Immer wieder wird mir gesagt, ich sei ja ganz schön mutig, weil ich meine Kinder zu Hause zur Welt bringen wollte. Dabei hat das aus meiner Sicht nichts mit Mut zu tun.
Eine Frau sollte denjenigen Ort für die Geburt ihres Kindes wählen, an dem sie sich am Sichersten fühlt.
Ähnliches gilt für die Menschen, die die Geburt begleiten.
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Wie genau die Schwangere „Sicherheit“ definiert, ist dabei ganz unterschiedlich.
- Manche Schwangere fühlen sich sicher, wenn sie möglichst häufig medizinische Tests vornehmen lassen. Je häufiger sie das Herz ihres Babys im Ultraschall sehen, desto entspannter sind sie. Andere Schwangere verunsichert ein Ultraschall eher, weil sie die Ergebnisse nicht interpretieren können.
- Manche Schwangere mögen die sanften Berührungen einer Hebamme, die mit Hand und Hörrohr das Ungeborene untersucht. Andere finden diese Art der Vorsorge zu unsicher.
- Manche Frau macht während der Schwangerschaft ihren Lieblingssport weiter — eventuell in Umfang und Intensität auf den wachsenden Bauch angepasst. Andere Frauen wollen ihren Sport auf keinen Fall weitermachen, weil sie befürchten, sich oder ihren Nachwuchs zu verletzten.
- Manche Frauen reisen in der Schwangerschaft unbekümmert; andere wollen sich nur wohnortnah aufhalten, weil sie befürchten, im Notfall in ein unbekanntes Krankenhaus eingeliefert zu werden.
Und natürlich gilt das unterschiedliche Sicherheitsbedürfnis auch für die Geburt:
- Manche Frauen wollen ihr Kind in einem Umfeld zur Welt bringen, in dem jeder theoretischer Notfall sofort behandelt werden kann.
- Für manche Gebärende bedeutet Sicherheit, sich auf die Einschätzung von Fachpersonen verlassen zu können.
- Andere Frauen fühlen sich im Krankenhaus unsicher. Das kann ganz verschiedene Gründe haben (siehe Infobox).
- Für manch eine Frau ist es extrem wichtig, nur Menschen um sich zu haben, die sie bereits vorher kennt. Andere Frauen erleben keine Unsicherheit, wenn fremde Menschen bei der Geburt dabei sind.
- Für manche Frauen ist die Unplanbarkeit einer Spontangeburt ein Risiko, das sie nicht eingehen wollen. Ein geplanter Kaiserschnitt dagegen gibt ihnen Sicherheit (so war es bei Moni).
Unsicherheit im Krankenhaus
Warum Frauen sich im Krankenhaus unsicher fühlen, kann ganz verschiedene Gründe haben., zum Beispiel:
- Angst vor Übergriffen oder Gewalt unter der Geburt
- Persönliche Leidensgeschichte in der Familie
- Wissen um medizinische Abläufe, die der natürlichen Geburt entgegenstehen
- Angst vor Unbekanntem (z.B. Personen)
Das Sicherheitsbedürfnis von Fachpersonal
Im Medizinstudium genauso wie im Studium der Hebammenwissenschaftenlernen lernen die Studierenden, möglichst genau diejenigen Maßnahmen zu treffen, die dazu führen, dass Mutter und Kind gesund und unbeschadet durch die Geburt gehen.
Das Fachpersonal will der Gebärenden helfen, eine sichere Geburt zu erleben. Allerdings gibt es zusätzlich noch andere Arten der Sicherheit, die vom Personal berücksichtig werden müssen.
Im Interview sagte die Frauenärztin und Expertin für Geburten nach Kaiserschnitt Dr. Ute Taschner zum Beispiel:
Bisher hängt die Frage der Haftung wie ein Damokles-Schwert über allen, die Geburten begleiten und betreuen. Es ist aus juristischer Sicht sicherer, wenn man interveniert. Abwarten ist dagegen rechtlich immer von Nachteil.
Dr. Ute Taschner im Interview auf Ich Gebäre
Juristische Sicherheit spielt also auch eine Rolle — genauso wie die Planungssicherheit für Kreißsäle, Personal und Material.
Das Sicherheitsbedürfnis von Begleitpersonen
Auch Begleitpersonen haben eine bestimmte Vorstellung von Sicherheit. Für dein*e Partner*in kann es zum Beispiel wichtig sein, dass ihr vorher die genaue Rollenverteilung klärt: Was erwartest du von deiner Begleitung? (Das ist übrigens auch ein Punkt in meinem Buch Der kompetente Hausgeburtsvater.)
Oder vielleicht gibt es Sicherheit, die Strecke bis ins Krankenhaus oder zum Geburtshaus so häufig abzufahren, dass ihr sie ohne Navi bewältigen könnt?
Wie berücksichtigst du diese unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnisse?
Dein Sicherheitsbedürfnis ist so, wie es ist. Natürlich kannst du dich theoretisch daran machen, es zu ändern. Falls du beispielsweise ein sehr ängstlicher Mensch bist, kannst du versuchen, diese Ängste abzubauen. Das ist aber kein einfacher Prozess und falls du bereits relativ kurz vor der Geburt stehst, ist eine solche Änderung vermutlich nicht besonders realistisch. (Falls du noch mehr Zeit hast, kannst du zum Beispiel einen Hypnobirthing-Kurs besuchen.)
Also geht es stattdessen darum, dein Sicherheitsbedürfnis zu analysieren und ernstzunehmen.
- Was gibt dir Sicherheit?
- Was macht dich unsicher?
- Wem vertraust du?
- Wo fühlst du dich sicher?
- Welches Wissen willst du dir aneignen, um dich sicher zu fühlen?
Die Antworten auf diese Fragen sind nicht richtig oder falsch. Es sind schlicht und ergreifend deine Antworten.
Und aufbauend auf diesen Antworten kannst du dir dann die Fragen stellen, was du für deine Geburt brauchst und was in deinem Fall eher kontraproduktiv ist.
Bedenke dabei auch, dass du das Sicherheitsbedürfnis anderer Menschen nicht ändern kannst. Wenn du sie dabei haben willst, musst du dafür sorgen, dass auch sie sich wohlfühlen.
Zwei Extrembeispiele
Ich gebe dir zwei extreme Beispiele, wie du deinem und dem Sicherheitsbedürfnis anderer involvierter menschen gerecht werden kannst. Natürlich gibt es noch unendlich andere Variationen.
Beispiel 1: Im Krankenhaus verkrampfe ich; eine Hausgeburtshebamme darf mich nicht betreuen
Lisa hat keine guten Erfahrungen mit Krankenhäusern gemacht. Schon als Kind sah sie dort ihre Großmutter sterben und hatte das Gefühl, nicht richtig trauern zu dürfen: Das Personal hatte zu viel zu tun. Zur Geburt ihrer Tochter ging sie dennoch in eine Klinik. Wegen der Corona-Bestimmungen durfte ihr Mann und Vater des Kindes sie nicht begleiten. Bei einer Untersuchung des Muttermunds während der Wehe verkrampfte sie dermaßen, dass es zu einem Geburtsstillstand kam und schließlich ein Kaiserschnitt vorgenommen wurde. Während Lisa aus der Narkose erwachte, hatte ihr Baby gegen ihren Wunsch bereits ein Fläschchen bekommen.
Beim zweiten Kind will Lisa deshalb auf keinen Fall in ein Krankenhaus. Sie möchte ihr Kind zu Hause zur Welt bringen. Allerdings wurde sie von den umliegenden Hebammen als Klientin abgelehnt, weil Lisa bereits 40 Jahre alt ist. In ihrem Alter und als Kaiserschnittmutter müsste jede Hebamme um ihre Zulassung fürchten, wenn sie Lisa annähme.
Lisa plant deshalb eine Alleingeburt. Ihre Tochter wird zum Zeitpunkt der Geburt ungefähr zwei Jahre alt sein. Damit Lisa sich auf die Geburt konzentrieren kann, hat sie mit ihrem Partner abgesprochen, dass dieser die gemeinsame Tochter zur Nachbarin bringen wird und danach Lisa beisteht.
Für Lisas Partner war es im Vorhinein wichtig, sich über die Risiken von Geburten nach Kaiserschnitt zu informieren, die Betreuung von Mutter, Baby und Geschwisterkind im Wochenbett zu organisieren sowie die schnellsten Routen in ein Krankenhaus herauszufinden — für den Fall der Fälle.
- Lisa erlangt Sicherheit durch den geschützten Raum zu Hause und die Abwesenheit von Personal, das sie nicht kennt
- Die Hebammen setzen ihre Zulassung nicht auf’s Spiel
- Der Vater bereitet sich vor, um sich während der Geburt auf seine Frau konzentrieren zu können
- Die zweijährige Tochter fühlt sich bei der Nachbarin wohl
Beispiel 2: Medizinische Rundumversorgung
Vanessa hatte bereits mehrere Fehlgeburten. Nun hat sie es bis zur 24. Woche geschafft. Alle 14 Tage war sie bisher bei ihrer niedergelassenen Frauenärztin. Die regelmäßigen Tests geben ihr Sicherheit, dass dieses Mal alles gut gehen wird. Bereits vor dem Schwangerschaftstest hat Vanessa Nahrungsergänzungsmittel genommen und ernährt sich auch jetzt sehr bewusst. Außerdem macht sie Schwangerschaftsyoga. Allerdings fährt sich nicht mit dem Fahrrad zum Studio, weil ihr die Unfallgefahr zu hoch ist.
Vanessa möchte ihr Kind spontan zur Welt bringen. Sie hat sich umfassend informiert und ist davon überzeugt, dass eine Spontangeburt für sie und ihr Baby der richtige Weg ist. Sie möchte allerdings unter der Geburt auf Schmerzmittel zurückgreifen können. Viele ihrer Freundinnen haben ihr erzählt, dass ihre Geburten durch eine PDA viel entspannter wurden. Vanessa möchte sich diese Option deshalb unbedingt offen lassen. Sie hat sich bewusst nach einer Klinik ungeschaut, in der Walking PDAs angeboten werden — also eine Betäubung, mit der die Patientinnen dennoch laufen können.
Vanessa hat umfangreiche Gespräche mit dem medizinischen Personal in verschiedenen Kliniken geführt. Schließlich entschied sie sich für ein Klinik, die sowohl für die Geburt als auch für das Wochenbett die höchsten medizinischen Anforderungen erfüllt. Sollte mit ihrem Baby irgendetwas sein, kann es direkt in dieser Klinik behandelt werden.
In ihrer Akte hat sie vermerken lassen, dass sie ein kabelloses CTG wünscht, damit sie sich weiter bewegen kann.
Vanessa hat keinen Kontakt zum genetischen Kindsvater. Deshalb engagiert sie eine Doula. Diese begleitet sie während der Schwangerschaft und bei der Geburt. Vanessa ist es wichtig, eine Person dabei zu haben, die sie bereits kennt und die nur für sie da sein wird.
Beim Vorgespräch ist es der diensthabenden Ärztin wichtig, mit Vanessa ausführlich über die Vor- und Nachteile einer PDA und über die Nutzung anderer Schmerzmittel zu sprechen. Sie empfiehlt Vanessa, den Aufklärungsbogen bereits zu unterschreiben. Außerdem macht sie deutlich, dass manchmal eine Walking PDA leider nicht möglich ist. Außerdem möchte Sie Vanessa gern schon während der Schwangerschaft häufiger untersuchen, um sich ein Bild der kindlichen Entwicklung zu machen. Bisher ist das Baby nämlich recht klein.
Außerdem sprechen Doula und Ärztin miteinander, um sich abzustimmen, welche Gepflogenheiten für Begleitpersonen gelten — zum Beispiel bei einem Kaiserschnitt.
- Die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen und die Geburt in der spezialisierten Klinik geben Vanessa Sicherheit, dass das Baby gesund zur Welt kommen wird.
- Die Ärztin erlangt Sicherheit durch das ausführliche Gespräch und das Ausfüllen von Vollmachten bereits vor der Geburt.
- Die Doula ist sich sicher, dass ihre Rolle bei der Geburt allen Beteiligten klar ist.
Fazit: Dein Sicherheitsbedürfnis zu missachten, bringt nichts
Wir alle haben unsere Vorgeschichte. Und diese prägt unser persönliches Sicherheitsempfinden. Gerade bei der Geburt ist es wichtig, dass wir unsere persönlichen Grenzen achten. Es bringt einfach nichts, in dieser Ausnahmesituation alle bisherigen Erfahrungen über Bord zu werfen.
Und deshalb ist es so wichtig, dass du weißt, was Sicherheit für dich bedeutet und wie du diese bei der Geburt deines Kindes umsetzen kannst.
Falls du mit anderen sprichst und das Gefühl hast, dich dafür rechtfertigen zu müssen, zeig ihnen gern diesen Artikel — oder lies meinen Beitrag zum Umgang mit einem kritischen Umfeld auf Mütterimpulse.
Und falls du bisher diejenige warst, die andere aufgrund ihres Sicherheitsbedürfnisses für bekloppt oder zumindest unvorsichtig erklärt hast, geh bitte mit ein bisschen mehr Empathie in das nächste Gespräch. Denn das Sicherheitsbedürfnis eines anderen Menschen zu ändern, wird dir nicht gelingen, wenn du die Person nicht genau da abholst, wo sie steht: Bei ihrer Definition von Sicherheit.