Gestern Abend war ich in Berlin auf der Verleihung des Goldenen Zaunpfahls für das absurdeste Gender-Marketing 2023. Und was soll ich sagen: Der Abend war zum Lachen und zum Weinen, zum Wütendsein, zum Verzweifeln und Mutschöpfen.
Und natürlich möchte ich euch davon berichten.
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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.
Der Goldene Zaunpfahl
Der Goldene Zaunpfahl ist ein Award, der seit 2017 das absurdeste Gendermarketing „auszeichnet“. Ins Leben gerufen wurde der Preis von Almut Schnerring und Sascha Verlan, die auch das Buch Die Rosa-Hellblau-Falle geschrieben haben.
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Das ganze Jahr über konnten wir alle Fotos von Produkten mit Gendermarketing einreichen. Das Goldene Team traf dann eine Vorauswahl von 50 Nominierungen aus den über 200 Einreichungen und eine Jury entschied darüber, welches Unternehmen den Goldenen Zaunpfahl erhalten würde.
Gestern war es also so weit: Der Zaunpfahl wurde verliehen. Die Veranstaltung in Berlin war ein tolles Erlebnis, das mich darin bestärkt hat: Wandel ist möglich. Es gibt noch mehr Menschen, die finden: Menschen sollen aussuchen, was sie mögen, ohne dabei in ein Rollenbild gepresst zu werden.
Leider sehen das nicht alle so. Die Unrühmlichen Sieben, also alle Firmen, die im Finale gestern standen, findest du übrigens auf der Seite des Zaunpfahls. Alle unrühmlichen Sieben nahm Florian Hacke aufs Korn — ich habe Tränen gelacht und war gleichzeitig so unfassbar wütend!
Leider ist seine Schmäh-datio (bisher) nicht online zu finden, aber hier bekommst du einen Eindruck von seiner Arbeit:
Besonders beeindruckt hat mich außerdem die Rede dreier Schüler:innen, die deutlich gemacht haben: Wir Erwachsene haben mit Gendermarketing direkten Einfluss darauf, dass Jugendliche ausgegrenzt werden! Tomme, Jonas und Zoe haben mir ganz klar gezeigt: Jugendliche wollen nicht in Schuladen passen müssen. Sie wollen ihre eigenen Entscheidungen treffen. Gendermarketing verkompliziert alles nur noch mehr, denn nun muss man auch noch schauen, in die richtigen Klischees zu fallen — als sei das mit der Liebe und so nicht so schon schwer genug, wie Jonas sagte.
Außerdem standen übrigens noch folgende extrem coole Menschen auf der Bühne:
- Boris von Heesen, der ausführte, wie Männlichkeitsideale, die im Kinderalter gesetzt werden, später zu schädlichem Verhalten im Erwachsenenalter führen — zum Beispiel in Bezug auf Unfallstatistiken beim Autofahren. Boris von Heesen hat unter anderem das Buch Was Männer kosten* geschrieben.
- Pia Ihedioha sprach mit den Moderator*innen Patricia Cammarata (Autorin von Raus aus der Mental Load Falle*) und Marcus Richter über die Arbeit der Jury. Es sei nicht immer schön gewesen, denn wirklich viel richtig mieses Gendermarketing musste angeschaut werden. Doch immerhin sehe sie jetzt beim Einkaufen auch, wenn zumindest nicht alle Kriterien für den Goldenen Zaunpfahl erfüllt würden — und das mache Hoffnung. Besonders deutlich wurde, wie wichtig unterschiedliche Schwerpunkte innerhalb der Jury waren: Diese war divers in puncto Alter und Geschlecht, aber auch in Bezug auf Hintergrundwissen und intersektionale Benachteiligung. Mehr über Pia Ihediohas rassismuskritische Arbeit findet ihr hier: https://magazinofcolor.de/
- Tebogo Nimindé-Dundadengar, die erzählte, welche drei Mythen sie immer wieder höre, wenn es um Kinder und Vorurteile gehe: 1. Kinder sähen keine Unterschiede (z.B. Hautfarbe oder Geschlechtsmerkmale – aber das tun sie durchaus), 2. Kinder würden mit Unterschieden keine Wertung abgeben (doch, tun sie: Was so ist wie sie ist besser als anderes), 3. Kinder aus vorurteilsfreien Elternhäusern würden immer vorurteilsfrei (nein, weil eine verdeckte Erziehung aus dem Umfeld — auch aus der Werbung — ebenfalls stattfindet. Übrigens hat sie unter anderem das Buch Gib mir mal die Hautfarbe* geschrieben.
- Wenig gesprochen und viel gesungen hat die wunderbare Celina Bostic, die mit ihrem Lied nie wieder leise genau das ausdrückte, was den Abend ausmachte: Es wurde lange genug geschwiegen. Jetzt nicht mehr.
- Nicht dabei sein konnte gestern Johanna Fröhlich Zapata, die ihr vielleicht von ihrem Blog Alltagsfeminismus oder ihrem Buch, das du gelesen haben solltest, bevor du Mutter wirst*, kennt.
The Winner is: Zickengold
Die Direktorin Bundesstiftung Gleichstellung, Lisi Maier, hielt schließlich die Laudatio auf das Gewinnerprodukt des Goldenen Zaunpfahls 2023: Zickengold.
Zickengold ist ein Likör. Ich verlinke ihn bewusst nicht, die sollen nicht noch mehr Klicks bekommen.
Geworben wird für den Alkohol in drei angeblich weiblich-fruchtigen Geschmacksrichtungen in Flaschen, die aussehen, als räkle sich von innen eine leichtbekleidete Dame daran.
Zwar steht auf der Homepage: „Nicht nur für weibliche Zicken“ — da aber ansonsten nach wie vor alle weiblichen Klischees bedient werden, ist mit der männlichen Zicke wohl doch nur der schwule beste Freund gemeint!? Hallo, ich glaube, es hackt, und zwar sowohl auf den Stereotyp „Junge Frau, die sich gern beschwipst aber dabei immer noch sexy ist“ als auch auf den Stereotyp des schwulen besten Freundes!
Besonders getroffen hat mich ein Satz aus Lisi Maiers Laudatio:
und so lautet es: „mit viel “Fun“ werden die “Angesprochenen“ diese Produktidee aufnehmen – breitflächige Umfragen haben es gezeigt – die Idee kommt an und die “Männerwelt“ wird es mit einem Lächeln “gerne“ verschenken.“
Was soll dieser Hinweis konkret bedeuten? Dass Männer, die Zickengold verschenken, Frauen mit Alkohol gefügig machen können?
Lisi Maier in ihrer Laudatio für Zickengold bei der Verleihung des Goldenen Zaunpfahls 2023
Denn hier wird nicht nur gesagt: Dieser Alkohol ist für Frauen.
Hier wird gesagt: Männer, schenkt euren Frauen Alkohol, das macht das Leben mit ihnen leichter. Füllt sie ab, dann lässt sich besser mit ihnen umgehen. Und vielleicht steigt sie ja dann auch leichter mit dir ins Bett, oder?
Letztens erst las ich Laura Bates‘ Buch Fix the system, not the women* — und sie führt aus, dass genau solche Stereotype dann dazu führen, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen normalisiert wird.
Das muss aufhören. Diese Art von Werbung, adressiert an junge, cool-sein-wollende Frauen, muss aufhören. Denn, um es nochmal mit Lisi Maier zu sagen:
Lisi Maier in ihrer Laudatio für Zickengold bei der Verleihung des Goldenen Zaunpfahls 2023
- Aber Frauen brauchen keinen Alkohol, um „Fun“ zu haben.
- Frauen müssen überhaupt keinen „Fun“ haben, wenn sie das nicht wollen und ihnen gerade mal nicht nach Fun zumute ist
- und Frauen müssen sich dann erst recht nicht mit Alkohol „locker machen“.
Ich würde mir wünschen, dass die Kornbrennerei Boente einsieht: Diese Vermarktung von Alkohol macht nichts besser und vieles schlimmer. Vielleicht nimmt sie das Coaching, das sie mit dem Goldenen Zaunpfahl gewonnen hat, an. Zu wünschen wäre es ihr!
Auch in diesem Jahr gibt es einen Geburtsgeschichten-Adventskalender und ein paar Adventsverlosungen. Sei dabei!
Gendermarketing geht weiter – doch Hoffnung besteht
Gendermarketing geht weiter. Die Zuschreibung geschlechtsspezifischer Eigenschaften und Vorlieben beginnt schon, bevor das Baby überhaupt geboren ist.
Das ist mies, und zwar für alle Beteiligten! Leider ist es ein Kreislauf, wie Sascha Verlan gestern ausführte: Gibt es einmal getrennte Produkte, ist der Wunsch nach Zugehörigkeit so groß, dass die Geschlechter nur noch die Unterschiede sehen, und daraus entstehen wiederum noch enger zugeschnittene Produkte.
Es wird also nicht funktionieren, Gendermarketing von Heute auf Morgen abzuschaffen. Und deshalb könnt ihr auch jetzt schon wieder Vorschläge für das Gruselkabinett 2024 einreichen.
Zum Glück gibt es aber auch Gegenbeispiele — wenn bisher auch wenige. Ich hoffe sehr, dass es mehr werden. Und das hoffen auch alle im Team des Goldenen Zaunpfahls. Um solche Firmen auszuzeichnen, haben sie das Freispiel-Abzeichen ins Leben gerufen.
Das wird auf der Seite wie folgt beschrieben:
Mit dem freispiel-Abzeichen wollen wir einladen und unterstützen, sich offensiv und explizit für mehr Wahlfreiheit einzusetzen, gegen die klischeehafte Einteilung der Zielgruppen insbesondere in Frauen / Mädchen und Jungen / Männer, aber auch in andere diskriminierende Kategorien. Dabei geht es nicht um einzelne Produkte, einen bunten Ball, ein OneSize-Shirt oder eine Spielküche ohne Gendermarkierung, sondern um eine grundsätzliche unternehmerische Haltung, die in der gesamten Produktpalette, in Werbung, Marketing und der sonstigen Unternehmenskommunikation zum Ausdruck kommt. Wir suchen also Firmen mit grundsätzlichem Bekenntnis, vorurteilsbewusst und geschlechterreflektiert zu handeln, nach innen und nach außen. Es geht nicht um Perfektion, sondern um die Bereitschaft zur Veränderung und das eigene Handeln, die eigenen Strukturen auf den Prüfstand zu stellen.
https://goldener-zaunpfahl.de/freispiel-abzeichen/#positivbeispiele
Wenn ihr eine Firma kennt, die da auf dem richtigen Weg ist, dann meldet euch doch bitte beim Zaunpfahl-Team.
Und natürlich gilt: Ich freue mich, wenn wir uns nächstes Jahr in Berlin zur Verleihung des Zaunpfahls und des Freispielabzeichens sehen!
Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen
Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!