Geburtshilfe in einer Welt nach Corona: Zurück auf Anfang?

Ja, ich weiß. Schon wieder eine Blogparade. Sagen wir mal so: Blogparaden sind für mich immer ein guter Anlass, mich endlich mal hinzusetzen und zu schreiben, was ich eigentlich schon lange schreiben wollte. Es ist nicht so, als müsste ich mir etwas aus den Fingern saugen, sondern häufig weiß ich beim Thema der Blogparade sofort, worüber ich schreiben will. Heute geht es also um das Thema „Die Welt nach Corona“. Patrick und Evelyn vom Blog Free Your Family haben dazu aufgerufen, sich darüber Gedanken zu machen, was eigentlich mit unserer Welt passiert, wenn die Corona-Epidemie zurückgedrängt wurde. Patrick schreibt ausdrücklich, dass es auch Utopien sein dürfen. Oh, ich liebe Utopien. Wenn nur genug Menschen an eine Utopie glauben, stehen die Chancen gut, sie zu erreichen…

Also, losgeträumt.

Geburtshilfe nach Corona

Wenn die Corona-Pandemie überwunden ist, atmen wir alle wieder durch. Im privaten Bereich bedeutet das für viele Schwangere, dass sie sich nicht mehr so isoliert fühlen. Gerade im Mutterschutz, wenn der Kontakt im Büro oder Betrieb wegfällt, sind soziale Kontakte so wichtig. Schwangere sind nun wieder sichtbarer Teil der Gesellschaft.

Geburtsvorbereitungskurse

Während der Pandemie haben die gesetzlichen Krankenkassen Geburtsvorbereitung unter gewissen Umständen auch bezuschusst, wenn diese nicht vor Ort, sondern online statt fand.

[Tipp zum Weiterlesen: Geburtsvorbereitung online während der Corona-Pandemie]

Ich wünsche mir, dass die Krankenkassen auch weiterhin online-Angebote bezuschussen oder deren Kosten übernehmen. Hierbei geht es nicht darum, ohne Kontrolle alle möglichen Kurse verschiedener Berufsgruppen bedingungslos zuzulassen. Vielmehr geht es darum, der Lebenswirklichkeit von Schwangeren entgegen zu kommen. Denn Vor-Ort-Kurse sind für manche Schwangere einfach schwierig zu organisieren:

  • Auf dem Land sind manchmal weite Fahrtwege zur nächsten Hebammenpraxis nötig
  • ältere Geschwisterkinder müssen in der Zeit betreut werden
  • die Wochentage und Uhrzeiten sind unflexibel.

Klar haben vor-Ort-Kurse auch Vorteile. Soziale Kontakte, bessere Rückfragemöglichkeiten und praktische Übungen sind nicht unwichtig. Wie schwer die Vor- und Nachteile aber wiegen, hängt entscheidend von der persönlichen Situation ab. Für manche Schwangere wäre ein Online-Geburtsvorbereitungskurs sicherlich eine gute Alternative, auch ohne Kontaktsperren.

Schwangerenvorsorge

Die Schwangerenvorsorge darf wieder zeitlich ausgedehnt werden. Während in den meisten Arztpraxen die Wartezeit häufig länger war, als das Gespräch mit dem*der Ärtz*in, war die hebammengeleitete Schwangerschaftsvorsorge schon immer auch auf Gespräche ausgelegt. Häufig dauern diese Vorsorgetermine deshalb relativ lange. Während der Corona-Zeit waren Hebammen dazu angehalten, die Termine möglichst kurz zu halten.

Diese Entwicklung wird rückgängig gemacht: Hebammen dürfen wieder längere Vorsorgegespräche führen.

Kreißsaalbegleitung

Immer wieder waren in den vergangenen Wochen Väter nicht im Kreißsaal zugelassen. Auch mich betraf das in meiner Arbeit. Diese Entwicklung wird rückgängig gemacht.

Sowohl Väter als auch Doulas oder andere Begleitpersonen sind im Kreißsaal zugelassen, so lange die Gebärende das wünscht. Im Umkehrschluss entscheidet die Gebärende aber auch, wer nicht mit im Kreißsaal sein darf. Sprich: Wenn eine Person stört, muss sie gehen. Die gebärende Frau entscheidet, ob und welches medizinische Personal anwesend ist.

(Ja, ich weiß. Meine Forderung ist radikal. Ich werde sie in einem anderen Beitrag noch ausführlicher behandeln. Zum Weiterlesen empfehle ich schon mal: Subjekt statt Objekt und Als Fluchttier bei der Geburt.)

Masken, Lachgas und andere Maßnahmen

Je nach Krankenhaus gab es unterschiedliche Maßnahmen, die während der Corona-Zeit für Gebärende galten. In manchen Krankenhäusern galt eine Maskenpflicht (verschiedene Beiträge hierzu findest du in der Linkliste zu Corona-Themen), außerdem wurde von Lachgas als Schmerzmittel abgeraten, falls die Frau sich mit COVID-19 infiziert hatte. Oder es wurden häufige Muttermundsmessungen durchgeführt, um festzustellen, wie schnell sich die Geburt entwickelte – nicht zuletzt, um dann auch die Rückmeldung zu geben, dass der Vater nun auch in den Kreißsaal dürfte.

Es ist klar, dass all diese Maßnahmen die Frau in ihrer Freiheit, zu gebären, einschränken. Wenn Fußballern nicht zugemutet werden kann, mit Maske vor dem Gesicht zu spielen, weil dann die Sauerstoffversorgung nicht ausreichend ist, frage ich mich immer noch, wie man auf die Idee kommen kann, mit Maske ein Kind zu gebären. [Mist, ich finde die Quelle zum Fußball nicht mehr… Wer sie findet, möge sie in den Kommentaren verlinken!]

Geburtshilfe nach Corona – Alles wieder wie vorher?

Bis hierher liest sich mein Beitrag wohl großteils so, dass ich mir einfach wünsche, dass wir die coronabedingten Maßnahmen wieder aufheben und weitermachen, wie vorher. Der erste Teil stimmt, der zweite Teil stimmt nicht.

Ich wünsche mir ausdrücklich nicht, dass in der Geburtshilfe wieder alles so läuft, wie es vor einem Jahr war.

Stattdessen wünsche ich mir, dass wir diese Zeit kritisch unter die Lupe nehmen. In sehr vielen Aspekten hat die Kontaktsperre vorhandene Tendenzen in unserer Gesellschaft verstärkt – in alle Richtungen!

So liegt hinter der Frage, ob Väter mit in den Kreißsaal dürfen, ein viel grundlegenderes Verständnis davon, wer was entscheidet. Wenn du in einem Krankenhaus gebierst, dann stehst du unter dem Hausrecht der Klinik. Das war vor Corona für viele Schwangere zwar irgendwie klar, aber was das im Einzelfall bedeutet hat, darüber machten sich die wenigsten ihre Gedanken.

Es geht mir nicht darum, Krankenhäuser grundsätzlich schlecht zu machen. Im Gegenteil. Kaiserschnitte können Leben retten. Medizinische Versorgung ist wunderbar. Sie erleichtert vielen Menschen das Leben. Ich möchte sie nicht missen. Auch mein erstes Kind kam dank medizinischer Hilfe auf die Welt.

Und ich unterstelle auch dem medizinischen Personal keine böse Absicht. Im Gegenteil bin ich davon überzeugt, dass fast alle Hebammen und Ärzt*innen wirklich das Beste für Mutter und Kind wollen.

Corona hat aber gezeigt: Manchmal ist das Beste für Mutter und Kind nicht das Beste für das Krankenhaus. Und genau hier wünsche ich mir Nachbesserungen für die Geburtshilfe nach Corona. Nicht umsonst setzen sich Vereine wie Mother Hood e.V. oder Normale Geburt e.V. bereits nicht erst seit Corona dafür ein, dass sich die Lage der Gebärenden in deutschen Kreißsälen verbessern muss.

Was wünsche ich mir also?

  • Mehr Eigenverantwortung auf Seiten der Gebärenden
  • Mehr Geld und Zeit für das medizinische Personal
  • Mehr Flexibilität bei Routinen

Und zwar nicht nur bei der Geburt, sondern für den gesamten Komplex Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett!

Mehr Eigenverantwortung auf Seiten der Gebärenden

„Ach, ich vertraue da einfach dem medizinischen Personal„, sagte eine Bekannte in meinem „Seekuh-Training“ [aka Aquaymnastik für Schwangere] mal zu mir. Ja, Vertrauen in die Medizin ist super. Aber vertrau doch erst mal deinem Körper. Und lass dir vor allem die Verantwortung für deine Geburt nicht abnehmen! Die anderen können helfen, aber du bist diejenige, die verantwortlich ist!

Mehr Geld und Zeit für das medizinische Personal

Egal, ob für die Vorsorge, die Geburt oder die Nachsorge. Wenn das medizinische Personal mehr Zeit hätte (was damit zusammen hängt, dass mehr Geld für die Geburtshilfe aufgebracht werden muss – z.B. auch, indem es mehr Kliniken mit Kreißsälen gibt!), würden sich viele Probleme erst gar nicht ergeben. Eine Hebamme, die nur kurz rein schaut, will natürlich die statistischen Daten des CTG sehen. Wenn sie die ganze zeit vor Ort ist, braucht sie kein CTG, um zu wissen, ob die Frau gute Wehen hat.

Mehr Flexibilität bei „Routinen“

Muss ein CTG immer sein? Musst du dir einen Zugang legen lassen? Wie viele Male muss oder soll oder darf dein Muttermund kontrolliert werden? Oder willst du häufiger kontrolliert werden oder einfach selber kontrollieren? All diese Krankenhausroutinen sind in gewissem Maße sinnvoll. Aber in Einzelfällen sind sie es eben nicht. Bisher läuft es allerdings leider so, dass du kaum Einfluss darauf hast, welche Routinen für dich sinnvoll sind und welche nicht. (Übrigens gilt das leider auch für manche Hausgeburten.)

Ich wünsche mir also eine größere Flexibilität bei all unseren medizinischen Routinen – egal ob CTG, Zuckertest, Muttermundsmessung, Abnabelung, Begleitung im Kreißsaal oder was auch immer.

Das Große Ganze: Geburtshilfe nach Corona

Das Alles lässt sich zusammenfassen unter dem folgenden Motto:

Die gebärende Frau steht allseits und unter allen Umständen im Mittelpunkt jeglicher Entscheidungen. Darauf richten wir unser Gesundheitssystem aus, und darauf richten wir auch die medizinischen Einrichtungen aus.

Wenn wir zu normalen Zeiten diese Grundrichtung bedenken, fällt es leichter, auch in Ausnahmesituationen die Gebärende als selbstverantwortliche Persönlichkeit wahrzunehmen.

Ergo: Ich wünsche mir weit mehr als nur die Rücknahme der coronabedingten Gebärregelungen. Ich wünsche mir Frauen, die an ihren Geburten wachsen, statt sich unterzuordnen.

4 Gedanken zu „Geburtshilfe in einer Welt nach Corona: Zurück auf Anfang?“

  1. Liebe Katharina,

    danke, dass Du mit Deinem wertvollen Beitrag an unserer Blogparade teilgenommen hast! Wir werden jetzt öfter mal bei Dir vorbeischauen. Evelin liebt die Berichte auf Deiner Seite.

    Alles Liebe
    Patrick

    Antworten
    • Hallo Patrick, danke für die Rückmeldung! Euer Thema hat mich sofort angesprungen 😊 und danke auch für das Lob zu den Geschichten – da werde ich nach weiteren forsten. Gestern habe ich schon Evelins Artikel zu ihrer unbegleiteten Schwangerschaft gelesen. Es wird nicht der letzte sein! 😏

      Antworten

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