Der heutige Gastbeitrag kommt von Dr. Dorothee Struck, die seit Jahrzehnten Frauen* durch Kinderwunschzeit, Schwangerschaft und Geburt begleitet. Sie plädiert für Vertrauen in den weiblichen Körper, gepaart mit Medizin wenn nötig. Und sie stellt ihre Frauenklasse vor. Thema: Sicher gebären.
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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.
Guter Hoffnung sein, geht das noch?
Sind Sie gerade schwanger, hatte ich Ihnen vor einigen Wochen [im Newsletter] ganz dringend das wunderbare Buch von Ingeborg Stadelmann ans Herz gelegt: Die Hebammensprechstunde*, ein wunderbares Werk, nicht nur wegen der ganzen naturheilkundlichen Tipps und Erklärungen, sondern auch wegen der Kernbotschaft:
Gebären ist kein Drama & Frauenkörper können das! Punkt!
Und wenn mal was schwierig ist, dann sind die Profis zur Stelle und helfen. Gute, wichtige Aussage.
- Stadelmann Verlag
- Die Hebammen-Sprechstunde: Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, Stillzeit - eine einfühlsame Begleitung mit Aromatherapie, Bachblüten, Homöopathie und Pflanzenheilkunde
- ABIS-BUCH
- Gelb
- Ingeborg Stadelmann (Autor)
Guter Hoffnung sein, geht das noch?
Früher hieß es, eine Schwangere sei guter Hoffnung, stimmt das heute noch? Ich erlebe mehr und mehr Verunsicherung und Leistungsdruck. Schwanger-sein ist nicht mehr eine natürliche Kraft von Frauen*, sondern eine Zeit, in der wir ständig auf Hab-Acht der Gefahrenabwehr parat stehen sollen. Oder zumindest wird es so jungen Frauen* über die Medien vermittelt.
Ist der Mutterleib ein gefährlicher Ort geworden?
Wir scheinen zu verlernen, überflutet von Informationen und Marketing, auf unsere Intuition und gesunden Menschenverstand zu hören? Was macht Sinn in Sachen Vorsorge und Früherkennung und wo schießen wir über das Ziel hinaus?
Andere Länder, anderes Frauenleben
Frauenkörper* sind so genial, wir können neues Leben in uns wachsen lassen und das auch unter sehr schwierigen Bedingungen. 1991 habe ich in einem Krankenhaus in Hiranpur, Bihar, Indien an der Grenze zu Bangladesch ein Praktikum gemacht. Auch unter schwierigsten Bedingungen mit Mangelernährung und nahezu nicht-existenter Hygiene (die wir uns in Deutschland kaum vorstellen können) bringen Frauen* in den meisten Fällen sehr gesunde Kinder zur Welt.
Fotos von Dorothee in Indien
(bitte zum Anschauen aufklappen)
Seit dieser Zeit habe ich tiefste Hochachtung vor dem, was Frauenkörper leisten und ein tiefes Grundvertrauen, das Frauen* unkompliziert und ohne viel Arzt-Zutun gebären können.
Ja, ich habe grausige Dinge erlebt und bei unschönen Operationen assistiert im St. Lukes, die Berichte erspare ich Ihnen. Damals habe ich moderne Mutterschaftsvorsorge durch Hebammen und Ärztinnen sehr schätzen gelernt, denn Früherkennung gab es in Hiranpur nicht. Die Frauen* kamen häufig erst dann, oft mit dem Ochsenkarren seit Stunden unterwegs, wenn es eigentlich schon zu spät für sie und ihre Kinder war. Nachdem die Familie manchmal Tage überlegt hatte, ob es lohnt, Geld für den Arzt und den Transport auszugeben. Bihar ist das ärmste Bundesland Indiens mit der höchsten Rate an Analphabeten des Landes und immer noch einer der Flecken der Erde mit der höchsten Müttersterblichkeit rund um die Geburt.
Ich möchte nie wieder unter solchen Bedingungen in der Geburtshilfe arbeiten und zusehen müssen, wie Frauen* sterben, die genauso alt waren wie ich damals, und nur das Pech oder schlechte Karma hatten, in einem Ort wie Hiranpur zu leben.
Früherkennung von Problemen, solange sie klein und behandelbar sind, ist eines der Prinzipien der heutigen Mutterschaftsvorsorge. Aber das Prinzip kippt heute bei uns an mehreren Stellen, denn die Zusammenarbeit von Ärzten oder Hebammen funktioniert nicht immer so Hand in Hand, wie es wünschenswert wäre und von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen wird eine optimale Zusammenarbeit auch nicht gefördert.
18 Monate Gynäkologin bei der British Army
Als ich in den Diensten der Britischen Streitkräfte in Bergen-Hohne gearbeitet habe, sah ich gesunde Frauen* nur vier Mal in der gesamten Schwangerschaft. Den Rest der Vorsorge übernahmen die Hebammen. Ich fand das super, so hatte ich mehr Zeit für die Schwangeren, die mich als Ärztin wirklich brauchten: angeborene Gerinnungsstörungen, Zustand nach Frühgeburt….
Wir Ärzte sind vom Studium her auf das Finden und Behandeln von Krankheiten getrimmt.
Hebammen gehen mehr von Gesundheit und der Fähigkeit von Frauen* aus, Kinder gebären zu können. Untersuchungen bei uns Ärztinnen sind eher Geräte-lastig, aber ist das immer weise? Medizinisch für mich oft ein guter Erkenntnisgewinn und ich für mich weiß, dass das nur ein Teil des Puzzlespiels ist, herauszuhören, wie es Mutter* und Kind geht. Was erzählt mir die Patientin, wie sieht sie aus, Körperhaltung, lebendige rosige Gesichtsfarbe oder abgeschafft und fahl? Wie fühlt sich Ihr Körper bei der Tastuntersuchung an, ist der Bauch angespannt oder entspannt und ist die betreffende Frau „da“, anwesend im Körper?
Schwierig wird es aber, wenn eine Frau mir ohne Geräte-Untersuchung nicht mehr glauben kann, dass ihr Körper es leisten kann, ihr Baby gut zu versorgen. Die Sono-Kiste oder das CTG soll zeigen, dass es dem Kind gut geht und alles in Ordnung ist. Wir sind heute in Westeuropa sehr Technik-gläubig und müssen uns unsere Intuition oft mühsam bewahren, ein zartes Pflänzchen. Zuviel Gerätemedizin schwächt die Eigenwahrnehmung für den Körper und das Gefühl für das werdende Leben im Bauch. Vertrauen in sich selber und in die eigene Intuition ist heute wichtiger denn je.?
Wie häufig sind gewaltvolle Geburtserfahrungen?
In den letzten Wochen bin ich etwas mehr auf Insta aktiv, poste etwas mehr, vor allem lese ich viel und bin ehrlich gesagt, geschockt: Ständig Postings darüber, dass Geburtshilfe Gewalt gegen Frauen* ist.
Letzten Freitag hatte ich – endlich mal wieder – Zeit für einen virtuellen Kaffee mit Ingeborg Stadelmann, sprach das an und sie bestätigte, was ich wahrnehme. Ja, natürlich gibt es Gewalterfahrungen unter der Geburt, das zu verneinen wäre grausam den Frauen* gegenüber. Natürlich gibt es ruppige, unreflektierte Kolleginnen und Kollegen – aber es ist wie mit den Polizisten. Wegen ein paar sehr, sehr fauler Äpfel im Korb gleich zu sagen:
ACAB heißt „All Cops Are Bastards“ / Alle Polizisten sind Schweine… Nein!
Ich bin über wunderbare Polizisten und Polizistinnen in meinem Bekanntenkreis sehr froh und bin ihnen sehr dankbar, dass Sie ihren Job gewissenhaft tun!
Sind alle Hebammen und Ärztinnen in der Geburtshilfe Gewalttäterinnen? Absolut nicht! Die meisten Menschen sind nicht böse, aber sie zeigen, wie es ihnen geht und das ist leider viel zu oft: übermüdet, gestresst da schwierige Arbeitsbedingungen und manchmal auch einfach schlecht ausgebildet.
Nein, ich will wirklich nicht entschuldigen, wenn mit Frauen* unter der Geburt übergriffig und hart umgegangen wird, so gar nicht. Das ist schlimm, muss aufhören und Supervision für Kreißsaal-Teams als Pflichtveranstaltung ist längst überfällig. Aber: Hilft es, alle Menschen, die in Krankenhäusern arbeiten generell anzuprangern?
Teufelskreis Angst – Anspannung – Schmerz
ACAB? AÄAB? All Ärztinnen Are Bastards? Nein!
Oh, sowas von gar nicht! Wenn ich aber so geprägt in den Kreißsaal gehe, ständig auf hab Acht, angespannt, verängstigt, dann greift der Teufelskreis Angst – Anspannung – Schmerz und eine leichte, entspannte Geburt wird schwieriger. Was tun? „Ich kenne meine Rechte, Mr. Officer, fassen Sie mich nicht an?“ Eine Geburtsklinik ist kein Knast, sind wir Gegner oder Partner auf dem Weg zu Ihrem Kind, Ihrer Geburtserfahrung?
?Gerne komme ich hierbei immer wieder auf das Thema Kampfkunst zurück, ja, ich habe es nie weiter als bis zum Gelb-Gurt geschafft, bin in den letzten 30 Jahren mit meiner Senseia viel öfters Bier trinken gegangen als im Dojo auf der Matte gestanden und mache nur noch ein wenig Tai-Chi. Beim Thema Selbstverteidigung denke ich immer an den Landeslehrgang 1992. Ein Karatemeister trat gegen eine Tai-Chi-Legende an und der wirklich extrem fitte Karate-Typ hat absolut kein Bein an Deck bekommen. Genial: der ruhige, kleine Tai-Chi-Schwarzgurt bewegte sich fließend wie Wasser und tanzte mit der Energie des harten Karatekas. Die perfekte Art, sich in einer schwierigen Umgebung zu bewegen.
Die erste Regel der Kampfkunst lautet: Vermeide den Kampf. Wer gut aufgestellt ist, kommt meist drumherum.?
Aus dem Gespräch mit Ingeborg sind zwei Dinge entstanden:
1. wir werden am 01.10. einen Online-Kurs machen mit dem Titel „Frau sein ist keine Krankheit!“ – Die Anmeldungslinks teile ich mit Ihnen im Newsletter, sobald das Backend steht.
2. Eine FrauenKlasse: „sicher gebären“ am 24.06. 19:30 Uhr 90 Minuten: Was kann frau ganz praktisch tun, in einer Zeit, in der kleine, familienorientierte Geburtshilfeklinken geschlossen werden, Hebammenmangel herrscht und in vielen Krankenhäusern Stress und Hektik die Atmosphäre prägt. Hausgeburtshebammen sind auch Mangelware, das ist auch nicht der Weg, den alle Frauen* für sich möchten. Verstehen, wie laufen Dinge, wie stelle ich mich auf, bereite mich vor, eine Basis-Technik in mentaler Selbstverteidigung, aus dem 3Keys® HypnoBirth Kurs und eine kurze Hypnose runden die FrauenKlasse ab. Es gibt natürlich eine Aufzeichnung.
Eisen und Seide
Nach unserem Gespräch stand ich vor meinem Bücherregal: Hypnose neben Geburtshilfe neben Klassikern wie „Eisen & Seide“ von Mark Salzman, eine autobiographische Erzählung, wie er an einer Medizinhochschule in China Englisch unterrichtete und selber nebenbei Kampfkunst studierte. Wahre Kraft entfaltet sich, wenn Du wechseln kannst, mal Eisen mal Seide in Deiner Bewegung. Bist Du immer hart, bist Du langsam und wirst nichts erreichen.
Vielleicht bin ich so begeistert in die Hypnose hineingesprungen, da mir einige Prinzipien so natürlich sind, aus Kampfkunst und Buddhismus lange bekannt. Nur, der „Weg der leeren Hand“ alias Karate, Jiu-Jitsu, Tai-Chi und Meditation ist ein langer Weg; Hypnose oft eine radikale Abkürzung, eine sehr strukturierte Form, schnell mit dem Unterbewusstsein zu arbeiten. Ich freue mich schon darauf, im Spätherbst mit der nächsten Unterrichtsgruppe zu beginnen und im nächsten Frühjahr gibt es auch wieder einen 3Keys® HypnoBirth-Training für Hebammen und Kolleginnen.
Aber erstmal bringe ich Ihnen, wenn Sie gerade schwanger sind, in der FrauenKlasse „sicher gebären“ eine Grundtechnik der mentalen Selbstverteidigung bei und gebe Ihnen sehr praktischen Rat, wie Sie unter schwierigen Bedingungen in der heutigen Geburtshilfe sicher gebären können.
Ihre
Dorothee Struck
Dr. Dorothee Struck
Dr. Dorothee Struck ist Frauenärztin. Lange Jahre hatte sie eine Praxis in Kiel, mittlerweile berät sie Frauen vor allem online zu den Themen Kinderwunsch und Geburt. Ihr Credo: Individualität in der Betreuung führt zu den besten Ergebnissen.
Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen
Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!