Die heutige Buchrezension stammt nicht aus meiner Feder, sondern von der wunderbaren Marion Glück. Marion hat hier auf dem Blog bereits über ihr Sternenkind geschrieben und steuert nun diese Buchrezension bei.
Buchrezension: „Eine Handvoll Sonnenschein: Vom kurzen Leben meines Sternenkindes & der Ironie des Schicksals“ von Stefanie Goldbrich
Eine Handvoll Sonnenschein – das wäre schön.
Ich saß auf meiner Couch und klickte mich durch den WhatsApp-Status meiner Kontakte.
Am Beitrag einer Sternenkind-Fotografin blieb ich neugierig hängen.
Ich stolperte über die Einladung zu einer Buchlesung und wusste beim Titel des Buches: Das muss ich lesen!
„Eine Handvoll Sonnenschein: Vom kurzen Leben meines Sternenkindes & der Ironie des Schicksals“ von Stefanie Goldbrich
Es ist für viele Menschen nicht leicht zu ertragen, wenn man das Kind beim Namen nennt.
Sternenkind – auch Engelskind oder Schmetterlingskind – sind beschönigende Bezeichnungen für ein Baby, das tot zur Welt kommt oder kurz nach der Geburt verstirbt – so wie bei der Autorin im Buch.
Du bist noch unsicher, ab wann du das Kind „Sternenkind“ nennen darfst oder in welcher Woche die Geburt stattfinden muss?
Ich denke hier gilt: Sobald die Eizelle befruchtet ist, wächst ein Mensch mit Seele. Sobald das Baby stirbt, erleiden die Eltern einen Verlust. Für den Trauerprozess ist es wichtig, dass das Kind als Kind zählt – unabhängig von Schwangerschaftswoche und Gewicht.
Worum geht’s in dem Buch? Eine Zusammenfassung des Buches in meinen Worten
Die Autorin nimmt die Lesenden sachlich und emotional mit auf die Reise – ihre Reise mit ihrem Sternenkind.
Die erste schwere Geburt: Vom Kinderwunsch in die Kinderwunschklinik mit erfolgreicher Befruchtung.
Die zweite schwere Geburt: Von der Schwangerschaft in den OP, um ihr Baby auf die Welt zu holen.
Die dritte schwere Geburt ist bereits dem Buchtitel zu entnehmen. Es geht um das kurze Leben von Dominik und wie die Autorin lernt, mit ihrem Verlust zu leben.
Ein Handlungsstrang. Kein ablenkendes Chichi drum rum.
Kurz: Eine sehr angenehme Biografiearbeit zu einem hässlichen Erlebnis.
Wer spielt in dem Buch eine Rolle
In dem Buch spielt niemand eine Rolle.
Es ist das echte Leben, mit echten Gefühlen und Situationen, wie sie wahrscheinlich viele Sterneneltern erleben.
Stefanie Goldbrich erzählt aus ihrer Perspektive – wie sie lebt, denkt und fühlt.
Sie stellt sich selbst jede Menge Fragen.
Fragen, die kaum zu beantworten sind und wenn es Antworten gibt, dann findet sie der Lesende für sich.
Sie gibt Impulse, stülpt jedoch keine Sichtweise über.
Dazu gesellen sich Menschen, die in ihrem Leben eine Rolle spielen.
Auch diese sind echt – ihr Mann, ihre (Sternen-)Kinder, die Familie, Freunde, Kolleg:innen und Ärzt:innen.
Schreibstil, Sprache, Stimmung
Ich hatte damit gerechnet, dass der Stoff keine leichte Kost ist.
War er auch nicht.
Gleichzeitig ist die Stimmung nicht dauerhaft gedrückt oder für mich belastend gewesen.
Die Sprache ist leicht zugänglich und abwechslungsreich.
Medizinische Fachbegriffe werden dabei (selbst-)verständlich erklärt.
Außerdem taucht die Autorin tief in ihre Gefühlswelt ein und beschreibt diese so, dass ich mitfühlen konnte.
Eine sehr gelungene Mischung aus Ratio und Emotion und nie langweilig.
Neben den Gefühlen werden dem Lesenden auch kritische Themen auf den Tisch serviert, über die es sich lohnt nachzudenken – beispielsweise Kommunikation, Mutterschutz und Therapie.
Die Kapitel fließen mit Leichtigkeit. Ich wollte immer wissen, wie es weitergeht.
Ganz ehrlich: Obwohl schon anhand des Buchtitels klar ist, wie die Geschichte des Babys ausgeht, erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich mitfieberte und hoffte, dass Dominik es schaffen würde.
Beim Lesen war ich sehr zuversichtlich – doch wenn ich das Buch zur Seite legte, wurde mir schnell wieder bewusst, was passieren würde.
Das Buch ist so geschrieben, dass ich das Gefühl hatte, als Schatten im Leben der Autorin mitzulaufen.
Ich fand viele Stellen sehr interessant beleuchtet.
Die Autorin überlegt immer wieder wohlwollend, was die Gegenseite bezweckt, und gibt ihre eigene Perspektive preis.
Keine Scham, keine Schuld, dafür ganz viel Ehrlichkeit.
Hier bekommst du einen Einblick.
Diese Stelle fand ich sehr bezeichnend.
Die Autorin beschreibt, wie andere Menschen auf ihre Situation reagieren und was es bei ihr auslöst:
Aus dem Buch „Eine Handvoll Sonnenschein“
(bitte zum Lesen aufklappen)
„(…) Sie tut das, was die meisten Menschen in solchen Situationen tun: ihre Anteilnahme ausdrücken.
Das wurde uns Menschen in die Wiege gelegt. Dem einen mehr, dem anderen weniger. Ich gehöre zur zweiten Gruppe. Diese Hundewelpenblicke, „Oh Neins“ und dauernden Umarmungen. Das ist nichts für mich.
Wenn ich mich dazu äußerte, hieß es stets: „Du bist aber streng mit dir“ oder „Warum bist du so kühl?“. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich komme von einem anderen Stern. Dabei will ich in diesen Momenten nur meine Ruhe.
Inzwischen bin ich so weit, dass ich diese Art von Mitleid dulde. Ich weise niemanden mehr zurück, sondern lasse mich umarmen und ertrage die traurigen Blicke. Als angenehm oder hilfreich empfinde ich es weiterhin nicht.“
Stefanie Goldbrich – Eine Handvoll Sonnenschein: Vom kurzen Leben meines Sternenkindes & der Ironie des Schicksals
Ich glaube, dass genau diese Wesensart der Autorin dazu beigetragen hat, das Buch zu schreiben.
Sie spricht für so viele Menschen – inklusive mir.
Durch den Blick in ihre Innenwelt zeigt sie, dass Menschen im Außen vielleicht distanziert und kühl wirken und trotzdem gleichzeitig bis in die Tiefe jede Emotion fühlen.
Auch sie werden durch das Leben von den Beinen gerissen, nur kannst du es ihnen von Außen nicht ansehen.
Ich konnte mich in dieser und anderen Beschreibungen rational und emotional sehr gut wiederfinden.
In meinem Fall dachte ich oft: So wie du mich gerade anguckst, will ich mich nicht fühlen müssen – schon gar nicht, wenn ich einen guten Tag in dieser S.C.Heißzeit habe!
Gesagt habe ich es jedoch nie.
Sternenbewertung fürs Sternenkindbuch
Ich vergebe alle möglichen Sterne, die ich vergeben kann und noch einen Sonderstern als Sternenmama dazu!
Warum?
Weil es für dieses Buch viel Mut braucht!
Den Mut der Autorin, für die schriftliche Aufarbeitung mit Selbstreflektion.
Den Mut der Lesenden, die sich der gesamten Palette der eigenen Emotionen stellen dürfen.
Stefanie Goldbrich ist eine hervorragende Buchtherapie gelungen.
Durch die Selbstheilung in Form ihres Buches bietet sie ganz vielen Sterneneltern die Möglichkeit, es ihr gleichzutun.
Gleichzeitig kann das Umfeld von Betroffenen einen Einblick bekommen und sich dadurch sicherer oder anders verhalten.
Besonders gefallen hat mir die intensive Beschreibung des Trauerprozesses und die Hinweise für Betroffene und ihr Umfeld am Ende des Buches.
Für mich persönlich war auch der erkennbare Wachstumsprozess der Autorin interessant.
Es wird sichtbar, dass Herausforderungen Wachstumschancen sind, auch wenn wir auf die Erfahrung liebend gerne verzichten würden.
Abgesehen davon: Wer schreibt, der bleibt. Sie hat sich, ihrem Sternenkind und allen Lesenden ein wunderbares Geschenk gemacht.
Habe ich geweint?
Ich habe das Buch als Trainingsmittel genutzt, um meine eigene Standfestigkeit in meinem Prozess zu überprüfen.
Mehr dazu findest du in meinem Blogartikel zu Schwere Entscheidungen leicht treffen.
Fazit:
Ich bin stabil.
Ihre Emotionen sind nicht meine Emotionen.
Ich bin glücklich und ich konnte mit ihr mitfühlen – ohne Tränen.
Geweint habe ich trotzdem – so wie es im Klappentext angekündigt ist.
Ganz am Ende. Beim Happy End.
Freudentränen, weil das Leben auch schön ist und mich an Wunder glauben lässt.
Wer profitiert von diesem Buch?
- Sterneneltern, deren Herz noch heilen darf.
- Freunde und Bekannte von Sterneneltern, die ein Gefühl dafür bekommen wollen, wie es im Gefühlsleben der Betroffenen aussieht und die unsicher sind, wie sie helfen können oder sich verhalten sollen.
- Pflichtlektüre für Menschen, die Sätze sagen wie „Irgendwann muss es doch dann auch mal gut sein mit der Trauer“, „Sie sind ja noch jung und können noch ein Baby bekommen“ oder „Ihr Abgang war doch in der 9 Woche. Da ist es ja noch kein Kind“.
Das sind Sternenkindsprüche, die niemand braucht – am wenigsten die Betroffenen!
Im schlimmsten Fall üben diese Menschen den Beruf eines Arztes oder einer Ärztin aus. Es besteht die Chance, die eigene Kommunikation zu überdenken, zu verändern und den mentalen Schaden zu minimieren.
Softskilltraining und Wachstumschance, die sich Mediziner*innen nicht entgehen lassen sollten! - Menschen, die die Gesetze für den Mutterschutz erarbeiten. Sie entscheiden möglicherweise anders, wenn sie nachfühlen können, wie es der Mutter nach dem Verlust ihres Babys geht. Es spielt dabei übrigens keine Rolle, ob das Baby mehr als 500g wiegt oder weniger oder in welcher Woche es unter welchen Umständen auf die Welt kommt! Kind ist Kind und tot ist tot. [Anmerkung von Katharina: Zur aktuellen Debatte um die Mutterschutzregeln bei Fehlgeburten kannst du hier mehr lesen: Gestaffelter Mutterschutz nach Fehlgeburten]
- Menschen, die glauben, dass bei anderen immer alles chic ist, die neugierig sind, wie es im Leben von anderen Menschen aussieht oder die gerne von anderen lernen.
Wer sollte das Buch nicht lesen ?
Eventuell ist das Buch nicht für Frauen geeignet, die schwanger werden wollen oder glücklich schwanger sind.
Warum?
Die Antwort steht im Buch – eine Erkenntnis der Autorin:
„Ich dachte immer, schwanger zu werden ist schon schwierig genug für uns. Doch was alles passieren kann, wenn man endlich schwanger ist, das erzählt einem keiner.
Eigentlich ist das auch gut so. Sonst würden es viele Paare gar nicht erst versuchen. Allein aus Angst, dass etwas Derartiges geschehen könnte.“
Stefanie Goldbrich – Eine Handvoll Sonnenschein: Vom kurzen Leben meines Sternenkindes & der Ironie des Schicksals
Eltern sollten das Buch hingegen unbedingt lesen, wenn ihre „Satansbraten ihnen mal wieder Hörner andrehen“.
Sie werden wahrscheinlich dankbar und demütig.
Welche Fragen konnte mir das Buch nicht beantworten?
Hat die Autorin mit einem Sternenkindfotografen gearbeitet oder nicht?
Kennst sie die Stiftung Dein Sternenkind?
Gab es im Krankenhaus eine Box von Stille Wunder e.V.?
Gab es diesbezüglich eine Beratung im Krankenhaus?
Das Thema geht mich nichts an
Vielleicht sagst du jetzt: „Ja, aber das Thema geht mich ja nichts an. Weshalb sollte ich das Buch lesen?“
Ich sag dir: Deine Emotionen gehen dich sehr wohl etwas an.
Auch du erlebst Verluste und solltest wissen, was in dir passiert.
In diesem Buch hast du ein sehr ausführliches Beispiel und viele Ideen, wie du mit deinem Verlust umgehen kannst.
Darüber hinaus erhältst du die großartige Chance, mit dir selbst in Kontakt zu kommen – und du wirst daran erinnert, wie wertvoll dein Leben ist.
Vielleicht willst du nach der Lektüre sogar anders leben – dankbarer und bewusster!
Über die Autorin des Buches
Stefanie Goldbrich ist Mutter von 6 Sternenkindern und 2 Regenbogenkindern und Ehefrau des weltweit besten Sternenkind-Papas. Sie lebt in Südhessen.
Auf ihrer Webseite Sternenkind-Mama.de gibt es viele wertvolle Tipps und einen Blog für Sterneneltern.
über die autorin des gastbeitrags
Marion Glück
Mein Name ist Marion Glück. Ich bin 4-fache Sternenmama, Marineoffizier und Mentorin für (Selbst-)Führung und Selbstbewusstsein. Meine erste Trauer nach dem Pränatalen Befund habe ich in meiner Form der Buchtherapie mit dem Buch Schwere Entscheidungen leicht treffen* bearbeitet. Das zweite Buch zur stillen Geburt und der Verarbeitung des Verlustes erscheint im dritten Quartal 2024.
Aktuell bin ich mit unserem Regenbogenbaby schwanger. Als Sternenmama bedeutet das für mich, dass es immer einen Funken Hoffnung gibt.
Mehr über mich erfährst du auch in diesem Interview: https://www.zdf.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/abtreibung-schwangerschaftsabbruch-schwangerschaft-100.html
Liebe Katharina, vielen Dank, dass du meine Buchrezension als Gastartikel auf deinem Blog veröffentlicht hast. Du trägst dazu bei, dass ein Tabuthema enttabuisiert wird. DANKE! Alles Liebe, Marion