Unsere Leistungsgrenze: Erstmals getestet bei der Geburt

In diesem Beitrag plädiere ich für ein Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des weiblichen Körpers, die die meisten von uns vor der Geburt des Kindes nie ausgetestet haben.

Dieser Beitrag soll Mut machen. Er soll aber nicht all diejenigen diskreditieren, die auf verschiedene Weise mit moderner Medizin nachgeholfen haben, ihr Kind gesund zur Welt zu bringen. Denn ob eine Frau ihre innere Stärke in eine selbstbestimmte Geburt umsetzen kann, ist von vielen Faktoren abhängig.

Letztens habe ich mal wieder etwas quergelesen, in dem sehr empfehlenswerten Buch „Die Hebammensprechstunde*“ von Ingeborg Stadelmann.

Dabei fiel mir eine Argumentation von ihr auf, die ich gerne aufgreifen möchte:

Für viele Frauen ist die Geburt ihres Kindes das erste Mal in ihrem Leben, dass sie an ihre körperliche Leistungsgrenze gehen müssen.

Wie immer gibt es hierzu Ausnahmen: Leistungssportlerinnen zählen dazu, aber auch Menschen, die in extrem brenzligen Situationen, z.B., wenn sie in Lebensgefahr waren, das Äußerste aus sich herausgeholt haben.

Aber mal ehrlich: Wir moderne Durchschnittsfrauen, aufgewachsen in einem Industrieland, gehen doch eher selten an die Grenzen unserer körperlichen Leistungsfähigkeit. Wir machen Sport, um uns wohlzufühlen, aber wie laufen nicht tagtäglich mehrere Stunden, um unser Leben zu ermöglichen. Wir zupfen ein paar Erdbeeren vom Strauch, aber wir rackern uns nicht Tag für Tag für die nötigsten Grundbedürfnisse ab, weil wir sonst einen leeren Magen haben.

Ich plädiere nicht dafür, dass wir das ändern sollten. Ich finde es gut, dass wir in einer solchen Sicherheit leben, dass wir wissen: Auch, wenn ich mich morgen total krank fühle und mit der Grippe im Bett bleibe, werden meine Kinder Essen haben, weil das Sozialsystem mich auffängt. Ich finde es großartig, dass wir mit der Bahn die Großeltern besuchen können, die 600km weit weg wohnen. Und auch im medizinischen Sinne ist der Fortschritt für mich Segen, nicht Fluch. Dies gilt nicht nur für Kaiserschnitte, die Leben retten können, sondern auch ganz allgemein für moderne Behandlungsmethoden, die unsere Lebenserwartung deutlich gesteigert haben. In dieser Hinsicht ist auch Sport in der Schwangerschaft zwar förderlich für eine gute Geburt, aber kein Austesten unserer Grenzen.

Ich plädiere also nicht dafür, dass jedes Mädchen schon im Kindesalter allein deshalb körperlichen Höchstbelastungen ausgesetzt sein müsste, um sicherzustellen, dass sie ihre Leistungsfähigkeit bei einer eventuellen Geburt einzuschätzen weiß.

Ich plädiere stattdessen dafür, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass wir diese Leistungsgrenze nie getestet haben. Wenn wir uns bewusst machen, dass die Geburt unseres Kindes vermutlich die erste Situation sein wird, in der wir unserem Körper alles abverlangen, dann wissen wir auch, dass wir uns zutrauen können, weiter zu gehen, als jemals zuvor. Dass wir die Wellen, die Dehnung des Muttermundes und die Presswehen aushalten können. Dass unsere Körper jenseits des Normalen diese außergewöhnliche Leistungsfähigkeit in dieser Ausnahmesituation besitzen.

Vertrauen wir unseren Körpern, dass sie diese Leistungsfähigkeit haben, auch wenn wir sie vorher nie erfahren haben. Dann kann der Körper einer Frau unter der Geburt zu einer wahren Kraftquelle werden.

 

 

 

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