Was KI aus unseren Bildern liest – Ein Selbstversuch mit weitreichenden Folgen

Heute möchte ich über ein Thema schreiben, das mir keine Ruhe lässt. Es geht um künstliche Intelligenz, unsere Bilder im Netz und die oft unterschätzte Macht der Datenanalyse. Ich habe ein Experiment gemacht, das uns alle zum Nachdenken bringen sollte – besonders wenn wir Fotos von uns oder unseren Kindern im Internet teilen.

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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.

Der Ausgangspunkt: Ein scheinbar harmloses Foto

Alles begann mit einem einfachen Foto: Ich sitze an meinem Rechner, in der Hand halte ich mein Manifest für eine selbstbestimmte Geburtskultur. Ein alltäglicher Moment, eingefangen in einem digitalen Schnappschuss. Nichts Besonderes, könnte man meinen. Doch was die künstliche Intelligenz daraus „gelesen“ hat, hat mich regelrecht aus den Socken gehauen.

Das Bild, das ich für meinen KI-Bild-Selbstversuch genutzt habe: Ich sitze vor dem Rechner, lache und halte mein Manifest in die Kamera.
Das Bild, das ich für meinen KI-Bild-Selbstversuch genutzt habe: Ich sitze vor dem Rechner, lache und halte mein Manifest in die Kamera.

Die erschreckend detaillierte KI-Analyse

Lass uns mal gemeinsam durchgehen, was die KI alles aus diesem einen Foto herausgelesen hat – und ja, einiges davon ist ziemlich daneben, aber genau das macht es so interessant:

Zunächst die offensichtlichen Dinge: Die KI hat erkannt, dass ich eine Brille trage. Keine große Überraschung. Sie hat auch sofort mein soziales Geschlecht (weiblich) meine vermutete ethnische Herkunft (europäisch) und meine Emotionen (fröhlich, amüsiert) analysiert. Sogar meine vermeintliche soziale Schicht wurde bestimmt: Mittelschicht. Schon hier wird es langsam unheimlich, oder? Woran macht sie das fest? An der Bildqualität? Dem Ring an meinem Finger? Der Art der Brille?

Aber es geht noch weiter: Die KI hat aus dem Manifest-Titel völlig falsche Schlüsse gezogen. Sie vermutete, ich sei an Selbsthilfe und Spiritualität interessiert – dabei geht es in meinem Manifest um etwas völlig anderes, nämlich um Geburtskultur. Ich vermute, der Fehler ist, dass die KI nicht erkennen konnte, dass es sich dabei um ein Buch handelt, das ich selber geschrieben habe. Sie denkt, ich hätte das Buch gelesen – und sei somit an solcher Literatur interessiert. Die Schrift unter „Manifest“ konnte sie nicht entziffern und hat so aus „Manifest“ einfach mal auf Selbsthilfe getippt.

Die beunruhigende Vorhersage

Jetzt kommt der Teil, der mir wirklich Gänsehaut verursacht hat: Die KI hat nicht nur analysiert, was sie sieht, sondern auch Vorhersagen über meine Zukunft getroffen. Sie prognostizierte, ich würde Selbsthilfe-Bücher lesen, dann „von Selbsthilfe-Techniken enttäuscht sein und mich noch verlorener fühlen“. Daraus leitete sie ab, dass man mir dann „noch teurere Lösungen verkaufen“ könnte.

Basierend auf dieser Analyse schlug sie gleich konkrete Produkte vor, die man mir anbieten könnte: BetterHelp, Headspace, Calm und Amazon Kindle. Die KI hat also nicht nur mein Bild analysiert, sondern gleich eine komplette Marketing-Strategie entwickelt – und das alles aus einem einzigen Foto!

Die größere Perspektive: Unsere digitale Fußspur

Jetzt lass uns einen Moment innehalten und darüber nachdenken, was das eigentlich bedeutet. Wenn eine KI aus einem einzigen Foto von mir schon so viele – wenn auch teilweise falsche – Schlüsse zieht, was kann sie dann erst aus der Gesamtheit aller Fotos lernen, die wir täglich posten?

Denk mal darüber nach: Wie viele Fotos teilst du im Durchschnitt pro Woche? Wie viele Bilder von dir existieren auf den Profilen deiner Freunde und Familie? Jedes dieser Bilder ist wie ein Puzzleteil, das zu einem immer vollständigeren digitalen Abbild von dir beiträgt.


Niemand gebiert im luftleeren Raum!

Über den Zusammenhang von Geburt und Geburtskultur: Das Manifest für eine selbstbestimmte Geburtskultur.


Die besondere Verantwortung bei Kinderfotos

Besonders kritisch wird es, wenn wir über Fotos von Kindern sprechen. Anders als wir Erwachsene können sie noch nicht selbst entscheiden, welche Bilder von ihnen im Netz landen sollen. Dabei sind es gerade di Kinder, die am längsten mit den Konsequenzen leben müssen.

Stell dir vor: Ein Kind, dessen gesamte Entwicklung durch Fotos dokumentiert und im Internet geteilt wurde – vom ersten Ultraschallbild über die ersten Schritte bis zum Schulabschluss. Welches digitale Profil wurde da über die Jahre hinweg erschaffen? Welche Schlüsse wird künstliche Intelligenz in zehn oder zwanzig Jahren aus diesen Daten ziehen können?

Ich habe das Programm mit einem Foto gefüttert, auf dem meine Kids, meine Mutter, meine Oma und ich zu sehen sind. Die KI hat uns als weiß erkannt, dem Mittelstand zugeordnet und aufgrund der genutzten Kamera und dem Alter der Kinder sofort passende Werbung vorgeschlagen.

Was wir daraus lernen können

Diese Erkenntnisse sollten uns nicht in Panik versetzen, aber sie sollten uns definitiv wachrütteln. Hier sind einige Punkte, über die wir nachdenken sollten:

  1. Die Macht der Algorithmen: KI-Systeme werden immer besser darin, Informationen aus Bildern zu extrahieren – auch solche, die wir gar nicht bewusst preisgeben wollten.
  2. Die Langlebigkeit digitaler Daten: Was einmal im Internet ist, bleibt dort praktisch für immer. Auch wenn wir ein Foto löschen, könnte es bereits analysiert und die Daten gespeichert worden sein.
  3. Die kommerzielle Nutzung: Unsere Daten sind wertvoll – für Werbetreibende, für Unternehmen, für alle, die uns etwas verkaufen möchten.
  4. Die Verantwortung gegenüber anderen: Besonders wenn wir Fotos teilen, auf denen andere Menschen zu sehen sind, sollten wir uns dieser Tragweite bewusst sein.

Was können wir konkret tun?

Es geht nicht darum, komplett auf das Teilen von Fotos zu verzichten. Aber wir können bewusster damit umgehen:

  • Überprüfe deine Privatsphäre-Einstellungen auf allen Plattformen regelmäßig
  • Frage dich bei jedem Foto: Muss das wirklich ins Internet?
  • Bei Kinderfotos: Denk darüber nach, ob dein Kind dir später dankbar sein wird für dieses Foto im Netz
  • Nutze vielleicht häufiger private Messaging-Dienste statt öffentlicher Posts
  • Informiere dich regelmäßig über neue Entwicklungen im Bereich KI und Datenschutz
  • Teste doch einfach mal, was ein Foto so über dich verrät: TheySeeYourPhotos.Com

Ein Appell zum Schluss: Fotos auf diesem Blog

Mein Experiment hat mir die Augen geöffnet: Was für uns ein einfaches Foto ist, ist für KI-Systeme eine Fundgrube an Informationen, Vermutungen und Vorhersagen. Diese Erkenntnis sollte uns nicht ängstigen, aber zu einem bewussteren Umgang mit unseren digitalen Daten führen.

Besonders wenn es um Kinderfotos geht: Lass uns ihnen die Chance geben, später selbst zu entscheiden, welchen digitalen Fußabdruck sie hinterlassen möchten. Was das Internet – und die KI – einmal gesehen hat, das vergisst es nicht.

Wenn du in der Vergangenheit Fotos von deinen Geburten auf diesem Blog geteilt hast, gib mir gerne Bescheid, falls ich diese löschen soll (auch wenn ich nicht weiß, welche Analyse damit bereits von anderen Seiten angestellt wurde).

Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen

Katharina Tolle

Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.

Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.

Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!

Foto von Katharina

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