Der Gender Care Gap beschreibt, dass Frauen mehr Care-Arbeit leisten als Männer, also sich mehr um Kinder oder Verwandte kümmern oder diese pflegen.

Diese Care-Arbeit wird nicht bezahlt und oft auch nicht besonders wertgeschätzt oder als herausfordernde Leistung angesehen.

In Familien übernehmen meist Männer den Hauptanteil der Erwerbsarbeit. Für die meisten Menschen ist es absolut verständlich, dass jemand nachts gut und ausreichend schlafen muss, um morgens aufzustehen und arbeiten zu gehen.

Sich permanent nicht nur um eigene Bedürfnisse zu kümmern, sondern auch um die eines Kindes oder mehrerer Kinder. Haushalt, kochen, Einkäufe managen. Bringen, Abholen, Besorgungen erledigen, egal ob zu Fuß oder mit verschiedensten Verkehrsmitteln. Möglicherweise nebenbei noch stillen und sich um das richtige Timing von Schläfchen, Verabredungen oder Terminen kümmern. Die Liste ist endlos lang, du kennst sie …

Dafür muss man ausgeschlafen sein? Geht halt nicht. Ist schon anstrengend, aber wer arbeiten geht und (mehr) Geld nach Hause bringt, muss auch nachts gut schlafen dürfen. So klingt leider immer noch die weit verbreitete gesellschaftliche Stimme dazu. Und das auch oft unter 24/7 Care-Arbeit leistenden Frauen.

Immer mehr Familien gelingt es, Care-Arbeit, Erwerbsarbeit und Mental Load untereinander für sie selbst gerecht und sinnvoll aufzuteilen. Doch unterm Strich fehlt es Eltern oder Familien insgesamt viel zu oft an Unterstützung. 

Wenn es keine Hilfe von anderen gibt, zum Beispiel in Form von Kinderbetreuung oder Haushaltshilfe, und äußere Strukturen wie zum Beispiel Arbeitszeiten unflexibel sind, sieht das Schlafkonto beider Eltern nun mal mager aus. Das trifft den Mamaschlaf im Durchschnitt härter als den Schlaf der Papas.


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Was können wir für mehr Schlaf (-gerechtigkeit) tun?

Lasst uns Schlaf als wichtig und elementar anerkennen und allen Menschen Ausgeschlafenheit und Erholung zugestehen. Warum nicht genau das gleich in den Schulen vermitteln? Oder noch besser: Als erwachsene Vorbilder mögliche schlaffreundliche Lösungen vorleben? 

Ein Nickerchen im Klassenzimmer oder im Meeting ist zwar nicht höflich, aber sicher notwendig. Bestimmt lassen sich da verständnisvolle Wege finden.

Können wir nicht mit unserer Sprache Schlaf als etwas besonders Wertvolles beschreiben, und nicht nur für unsere kleinen Kinder, die jetzt bitte Mittagsschlaf machen sollen? Die Schlafmütze ist wahrscheinlich ziemlich plietsch, wenn du mich fragst. 

Wenn wir alle als Gesellschaft unseren Schlaf und dessen guten Einfluss auf Laune, Gelassenheit, Kreativität, Konzentration, Gesundheit, Produktivität und Empathie schätzen, wird es zum Interesse aller Menschen, Arbeitszeiten, wenn irgendwie organisatorisch möglich, flexibler und schlaffreundlicher zu gestalten. 

So würde sich die ganze Alltagsstruktur nicht nur um Erwerbsarbeit drehen. Gesundheit und Care-Arbeit bekämen einen größeren Raum, auch wenn sie nicht bezahlt werden. 

Wir sollten Müdigkeit und Erschöpfung nicht als normal in der Elternschaft abtun oder sogar Eltern für ihren Schlafmangel oder die Erschöpfung allein verantwortlich machen. Zwar haben wir als Eltern die Möglichkeit, die Verantwortung für unseren Schlaf zu übernehmen, Schlaf einen wichtigen Platz im Alltag zu schenken, uns darüber zu informieren, wie wir unseren Schlaf verbessern können und uns, so gut es geht, um ausreichend guten Schlaf zu bemühen.

Gleichzeitig brauchen wir auf politischer und gesellschaftlicher Ebene bessere Bedingungen für Care-Arbeit und Schlafgerechtigkeit. Und die erreichen wir meiner Meinung nach nicht durch tapferes Durchstehen jahrelangen Schlafmangels.

Welche Ideen hast du, um den Gender Sleep Gap zu schließen und möglichst allen Menschen genug Schlaf zu ermöglichen?

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Janna Johannsen

Janna Johannsen hilft als Müttern kleiner Kinder, sich Raum, Zeit und Kraft für ihre Gesundheit im Mama-Alltag zu schaffen. Ihr Herzensthema ist guter Mamaschlaf, auch unabhängig von der restlichen Familie. Mehr Infos darüber und liebevolle Impulse dazu findest du auf ihrem Blog und in ihrem Newsletter.

Katharina Tolle

Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.

Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.

Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!

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