…so oder so ähnlich muss der Wortlaut gewesen sein, als wir, friedlich an einander gekuschelt, im Bett gelegen haben.Aber beginnen wir mit meinem Geburtsbericht von vorne. Dazu muss man wissen, dass meine Schwangerschaft nicht unbedingt das war, das man allgemein als „Traumschwangerschaft“ bezeichnet. Im Gegenteil. Die ersten 5 Monate verbrachte ich über der Kloschüssel (in Worten: FÜNF!!). Die restlichen 4 mit Wehen, extremen Wassereinlagerungen und allgemeinen Unwohlsein.
Empathie ist keine Hautcreme
Das für mich schlimmste an meiner Schwangerschaft ist und bleibt aber die Tatsache, das mich so gut wie niemand ernst genommen hat. Am tragischsten ist es, dass sogar mein Frauenarzt mich als weinerliche Erstgebärende abgestempelt hat. Denn selbst wenn das CTG rund gelaufen ist und ich mich über Schmerzen beklagte bekam ich nur ein müdes Lächeln und seinen Standardsatz: „Das sind Übwehen, das gehört dazu. Sollte es schlimmer werden können sie ja jederzeit vorbei kommen.“
Selbst einen Tag bevor meine Fruchtblase kapitulierte, ich vor Schmerzen kaum gehen konnte, das CTG hohe Wellen geschlagen hat, alle 5 Minuten, und ich dann doch leicht panisch mal vorbei kam, versicherte er mir, das meine Tochter keinerlei Anstalten machen würde früher zu kommen. Tja, das war wohl die schlechteste Prophezeiung des Jahres.
Zwei Wochen lang verbrachte ich mit regelmäßigen Wehen. Ich konnte nicht essen, ich konnte nicht schlafen. Ich verließ mich, unwissend wie ich war, auf medizinisches Fachpersonal. Heute weiß ich, dass mein Bauchgefühl verlässlicher war, aber hinterher ist man ja immer schlauer. Jeder, der mir sagte, dass ich doch bitte geduldig sein soll, dass jeder Tag im Bauch für das Kind wichtig ist landete ohne Umschweife auf meiner Blacklist.
Bitte nicht falsch verstehen. Ich sah das genauso, ich wollte unter keinen Umstanden mein Kind gefährden. Aber ich konnte und wollte nicht glauben, dass es für die kleine Perle in meinem Bauch gut sein konnte. Hieß es denn nicht immer, dass das- Kind fühlt, was ich fühle? Dann war ich mir sicher, dass das Kind schwer genervt ist.
Wehen Willkommen
Ich begann also, auf anraten des Krankenhauses, ab der 35. Schwangerschaftswoche auf die Geburt hinzuarbeiten. Ich lief Treppen, ich stopfte Unmengen an Zimtsternen in mich rein, ich trank literweise Wehentee. Zur Freude- meines Mannes hoffte ich sogar auf die Kraft von Sex. Wir gingen spazieren, bis ich vor lauter veratmen nicht mehr konnte. Doch auf eins war Verlass, sobald ich im Bett lag, ließen die Wehen nach, bzw. wurden erträglich.
Ich weinte, ich schrie, ich wollte nicht mehr schwanger sein. Die kleine Blase, die in mir wohnte, wurde immer ruhiger, die Sorgen fraßen- mich fast auf.
Am Tag des Wochenwechsels, bei 36+0, gab ich schließlich auf. Mein Mann war nur noch für 4 Tage im Land, ich wollte die letzten Tage mit ihm genießen, bevor ich ihn für 5 Monate nach Mali in den Einsatz gehen lassen musste. Wir gingen schick essen, machten uns einen schönen Tag und versuchten, die Schwangerschaft, den Bauch, das Baby und die Schmerzen so gut es ging außen vor zu lassen.
Kapitulation die Erste
„Schatz, meine Fruchtblase ist geplatzt“, dieser Satz beendete unseren ruhigen Abend um ca. 21:00 Uhr in einer Nanosekunde. Mein sonst so gemütlicher, entspannter Gatte wurde hektisch, ich kam aus dem Kichern nicht mehr raus. Während gefühlte Sturzbäche in die Laken liefen, konnte ich nicht aufhören zu lachen. Pascal rannte rum wie ein kopfloser Hahn, es war zu komisch.
Da er noch, ohne Sinn und Verstand, meine Kliniktasche umpackte, schnappte ich mir ein Handtuch, klemmte es zwischen meine Beine und watschelte die Treppen hoch, um meine Mama zu alarmieren, die geistesgegenwärtig den Rettungswagen rief.
Schon auf der Fahrt ins Krankenhaus merkte ich die ersten Wehen, war ich aber ja schon gewohnt, gut aushaltbar, ich war zu Scherzen aufgelegt. Der Sanitäter bemerkte, dass die Wehen da schon alle drei Minuten kamen und fand das besorgniserregend. Der kannte ja aber auch meine Krankengeschichte nicht, der Arme.
Im Krankenhaus angekommen wurde ich von der nicht ganz so gut gelaunten Nachtschicht empfangen, wir wurden in den Kreißsaal geführt und eine gefühlte Ewigkeit warten gelassen. „Ihre Fruchtblase ist gesprungen“, war die erste Aussage, nachdem ich untersucht wurde. Die dumme Antwort: „Ach, echt. Da wär ich ja im Leben nicht drauf gekommen“ konnte ich mir gerade noch so verkneifen. Der Gebärmutterhals war kaum messbar, der Muttermund fingerdurchlässig.
Wir wurden Spazieren geschickt. Auch etwas, dass ich heute besser weiß. Mit immer schlimmer werdenden Wehen im zwei-Minuten-Takt gestaltet sich so ein achtstündiger Spaziergang als herrlich unangenehm. Ich bettelte förmlich um eine Badewanne, ich bekam eine Badewanne. Während mein Mann auf einer Liege friedlich schnarchte, versuchte ich, im Wasser planschend, besonders leise vor mich hin zu wehen, um seinen Schlaf nicht zu stören.
Ich bin mit sicher, ich wäre bis zur Geburt im Wasser geblieben, wenn mein Kreislauf nicht versagt hätte. Hat er aber und so krabbelte ich unter kaum aushaltbaren Wehen aus dem Wasser und wurde in den unsympathischsten, herzlosesten, OP ähnlichsten Kreißsaal verfrachtet, den ich in meinem Leben gesehen hatte. Hier wollte ich kein Kind bekommen. Das dies tatsächlich nicht eintreffen würde, konnte ich ja nicht ahnen.
Ich war müde, war ich doch mittlerweile schon gute 14 Stunden massiven Schmerzen ausgesetzt. Ich konnte nicht mehr stehen, meine Beine waren schwer vom vielen Laufen, ich war heiser vom Schreien, ich war der personifizierte Schmerz.
Nach 16 Stunden bekam ich das erste Schmerzmittel, mehr, um den Muttermund, der sich einfach nicht öffnen wollte, zu unterstützen, als mir den Schmerz zu nehmen. Ich bekam es kaum mit. Lethargisch lag ich auf der Seite, nickte zwischen den Wehen ein, schrie, wenn die nächste kam und klammerte mich hilfesuchend an meinen Mann.
Nach 20 Stunden entschied mehr meine Familie als ich, dass es nun Zeit für ein härteres Schmerzmittel sei. Ich bekam eine Art Morphin, die Wehen wurde angenehmer, ich konnte schlafen. – Mein Muttermund blieb derweil unverändert auf 4cm. Kaum lies das Schmerzmittel nach, merkte ich, dass ich mithelfen musste. Ich rief die Hebamme, wurde leicht panisch, ich war nicht bereit. Irgendetwas stimmte nicht.
Ich wurde untersucht, unsanft, während einer Wehe, ich hätte der Dame am liebsten den Arm abgebissen. Dann die Ernüchterung. Der Kopf steckte noch immer nicht fest im Geburtskanal, der Muttermund ging nicht auf. Mir wurde zu einer PDA geraten, mein Körper brauchte eine Pause. Und während wir noch diskutierten warum ich keine PDA wollte, bemerkte ich eine Veränderung. Meine Wehen wurden aushaltbar, die Abstände wurden grösser.
Diagnose: Geburtstillstand
Das hatte mir gerade noch gefehlt. Der Arzt kam, es wurde ausgeschlossen, dass unser kleines Mädchen ein Sternengucker ist. Er gab mir zwei Optionen: PDA und Wehentropf- ODER– Kaiserschnitt.
Über mir brach der Himmel zusammen. Ich wollte keine PDA, ich wollte keinen Kaiserschnitt. Ich wollte das Wunder der Geburt erleben, ich wollte meinem Kind die Chance geben, natürlich auf die Welt zu kommen. Ich lag seit 20 Stunden in den Wehen, ich war nicht mehr zurechnungsfähig. Hilfesuchend wandte ich mich an meinen Mann, rücksichtsvoll wie er ist wollte er mir diese Entscheidung nicht abnehmen.
Ich entschied mich für die PDA, den Wehentropf, denn ein Kaiserschnitt war das letzte das ich wollte. Das Wehenmittel wurde gebracht, meine Angst stieg, als die Hebamme das Mittel anschloss wurde ich leicht panisch. „Wie war das nochmal mit der PDA?’, fragte ich unsicher. Und da klatschte mir die Realität auch schon mit voller Wucht ins Gesicht. Es gab keine PDA, die Gefahr, dass sie die Wehen hemmt, war zu groß. Und da lag ich nun, ich, die nie eine PDA wollte und weinte dicke Krokodilstränen, weil ich keine PDA bekam. Versteh einer die Frauen.
Falls ich bis dahin dachte, ich wüsste, was Schmerzen sind, lachte die Realität sich schon wieder ins Fäustchen. Ich hatte keine Ahnung. Das Wehenmittel traf mich mit so einer Heftigkeit, ohne Vorwarnung, ohne Pause, dass mir kaum Zeit zum Atmen blieb.
Jegliche Körperfunktionen die nicht überlebenswichtig waren, setzten aus. Über mir brach der Himmel zusammen und ich stand in Flammen. Die Untersuchungen zwischendrin nahm ich nur von weit weg war, das Raunen, das Getuschel. „Das Kind liegt zu gerade, es kann nicht ins Becken rutschen“, diese Aussage veränderte alles.
Kapitulation die Zweite
Wut, Frust, Verzweiflung, Schmerz und Angst. Panische Angst um mein Kind, dessen Herztöne nicht mal mehr aufgezeichnet wurden. Ich kapitulierte. Ich gab auf. Mein Verstand, mein Körper; nach 22 Stunden konnte ich nicht mehr. Ich verlangt nach einem Kaiserschnitt und ich bekam ihn.
Der Wehenhemmer hatte keine Chance gegen die Intensität der Wehen die mein Körper produzierte. Die Spinale wurde mir in meinen Wehenpausen gelegt, zu dritt wurde ich festgehalten um es dem Anästhesist leichter zu machen. Wie oft er Nachspritzen musste, bekam ich nicht mehr mit. Der erste Sprung in meiner Psyche war schon vollzogen, mein Kopf war leer. Die Erleichterung in den Augen des Menschen, den ich am meisten Liebe, zu sehen, als ich nach dem Kaiserschnitt verlangt habe, hat mir vor Augen geführt, wie groß die Angst um mich war. Wie verzweifelt er war, dass er mir nicht helfen konnte. Leider sah meine Psyche darin auch Versagen. Ich konnte ihm kein Kind schenken. Ich nicht.
Das Kind wird zur Welt „gezerrt“
Drei Ärzte, 2 Hebammen und eine OP- Schwester brauchte es, um das Kind aus mir raus zu bekommen. Es wurde gezogen, gedrückt, gerissen und auf mich geworfen. Trotz extremer Betäubung merkte ich jede Bewegung, zog mir mehrere Muskelfaserrisse in den Schultern und Rücken zu.
Um 19:43 Uhr durchdrang ein gellender Amazonenschrei den OP- Saal. Ich hatte es geschafft, sie lebt, das Gefühl der Erleichterung erschlug mich mit voller Wucht. Hektisch wurde sie zum Kinderarzt gebracht, eine Freundin von mir, Kinderkrankenschwester, brachte sie schliesslich zu Pascal und mir.
Zum ersten Mal in unserer Beziehung sah ich meinen Mann weinen. Er schaute dieses kleine Wesen mit soviel Liebe an, da war so viel Gefühl in seinem Blick, dass ich nicht aufhören konnte ihn anzusehen. Und da war dieses kleine, feuchte Bündel, dieses Hübsche kleine Wesen. Und ich weinte bittere Tränen, denn ich fühlte gar nichts. Ich fühlte mich leer, war nur froh, dass es vorbei war.
Und mir wurde warm, unnatürlich warm. Ich war müde, so unendlich müde. Als ich das erste Mal äußerte, dass ich so müde bin, schickte der Anästhesist Pascal zu Julie. Beim zweiten mal wurde mein Körper schwer, ich konnte die Augen kaum aufhalten, mir war so warm. Ich hielt noch immer Pascals Hand, ohne drüber nachzudenken bat ich ihn, auf unser kleines Mädchen aufzupassen. Ich versicherte ihm, dass sie ihn braucht und dass ich ihn liebe. „Bitte vergiss das nicht“, das ist der letzte Satz der mir im Gedächtnis geblieben ist, bevor meine Lichter ausgegangen sind. Mein Kreislauf versagte. Ich wurde ohnmächtig.
Als ich wieder zu mir kam, war ich alleine. In einem Aufwachraum. Ohne meinen Mann, ohne mein Kind, ich fühlte mich so unendlich einsam.
Um zu verarbeiten, muss man sprechen
Ich habe lange gebraucht um diesen Geburtsbericht nieder zu schreiben. Ich kämpfe noch heute mit Flashbacks, ich habe Albträume. Ich habe das Gefühl, versagt zu haben, bis heute. Ich hatte Probleme, mein Kind anzunehmen. Ich hatte keine Gefühle für das kleine Wesen, das mich so sehr gebraucht hat. Ich hatte Schmerzen, habe die Kontrolle über meinen Körper erst Stunden später zurück erlangt. Meine Wünsche bezüglich Stillen wurden missachtet. Mein Mann fuhr in den Einsatz. Es kam alles zusammen.
Aber ich habe es geschafft. Ich habe eine Beziehung zu meinem Kind aufgebaut und liebe sie heute mehr denn je. Die Beziehung zu meinem Mann hat sich intensiviert. Es hat mich stärker gemacht. Trotzdem kann und will ich nicht sagen, dass ich die Geburt verarbeitet habe. Dafür bedarf es mehr.
DU bist nicht alleine
Mit diesem Bericht möchte ich nicht nur mir etwas von der Seele schreiben. Er ist für all die anderen Frauen da draußen, die sich nicht trauen, offen über ihre Erlebnisse zu sprechen. Die das Gefühl, zu versagen, nur zu gut kennen. Die die Belehrungen von anderen Müttern, die so etwas nicht erleben mussten, satt haben. Die das Gefühl haben, alleine zu sein mit Ihren düsteren Gedanken.
Ihr seid nicht allein. Nur wenn man darüber spricht, kann man etwas verarbeiten. Meine Tür steht euch offen, jederzeit!
Diesen Geburtsbericht hat Sandy zuerst auf ihrem Blog „Mama ohne Plan“ veröffentlicht. Du findest ihren Blog hier:- https://mamaohneplan.com/2018/02/10/schatz-meine-fruchtblase-ist-geplatzt/.