Sprache entwickelt sich. Die Blogparade „Streitfall Sprache: Dynamischer Teil der Geschichte oder Objekt der Zensur?“ von Nicole Isermann nehme ich zum Anlass, über Winnetou den Bogen zur Geburtskultur zu spannen.
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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.
Die Entwicklung der Sprache ist ein faszinierendes Phänomen, das uns alle betrifft. Selbst vermeintlich ‚tote‘ Sprachen wie Latein können sich weiterentwickeln, wie ich während meines Lateinunterrichts in Finnland (CD= Discus Compactus) festgestellt habe. Es geht also nicht darum, ob wir diese Entwicklung aufhalten können, sondern vielmehr darum, wie wir mit Worten umgehen, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit verändert hat.
Der Ursprung von Ausdrücken
Oft sind wir uns nicht bewusst, woher bestimmte Ausdrücke stammen. Ich selbst habe früher Begriffe wie ‚0815‘, ‚Bombenwetter‘ oder ‚bei den Hottentotten‘ verwendet, ohne ihre Herkunft zu kennen. Mittlerweile weiß ich es besser und vermeide solche Phrasen. In meiner Kindheit las ich begeistert Karl Mays Winnetou-Bücher, in denen der Protagonist als ‚Indianer‘ bezeichnet wurde – ein Begriff, der heute zu Recht kritisch betrachtet wird.
Winnetou mit Anmerkungen
Ein interessantes Beispiel für den Umgang mit veralteten Begriffen fand ich in einer Nachkriegsausgabe von ‚Winnetou I‘. Dort gab es eine Fußnote, die eine Aussage Karl Mays über das Osmanische Reich in den historischen Kontext einordnete. Das Bedürfnis, alte Texte einzuordnen, ist also keinesfalls ein neues Phänomen.
Die Zielgruppe macht’s!
Bei der oft hitzigen Debatte über Sprache und Zensur ist es unerlässlich, die Zielgruppe und deren Vorwissen zu berücksichtigen. Das Verbot von „Mein Kampf“ für den privaten Kauf in Deutschland, während es im akademischen Rahmen studiert werden darf, illustriert diesen Punkt eindrucksvoll. Der Gedanke dahinter ist klar: Solche Texte sollten von Menschen gelesen werden, die sie kritisch einordnen können.
Das Dilemma der Kinderliteratur
Besonders bei Kinderbüchern ist die Einordnung durch die Lesenden problematisch. Wir können nicht blind darauf vertrauen, dass Erwachsene mit ihren Kindern über problematische Begriffe sprechen. Lassen wir also die jungen Leser*innen mit der Aufgabe der Kontextualisierung allein?
Auch in diesem Jahr gibt es einen Geburtsgeschichten-Adventskalender und ein paar Adventsverlosungen. Sei dabei!
Ein Plädoyer für verantwortungsvolle Originalität
Meiner Meinung nach spricht nichts dagegen, weiterhin Originalfassungen zu veröffentlichen. Diese sollten jedoch Leser*innen zugänglich gemacht werden, die in der Lage sind, sie einzuordnen. Kein Kind wird allein durch das Lesen bestimmter Begriffe rassistisch oder antirassistisch. Die entscheidende Frage ist, ob wir Kinder damit allein lassen oder ihnen Hilfestellung bei der Einordnung geben wollen.
Letztendlich geht es darum, eine Balance zu finden: Wir müssen Möglichkeiten zur Einordnung bieten und gleichzeitig das Bewusstsein dafür schärfen, dass eine solche Einordnung notwendig ist. Nur so können wir verantwortungsvoll mit unserer sich entwickelnden Sprache umgehen und gleichzeitig unser kulturelles Erbe bewahren. Es ist ein Drahtseilakt zwischen Sensibilität und Bewahrung, zwischen Fortschritt und Tradition. Doch genau dieser Balanceakt macht den Umgang mit Sprache so faszinierend und wichtig für unsere Gesellschaft.
In einer Zeit, in der Debatten über „Cancel Culture“ und politische Korrektheit oft emotional geführt werden, ist es wichtiger denn je, einen differenzierten Blick auf unsere sprachliche Vergangenheit zu werfen. Bücher zu verbannen ist genauso kurzsichtig wie die unreflektierte Reproduktion. Wir sollten sie als Lernmaterial nutzen – als Fenster in vergangene Denkweisen und als Spiegel unserer eigenen Entwicklung.
Indem wir uns aktiv mit der Entwicklung unserer Sprache auseinandersetzen, können wir nicht nur unser Verständnis für die Vergangenheit vertiefen, sondern auch sensibler und bewusster in der Gegenwart kommunizieren. So wird die Auseinandersetzung mit „veralteten“ Begriffen zu einem Werkzeug für gesellschaftlichen Fortschritt und interkulturelles Verständnis.
Und deshalb bin ich auch Yvonne dankbar für ihre Blogparade, die mir die Möglichkeit gegeben hat, mal wieder über Sprache und ihren Gebrauch zu philosophieren.
Die Sprache der Geburt: Ein Spiegel gesellschaftlichen Wandels
Die Reflexion über Sprache und ihre Entwicklung ist nicht nur in der Literatur relevant, sondern auch in anderen Lebensbereichen – zum Beispiel der Geburtskultur. Begriffe wie „Kaiserschnitt“ versus „Bauchgeburt“, „gebären“ versus „entbinden“ oder „Geburtshilfe“ versus „Geburtsmedizin“ spiegeln nicht nur medizinische Praktiken wider, sondern auch gesellschaftliche Haltungen und Machtverhältnisse.
Der Begriff „Kaiserschnitt“ beispielsweise impliziert eine gewisse Passivität der Gebärenden, während „Bauchgeburt“ die aktive Rolle der Mutter betont. Ähnlich verhält es sich mit „entbinden“, das suggeriert, dass jemand von etwas befreit wird, im Gegensatz zu „gebären“, das die Kraft und Autonomie der Frau in den Vordergrund stellt. Der Wandel von „Geburtshilfe“ zu „Geburtsmedizin“ zeigt die zunehmende Medikalisierung dieses natürlichen Prozesses.
Indem wir diese Begriffe kritisch hinterfragen und bewusst wählen, können wir nicht nur die Wahrnehmung von Geburt in der Gesellschaft beeinflussen, sondern auch das Erleben der Gebärenden selbst. Es geht darum, eine Sprache zu finden, die die Würde, Stärke und Selbstbestimmung der Frauen respektiert, ohne die medizinischen Aspekte zu vernachlässigen – ein Balanceakt, der dem reflektierten Umgang mit historischen Texten nicht unähnlich ist.
Einfache Lösungen gibt es nicht
Im Umgang mit Sprache zeigt sich deutlich: Einfache Lösungen gibt es nicht. Die Entwicklung und Veränderung von Begriffen ist ein komplexer Prozess, der sowohl historisches Bewusstsein als auch Sensibilität für gegenwärtige Bedürfnisse erfordert. Es wäre zu kurz gegriffen, alte Ausdrücke einfach zu verbannen, aber genauso schwierig, sie unreflektiert beizubehalten. Stattdessen sind wir aufgefordert, einen differenzierten Ansatz zu wählen: Wir müssen die Herkunft und Bedeutung von Worten verstehen, ihre Wirkung auf verschiedene Gruppen berücksichtigen und gleichzeitig offen für Veränderungen sein.
Dieser Balanceakt zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen Bewahrung und Erneuerung, ist eine ständige Herausforderung. Er verlangt von uns Reflexion, Dialog und die Bereitschaft, unsere eigenen Vorurteile und Gewohnheiten zu hinterfragen. Letztendlich geht es darum, eine Sprache zu entwickeln und zu pflegen, die inklusiv, respektvoll und zeitgemäß ist, ohne dabei ihre historische Tiefe zu verlieren.
Die Auseinandersetzung mit Sprache ist somit ein fortwährender Prozess, der unsere Gesellschaft bereichert und vorantreibt. Wir sollten genauer hinhören, präziser formulieren und bewusster kommunizieren. In dieser Herausforderung liegt auch eine große Chance: die Möglichkeit, durch Sprache Brücken zu bauen, Verständnis zu fördern und eine Gesellschaft zu gestalten, die sowohl ihre Wurzeln achtet als auch mutig in die Zukunft blickt.
- Schmid, Sarah (Autor)
Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen
Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!
Liebe Katharina,
ich finde deinen Artikel sehr wertvoll und bin ganz bei dir. Einzig die Frage stelle ich mir:
Wie viele Menschen sind bereit, ihre Sprache und damit sich selbst zu reflektieren?
Ich weiß prozentual von sehr wenigen. Aber alle anderen sprechen auch und nutzen (ihre) Sprache. Es ist, wie auch du schreibst, ein Dilemma.
Mir hilft in diesem Zusammenhang einfach nur, dass ich es selbst besser mache.
Liebe Grüße
Edith
Liebe Edith,
natürlich hast du vollkommen recht: Viele Menschen nutzen Sprache ohne Reflexion. Das geht auch mir im Alltag immer wieder so. Manchmal können wir uns diesen Luxus der Reflexion einfach nicht leisten. Es ist ein Prozess, und er geht mir nicht immer schnell genug. Aber einfach Aufgaben ist für mich keine Alternative 😉
Danke dir für deinen Kommentar!
Katharina