Auch Väter verarbeiten Geburtserfahrungen. Nicht viele sprechen privat darüber, und noch weniger Menschen machen ihre Erfahrungen öffentlich. Matze Pröllochs ist Musiker und hat ein ganzes Album zum Thema Geburt und Fehlgeburt produziert. Heute darf ich ein Interview mit ihm veröffentlichen.
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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.
Lieber Matze, stell dich doch bitte kurz vor!
Ich bin Matze Pröllochs, Musiker aus Berlin. Meine Laufbahn hat mit dem Dreampop-Duo Me And My Drummer begonnen, bis sich 2018 die Wege trennten. Seither bin ich als Freelance Schlagzeuger und Theatermusiker aktiv und veröffentliche jetzt zum ersten Mal ein Solo-Album.
Wie kam es dazu, dass du das Album Birth no Birth angegangen bist?
Nach einigen Jahren, in denen ich sehr viel in verschiedenen Bands auf Tour war und Musik fürs Theater geschrieben hab, ist der Wunsch immer größer geworden, wieder ein eigenes Projekt zu starten.
Mir ging es um einen Kreativraum, der ganz frei ist von äußeren Einflüssen, Konzepten oder Aufträgen. Ich hab mich gefragt, was eigentlich für Musik entsteht, wenn ich mir einfach mal die Zeit nehme, um ohne einen Fahrplan ganz alleine Musik zu machen.
Das war ein total spannender und teilweise auch anstrengender Prozess. Als Vater von kleinen Kindern ist Zeit ja so kostbar, dass man jedes Mal neu entscheiden muss – gehe ich jetzt ins Studio oder lege ich mal eben die Füße hoch, wenn ich gerade nicht zuständig bin…
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Außerdem hat mich in dieser Zeit das Thema Geburt und auch Erlebnisse mit Fehlgeburten sehr beschäftigt. Das hat für mich daher auch einen prägenden Einfluss auf die Entstehung der Musik gehabt und so kam es letztlich auch zum Titel des Albums „Birth No Birth“.
Warst du bei den Geburten deiner Kinder dabei?
Ja, ich war bei den Geburten sehr nah dran und würde sagen, dass es extrem unterschiedliche und beide Male unvergleichliche Erlebnisse waren, die ich natürlich nie vergessen werde.
Die Flut an verschiedenen Gefühlen hat mich besonders bei der ersten Geburt fast überwältigt. Das hat mich sehr geprägt. Und natürlich wirkt sich das dann auch auf die kreativen Prozesse aus, in denen ja in der Regel immer die Dinge verarbeitet werden, die im Leben gerade eine große Rolle spielen.
Dennoch ist es recht ungewöhnlich, dass Männer darüber gleich ein ganzes Album schreiben, oder? Von Robbie Williams ist ja zum Beispiel her sein recht erschreckender Satz bekannt, dass er die Geburt erlebt hätte als „watching his favourite pub burn down“…
Welche Gefühle waren bei dir vorherrschend und wo finden wir sie in deinem Album?
Ja, voll. Mich wundert das sehr. Hast du eine Idee woran das liegt? Es ist doch offensichtlich, dass sich nicht nur Gebärende selber mit diesen Themen beschäftigen, sondern dass das auch unzählige Männer betrifft…
[Einschub von Katharina: Ich sag nur „Männerbild“… Feminismus ist für alle da!]
Die Musik auf Birth No Birth ist ja weitestgehend instrumental. Insofern kann man sich das vorstellen wie ein assoziatives Kreisen um diese Erfahrungen.
„All Is Flow“ könnte man zum Beispiel als Beschreibung einer Geburt verstehen – es beginnt warm und zuversichtlich, mit einer großen Ruhe. Dann türmt sich das Ganze auf und wird hektisch, bevor es wieder in sich zusammenfällt und dann wieder wellenartig größer wird. Das Bild der Welle steckt viel in diesem Album, weil das der Art wie ich Musik mache sehr entspricht. Genauso sprechen wir bei Geburten ja auch viel von Wellen.
Niemand gebiert im luftleeren Raum!
Über den Zusammenhang von Geburt und Geburtskultur: Das Manifest für eine selbstbestimmte Geburtskultur.
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Ein Thema, das für mich in dem Kontext auch eine Rolle spielt, ist das Schicksal. Die Stücke „Scar“ und „Take Take“ setzen sich damit auseinander.
In „Stay“ wird natürlich das Thema Fehlgeburt am deutlichsten, weil es da auch ein paar Lyrics gibt. Außerdem ist es im Musikvideo Thema.
Die Gefühle, die in dem Album stecken, sind also sehr vielfältig und ich hoffe, dass sich das auch beim Hören der Musik überträgt…
Wie haben andere Musiker*innen darauf reagiert, dass du diese Themen vertont hast?
Mein Gefühl ist, dass es da eine Zurückhaltung gibt. Natürlich gibt es viele Kolleg*innen, die das gut finden und mit mir darüber sprechen. Und mein Umfeld freut sich für mich, dass ich jetzt zum ersten Mal ein Soloalbum rausbringe.
Ich denke aber insbesondere bei dem Thema Fehlgeburt wissen viele nicht, wie sie damit umgehen sollen, bzw. inwiefern man das ansprechen kann. Da geht es vielleicht vor allem darum, nichts Falsches sagen zu wollen, weil es natürlich ein sensibles Thema ist.
Mir geht es aber ja genau darum – dass diese Erlebnisse nicht so sehr tabuisiert werden und dass wir merken: Es gibt viele Menschen, die solche Erfahrungen gemacht haben und es kann gut tun, darüber ins Gespräch zu kommen.
Habt ihr als Familie auch Erfahrungen mit Fehlgeburten machen müssen?
Ja genau, zwei frühe innerhalb der ersten drei Monate.
Und das war genau in der Zeit, als die Musik entstanden ist. Deshalb spielt das auch eine große Rolle auf dem Album.
Wie seid ihr abseits der Musik mit den Fehlgeburten umgegangen? Habt ihr mit anderen Menschen darüber gesprochen?
Das war bei meiner Frau und mir etwas unterschiedlich.
Ich hab nach der ersten Fehlgeburt sehr wenig darüber gesprochen und mich nur wenigen Menschen damit anvertraut.
Nachdem das dann nochmal passiert ist, hat sich der Umgang bei mir sehr verändert und ich bin viel offener damit umgegangen. Natürlich in Abstimmung mit meiner Frau. Sie unterstützt es auch, dass ich das jetzt auf dem Album zum Thema gemacht habe.
Der offenere Umgang war für mich sehr hilfreich und hatte viel Resonanz zur Folge. Ich war überrascht, wie viele Menschen in meinem Umfeld ähnliche Erlebnisse hatten.
Das ging mir auch so — erst, wenn wir das Thema selber ansprechen, öffnen sich andere Menschen ebenfalls.
Wo können wir denn ins Album reinhören, nachdem wir so viel darüber gesprochen haben?
Vinyl und CD gibt es bei mir im Shop:
Außerdem kann das Album überall gestreamt werden:
Wie geht es musikalisch weiter für dich?
Im Anschluss an die Veröffentlichung des Albums spiele ich einige Solo-Konzerte. Gleichzeitig bin ich in den Vorbereitungen für die nächste Theater Produktion, die Ende März beginnt, mit einer Premiere in Wien Ende Mai und dann Vorstellungen ab Oktober in Bochum.
Und, meine klassische Frage zum Schluss: Wenn du mit einem Fingerschnipsen eine Sache ändern könntest in der Geburtshilfe oder Geburtskultur, was wäre das?
Ich würde werdenden Eltern, insbesondere Gebärenden, ihren Leistungsdruck nehmen.
Lieber Matze, ich danke dir für das Interview!
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Matze Pröllochs
Matze Pröllochs ist freischaffender Musiker. Von 2009 bis 2017 war er als Schlagzeuger der Band Me And My Drummer europaweit erfolgreich und wandte sich anschließend zunehmend dem Theater zu, wo er seither an verschiedenen Häusern komponiert und live auf der Bühne zu sehen ist. Am 21.2.25 veröffentlicht Matze sein erstes Album als Solo-Künstler mit dem Titel Birth No Birth und geht damit auf Tour.
Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen
Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!
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