Unter Schmerzen sollst du gebären — wirklich?

Mittelalter, irgendwo nördlich der Alpen. Eine Frau hat starke Wehen. Ein Kind ist in der Hütte, dazu eine weise Frau — nennen wir sie Hebamme statt Hexe — und der Familienvater, der zum Christentum konvertiert ist. Die Hebamme will der Gebärenden ein Mittel zur Schmerzlinderung geben. Der Vater verbietet es, denn in der Bibel steht, dass Frauen unter Schmerzen gebären sollen. Erst, als die Hebamme ihm klar macht, dass sein ungeborener Sohn vermutlich sterben würde, stimmt er dem Kräutertrunk zu. Das Baby kommt gesund zur Welt — es ist allerdings zur Enttäuschung seines Vaters ein Mädchen.

So beginnt der Film Die Päpstin mit Johanna Wokalek in der Hauptrolle. Natürlich ist es „nur“ ein Film, und wir wissen nicht, ob sich solche Szenen wirklich abgespielt haben. Doch möglich wäre es. Denn die entsprechende Bibelstelle ist eine der berühmtesten überhaupt.

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Unter Schmerzen sollst du gebären

„Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.“

1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 16 in der Luther-Bibel von 1912. Abgerufen von Bibeltext.com
Foto: James Chan

Selbst, wenn du nicht gläubig bist, kennst du vermutlich dieses Bibelzitat, oder? Es stammt aus dem ersten Teil des Alten Testaments, also aus dem Teil, den die jüdischen, christlichen und muslimischen Gläubigen alle gleichermaßen für sich als wahr anerkennen.

Der Text ist mehrere tausend Jahre alt. Mündlich erzählt wurden die Geschichten schon länger; aufgeschrieben vermutlich erstmals vor etwa zweieinhalbtausend Jahren. Das Alte Testament ist ursprünglich (zum Großteil) auf Hebräisch geschrieben. Später wurde es übersetzt.

Wenn es dir so geht, wie mir, kannst du kein hebräisch. (Meines beschränkt sich auf ein paar Flüche. Danke auch, Nitzan!) Also kannst du die Übersetzung und das Original nicht vergleichen.

Vermutlich verstehst du aber Englisch. Und, Überraschung, im Englischen liegt der Fokus der selben Bibelstelle etwas anders.

Alternativen zu Schmerzen bei der Geburt

Unto the woman he said, I will greatly multiply thy sorrow and thy conception; in sorrow thou shalt bring forth children; and thy desire shall be to thy husband, and he shall rule over thee.

1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 16 in der English revised version. Abgerufen von Bibeltext.com

Sorrow kann auch Schmerz bedeuten, es kann aber auch mit Leid, Trauer oder Sorge übersetzt werden.

Quelle: LEO: https://dict.leo.org/german-english/sorrow

Eine andere englischsprachige Quelle übersetzt die Stelle folgendermaßen:

And to the woman [God] said, “I will greatly expand Your hard labor—and your pregnancies;
In hardship shall you bear children. Yet your urge shall be for your husband, And he shall rule over you.”

1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 16. Abgerufen von Sefaria.org

Hardship wird mit Mühsal, Elend oder Härte übersetzt, nicht aber direkt mit Schmerzen.

Hebräisch: Be-Tza’ar

Das Wort, um das es geht, sieht auf Hebräisch so aus:

(du musst es von rechts nach links lesen…)

und wird in etwa Be-Tza’ar gesprochen.

Wenn du es bei verschiedenen online-Übersetzungsdiensten eingibst, bekommst du verschiedene Ergebnisse: Trauer, Kummer, Unglück, Schmerz.

Offensichtlich gibt es also eine Bandbreite an möglichen Übersetzungen, die jeweils einen anderen Schwerpunkt legen.

Und dann habe ich letztens gehört: „Ach, eigentlich ist das ein Übersetzungsfehler mit dem Schmerz. Eigentlich sollte da Arbeit stehen.“

Arbeit also statt Schmerz? Meine Hebamme würde vermutlich zustimmen. „Geburt ist anstrengend. Es heißt nicht umsonst Geburtsarbeit“, sagte sie häufig.

Leider erinnere ich mich nicht mehr daran, aus welchem Podcast ich den Gedanken mit der Arbeit aufgeschnappt habe.

Mögliche Übersetzungen

Aber lasst uns darüber doch nochmal kurz nachdenken. Welche Übersetzung ist sinnvoll?

  • Schmerzen: Schmerzen sind ein sinnvolles Instrument, um zu merken, dass mit unserem Körper irgendwas los ist. Sie zeigen uns: Da stimmt was nicht, das muss ich ändern. Ich habe mich erst gestern an einer Scherbe geschnitten. Die Wunde war so fein, dass sie kaum zu erkennen war. Aber, Töchter der Sonne, ich sage euch: Das hat so richtig gezwirbelt. Erst dadurch wurde ich überhaupt auf den Schnitt aufmerksam und konnte die Wunde mit Wasser reinigen.
  • Leid: Ich persönlich verbinde mit Schmerzen eher etwas Körperliches und mit Leid etwas Geistiges oder Seelisches. Warum aber sollte ich mental leiden, während ich mein Kind zur Welt bringe? Vielleicht geht es hierbei eher um die Frage, ob das Kind nach der Geburt überleben wird?
  • Bedauern: Hierbei muss ich zuerst an die Geschichte denken, die Anna Elisabeth hier im Blog erzählt hat: In Indien hat sie erlebt, dass Frauen eine Schwangerschaft mit einem weiblichen Fötus bedauerten. Direkt auf die Geburt bezogen fällt mir allerdings keine Situation ein, in der Bedauern eine besonders sinnvolle Übersetzung wäre — außer, die Frau wollte überhaupt kein Kind.
  • Kummer: Hierbei denke ich sofort an totgeborene Kinder. Allerdings kann ich nicht verstehen, warum man darauf die Erwartungshaltung ausrichten sollte.
  • Reue: Das finde ich spannend. Heutzutage könnte man hier #Regretting Motherhood als Stichwort nennen. Ob das damals bereits eine so große Rolle spielte, kann ich nicht einschätzen.
  • Sorge: Sorge wiederum kann ich gut nachvollziehen. Eine gesunde Mutter (ohne psychische Einschränkungen) sorgt sich zu einem gewissen Maß um ihr Kind. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Sorge auch bereits während der Schwangerschaft eine Rolle spielte. Für die Geburt allerdings finde ich diese Übersetzung eher unpassend.
  • Arbeit: Meine (zugegebenermaßen statistisch nicht ausreichende) persönliche Fallstudie sagt durchaus, dass Geburt Arbeit ist — und zwar ganz unabhängig von der Dauer der Geburt! Klar gibt es auch immer wieder Frauen, die mühelos und ohne Anstrengung gebären. Umso besser! Statistisch sind sie wohl die Ausnahme.

Der Papst muss erst Schmerzmittel erlauben

Auch, wenn wir uns das heutzutage kaum mehr vorstellen können: Weil in der Bibel steht, dass Frauen unter Schmerzen gebären sollten, war es für manche Gläubige nicht nur im Mittelalter ein Sakrileg, Frauen Schmerzmittel zu geben. Auch später beschäftigte sowohl die Gebärenden als auch das Fachpersonal und den Klerus die Frage, ob Schmerzmittel unter der Geburt denn nun aus religiöser Sicht akzeptabel seien.

Der Papst muss erst Schmerzmittel erlauben – Foto: StockSnap

1956 nahm der katholische Papst Pius XII dazu Stellung:

Wenn die neue Technik die Schmerzen der Niederkunft erspart oder lindert, kann die christliche Geburtshilfe das ohne jedes Gewissensbedenken annehmen.

Papst Pius XII am 8. Januar 1956 in einer Rede vor Ärzten (vielleicht auch Ärztinnen?), zitiert nach Kathpedia: Grundfragen der Ärztlichen Ethik: Über die schmerzfreie Geburt

Immerhin. Reichlich spät, wenn ihr mich fragt, aber besser als nichts. Vermutlich hatten die Päpste vorher zu viel mit anderen Themen wie Verstecken (als das Christentum im Römischen Reich verboten war), Kriegsführung (im Mittelalter und danach) und der Aufarbeitung von anderen Problemen (immer) zu tun.

Mutterschaft oder Geburt?

Ich hatte diesen Beitrag eigentlich schon fertig geschrieben, da fiel mir auf, dass die oben zitierte Seite sefaria.org auch eine deutsche Übersetzung anbietet:

Zum Weibe sprach er: Groß sollen sein die Schmerzen deiner Mutterschaft, in Schmerzen sollst du Kinder gebären, nach deinem Manne sei dein Verlangen, und er wird über dich herrschen!

1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 16. Abgerufen von Sefaria.org

Als erstes fiel mir auf, dass auch hier hardship wieder Schmerz übersetzt wurde. Und dann wurde ich stutzig: Ja, es geht um Geburtsschmerzen, aber auch um den Schmerz der Mutterschaft! Das wirft nochmal ein ganz anderes Licht auf die Textstelle.

Geht es also vielleicht gar nicht unbedingt nur um die Geburt an sich, sondern um das Leid, dass wir als Mütter erfahren, wenn wir Kinder großziehen? Wir sehen, wie sie fallen, wie sie Schmerzen haben, wie ihnen Steine in den Weg gelegt werden, wie sie leiden. Und dabei empfinden wir Schmerz — wenn nicht körperlich, dann doch seelisch.

Foto: Kat J

Diese Übersetzung finde ich persönlich zumindest verständlicher als Geburtsschmerzen. Aber natürlich blendet sie die Liebe und Erfüllung aus, die wir erleben, wenn wir unsere Kinder aufwachsen sehen. (Und das schließt natürlich nicht aus, dass wir uns darüber ärgern können, wie „Mutterschaft“ in unserer Gesellschaft konnotiert ist.) Und natürlich unterschlägt sie, wie Väter sich in ihrer Vaterschaft fühlen.

Vorsatz oder Fahrlässigkeit?

Im deutschsprachigen Sprachraum ist die Übersetzung mit „Schmerz“ der Standard. Doch was haben Menschen davon, Gebärenden zu sagen, dass sie unter Schmerzen ihre Kinder zur Welt bringen müssen? Haben sie damit ein Märchen geschaffen, das uns klein hält? Oder haben sie einfach nur aufgeschrieben, wie es schon immer war?

Wie viel Schmerz bei der Geburt ist normal, wie viel ist physiologisch sinnvoll? Und was bedeutet das für den Einsatz von Schmerzmitteln?

Die Menschen, die das Alte Testament aufgeschrieben haben, waren vermutlich männlich. Die Menschen, die es in den vergangenen Jahrhunderten übersetzt haben, waren zum Großteil männlich. Das mag ein Zufall sein, es mag aber auch ein kleines Mosaikstück sein im Aufbau einer patriarchalen Gesellschaft.

Welche Übersetzung wählst du?

Es mag anmaßend klingen, wenn ich dir vorschlage, dir für diese Bibelstelle doch einfach eine eigene Übersetzung zu überlegen. Immerhin waren viele gebildete Menschen für die bisherigen Übersetzungen verantwortlich. Ja, das waren sie durchaus. Ohne ihnen zu nahe treten zu wollen, haben manche von ihnen allerdings auch ganz schön viel Stuss erzählt; gerade in Bezug auf Frauen.

Martin Luther zum Beispiel hat nicht nur Teile der Bibel übersetzt (allerdings das Neue Testament, also nicht den Satz oben), sondern sich auch über Frauen und Geburten geäußert:

Portrait Martin Luther
Portrait Martin Luther – Bild: Gordon Johnson

Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.«

Martin Luther, Werke, Weimarer Ausgabe Bd. 10/2, Weimar 1907, S.296

Na, vielen Dank auch. Wertschätzung sieht anders aus. Wenn Menschen mit solchen Ansichten die Bibel übersetzen, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass ihre persönlichen Ideen sich darin widerspiegeln.

Also: Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir uns den zweieinhalbtausend Jahre alten Bibelvers genauso zu Eigen machen, wie das die verschiedensten Menschen ohne Gebärfähigkeit in den vergangenen Jahrtausenden vorgemacht haben.

Wir werden die Bibel nicht aus den Köpfen der Menschen bringen. Das ist vermutlich auch gar nicht sinnvoll. Wir können aber einfach mal in den Raum werfen, dass es nicht der erste Übersetzungsfehler wäre, der für Verwirrung sorgt.

Sprache verändert sich; Sprache lebt. Vielleicht wäre eine neue Übersetzung angebracht. Denn nicht immer ist etwas sinnvoll, nur, weil es schon immer so gemacht wurde.

Und insofern sehe ich es so wie die Päpstin Johanna im Film:

Ihr meint, wir sollten diese Idee verwerfen, nur, weil sie neu ist?

Päpstin Johanna im Film von Sönke Wortmann; zitiert nach Filmzitate.de

Bitte nicht.

5 Gedanken zu „Unter Schmerzen sollst du gebären — wirklich?“

  1. Empfehle „Feministische Exegese: Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen“ von Luise Schottroff
    Und bin gerne dabei bei dem, was du am Ende zur Bibel schreibst 🙂

    Antworten
  2. Du wirst unter Schmerzen gebähren war die Konsequenz der Sünde von Adam und Eva. Ein Teil des Fluches der seit dem auf der Erde lag.
    Es gibt jedoch gute Nachrichten..
    Jesus hat jede Sünde, jede Krankheit, Leid, Angst, Verderben, Schuld, Scham und jeden Schmerz am Kreuz getragen. Er hat alle Schuld bezahlt, damit wir nicht mehr leiden müssen ?? Jeder Fluch ist aufgehoben in Jesu Namen und bei seinem Blut, seinen Wunden, seiner Qual!! Seine Hingabe für uns hat uns frei gemacht!! Danke Herr Jesus!!

    Antworten
  3. Als Theologin mit Schwerpunkt auf Feministischer Theologie sowie als Krankenhausseelsorgerin auf (u.a.) mehreren Gebärstationen möchte ich ganz knapp nur folgendes dazu sagen:

    Das Hebräische ist eine Sprache, die völlig anders funktioniert als das Deutsche. Und tatsächlich gibt es einen Übersetzungs-/Übertragungs-/Verständnisfehler bei dieser Stelle: Wie auch in anderen äußerst wichtigen Stellen (z.B. in den 10 Geboten) kann „du sollst“ auch als „du wirst“ übersetzt werden: Z.B. bei den 10 Geboten ist das gut erkenntlich: Da wird meist der erste Satz übersehen: Sinngemäß heißt es da: Ich, dein Gott, habe dich in die Freiheit geführt. Daher WIRST DU (wenn du dich deiner Freiheit – und quasi auf der „anderen Seite der Medaille“ deiner Verantwortung – bewusst bist) nicht töten/lügen/stehlen/usw.
    Ähnlich bei dieser Stelle: Es geht hier nicht um eine Beschreibung, wie es sein SOLL (Männer: harte Arbeit; Frauen: Geburt unter Schmerzen), sondern wie es IST (bzw. zum Zeitpunkt, als dieser Text geschrieben wurde, war). Also ist die Aussageabsicht nicht: „Gott will, dass Frauen Schmerzen haben, wenn sie gebären“, sondern: DASS die meisten der gebärenden Frauen die Geburt schmerzhaft erleben und viele Männer/Menschen unter harter Arbeit leiden und eben vieles anstrengend, unschön, unerlöst ist auf dieser Welt, wurde gedeutet als „Beweis“/Hinweis, dass wir eben nicht im Paradies leben.

    Falls dich solche Aspekte näher interessieren, kann ich empfehlen, bei Irmtraud Fischer unter dem Stichwort „Genderfaire Exegese“ weiterzulesen…

    Viele Grüße!
    Maria

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    • Liebe Maria,
      ich danke dir für deinen Kommentar! Deine Erklärung ist in der Tat sehr spannend! Genderfaire Exegese trifft es wohl ganz gut, denn genau das ist ja der Punkt, um den es geht: Wenn das Hebräische auch die Übersetzung als „Ist-Zustand“ zulässt, ist die spannende Frage, warum gerade die „soll-Übersetzung“ so großen Anklang gefunden hat…
      Ich danke dir für den Denkanstoß!
      Herzliche Grüße,
      Katharina

      Antworten

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