Eleni habe ich über verschlungene Wege kennengelernt, und mit ihr auch das Projekt Fehlgeburt begleitet. Eleni und ihre Mitstreiterinnen haben es gegründet, um Betroffenen niederschwellig zur Seite zu stehen. Denn auch wenn eine Fehlgeburt häufig vorkommt und viele Menschen betrifft, erfahren die wenigsten eine gute Begleitung im Prozess. Heute teile ich mit euch ein Interview, dass ich mit dem Team von Fehlgeburtbegleitet.de geführt habe.
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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.
Wie kam es dazu, dass ihr fehlgeburtbegleitet.de ins Leben gerufen habt?
Wenke: Wir vier haben alle mindestens ein Schwangerschaftsverlust erlebt. Dieses Ereignis hat uns dazu bewogen, eine Weiterbildung zur Fehlgeburtsbegleiterin zu machen. Da haben wir uns kennengelernt.
Nach einer Weile ist die Idee geboren, ein Netzwerk ins Leben zu rufen. Nach einigen Ups and Downs haben wir es dann 2023 Jahr geschafft, „Fehlgeburt.begleitet“ zu gründen und damit öffentlich aufzutreten.
Erzählt gerne ein bisschen mehr über die Weiterbildung zur Fehlgeburtsbegleiterin. Was genau lernt man da?
Joyce: Wir haben gelernt, uns mit unseren eigenen Gefühlen in Verbindung mit der Fehlgeburt auseinanderzusetzen. Wir haben gelernt, welche Gefühle wir mit unserer Fehlgeburt verbinden und was uns das an positiven Dingen gebracht hat. Mir wurde zum Beispiel bewusst, dass die Angst vor Kontrollverlust sehr präsent ist und die Fehlgeburt ein Kontrollverlust in besonders hohem Ausmaß ist. Deswegen habe ich auch so extrem darauf reagiert. Gleichzeitig macht die Angst vor Kontrollverlust mich als Mensch aus. Denn dadurch bin ich sehr zuverlässig und andere können sich auf mich zu 100% verlassen. Zudem hat es meine Beziehung gestärkt. Wir sind näher zusammengewachsen.
Dann haben wir noch gelernt, mit Trauer umzugehen und welche Trauerphasen es gibt, sodass wir unterscheiden können, ob jemand noch „gesund“ trauert oder womöglich eine psychische Erkrankung vorliegt. Wir haben etwas über die selbstbestimmte Fehlgeburt gelernt und welche Alternativen es zur Ausschabung gibt.
Auch in diesem Jahr gibt es einen Geburtsgeschichten-Adventskalender und ein paar Adventsverlosungen. Sei dabei!
Wie genau stelle ich es mir vor, von euch begleitet zu werden? Wie läuft das ab?
Joyce: Also einmal haben wir die offene Sternenkind Sprechstunde über Zoom. Dort haben Betroffene die Möglichkeit, andere Geschichten zu hören. Allein zu hören, dass es Anderen auch so geht, hilft, sich nicht so alleine zu fühlen. Denn das Gefühl, alleine damit zu sein, ist nach einer Fehlgeburt sehr präsent. Die Teilnehmenden haben auch die Möglichkeit, die eigene Geschichte zu teilen. Das ist aber kein Muss.
Wir geben in diesen Sprechstunden dann abhängig von der Geschichte Tipps. Das kann sein, dass wir den Teilnehmenden mitgeben, sich ihrer Umwelt mitzuteilen oder auch mit dem Partner über die eigenen Gefühle zu sprechen.
Wenn gewünscht, teilen wir auch unsere eigene Geschichte und was uns geholfen hat, diese schwere Zeit zu überstehen.
Es kann aber auch sein, dass einfach nur das offene Ohr gebraucht wird. Dann sind wir da…
Manchmal machen wir auch Themenvorschläge wie den Umgang mit Angst in der Folgeschwangerschaft oder wie gehe ich in Bezug auf den unerfüllten Kinderwunsch, die Fehlgeburt, mit meiner Umwelt um.
Dann gibt es auch die Möglichkeit, eine 1:1 Begleitung bei einer von uns zu buchen. Dort gehen wir dann intensiver auf die Person ein. Meistens sind es die Frauen, die so eine Beratung in Anspruch nehmen. Manchmal aber auch Männer oder beide kommen als Paar.
Auch hier ist die Begleitung abhängig von der Problematik, welche sich im Zusammenhang mit der Fehlgeburt ergeben hat. Oft ist es allerdings so, dass es darum geht, sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. Welche Gefühle verbinde ich mit meiner Fehlgeburt? Kenne ich dieses Gefühl von früher? Manchmal machen sich die Frauen auch Vorwürfe und stellen sich selbst in Frage. Also die Schuldfrage. Auch das gilt es in der Einzelberatung näher zu beleuchten.
Auch wenn es zu Beginn schwer ist darüber nachzudenken, wird im Laufe der Zusammenarbeit auch erarbeitet, was die Fehlgeburt positives gebracht hat. Das braucht dann aber wirklich einige Zeit Zusammenarbeit. Dennoch können wir Krisen viel besser überstehen, wenn wir einen Sinn dahinter sehen.
Bei uns vier ist es zum Beispiel so, dass wir durch die Fehlgeburt angefangen haben, einen neuen Weg einzuschlagen und zu unserer Selbstständigkeit und zu dem Netzwerk gefunden haben.
Ich habe zudem sehr intensiv an mir gearbeitet und habe sehr viel über mich gelernt, was mich heute zu einem zufriedeneren Menschen macht, der näher zu sich selbst gefunden hat.
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Was sind die häufigsten Themen, die aus Sicht der Betroffenen falsch laufen im Umgang mit Fehlgeburten?
Laura: Ich denke, einer der großen Herausforderungen ist, mit der Trauer der Angehörigen und Freunde umzugehen. In der betroffenen Situation hat man mit der eigenen Trauer genug zu kämpfen und wenn dann die Freunde und Familie ebenfalls weinend vor einem stehen, fehlt oft die Kraft, dies auch noch zu stemmen. Es fühlt sich oft belastend an und man möchte in der Situation weder bemitleidet noch ignoriert oder nicht ernst genommen werden. Ein schwieriger Grad, auch für die Mitmenschen nicht ganz einfach. In der Sprechstunde bieten wir den Frauen genau das. Ein offenes Ohr, Verständnis und dennoch leiden wir nicht mit, sondern sind professionell, sprechen unser Mitgefühl aus und halten den Raum für die Frauen.
Aus medizinischer Sicht finde ich es immer noch schade, dass so wenige Frauen eine Hebammenbetreuung erhalten. Oft wird diese Möglichkeit in der Klinik oder gynäkologischen Praxis nicht mal erwähnt. Findet eine Fehlgeburt im ersten Trimester statt, haben die meisten Frauen noch keinen Kontakt zur einer Hebamme. Und dass man auch bei einer Fehlgeburt die Hebamme kontaktieren kann, ja sogar Anspruch darauf hat, wird ihnen nicht gesagt. Dadurch fehlt eine Betreuung während der Geburt und vor allem im Wochenbett. Viele Frauen sind mit den Wehen und vor allem der körperlichen Veränderung nach einer Fehlgeburt völlig überfordert, da sie nicht vorbereitet wurden. Je nachdem in welcher Woche die Fehlgeburt stattfindet, kann es auch zum Beispiel zu einem Milcheinschuss kommen. Hebammen können da einfach eine gute Betreuung darstellen und Tipps sowie homöopathische Mittel empfehlen.
Ein weiteres Thema ist der Umgang mit den Betroffenen im Krankenhaus. Oft fehlt da die sensible Hand des Klinikpersonals in der schon ohnehin schwierigen Situation.
Beim Arbeitgeber gibt es unterschiedliche Schwierigkeiten. Die Frage ist, wie man es mit Arbeitgeber und Kollegen kommunizieren möchte, ob man eine Krankschreibung erhält und ob man das Gefühl hat, eine Begründung liefern zu müssen. Da die Betroffenen bei einem Geburtsgewicht unter 500 Gramm keinen Anspruch auf einen Mutterschutz haben, sind die Frauen in diesem Fall auf eine Krankschreibung des Frauenarztes angewiesen.
Was würdet ihr euch wünschen, wenn ihr mit einem Fingerschnippen eine Sache in der deutschen Geburtslandschaft ändern könntet?
Laura: Ich würde mir wünschen, dass Geburt wieder das wird was es ist: ein weiblicher Kraftakt voller Liebe und Urvertrauen.
Geburt ist ein natürlicher Prozess und wir Frauen können gebären, wenn wir auf unsere Instikte hören. Jedoch haben wir es total verlernt und bekommen es auch nicht beigebracht. Die Schulmedizin ist im Notfall ein echter Segen, jedoch bei der aktuellen „Entbindungsindustrie“ ein Fluch zugleich. Die Frauen brauchen bei einer Geburt eine gute Betreuung und keine Frau sollte sich alleine gelassen fühlen – und damit meine ich auch die seelische Betreuung.
Es fehlt Aufklärung in der Gesellschaft über die weibliche Kraft, das Thema Fehlgeburten und auch die Herausforderung, im Vertrauen zu bleiben bei einer Folgeschwangerschaft.
Neben all dem seelischen Leid bei einer kleinen oder stillen Geburt sollte wenigstens der Geburtsakt selbst als etwas Kraftvolles und Schönes empfunden werden. Stattdessen erleben die meisten Frauen die Geburt als was Schreckliches. So tröstet bei einer Lebendgeburt das Kind im Arm über die gemachte Erfahrung hinweg, bei einer Fehlgeburt jedoch kommt zu dem Trauer noch diese negative Erfahrung als Ballast oben drauf. Das muss und sollte nicht sein!
Zum Abschluss: was wollt ihr Sternenmamas und Sternenpapas mit auf den Weg geben, wenn diese unser Interview hier lesen?
Eleni: Aus unserer Erfahrung hilft das Gespräch mit Personen, denen das Gleiche widerfahren ist, denn wir sind sensibilisiert für das Thema und haben das nötige Feingefühl, um auf die Sternenmama oder den Sternenpapa einzugehen. Wir verstehen den Schmerz, die Sorgen und die Ohnmacht, die in der Erfahrung einer stillen oder kleinen Geburt liegt. Solltest du Menschen in deinem Umfeld haben, die empathisch auf dich eingehen, ist das wundervoll. Die überwiegende Erfahrung zeigt leider, dass „diese Menschen“ rar gesät sind und sich aufgrund der eigenen Überforderung abwenden oder schnell zum Tagesgeschehen wechseln wollen. Wenn das bei dir der Fall ist und du ein offenes Ohr brauchst, komm gerne in unsere offene Sprechstunde, die zweimal im Monat stattfindet. Wir sind gerne an deiner Seite, hören dir zu und begleiten dich so lange du magst. Zu unserer offen Sternensprechstunde gelangst du hier Fehlgeburt Begleitet — online-Sprechstunde
Ich danke euch für das Interview!
Fehlgeburt begleitet
Vier Frauen – ein Netzwerk. Denn jede Frau hat es verdient, bei einer Fehlgeburt angemessen begleitet zu werden.
Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!