Geburtskultur: Gesetz verabschiedet

Ende November stand die Verabschiedung des Gesetzentwurf zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Ich hatte hier auf dem Blog bereits darüber berichtet:

Nun möchte ich noch auf die abschließende Debatte eingehen. Im folgenden zitiere ich deshalb die entscheidenden Stellen aus den Reden und gebe meine persönliche Einschätzung dazu.

Wie immer gilt: Ich bin politisch nicht gebunden und gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder.

Alle Reden sind wie immer nachzuschauen und nachzulesen.

Das Protokoll zum Lesen: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19195.pdf#P.24637

Die Videos zur Debatte kannst du unten anschauen oder hier öffnen.

Redebeiträge zur Verbesserung der Betreuung bei der Geburt

Im folgenden zitierte ich aus den Reden der Politiker*innen und ordne die Aussagen ein.

Jens Spahn zur Hebammensituation

Jens Spahn machte einerseits in seiner Rede deutlich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in medizinischen Berufen jetzt schon schwierig sei.

„Es geht natürlich um Bezahlung, um eine angemessene, um eine regelhafte Tarifbezahlung, es geht aber auch um die Arbeitsbedingungen. Es ist ein Beruf, in dem an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden den Pflegebedürftigen, den Patientinnen und Patienten geholfen wird. Das macht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwieriger als in vielen anderen Berufen.“

Dennoch sollen nun Teilzeitstellen von Hebammen zu Vollzeitstellen ausgebaut werden. Im Einzelfall kann das eine gute Lösung sein. Für den Großteil der Hebammen ist das aber langfristig keine Lösung. Wer nach 30 Wochenarbeitsstunden bereits am Ende der Leistungsgrenze ist, wird auch bei guter Bezahlung keine 40 Stunden leisten wollen — zumindest nicht zu den gleichen Bedingungen.

Es ist deshalb gut, dass nicht nur die Aufstockung, sondern auch Neuschaffung von Hebammenstellen möglich ist. Zusätzlich begrüße ich ausdrücklich, dass Hebammen von Hilfsdiensten entlastet werden sollen. So haben sie mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben.

Spannend an Spahns Rede fand ich die Vorgabe zu Fachkraftquoten. Er bezog sich dabei ausschließlich auf die Pflege — deshalb bin ich unsicher, ob sich das auch so auf Hebammen bezieht. Ich werde hierzu noch genauer recherchieren und dann entsprechend berichten.

„[Die Personalbemessungsquoten] werden wissenschaftlich hergeleitet von Professor Rothgang und vielen anderen in den letzten Jahren.“

Wenn sich dies auch auf Hebammen bezieht, bin ich ja mal gespannt, was da so als Schlüssel bei herauskommt. Die 1:1-Betreuung wäre in dieser Hinsicht doch eigentlich die logische Konsequenz, oder?

Wer sprach sonst noch in der Debatte?

Uwe Witt von der AfD erwähnte Hebammen oder Geburtshilfe allgemein mit keinem Wort.

Sabine Dittmar von der SPD wiederholte, was die SPD bereits in der ersten Lesung erklärte:

„Um Schwangere besser betreuen zu können und um gleichzeitig die in der stationären Geburtshilfe tätigen Hebammen zu entlasten, legen wir ein dreijähriges Hebammenstellen-Förderprogramm auf. Vom nächsten Jahr an erhalten die Krankenhäuser jährlich bis zu 65 Millionen Euro, um zusätzlich sowohl Hebammen als auch hebammenunterstützendes Fachpersonal einstellen zu können.

Damit verbessern wir die Personalausstattung in den Kreißsälen, und wir ermöglichen es den Hebammen, sich wieder auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren: die Begleitung der Gebärenden.“

Sie griff die Frage der bedarfsnotwendigen Krankenhäuser im ländlichen Raum auf und betonte dabei die Kinderstationen. Das bringt mich zu einem Punkt auf meiner Todo-Liste zurück: Sind Kreißsäle bedarfsnotwendige Grundversorgung?

Andrew Ullmann von der FDP merkte in seiner Rede an, dass die Hebammenstellen auf Dauer nur mit einer Ausbildungsoffensive geschlossen werden könnten. Was genau anders laufen soll, ließ er offen.

Allerdings hatte die FDP zum gesamten Gesetzentwurf einen eigenen Entschließungsantrag eingereicht. In diesem Antrag heißt es:

„Das IGES Institut kam in seinem im Januar 2020 veröffentlichten Gutachten zur stationären Hebammenversorgung zum Ergebnis, dass rund 40 Prozent der in Kliniken angestellten Hebammen aufgrund einer hohen Arbeitsbelastung — nicht zuletzt durch fachfremde Tätigkeiten — eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit erwägen und 25 Prozent über eine gänzliche Aufgabe der Tätigkeit nachdenken. Es sind daher dringend nachhaltige und effektive Maßnahmen notwendig, um eine ausreichende personelle Versorgung in Kreißsälen sicherzustellen. Das mit dem Gesetzentwurf des GPVG beabsichtigte Hebammenstellen-Förderprogramm ist dafür allerdings ungeeignet. Es bedarf vielmehr einer zur Erreichung der konkret vor Ort benötigten Betreuungsrelation erforderlichen Finanzierung von Hebammenstellen und Stellen für Hebammen assistierendes Personal. Dabei müssen auch die Versorgungsstufen im Rahmen der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR-RL) angemessene Berücksichtigung finden.“

Und später: „Der Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf, umgehend einen überarbeiteten Gesetzentwurf vorzulegen, der im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel […] eine hinreichende Finanzierung der benötigten Betreuungsrelationen in der stationären Geburtshilfe sicherstellt.“

Positiv daran ist wohl, die tatsächliche Lage in den Krankenhäusern in den Blick zu nehmen. Problematisch finde ich die Berücksichtigung der Versorgungsstufen. Ja, eine Risikoschwangere braucht vielleicht eine engmaschige Betreuung. Aber auch eine Schwangere, die in keine Risikogruppe fällt, sollte den Anspruch auf eine gute Versorgung haben.

Den vollständigen Entschließungsantrag könnt ihr hier lesen: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/247/1924737.pdf

Pia Zimmermann von den Linken griff in ihrer Rede ein Argument auf, das mir so nicht bewusst war: In Bezug auf die Pflegeassistenzstellen argumentierte sie:

„[D]ie Versorgung verbessert sich doch nicht, wenn der Prozess noch mehr zerlegt und auf noch mehr Hände verteilt wird. Das ist doch das Gegenteil von ganzheitlicher Pflege und führt durch die Hintertür wieder zur Einführung der Verrichtungspflege. Das ist nicht das, was wir wollen, und auch nicht das, was die Pflegekräfte wollen.“

Sie bezog in diesem Punkt die Hebammen nicht mit ein, allerdings stimmt mich dieser Punkt nachdenklich. Ja, die Zerstückelung der Betreuung ist auch in der Geburtshilfe ein Problem. Würde dies durch die zusätzlichen Hilfsstellen verschärft? Ich hatte es eigentlich so verstanden, als würden Hilfstätigkeiten abseits der Gebärenden dann auf Hilfskräfte verlagert, so dass die Hebammen selber also wieder mehr Zeit hätten — sprich, es ginge genau darum, eine Zerstückelung der Aufmerksamkeit zu verhindern.

Sinnvoll fand ich die Einschätzung, dass ein Fachkräftemangel nicht durch Hilfskräfte abgestellt werden könne. Da stimme ich voll und ganz zu, hatte allerdings den Gesetzentwurf auch nicht so verstanden.

Einen Kernaspekt machte Frau Zimmermann deutlich: „Gute Arbeitsbedingungen sind: kürzere und flexiblere Arbeitszeiten und höhere Bezahlung sofort und überall.“

In der Tat ist das langfristig der richtige Weg, kurzfristig stünden dann wohl wieder Gebärende vor verschlossenen Kreißsälen. Das hatten wir gerade zu Weihnachten ja in den letzten Jahren schon häufiger.

Dr. Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen griff in ihrer Rede auf, was sie bereits in der ersten Lesung angesprochen hatte:

„Schwangere sollen guter Hoffnung sein dürfen, eine Hebamme für die Geburtsvor- und -nachbereitung finden und während der Geburt gut, sicher und mit voller Aufmerksamkeit begleitet werden. Die Finanzierung von mehr Hebammenstellen und neuen Hilfskräften in den Kliniken ist natürlich gut; aber sie ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen nichts weniger als einen Kulturwandel in der Geburtshilfe. Frauen und Kinder gehören in den Mittelpunkt; denn auf den Anfang kommt es an.“

Genau entgegengesetzt sah das Karin Maag von der CDU:

„[I]ch freue mich auch über eine bessere Versorgung der Schwangeren auf den Geburtsstationen. Die Krankenhäuser können mit diesem Förderprogramm jetzt Hebammen neu einstellen, Teilzeitstellen aufstocken, unterstützendes Fachpersonal einstellen. Wir reden nicht nur darüber, sondern schaffen durch unser Gesetz tatsächliche Verbesserungen.“

Den Abschluss in der Debatte machte Heike Baehrens von der SPD. Zu einem kurzen Dialog kam es in ihrer Rede, den ich hier kurz zitieren möchte:

Heike Baehrens: „Und hier möchte ich nur sagen, Frau Zimmermann und Frau Kappert-Gonther: Personal fällt nicht vom Himmel…“

Dr. Kirsten Kappert-Gonther: „Aha, das ist ja gerade der Punkt!“

Pia Zimmermann: „Dann muss man sich darum kümmern!“

Heike Baehrens: „…sondern es muss gewonnen, es muss ausgebildet werden. Dafür stellen wir die Weichen, damit wir Schritt um Schritt bei diesen Dingen vorankommen.“

Wir werden sehen, ob in Zukunft mehr Menschen die Geburtshilfe als Beruf(ung) wählen.

Einordnung

Wieder fällt auf, dass es nur um die Hebammen in Krankenhäusern ging und dass die Strukturen in den Krankenhäusern — Gerätemedizin und Kreißsäle ohne Hebammenleitung — prinzipiell nicht verändert werden sollen.

Und es fällt auch auf, dass die Gebärenden nicht gefragt wurden, was sie sich eigentlich wünschen.

Ob das Gesetz nachhaltige Verbesserungen bringt, hängt für mich deshalb von mehreren Punkten ab: kommt mit mehr Personal tatsächlich auch mehr Zeit für die einzelne Gebärende? Kommt durch die geänderte Ausbildung mehr Fokus auf normalen Geburtsvorgängen? Oder ist es ein Reförmchen, das nur im Einzelfall zu mehr eigenverantwortlichen Geburten führt?

Deine Meinung

Ich würde mich über deine Meinung freuen: wie sinnvoll ist es, dass ich hier auf dem Blog solche Beiträge veröffentliche? Sie dienen kaum der praktischen Geburtsvorbereitung.

Sollte ich dennoch weiterhin auch diese Themen im Auge behalten? Oder soll ich mich lieber wieder den klassischen Bligthemen wie Tipps und Buchvorstellungen widmen? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar