Ich durfte dieses wunderbare Interview mit Nele führen. Nele ist Mama von „Lenchen“. Lenchen kam im Geburtshaus zur Welt. Die Geburt war schön, doch danach ging kaum noch etwas so, wie Nele es sich vorgestellt hatte. Denn Lenchen hat eine körperliche Behinderung.
Wie Nele über ihre Geburtshausgeburt denkt, erzählt sie uns in diesem Interview.
Liebe Nele, danke, dass ich dieses Interview mit dir führen darf! Stell dich doch bitte kurz vor!
Ich bin 46 Jahre alt und arbeite von zu Hause aus als freiberufliche Literaturübersetzerin. Der Beruf war ein Traum, den ich mir spät erfüllt habe und der auch als Mama zum Glück sehr viel Flexibilität bietet. Auch den Mann, mit dem ich Kinder haben wollte, habe ich erst spät kennengelernt. Dann hat es leider nur noch für eins gereicht, das allerdings unsere ganze Aufmerksamkeit und Liebe einfordert! In letzter Zeit machen sich die Aufträge rar, und ich habe die „Stay at home“-Zeit genutzt, um mir einen weiteren Traum zu erfüllen und den Blog, den ich schon länger im Kopf hatte, ins Leben zu rufen.
Ganz nebenbei – weil ich keine erkennbaren Fotos von meiner Tochter veröffenltichen will – habe ich mein schlummerndes Talent und meine Leidenschaft für das Malen und Zeichnen entdeckt. Das alles ist in den letzten fünf Monaten passiert. Vorher hatte ich nicht die geringste Ahnung, wie man einen Blog erstellt, und aufgrund der Kontaktbeschränkungen musste ich mir das Handwerkszeug mühsam selbst im Internet zusammenklauben. Dabei bin ich übrigens auch auf dich und deinen Blog gestoßen und es hat sich sofort ein toller und sehr fruchtbarer Kontakt entwickelt.
Und letztendlich hast du den letzten nötigen Impuls gegeben, um einfach anzufangen – auch wenn es noch nicht perfekt ist.
[Einschub von Katharina: ich strahle über beide Ohren – jedes Mal, wenn ich dieses tolle Kompliment lese…]
Deine Geburtserfahrung hast du ja auf deinem Blog schon ausführlich beschrieben. Magst du sie für meine Leser*innen noch mal kurz zusammenfassen?
(Hier geht es zur langen Version auf Neles Blog anders glücklich.)
Es fing alles wunderschön an. Die Schwangerschaft war traumhaft verlaufen, und die Geburt begann auf den Tag pünktlich und zunächst ganz entspannt zu Hause in der Badewanne, verlief dann aber fürs erste Kind unerwartet rasant.
Auch im Geburtshaus durfte ich in die Wanne, wir hatten unsere eigene Musik und Kerzen dabei und fühlten uns von den Hebammen (zwei plus eine Schülerin!) bestens betreut.
Der Schock kam, als unsere Tochter draußen war, denn sie war wie leblos. Obwohl die Herztöne die ganze Zeit – und auch da noch – in Ordnung waren, aber sie hat nicht geatmet. Die Hebammen reagierten blitzschnell – als wir es überhaupt noch nicht realisiert hatten. Sie setzten einen Notruf ab, versuchten sie vergeblich zu bebeuteln und bekamen schließlich per Mund zu Mund-Beatmung Luft in ihre Lunge.
Nach kurzer Zeit war der Raum voll mit Leuten – Rettungssanitäter, Notarzt und ein Team aus einer Kinderklinik – und wir sahen nur noch Rücken. Nach über einer Stunde war mein Kind einigermaßen stabil und hat selbst geatmet und ich durfte es, dick eingewickelt, ganz kurz im Arm halten. Dann wurde es ohne uns mit dem Krankenwagen in die Klinik gefahren und wir kamen nach, nachdem ich versorgt und gestärkt war.
Zu dem Zeitpunkt dachten wir, es sei alles noch mal gutgegangen. Als wir unsere Tochter jedoch, völlig apathisch und an Schläuche und Kabel angeschlossen in ihrem Glaskasten auf der Kinderintensivstation liegen sahen, wussten wir, dass das nicht so war.
Erst nach Tagen rückten die Ärzte – wenig einfühlsam – mit der bitteren Wahrheit heraus, dass unsere Tochter eine schwere Gehirnschädigung davongetragen hatte und schwerst behindert sein würde. Obwohl für uns natürlich eine Welt zusammenbrach und wir uns schmerzhaft von allen Vorstellungen über die Zukunft unseres Kindes verabschieden mussten, haben wir unsere Tochter nie aufgegeben und von Anfang an daran geglaubt, dass sie mehr im Kopf hat als die Ärzte uns glauben machen wollten.
Übrigens ist bis heute nicht geklärt, ob die Gehirnschädigung nicht schon zu einem Zeitpunkt vor der Geburt passiert ist. Viele Fragen, was genau passiert ist, und wann, werden wohl immer offen bleiben.
Welche Momente der Geburt bleiben dir als schön in Erinnerung? Was hättest du rückblickend gerne anders gemacht?
Die schönsten Momente waren, als ich frühmorgens zu Hause in der Wanne lag und (mit einer App!) die Wehen maß und meinem Kind jedes Lied vorsang, das mir in den Sinn kam, völlig entspannt, mit meinem Kind in Kontakt und voller Vertrauen, dass alles so passiert, wie es passieren soll. Ich hatte mich mit dem Geburtsbuch von Nora Imlau (Werbelink zu Amazon) vorbereitet, das ich jeder werdenden Mama nur wärmstens empfehlen kann! Da war noch nichts zu spüren von der Panik, die bei Geburten in Filmen so oft vermittelt wird – und dann wurde es bei uns doch noch ziemlich filmreif, als kurz vor dem Aufbruch ins Geburtshaus bereits die Presswehen einsetzten. Da habe ich leider die innere Ruhe und den innigen Kontakt zu meinem Kind verloren.
Was ich gern anders gemacht hätte: auf mein Bauchgefühl gehört (was gibt es Wichtigeres bei einer Gebärenden??) und meine Wünsche geäußert. Ich hätte meinem Mann, der – verständlicherweise – der Meinung war, wir hätten noch alle Zeit der Welt, sagen sollen, dass wir JETZT losfahren und er seinen Kaffee dort trinken soll. Und den Hebammen, dass sie sich nicht unterhalten sollen, während wir auf die nächste Wehe warteten und hofften, dass sie uns weiterbringt, denn das hat eigentlich meine Konzentration gestört. Ich kann hier niemandem einen Vorwurf machen, denn ICH hätte den Mund aufmachen müssen.
Der allerschönste, wenn auch leider nur sehr kurz währende Moment, war das unbeschreibliche Gefühl, als mein Kind, nachdem der Kopf schon über eine halbe Stunde tastbar war, endlich ganz aus mir rausgeflutscht ist. Schmerzhaft und zugleich so erleichternd. An kaum eine Empfindung während der Geburt kann ich mich noch so genau erinnern!
Was hätte dir geholfen, um deine Wünsche klarer zu äußern?
Ich hatte mir vorher sehr genau Gedanken gemacht und in einem Geburtsplan meine Wünsche festgehalten, vor allem, dass ich mir so wenig äußere Reize wie möglich wünsche, weil ich weiß, ich bin sehr schnell reizüberflutet. Und auch so wenig Personen wie möglich. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Wünsche wirklich ernst genommen worden wären. Natürlich wurde ich gefragt, ob die Hebammenschülerin dabei sein darf, aber was soll man sagen, wenn sie schon vor einem steht? In meinem Zustand war ich sowieso nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Deswegen macht man ja einen Geburtsplan.
Und den kannten die Hebammen auch vorher, oder?
Ja, den hatte ich vorher schon abgegeben und bin mir auch ziemlich sicher, dass ich den Wunsch nach einer reizarmen Umgebung bei einer der letzten Vorsorgeuntersuchungen explizit angesprochen hatte.
Was würdest du aus dieser Erfahrung heraus einer Frau empfehlen, die wie du genaue Vorstellungen davon hat, was ihr während der Geburt gut tut?
Diese Vorstellungen nicht nur schriftlich festzuhalten und sich drauf zu verlassen, dass andere daran denken, sondern die wichtigsten Wünsche im Kopf zu behalten und während der Geburt immer wieder in sich reinzuhorchen, ob noch alles stimmt. DU bist die Hauptperson! Und natürlich dein Kind.
Was meinst du, woran liegt es, dass Frauen ihre Wünsche zur Geburt nicht äußern oder, wenn doch, diese oftmals ignoriert werden?
Vielleicht, weil viele Frauen ihre Wünsche generell nicht deutlich genug äußern. Ich zumindest bin noch so erzogen worden, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. „Ich will“ kam im Wortschatz schon mal gar nicht vor. Forderungen zu stellen, die „egoistisch“ erscheinen und für andere unbequem sein könnten, passt nicht ins Bild. Sicher auch ein Problem in vielen Beziehungen. Der Partner soll die Wünsche natürlich auch so kennen! Jüngere Generationen sind da zum Glück schon weiter!
Was hilft deiner Meinung nach Frauen dabei, ihre Wünsche deutlicher zu äußern? Wie müssen Hebammen und Ärzt*innen arbeiten, damit das klappt?
Na ja, ich weiß nicht, ob man das den Hebammen auch noch aufbürden sollte. Die haben bei einer Geburt, bei der man nicht alle Zeit der Welt hat, sicherlich genug anderes, worauf sie achten müssen. Zumal man sich ja auch oftmals erst bei der Geburt kennenlernt. Hilfreich wären vielleicht Doulas, die man nicht selbst engagieren und bezahlen muss, sondern die einfach vor Ort sind und sich um das seelische Wohl der Gebärenden kümmern.
Glaubst du, dass Beleghebammen da ein guter Weg wären?
Zu Geburten im Krankenhaus kann ich nicht viel sagen – außer dass ich einen Horror vor der Ungewissheit hatte, was und wer einen an Tag X dann dort erwartet. Ich hatte einerseits Angst, dass ich mich allein gelassen fühle oder auch überfordert durch zu viel Action, und dass Dinge über meinen Kopf hinweg entschieden werden, die ich nicht will. Mein Mann sah das übrigens genauso. Von daher: ja, wenn ich die Hebamme vorher hätte kennenlernen und Vertrauen fassen können, hätte ich mich vielleicht auch zu einer Geburt in einer Klinik entschieden.
Das heißt also, trotz deiner persönlichen Erfahrung siehst du außerklinische Geburten nicht grundsätzlich kritisch?
Nein, ich kenne mittlerweile genügend Kinder, denen bei der Geburt in einer Klinik dasselbe oder Schlimmeres widerfahren ist wie unserer Tochter.
Ich danke dir für das ehrliche Interview, Nele!
Wenn du mehr über Nele, ihre Zeichnungen, ihre Erfahrung als Mutter und ihren Alltag mit dem kleinen Lenchen erfahren möchtest, schau dir ihren Blog Anders Glücklich an!
2 Gedanken zu „Anders glücklich: Interview mit Nele zur Geburt ihrer körperbehinderten Tochter“