Als Hebamme in Malawi: Interview mit Swantje

Vor einiger Zeit durfte ich ein Interview mit Swantje Lüthge führen. Über eine Stunde unterhielten wir uns über ihr großartiges Projekt Chikondis, mit dem sie ein Geburtshaus in Malawi bauen will. Leider fiel dann meine Technik aus und die Datei mit dem Interview war einfach weg. Ich habe das Interview dann aus dem Kopf zusammengeschrieben und mit Swantjes Hilfe ist daraus dieser sehr eindrücklicher Erfahrungsbericht entstanden — leider nur zum Lesen. Doch lasst es euch gesagt sein: Es lohnt sich!

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Liebe Swantje, erzähl uns doch, was genau Chikondis ist!

Chikondi ist ein Wort aus der Sprache ChiChewa, die in Malawi gesprochen wird. Übersetzt bedeutet es Liebe und Bewunderung. Chikondi ist ein geschlechtsneutraler Name, der also an alle Babys vergeben werden kann. Und wir sind der Meinung, dass Liebe und Bewunderung jeder Mutter und jedem Kind entgegengebrachtet werden sollten.

Es ist auch der Name unseres Vereins, den wir 2012 gegründet haben, um in Malawi Geburtshilfe zu leisten. Unser Traum war es schon immer, ein eigenes Geburtshaus zu gründen, allerdings war das wegen fehlender finanzieller Mittel lange nicht möglich.

Gearbeitet haben wir in Malawi trotzdem: In verschiedenen Krankenhäusern und auch bei Vorträgen, Diskussionsrunden und im Gespräch mit den Menschen.

Wie kam es dazu, dass du Chikondis e.V. gegründet hast?

Ich habe, als ich ungefähr zwanzig Jahre alt war, ein Studium zum Development Instructor in der Karibik gemacht. Wir alle waren hoch motiviert, nun im globalen Süden zu helfen. Ursprünglich wollten meine Freundin Maria und ich dann nach Angola reisen, aber dort war die politische Lage zu gefährlich.

Wir hatten während des Studiums einen tollen Lehrer für Ethik, der aus Malawi kam und uns vorschlug, unseren Praxiseinsatz dort zu absolvieren.

Wir beide hatten keine Ahnung vom Land. In der Schule waren wir ja doch mit dem eurozentrischen Weltbild aufgewachsen, das nicht viel Raum für die Geschichte und Geografie Afrikas ließ.

Er stufte die Lage allerdings als sicher ein. Also machten wir uns auf den Weg.

Marie blieb drei Monate im Land. Bei mir wurden es drei Jahre.

Schnell wuchsen mir die Menschen und die Lebensweise ans Herz. Ich verbrachte dort eine Weile mit einer pensionierten Hebamme, die mit ihrem Storchenwagen von Dorf zu Dorf zog.

Exkurs: Storchenwagen

Den Begriff Storchenwagen kennen wir in Deutschland als einen Rettungstransportwagen, der für Neugeborenene ausgerüstet ist und zum Beispiel einen Inkubator bereithält.

Swantje nutzt den Begriff allerdings allgemeiner: Der Storchenwagen „ihrer“ Hebamme war einfach ein großes Auto, in dem sie nötiges Material transportierte. Damit fuhr sie zu den Frauen nach Hause. Eine Liege dienste als Transportmöglichkeit, falls eine Frau in ein Krankenhaus transportiert werden musste.

Ich stamme aus einer Familie von Mediziner*innen und kannte mich in Erster Hilfe gut aus. Dennoch fühlte ich mich hilflos, als wir dort eine Frau bei der Geburt begleiteten und sowohl die Frau als auch das Kind starben.

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich Hebamme werden möchte. Spannenderweise hat meine Schwester das auch schon vorher immer zu mir gesagt, aber ich konnte damit zunächst nichts anfangen.

Ich ging deshalb nach Deutschland zurück, um meine Hebammenausbildung an der Berliner Charité zu absolvieren. Sie dauerte, wie üblich, drei Jahre.


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Aus wem besteht denn der Verein?

Unser Verein zählt momentan circa 30 Mitglieder. Manche davon haben sich auf unserer Webseite vorgestellt.

Wir erhalten übrigens keine staatlichen Fördergelder, sondern sind auf Spenden angewiesen.

Wie arbeitet ihr dort mit den Kräften vor Ort zusammen?

In der Geburtshilfe arbeiten wir innerhalb der Teams in Krankenhäusern. Sprich: Ich arbeite dort mit malawischen Hebammen zusammen.

Bei den Krankenhäusern gibt es einen großen Unterschied zwischen Privatkliniken und staatlichen Kliniken. Die privaten Krankenhäuser sind gut ausgestattet, weil sie von ihren Patient*innen Geld für die Behandlungen nehmen.

Kaiserschnitte in Privatkliniken

Hier gibt es übrigens, wie in so vielen Ländern, das Problem, dass die Kaiserschnittrate sehr hoch ist, weil ein Kaiserschnitt nun mal mehr Geld bringt als eine Spontangeburt.

Da wird dann den Frauen oft erzählt, ihr Becken sei zu klein, das Baby sei zu groß und ein Kaiserschnitt sei die einzige Lösung.

Ich verteufle keine Kaiserschnitte — es ist gut, dass wir sie haben! Viele Frauen, die dort allerdings einen Kaiserschnitt haben, würden in einer staatlichen Klinik in Malawi ihr Kind ziemlich unproblematisch spontan gebären. Einfach, weil ihnen nicht eingeredet wird, dass ein Kaiserschnitt nötig sei.

Ausstattung in staatlichen Kliniken

Denn in staatlichen Kliniken ist die Ausstattung wesentlich schlechter. Die meisten Kliniken haben einen großen Kreißsaal, in dem über zwanzig Frauen auf Pritschen liegen. Zwischen den einzelnen Pritschen gibt es einen Sichtschutz. Zum Gang hin gibt es einen Vorhang, der aber meist offen steht, damit das Personal direkt sehen kann, was passiert.

Natürlich liegen die Frauen mit dem Unterleib zur Mitte, sodass der Blick zwischen die Beine ungehindert möglich ist.

Häufig drehe ich die Pritschen um, sodass die Frau die Beine zur Wand streckt. Das ist zwar für das Personal umständlicher, aber ich bin der Meinung, dass es zur Würde einer Frau dazu gehört, wenn ihr nicht alle im Vorbeigehen auf die Genitalien schauen können.

„Für uns ist es normal, die Geschlechtsteile so zu sehen. Wir sehen jeden Tag sehr viele davon. Aber für die Gebärende ist das nicht normal, und sie fühlt sich so wohler“, beschreibe ich dann meine Entscheidung gegenüber meinen malawischen Kolleginnen und Kollegen.

Malawi: Mehr männliche Hebammen

In Malawi gibt es übrigens ziemlich viele männliche Hebammen. In Deutschland ist das ja nach wie vor recht unüblich. In Malawi dagegen ist es ganz normal, dass auch Männer in der Geburtshilfe arbeiten.

Das System dort funktioniert etwas anders: Alle Geburtshelfer*innen dort unterlaufen zuerst das dreijährige Studium der Krankenpflege. Danach können sie sich noch ein Jahr weiterbilden, wenn sie möchten. Dann sind sie Hebammen. Die Spezialisierung zur Geburtshilfe steht Frauen und Männern gleichermaßen offen.

Sind Männer in Malawi generell gut eingebunden in die Geburten der Kinder?

Nein, jenseits der Geburtshelfer im Krankenhaus ist Geburt in Malawi Frauensache. Mit unserem Verein setzen wir uns dafür ein, dass die Männer bei den Geburten dabei sind. Das ist aber bisher kaum möglich. Es gibt zwar kein offizielles Verbot, dass die Partner nicht mit ins Krankenhaus dürften, aber ich habe das in den staatlichen Krankenhäusern noch nie erlebt. In den Privatkliniken kommt es mittlerweile immer mal wieder vor, dass Männer ihre schwangeren Frauen begleiten.

Im Normalfall allerdings sieht der Ehemann, wie seine schwangere Frau das Krankenhaus betritt. Und am nächsten Tag kommt sie mit einem Säugling auf dem Arm wieder nach Hause. Er hat keine Ahnung von der Arbeit, die sie investiert hat, von Schmerzen, Glücksgefühlen oder Problemen.

Und genau das wollen wir ändern. Denn es hat durchaus Vorteile, wenn Männer ihre Frauen zur Geburt begleiten. Je genauer die Familienväter wissen, was Geburt für den Körper einer Frau bedeutet, desto größer wird auch das Bewusstsein dafür, dass die Belastung für die Frau steigt, wenn sie sehr häufig schwanger ist.

Wir wollen so die Ehemänner für eine bewusste Familienplanung sensibilisieren. Jedes Kind wird dort als Geschenk Gottes gesehen. Und ich stimme dem zu: Jedes Kind ist wunderbar und eine Bereicherung.

Allerdings gehen die vielen Schwangerschaften und Geburten zu Lasten der Frau. Ein Mann fühlt sich nach vielen gezeugten Kindern in seinem Körper nicht anders als vorher. Eine Frau spürt die Veränderung jeder Schwangerschaft in ihrem Körper. Manche Frauen kommen damit gut klar, aber andere eben nicht. Und gerade für diese Gruppe ist es wichtig, dass der Familienvater versteht: Eine Geburt kann harte Arbeit bedeuten. Eine erneute Schwangerschaft kann die Frau an ihre körperlichen Grenzen und darüber hinaus bringen.

Wie sehen die Menschen dort eine Schwangerschaft und Geburt?

Gesetzlich gibt es für Frauen in Malawi einen gesetzlichen Mutterschutz. Allerdings gilt der natürlich nur für diejenigen, die offiziell in einer Firma angestellt sind. Alle Frauen, die in der Subsistenzwirtschaft arbeiten oder selbstständig sind, haben dieses Privileg nicht. Solange der Körper mitmacht, arbeiten sie auch schwanger weiter. Sie spüren dadurch ihren Körper auch sehr bewusst, was ihnen natürlich hilft.

Die Schwangerschaft heißt auf ChiChewa pakati. Das bedeutet wörtlich übersetzt Zustand zwischen Leben und Tod. Die Menschen sind sich darüber im Klaren, dass die Schwangerschaft und die Geburt ein Risiko mit sich bringen. Natürlich können wir Risiken minimieren und bei der Geburt helfen. Aber absolute Sicherheit werden wir nie erreichen.

Der Tod gehört für die Menschen viel mehr dazu als bei uns. Wir versuchen natürlich, die Mütter- und Kindersterblichkeit zu verringern. Dennoch ist es so, dass allen bewusst es: Schwangerschaft und Geburt gehen nicht immer mit einem gesunden Kind und einer gesunden Mutter zu Ende. Manchmal enden sie mit Krankheit und Tod.

Exkurs: Daten zu Kindersterblichkeit

Die Kindersterblichkeit ist in Malawi von 1950 bis 2020 stetig gesunken. Laut UN DESA liegt sie momentan zwischen 38 und 32 Fälle pro 1000 Lebendgeburten, also bei einer Quote von 3,5 bis 3,5 Prozent.

Quelle: Statista

Erzählst du uns eine Anekdote aus deiner Arbeit als Hebamme in Malawi?

Ich habe dort viele kraftvolle Geburten erlebt. Gerne erzähle ich die Geschichte von einer Erstgebärenden Anfang 20, die zu uns in die Klinik kam. Sie sagte, sie spüre schon gewaltigen Druck nach unten. Ich widerstand der Standardaussage, dass sie als Erstgebärende bestimmt noch nicht so weit sei. Nach der Untersuchung stand fest: Der Muttermund war bereits sieben Zentimeter geöffnet. Alles sah gut aus.

Sie bekam eine der Pritschen und ich kümmerte mich erstmal um andere Frauen. Nach einer Weile sah ich, dass die Frau sich unwohl fühlte. Sie sagte, sie hätte Schmerzen. Der Geburtsverlauf war stockend. Und sie wand sich auf der Liege.

Mir wurde klar: Diese liegende Position ist für diese Frau absolut kontraproduktiv. Klar: Geburt ist im Liegen fast nie sinnvoll; da kann der Körper einfach nicht so effektive Geburtsarbeit leisten. Die meisten Frauen bekommen das trotzdem irgendwie hin. Bei ihr war das anders.

Also habe ich das Radio angeschaltet. „Komm, wir tanzen jetzt“, sagte ich ihr. Erst war sie skeptisch. Dann ließ sie sich darauf ein. Zu malawischer Musik bewegte sie die Hüften. Sofort entspannte sie sich, fand wieder in ihre Kraft zurück und die Geburt ging wieder voran. Ich tanzte vielleicht eine halbe Stunde mit ihr, vielleicht auch länger.

Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen

Und schließlich gebar sie ihre Tochter. Im Stehen, beim Kreisen der Hüften. Ich hatte mich bereit gemacht, das Neugeborene aufzufangen, aber das war gar nicht nötig. Sie machte intuitiv alles richtig.

Den Vorhang hatten wir die ganze Zeit geschlossen, sodass ich danach von meinen Kolleg*innen gefragt wurde, was wir dort gemacht hätten. Ich erzählte wahrheitsgemäß, dass die Frau Bewegung brauchte, damit das Baby sich im Becken richtig drehen konnte. Und ganz intuitiv bewegen wir uns meist, wenn Musik läuft. Genau das habe ich ausgenutzt.

Die junge Mutter war gesund und glücklich, allerdings auch etwas ungläubig. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit einer deutschen Hebamme zusammen mein Baby auf die Welt tanze!“

Diese Art der individuellen Betreuung ist also nicht der Standard in malawischen Krankenhäusern?

Nein, das ist er nicht. Das ist auch ganz natürlich, immerhin sind wir meist nur vier bis sechs Hebammen auf mehr als zwanzig Gebärende. Da ist nicht viel Zeit für persönliche Unterstützung, Kreuzbeinmassage und individuelle Versorgung. Für mich persönlich ist das einer der Hauptgründe, warum ich unser Geburtshaus eröffnen will. Denn wenn sich eine Frau dafür entscheidet, dass ich sie bei der Geburt ihres Kindes begleiten und unterstützen darf, dann bedeutet das für mich nicht nur medizinische Versorgung. Ich bin dann auch dafür zuständig, dass sie sich wohlfühlt, dass sie in ihre Kraft kommt und die Geburt als ein positives Erlebnis im Kopf behält.

Diese mentale Unterstützung ist für mich essentieller Bestandteil, wenn ich Frauen bei der Geburt begleite. Die Hebammen in Malawi dagegen sehen ihre Rolle sehr viel medizinischer.

Erzähl uns darüber gern noch mehr! Was genau tun Hebammen in Malawi?

Das Wichtigste zuerst: Die Menschen dort sind top ausgebildet. Sie haben sehr viel Ahnung vom Geburtsvorgang, können gut einschätzen, welche Frau zurecht kommt und bei welcher Frau Hilfe nötig ist.

Der Personalschlüssel ist allerdings sehr schlecht; gerade in den staatlichen oder kirchlichen Krankenhäusern, die keine Einnahmen durch Privatpatient*innen haben.

In einer Schicht gibt es meist genau eine*n Mediziner*in mit dem Spezialgebiet Gynäkologie und Geburtshilfe. Das heißt, diese Person ist gerade entweder auf der gynäkologischen Station, im Operationssaal oder bei uns in der Geburtshilfe. Wir können also oft nicht warten, dass sie auftaucht und eine Entscheidung trifft.

Deshalb treffen die Hebammen in Malawi sehr viel eigenständiger Entscheidungen als das in Deutschland der Normalfall ist.


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Wenn ein Dammschnitt gemacht werden muss oder eine Saugglocke und Geburtszange zum Einsatz kommt, ist das in Deutschland Sache der*des Ärzt*in. In Malawi machen das die Hebammen selber.

Sie haben viel Erfahrung darin und können sehr genau einschätzen, was gebraucht wird. Wenn eine Operation nötig ist, rufen wir den*die Ärzt*in dazu.

Ich habe von meinen Kolleg*innen vor Ort in dieser Hinsicht viel gelernt. Ihr Wissen und vor allem ihre Erfahrung in der praktischen Anwendung geht oft über das hinaus, was wir in Deutschland als Hebamme lernen.

Trotz dieser guten Ausbildung werden viele Frauen nicht so unterstützt, wie sie das bräuchten. Das liegt neben der mangelnden mentalen Versorgung auch an der medizinischen Grundausstattung. Die Hygienestandards dort können nicht so eingehalten werden, wie wir das gewohnt sind. Vereinzelt kommt auch noch die Ansicht dazu, dass nur da sei, was man sehen könne. Sprich: Wenn es sauber aussieht, ist es sauber.

Diese Gemengelage führt leider dazu, dass Infektionskrankheiten sich im Krankenhaus stark verbreiten.

Als Desinfektionsmittel ist häufig nur Alkohol vorhanden. Und auch das ist nicht immer so. Es nutzt deshalb nichts, wenn wir versuchen, unsere Hygienestandards dort umzusetzen. Stattdessen ist es viel sinnvoller, Lösungen zu finden, die auch dort gut funktionieren können.

So haben wir zum Beispiel vorgeschlagen, dass jede Frau ihr eigenes Handtuch oder ihre eigene Decke mitbringt, auf die sie sich legt. Diese Stoffe sind natürlich in keinem Sinn steril, aber sie enthalten nur diejenigen Bakterien, die die Frau bereits von zu Hause kennt.

Sie liegt dann immerhin nicht direkt auf der Pritsche, auf der vorher bereits eine andere Frau mit den Bakterien aus ihrem Haushalt lag. Das hilft schon — und wir können das unabhängig von Desinfektionsmitteln umsetzen.

Ist es in Malawi üblich, dass Frauen zur Geburt ins Krankenhaus gehen?

Ja, das ist es. Die finanziell bessergestellten Frauen gehen in private Kliniken. In den Städten gehen alle anderen Frauen in die öffentlichen oder kirchlichen Krankenhäuser. Es gibt keine Geburtshäuser.

Frauen in ländlichen Gebieten machen sich entweder auf den Weg in das nächste Krankenhaus oder gebären ihre Kinder in ihrem Dorf. Dort gibt es oft keinerlei medizinische Versorgung. Es gibt sogenannte TBAs. Das steht für Traditional Birth Attendends und bezeichnet Frauen, die in ihrem Leben schon bei vielen Geburten dabei waren und die Gebärenden unterstützen. Diese haben aber meist keine medizinische Ausbildung — weder geburtsspezifisch noch zu Erster Hilfe.

Von Seite des malawischen Staates sind diese traditionellen Geburtshelferinnen nicht gern gesehen. Dabei könnte die Verbindung dieser mentalen Umsorgung der Gebärenden mit medizinischer Versorgung vielen Frauen vermutlich sehr helfen. Genau diese Verbindung wollen wir auch in unserem Geburtshaus bieten.

Erzähl doch noch mehr zum Geburtshaus!

Das Geburtshaus ist schon lange ein Wunsch von uns. Es gäbe uns die Möglichkeit, die Vorteile der medizinischen Versorgung und mentalen Betreuung gut miteinander zu verknüpfen. Lange scheiterte es an der Finanzierung, aber dank einer sehr großzügigen Einzelspende können wir nun endlich umsetzen, was uns vorschwebt.

Wir haben dabei das malawische Gesundheitsministerium ins Boot geholt und unsere malawischen Mitstreiter*innen haben die Konzepte genau geprüft, um sicherzugehen, dass wir alles genau so umsetzen, dass es den Menschen vor Ort am meisten hilft.

Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen

Wir haben vor, neben dem Geburtshaus auch eine Schwangerschaftsvorsorge und einen medizinischen Behandlungsraum einzurichten. Neben den Gebärenden werden auch Väter bei uns Zutritt zum Geburtshaus haben, um mitzuerleben, wie ihre Kinder zur Welt kommen.

Leider ist in Malawi nicht nur die Müttersterblichkeit, sondern auch die Kindersterblichkeit sehr hoch.

Kindersterblichkeit in Malawi

Wenn du die Datenschutzbestimmungen entsprechend eingestellt hast, kannst du hier die Statistik zur Kindersterblichkeit in Malawi von Statista.de sehen.

Diese ist von 388 Todesfällen je 1000 Lebendgeburten im Jahr 1950 auf 40 Totgeburten je 1.000 Lebendgeburten im Jahr 2020 gefallen.

Statistik: Malawi: Kindersterblichkeit¹ von 1950 bis 2022 und Prognosen² bis 2050 (Todesfälle je 1.000 Lebendgeburten) | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Deshalb ist es uns wichtig, auch gesundheitliche Vorsorge und Behandlung von Kindern anbieten zu können.

Und als dritten Schwerpunkt wollen wir die Familienplanung und sexuelle Selbstbestimmung der Frauen stärken. In Malawi ist es leider sehr verbreitet, nicht zu verhüten. Denn zum einen fehlt das Wissen, zum anderen aber auch der Zugang zu Familienplanungsmethoden. Das führt dazu, dass die Frauen im Laufe eines Lebens sehr häufig schwanger werden und viele Kinder zur Welt bringen. Über die gesundheitlichen Folgen gibt es kaum Aufklärung.

Sexualität, Schwangerschaft und Geburt werden in malawischen Schulen nicht behandelt. Es besteht deshalb dort noch größerer Aufholbedarf als in Deutschland.

Ich als weiße Frau habe hier eine Sonderstellung, die ich ausnutzen kann: Mich schaut niemand komisch an, wenn ich Kondome verteile und Frauen erkläre, dass nicht aus jeder Liebesnacht ein Kind entstehen muss.

Für unsere Glaubwürdigkeit ist es wichtig, dass wir betonen, die Ehe sei der richtige Ort für sexuelle Handlungen. Im Gegensetz zu meinen malawischen Kolleg*innen kann ich aber unbedarft widersprechen:

Sexuelle Lust ist auch schon vor der Ehe da, und deshalb ist es umso wichtiger, genau zu wissen, wie Schwangerschaften funktionieren, welche Verhütungsmethoden es gibt und was mit dem weiblichen Körper während einer Schwangerschaft und unter der Geburt passiert.

Außerdem kann ich auch die Tabuthemen Homosexualität und Schwangerschaftsabbruch ansprechen. Natürlich sind hier keine grundlegenden Änderungen von heute auf morgen zu erwarten. Ich kann aber dafür sorgen, dass die Sensibilisierung und das Bewusstsein für diese Themen wachsen. Wir können vermitteln, dass sexuelle Selbstbestimmung genauso wie das Recht am eigenen Körper Grundrechte sind, die allen Menschen zustehen.

In diesem Zusammenhang planen wir auch eine Outreach Clinic. Wir wollen also all diese Themen ansprechen, aber nicht im Geburtshaus. Denn das soll vor allem ein Ort für Frauen (und werdende Väter) werden.

Mit den anderen Themen wollen wir in die Dörfer gehen und dort direkt mit den Menschen sprechen.

Dabei ist mir eines wichtig: Unsere Arbeit funktioniert auf Augenhöhe. Ich bin nicht die weiße Retterin, die kommt und alle Probleme löst. Überhaupt ist meine Rolle vor Ort recht klein. Denn die Arbeit wird von malawischen Multiplikatorinnen gemacht. Unser Verein übernimmt die Weitebildung, aber die Menschen vor Ort geben das Wissen in der Muttersprache und auf Augenhöhe weiter.

Die Menschen vor Ort sind nicht schlechter oder besser als wir. Sie haben einfach eine andere Bildung, die ihr Weltbild trägt. Es ist für die meisten von ihnen unvorstellbar, ihr Land jemals zu verlassen. Ich dagegen konnte schon mit Anfang zwanzig um die halbe Welt reisen und meinen Horizont erweitern.

Und genau das passiert mir auch heute: Ich lerne von den Menschen vor Ort; und sie lernen von mir. Wir tauschen unser Wissen aus und können so dazu beitragen, dass alle davon profitieren.

Lass uns gern noch über das Stillen sprechen – auch, wenn es ein Exkurs ist. Stillen Frauen in Malawi?

Ja, es ist für malawische Frauen normal, zu stillen. Gerade in den ländlichen Gebieten ist das gar keine Frage.

Leider gibt es, wie in allen Teilen der Welt, eine starke Vermarktung von Ersatznahrung für Babys. Die entsprechenden Firmen liefern große Mengen an die Krankenhäuser und wollen die Frauen mit kostenlosen Proben locken.

Und natürlich fällt häufig das Argument: Im reichen Norden machen das alle so. Wenn du deinem Kind wirklich was Gutes tun willst, nutz die Ersatzmilch.

Wir wissen selbstverständlich, dass das nicht stimmt. Stillen ist das Beste für ein Baby. Und es gibt nur sehr wenige Fälle, in denen die Frauen aus biologischen oder emotionalen Gründen wirklich nicht stillen können oder sollten.

Ich bin absolut dafür, dass jede Frau selber entscheidet, ob sie stillen möchte oder nicht. Ich möchte aber auch, dass jede Frau weiß, was es braucht, um ein Baby mit Ersatzmilch gesund zu ernähren: Sie muss Zugang zu sauberem Wasser haben, sie muss die Sauger und Flaschen desinfizieren können, sie braucht das Geld für die Versorgung… Wie viel einfacher ist es häufig, schlicht zu stillen!

Viele meiner Kolleg*innen vor Ort waren verwundert, dass ich mich so gegen die Flaschennahrung positioniere. „Du bist doch aus Deutschland, da ist das doch normal?“ Klar ist es normal — aber deshalb ist es ja noch lange nicht hilfreich.

Mein Fazit ist: In Malawi können Frauen auch stillen, wenn sie keine Vorzeigebrust mit Vorzeigemamille haben, denn es wird ihnen nicht gesagt, dass das ein Problem wäre. In unserem Geburtshaus werde ich selbstverständlich jeder Frau helfen, die mit Stillproblemen zu mir kommt. Denn wenn es wirklich Probleme gibt, können wir gezielt helfen statt diese zu ignorieren. Meine Vermutung ist aber, dass das kaum so sein wird, denn das Stillen ist einfach sehr viel selbstverständlicher als hierzulande.

Übrigens führt das auch dazu, dass der weibliche Busen dort nicht sexuell aufgeladen ist. In der malawischen Öffentlichkeit sieht man überall Frauen, die stillen. In einem Restaurant muss keine Frau auf die Toilette gehen, um zu stillen. Und ein Schal wird höchstens über die Brust gelegt, falls das dem Baby hilft.

Frauen brauchen auch keine Angst haben, dass sie von Männern wegen des Stillens sexuell belästigt würden. Niemand starrt einer stillenden Mutter auf die Brüste. Man sieht das Baby, man sieht die Brust, und mehr ist das nicht.

Dieser entspannte Umgang täte uns auch ganz gut!

Meine Standartfrage zum Abschluss von Interviews ist: Welche Veränderungen wünschst du dir für das deutsche Geburtssystem?

In deinem Fall würde ich die gerne etwas abwandeln und auch fragen, welche Änderungen du dir für Malawi wünschst.

Für das deutsche Geburtssystem wünsche ich mir, dass die Haftpflichtversicherung für Hebammen staatlich organisiert sein sollte. Denn allein kann eine freiberufliche Hebamme den Betrag von 9.000 bis 10.000 Euro im Jahr nicht stemmen. Das wiederum führt dazu, dass nur wenige Kolleg*innen überhaupt außerklinische Geburtshilfe anbieten. Wenn es aber keine Hebammen gibt, die das anbieten, haben auch die schwangeren Frauen keine echt Wahlfreiheit in Bezug auf den Geburtsort. Diese Wahlfreiheit ist aber gesetzlich verankert!

Das System zwingt die Frauen dazu, im Krankenhaus zu gebären, wenn nicht privat genügend Geld für eine außerklinische Geburt zur Verfügung steht.

Ähnliches gilt für Kolleg*innen, die eben auch nicht frei entscheiden können, ob sie in einem Krankenhaus arbeiten wollen oder nicht.

Dazu braucht es politische Veränderung.

Darüber hinaus finde ich, physiologische Geburten könnten zu einem viel größeren Prozentsatz außerhalb des Krankenhauses stattfinden – außer, die Frau entscheidet sich bewusst anders.

Für Malawi wünsche ich mir, dass Hebammen staatlich finanziert außerklinisch Geburtshilfe leisten können. Sie könnten so diejenigen Frauen unterstützen, die aus ihren Dörfern nicht in das nächste Krankenhaus kommen können.

Ähnliches gilt für das Wochenbett: Eine außerklinische Wochenbettbetreuung, vom Staat finanziert, würde sehr vielen Frauen gerade in den ländlichen Regionen helfen!

Anmerkung: weiß-Sein

Ich habe in diesem Beitrag weiß in Kursivschrift gesetzt. Das soll verdeutlichen, dass es dabei nicht um die tatsächliche Hautfarbe, sondern um die damit verbundenen Privilegien und Sonderstellungen geht. Wenn du mehr dazu wissen willst, empfehle ich dir für den Einstieg die Definitionen von Weißsein im Glossar für diskriminierungsfreie Sprache von Amnesty International und im Critical Diversity Projekt der Universität der Künste Berlin. Eine tolle kindgerechte Erklärung findet ihr bei ZDF Tivi:

Als weiß wird bezeichnet, wer keine Probleme durch Rassismus hat. Wer also nicht aufgrund seines Aussehens oder seiner Herkunft diskriminiert wird.

https://www.zdf.de/kinder/logo/sprache-gegen-rassismus-100.html

Über Swantje

Zitiert von chikondis.org:

Nach Abschluss meines Studiums als „development instructor“ in der Karibik bin ich 2003 zum ersten Mal nach Malawi gereist und habe dort meine Passion zum Hebammenberuf gefunden. Der Entschluss, nach meinem Studium der Afrika- und Kulturwissenschaften zusätzlich eine Hebammenausbildung an der Charité zu absolvieren, wurde bei einer Hausgeburt in Kunthembwe gefasst, nachdem diese für Mutter und Kind tödlich endete.

Im Rahmen meiner Ausbildung durfte ich zehn Wochen in Malawi in einem privaten und in einem staatlichen Krankenhaus arbeiten. In dieser Zeit wurde mit bewusst, dass Hebammen so nah an Freude und Liebe sind, doch genauso nah an Leid und Trauer. Mit den medizinischen und sozialen Bedingungen, die viele schwangere Frau in diesem Land hinnehmen müssen, konnte und wollte ich mich jedoch nicht anfreunden.

Ich beschloss, selbst aktiv zu werden…

Und gründete chikondis e.V.

Zusätzlich absolvierte ich eine Ausbildung zur Lebens- und Sterbebegleiterin, da Liebe und Leben so nah beieinander sind wie Leid und Tod.

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