Vor einigen Wochen hatte ich davon berichtet, dass wir Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen hatten. Nach einigen Wochen gemeinsam wurden wir von einer guten Nachricht überrascht: Die beiden erwarteten ein Baby! Was bedeutet es, als Geflüchtete schwanger zu sein? Ich berichte von unseren Erfahrungen als Gastfamilie.
In diesem Beitrag nenne ich unsere beiden Gäste Natascha und Benjamin, um ihre Identität zu schützen.
Inhalt
Natascha ist schwanger
Ich saß zu Hause im Arbeitszimmer und beantwortete E-Mails, als ich einen erstickten Schrei von Oben hörte. Gleich darauf rief Natascha nach ihrem Mann Benjamin, der unten am Rechner saß und arbeitete. Als er nicht sofort antwortete, sprintete sie schluchzend die Treppe hinunter.
Ich schloss die Tür zum Arbeitszimmer.
Mir war klar: Es war etwas passiert. Natascha war hoch emotional. Aber worum ging es? Hatte sie eine schlechte Nachricht aus der Heimat bekommen? Immerhin war der Großteil ihrer Verwandtschaft immer noch in der Ukraine — manche sogar im direkten Kriegsgebiet.
Ich wollte nicht stören.
Es dauerte ungefähr eine Stunde, bevor die beiden leise an die Tür klopften. Ich öffnete, und ein wenig verschämt, aber überglücklich erzählte Natascha mir von ihrem positiven Schwangerschaftstest.
In mir liefen drei Prozesse gleichzeitig ab.
- Ich war erleichtert, dass es keinen Todesfall oder andere schlechte Nachrichten aus der Heimat gab.
- Ich freute mich unglaublich für die beiden. Immerhin hatten sie erzählt, dass sie bereits in Kiew versucht hatten, eine Familie zu gründen.
- Der Organisationsteil meines Hirns ging sofort über in die Planung: Was brauchen die beiden jetzt? Worum kann ich mich kümmern?
Natürlich gratulierte ich. Die beiden strahlten über das ganze Gesicht.
Schwangere Geflüchtete — was ist zu tun?
Ich fragte Natascha sehr offen, was sie nun bräuchte. Wollte sie die Schwangerschaft irgendwie bestätigen lassen oder einfach gar nichts tun? Wollte sie Kontakt zu einer gynäkologischen Praxis oder einer Hebamme?
Erst später wurde mir klar, dass sie mit dieser Unterteilung zwischen Hebamme und Gynäkologin vermutlich gar nicht so viel anfangen konnte. Im Laufe verschiedener Gespräche stellte sich heraus, dass es in der Ukraine Hebammen wie bei uns so gut wie gar nicht gibt. Wer schwanger ist, geht zum*r Ärzt*in.
Sie wollte auch hier gerne genau das tun: Sie wollte die Schwangerschaft mittels Ultraschall in einer gynäkologischen Praxis bestätigen lassen. Ich machte mich also auf die Suche nach einer Praxis, die unkompliziert ukrainische Geflüchtete untersuchte.
Meine erste Anlaufstelle war unsere langjährige Hebamme Jasmin Goebel, die mich bei allen Schwangerschaften und Geburten (auch der stillen Geburt) begleitet hatte. Abgesehen davon, dass es für sie ein Feiertag war (Abgabe der Bachelor-Arbeit, yeah!), konnte sie mir auch sofort helfen: Von einer Kollegin hatte sie eine Liste mit Praxen im Umfeld bekommen, die ukrainische Geflüchtete unbürokratisch untersuchten.
Anhand der Namen und Adressen suchte ich Praxen heraus, die für uns gut zu erreichen waren. Und dann begann ich, sie nacheinander abzutelefonieren. Bei den meisten Praxen war das Telefon leider besetzt — gut verständlich in der jetzigen Situation. Zwei Tage später kam ich bei einer Praxis durch.
Will sie das Kind behalten?
Ich erklärte der Sprechstundenhilfe mein Anliegen: Die Geflüchtete, die wir aufgenommen hatten, hatte einen positiven Schwangerschaftstest und wollte sich deshalb gerne der Ärztin vorstellen.
Die erste Frage der Sprechstundenhilfe war vorherzusehen: In welcher Schwangerschaftswoche ist die Frau denn? Nun, wir wussten es nicht ganz genau, weil ihr Zyklus seit Kriegsbeginn sehr unregelmäßig war, aber Natascha schätzte, sie wäre in der sechsten Schwangerschaftswoche.
Und dann kam die zweite Frage; diejenige, auf die ich nicht vorbereitet war: „Will sie das Kind denn behalten?“
Wann immer ich für mich wegen eines Umzugs eine neue gynäkologische Praxis suchte (meistens bereits schwanger…), war die Frage nach der Schwangerschaftswoche gestellt worden. Doch nie wurde ich gefragt, ob ich das Baby austragen möchte.
Ich war entsprechend perplex. Für mich war das gar keine Frage. Hallo, Natascha und Benjamin hatten mich schließlich angestrahlt! Aber klar, das konnte die Sprechstundenhilfe ja nicht wissen.
Ich klärte also auf: Ja, es gab schon vorher den Wunsch nach einer Familiengründung und sie will das Kind unbedingt.
„Gut“, sagte die Sprechstundenhilfe, „das freut mich sehr. Und dann ist es ja auch nicht so wichtig, wie weit sie genau ist.“
Unausgesprochen blieb, was mir jetzt schlagartig klar wurde: Hätte sie das Kind abtreiben wollen, wäre der Zeitplan sehr viel wichtiger gewesen. Eine Abtreibung mit Medikamenten darf in Deutschland bis zum 63. Tag nach dem Beginn der letzten Regelblutung durchgeführt werden — also bis Ende der 8. Schwangerschaftswoche. Wäre Natascha schon in der 7. Woche gewesen, hätten wir also zügig einen Termin gebraucht. Der Prozess, inklusive Beratungsgespräch, dauert ja etwas länger.
So aber konnten wir einen Termin jenseits der Notfallsprechstunde auf die übernächste Woche legen: in die normale Sprechstunde, zur normalen Schwangerschaftsvorsorge mit Ultraschall.
Vorsorge aus einer Hand
Ein paar Tage, nachdem ich für Natascha den Termin ausgemacht hatte, bekamen Benjamin und sie ihre Visa für ihr Wunschland. Ein Flug wurde gebucht. Theoretisch hätte Natascha die Vorsorgeuntersuchung in der Praxis in Berlin einen Tag vor Abflug noch wahrnehmen können. Sie entschied sich dann dagegen: Sie wollte sich lieber am neuen Ort eine Praxis suchen, in der sie die gesamte Schwangerschaftsvorsorge durchführen lassen könnte.
Das konnte ich durchaus nachvollziehen und rief also bei der Praxis an, um den Termin abzusagen. „Na, das ist doch mal ein wunderbarer Grund, abzusagen“, sagte die Sprechstundenhilfe. „Wünschen Sie ihr alles Gute!“ Ich war dankbar für ihr Verständnis, denn ich muss zugeben, dass die Absage recht kurzfristig kam. „Ach, wissen Sie, ich wette, ich habe den Termin innerhalb der nächsten Stunde wieder vergeben. Der Bedarf ist so hoch, dass wir gar nicht alles stemmen können. Und manchmal kommen die Frauen wirklich auf den letzten Drücker.“
Sie meinte damit nicht, dass den Frauen schon das Fruchtwasser zwischen den Beinen herausliefe — sondern dass sie das Kind eigentlich nicht austragen wollen, aber nicht wissen, was sie tun sollen.
Schwanger in Kriegszeiten
Ein paar Freunde im Umfeld wussten von Nataschas Schwangerschaft. Nicht immer waren die Reaktionen positiv. Ein paar Beispiele:
- Na super, da weißt du ja, was sie in eurem Gästezimmer so treiben. Willst du da jetzt überhaupt jemals noch andere Menschen übernachten lassen? (Ja, will ich. Ist in Hotelbetten ja auch so. Und Laken tauschen wir — Überraschung — auch…)
- Wie können sie denn Sex haben, wenn ihre Verwandtschaft um ihr Leben fürchtet? (Ich persönlich bin der Meinung, dass Liebe, auch körperlich, nicht weniger wichtig ist, wenn andere eine Krise durchleben. Denn Sex kann auch Halt geben, kann ein wenig Normalität erzeugen.)
- Sie wissen doch noch gar nicht, wie es weitergeht. Das sind doch viel zu unsichere Zeiten, um ein Baby in die Welt zu setzen. (Unsicher sind die Zeiten immer. Und ich wette, die Frauen, die bis zum Februar 2022 in der Ukraine ihre Kinder bekamen, haben auch nicht damit gerechnet, dass ihre Babys Kriegsbabys würden.)
Es gab aber auch andere Reaktionen:
- Das ist so schön! Die Liebe ist stärker als der Krieg!
- Oh wie toll. Wie kann ich helfen? Was brauchen sie?
- Wie gut, dass sie jetzt ihr Kind in Sicherheit aufziehen können!
Ich persönlich habe aus Nataschas Schwangerschaft vor allem eines gelernt: Nicht alle Menschen empfinden gleich. Im Gegenteil: Was für die einen toll funktioniert, ist die Hölle auf Erden für andere. Ich kann versuchen, mich in sie hineinzuversetzen. Aber letztendlich ist es nicht meine Verantwortung, Entscheidungen für andere Menschen zu treffen.
Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch
Die Eigenverantwortung gilt übrigens auch für die Frage nach dem Schwangerschaftsabbruch. Die Sprechstundenhilfe in der gynäkologischen Praxis hat bestimmt nicht einfach ins Blaue hinein gefragt. Vermutlich haben sie in der Praxis die Erfahrung gemacht, dass relativ viele geflüchtete Frauen in dieser Situation kein Baby bekommen wollen. Vielleicht wurden sie noch in der Ukraine schwanger, vielleicht hier. Vielleicht ist ihr Ehemann der Vater des Kindes, vielleicht auch nicht. Vielleicht gibt es diesen Ehemann schon gar nicht mehr.
Ich habe bisher eine Abtreibung für mich immer ausgeschlossen. Vielleicht ging es diesen Frauen bis zum Kriegsbeginn auch so. Vielleicht würde auch ich als Geflüchtete kein Baby in die Welt setzen wollen.
Ich weiß es nicht. Und deshalb steht es mir auch nicht zu, über die Entscheidung dieser Frauen zu richten.
Stattdessen müssen wir ein Umfeld schaffen, dass es den Frauen leicht macht, sich für das Baby zu entscheiden. Wir sollten dazu nicht Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellen, sondern eine Gesellschaft aufbauen, in der Frauen auch in schwierigen persönlichen Umständen ein Netzwerk finden, das sie trägt und unterstützt. In diesem Wissen könnten sie sich vielleicht eher darauf einlassen, ein (weiteres) Kind großzuziehen.
Von all diesen Gedanken weiß Natascha nichts. Sie hat in ihrer neuen Heimat eine Praxis gefunden und das erste Ultraschallbild ihres Babys in den Händen gehalten.
Sie wird, wie wir alle, durch die Hochphasen und Täler einer Schwangerschaft gehen und irgendwann ihr Baby gebären. In der Ukraine begleitete sie bereits eine Freundin bei der Geburt im Krankenhaus. Und sie freut sich darauf, diesen Prozess selbst zu durchleben.
Mir bleibt nur, ihr von Herzen alles Gute zu wünschen.
Im Libanon kennen viele Fluchtlinge niemanden, weshalb es fur sie schwierig ist, Hilfe von den Menschen vor Ort zu erhalten. „Viele schwangere Frauen wissen nicht, wohin sie gehen sollen“, sagt Middleton. „Wir haben von Frauen erfahren, die ganz alleine in einem Zelt gebaren mussten. Solche Berichte erschuttern mich als Hebamme besonders, weil ich die Gefahren kenne und weiss, wie schrecklich es fur eine Mutter sein muss, bei der Geburt vollig allein und verangstigt zu sein.“ Auch die Kosten spielen eine Rolle. Sogar fur die libanesische Bevolkerung ist die vorgeburtliche Versorgung im Libanon extrem teuer. „Fur einen Arztbesuch, ein paar Vitamine und den Transport muss eine Frau umgerechnet 20 US-Dollar bezahlen“, erklart Middleton, „was oft die Halfte oder mehr ist, von dem was ein Tagelohner in der Woche verdient.“ Das UN-Fluchtlingshochkommissariat (UNHCR) ubernimmt zurzeit 75 Prozent der Geburtskosten von syrischen Fluchtlingen, ungeachtet deren Registrierungsstatus. Fruher hatte das UNHCR sogar die ganze Rechnung bezahlt, musste den Betrag aber kurzen, weil nicht mehr genugend Mittel zur Verfugung standen. Viele Fluchtlinge konnen sich diese 25 Prozent nicht leisten. Ausserdem gibt es in der Bekaa-Ebene nur sechs Spitaler, die vom UNHCR unterstutzt werden und in denen Frauen gebaren konnen. Eine normale Geburt kostet etwa 50 US-Dollar, wahrend ein Kaiserschnitt mit 200 US-Dollar zu Buche schlagt. „Eine Fluchtlingsfrau, die nicht bezahlen kann, riskiert, dass ihr keinen Zutritt zum Spital gewahrt wird oder dass ihre Fluchtlingskarte eingezogen wird. Somit erhalt sie auch keine Essensscheine, bis sie ihre Spitalrechnung bezahlen kann“, sagt Middleton.
This post brought me to tears. This quote really resonates with me: „…but build a society in which women, even in difficult personal circumstances, can find a network that carries and supports them.“
Dear Carrie,
thank you so much for your comment. Yes, it will be hard work to foster change. But it’s not fair to tell women to simply cope when we do not give them a real chance to do so.
Keep up the work! K