Außenpolitik, Sozialpolitik, Asylpolitik, Verkehrspolitik, Umweltpolitik, Bildungspolitik, Gesundheitspolitik, Innenpolitik — und noch einiges mehr. Als Wähler*innen wählen wir bei der nahenden Bundestagswahl mit der Erst- und Zweitstimme Personen und Parteien, die sich zu vielen Politikfeldern positionieren. In der medialen Debatte ist die Frage nach der Geburtshilfe dort selten vertreten. Deshalb stelle ich die Wahlprogramme zur Geburtshilfe in diesem Beitrag vor.
Dieser Beitrag ist Teil der Serie Bundestagswahl 2021. Die Serie besteht aus folgenden Teilen, die jeweils verlinkt werden, sobald sie online sind.
- Vorstellung der Wahlprogramme mit Hinblick auf Geburtshilfe
- Vorstellung von Wahlprüfsteinen verschiedener Verbände zur Geburtshilfe
- Auswertung der Antworten der eigenen Parteien zu den Wahlprüfsteinen zur Geburtshilfe
Inhalt
Was will welche Partei beim Thema Geburtshilfe erreichen?
Im Folgenden zitiere ich aus den aktuellen Wahlprogrammen von Parteien, die zur Bundestagswahl 2021 antreten. Mir ist bewusst, dass ich hier nicht alle Parteien aufliste. Wenn du im Wahlprogramm einer nicht erwähnten Partei etwas Spannendes zur Geburtshilfe findest, gib mir gern Bescheid. Ich ergänze dann die Liste.
Die untenstehende Liste ist alphabetisch geordnet.
Allianz für Menschenrechte, Tier- und Naturschutz
Das Wahlprogramm enthält keinerlei Auskunft zur Geburtshilfe.
AfD: Geburtshilfe im Wahlprogramm
Die AfD fordert eine geburtenfördernde Familienpolitik (Seite 104). Neben finanziellen Anreizen setzt sie sich auch für eine Stärkung der vertraulichen Geburt ein:
Wir wollen die Möglichkeiten der anonymen bzw. vertraulichen Geburt weiter ausbauen und stärken sowie die Verfügbarkeit von Babyklappen sicherstellen.
AfD-Wahlprogramm, Seite 110.
Darüber hinaus will sie die wohnortnahe Geburtshilfe in Krankenhäusern stärken:
Die AfD fordert die Einführung eines Individualbudgets für Krankenhäuser, um auch in strukturschwachen
AfD-Wahlprogramm, Seite 136.
Gebieten wohnortnah beispielsweise Notfalleinrichtungen, Abteilungen für Geburtshilfe und insbesondere die
stationäre Behandlung von Kindern zu ermöglichen.
Basisdemokratische Partei Deutschland (DieBasis): Geburtshilfe im Wahlprogramm
Die Partei DieBasis hat ein Rahmenprogramm, in dem allerdings die Geburtshilfe nicht vorkommt. Überhaupt werden keine konkreten Forderungen gestellt. Zur medizinischen Versorgung heißt es zum Beispiel lediglich:
Wir setzen uns für die Vielfalt medizinischer und therapeutischer Ansätze und Methoden ein.
Rahmenprogramm DieBasis, Punkt 2.1
Bündnis90 / Die Grünen: Wahlprogramm zur Geburtshilfe
Wie bereits in einem Bundestags-Antrag in der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode sprechen die Grünen auch in ihrem Wahlprogramm von einem Kulturwandel in der Geburtshilfe. Sie fordern unter anderem:
- Geburtshilfegipfel zur Erarbeitung von Qualitätsstandards
- 1:1 Betreuung
- Wahlfreiheit des Geburtsortes (allerdings bleibt unklar, ob sich das nur auf Krankenhäuser, oder auch auf die außerklinische Geburt bezieht)
- wohnortnahe Versorgung (ambulant und stationär)
- Sensibilisierung für Gewalt in der Geburtshilfe
- Etablierung des Betreuungsbogens vor, während und nach der Geburt
- Reform der Haftpflichtversorgung (nicht nur für Hebammen)
- Aufnahme der Rufbereitschaftspauschale in den Katalog der Kassenleistungen (allerdings steht nicht im Programm, bis zu welchem Umfang)
- erleichterter akademischer Titelerwerb für Hebammen, die eine Ausbildung gemacht haben (also vor der Akademisierung des Berufs)
- Ausbau hebammengeführter Geburtshäuser und Kreißsäle
- Aufhebung finanzieller Fehlanreize für Kaiserschnitte
Quelle: Wahlprogramm der Grünen, Seite 60 und 61
Bürgerrechtsbewegung Solidarität
Weder im Kurzprogramm noch im Grundsatzprogramm greift die Partei die Geburtshilfe auf.
CDU/CSU-Wahlprogramm zum Thema Geburtshilfe
Die Union hat keine explizite Stellungnahme zur Geburtshilfe. Mehrfach geht es im Wahlprogramm darum, Familien zu stärken und die wohnortnahe Versorgung mit medizinischen Angeboten sicherzustellen, zum Beispiel:
„Wir sorgen dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen digitalen, wohnortnahen und möglichst barrierefreien Weg, zum Beispiel zur Haus-, Fach-, Zahnarzt- und Notfallversorgung, zu Apotheken,
CDU/CSU-Wahlprogramm, Zeile 2233-2235
Hebammen, Physiotherapeuten, Gesundheitshandwerken und Sanitätshäusern haben.“
Die Linke
Die Linke will eine gute gesundheitliche Versorgung bereits in der Schwangerschaft. Konkret geht es um die Versorgungssicherung auch im ländlichen Raum. Außerdem soll ein Haftungsfond eingerichtet werden, um die Haftpflichtversicherungen abzulösen.
Spannend ist auch der konkrete Bezug auf das Vorbild der Niederlande in Bezug auf die Hebammenbetreuung:
Hebammen können erste Ansprechpartnerinnen für Schwangere und die Schwangerenvorsorge sein — wie in den Niederlanden. Dieses Verständnis eines neuen Berufsbildes sollte sich auch in der Vergütung niederschlagen.
Wahlprogramm der Linken, Seite 35
Die PARTEI
Die PARTEI hat auf ihrer Homepage kein Programm zur Bundestagswahl 2021. Im Programm zur Wahl 2017 findet sich nichts zur Geburtshilfe.
Die Urbane. Eine HipHop Partei
Die HipHop-Partei beschäftigt sich mit den bürokratischen Elementen von Geburt. Außerdem heißt es:
– Recht auf Selbstbestimmung von gebärfähigen Menschen in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett!
Deutlich bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen von Hebammen und Geburtshelfenden!-
Aus dem Parteiprogramm der Hiphoppartei.
Europäische Partei LIEBE
Die Partei geht nicht auf das Thema Geburtshilfe ein.
Familienpartei
Die Familienpartei hat nur einen Absatz zur Geburtshilfe:
Die mit einer Geburt verbundenen Lasten und Risiken sind von der Gesamtgemeinschaft mitzutragen. Sowohl akute als auch dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen und Schädigungen bei Mutter und Kind sind durch finanzielle und institutionelle staatliche Hilfe soweit möglich aufzufangen. Eine Geburt darf nicht als selbst zu verantwortendes privates Risiko hingestellt werden.
Grundsatzprogramm der Familienpartei, Seite 17
FDP-Wahlprogramm zur Geburtshilfe
Der FDP geht um die Stärkung der Freien Berufe, zu denen auch Hebammen und Geburtshelfer zählen.
[Andere Freie Berufe sowie] Hebammen und Geburtshelfer müssen in medizinischen Fragen autonom und frei von Weisungen Dritter entscheiden können.
FDP-Wahlprogramm, Seite 37.
Außerdem sollen Hebammen sowohl finanziell entlastet als auch fachlich unterstützt werden:
Wir Freie Demokraten wollen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Hebammen und
FPD-Wahlprogramm, Seite 42.
Geburtshelfer sowie innovative Möglichkeiten für eine bessere Unterstützung. Wir befürworten Lösungen,
um Hebammen vor unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen ihrer freiberuflichen Arbeit zu
schützen. Von fachfremden Tätigkeiten wollen wir Hebammen entlasten
Spannend finde ich den Ansatz, Menschen ohne Hebammenqualifikation in die Versorgung einzubeziehen:
Engagierten Schulabsolventinnen und Schulabsolventen, die die EU-Mindestvorgaben zum Erlernen des
FDP-Wahlprogramm, Seite 42.
Hebammenberufes nicht erfüllen, wollen wir bezüglich des Ziels einer solide finanzierten Eins-zu-eins-Betreuung dennoch ermöglichen, in der Geburtshilfe tätig zu werden. Dafür schlagen wir vor, den ergänzenden Beruf der „Mütterpflegekraft“ für die Vor- und Nachsorge im Wochenbett einzuführen.
Inwieweit die Leistungen einer solchen Mütterpflegekraft (die es ja schon gibt) dann von der Krankenkasse übernommen werden, bleibt im Wahlprogramm offen.
Feministische Partei – DIE FRAUEN
Ich bin mir nicht sicher, ob das Programm der feministischen Partei ein eigenes Wahlprogramm zur Bundestagswahl ist oder ein Grundsatzprogramm. Das wird auf der Homepage nicht ganz klar.
Inhaltlich wird folgendes gefordert:
- gerechte Einkommens- und Kompetenzverteilung, ganz besonders für Hebammen und Krankenschwestern
- vereinfachte Zulassung von selbständigen Ärzt*innen, Hebammen, Therapeut*innen aus anderen Kulturkreisen
- Förderung von Selbstwertgefühl und positiver Selbstannahme; Respektieren von Entscheidungen der Patientinnen (nicht nur geburtsbezogen)
Hier geht es zum vollständigen Programm der Feministischen Partei.
Freie Wähler: Wahlprogramm zur Geburtshilfe
Die freien Wähler fordern
- finanzielle Unterstützung für kleine Geburtshilfestationen zur Sicherstellung der wohnortnahmen Versorgung
- Förderung von hebammengeleiteten Kreißsälen und Geburtshäusern
- finanzielle Anreize zur Gründung einer Hebammenpraxis auch in ländlichen Gebieten
- Haftungsfreistellungsfonds
- Stärkung des Hebammenberufs als Freier Beruf
(Quelle: Wahlprogramm der Freien Wähler unter den Punkten „Wohnortnahe Geburtshilfe und Hebammenberuf fördern“ und „Freie Berufe bei der Gesundheitsversorgung stärken“)
Gartenpartei
Die Gartenpartei setzt sich mit der Geburtshilfe nicht auseinander.
Menschliche Welt
Die Partei Menschliche Welt deckt folgende Themen im Wahlprogramm ab:
- Kostenlose, umfassende Bildungsmöglichkeiten und Beratung
- Ausrichtung der medizinische Versorgung von Müttern von der Empfängnis bis nach der Geburt ist ausschließlich am Wohl von Mutter und Kind; „auf den langen Traditionen von Mutterschaft und weiblicher Weisheit“
- Kooperationen im Gesundheitswesen (keine explizite Nennung von Ärzt*innen und Hebammen)
- Förderung von Hebammen
- Förderung von Hausgeburten
- bessere Gesundheitsversorgung auf dem Land
Partei für Gesundheitsforschung
Die Partei für Gesundheitsforschung hat erwähnt die Geburtshilfe nicht in ihrem Programm.
Partei für Kinder, Jugendliche und Familien — Lobbyisten für Kinder
Die Partei fordert ein „Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt“. (Parteiprogramm)
Piratenpartei
Die Piratenpartei hat in ihrem Grundsatzprogramm die Geburtshilfe nicht erwähnt. Ein Wahlprogramm 2021 gibt es nicht. Im Wahlprogramm 2017 werden folgende Punkte angesprochen:
- wohnortnahe, flächendeckende und niederschwellige geburtshilfliche Versorgung
- Wahlfreiheit des Geburtsortes
- 1:1-Betruung klinisch und außerklinisch
- Angemessene Vergütung von Hebammen
- steuerfinanzierter Fonds für Haftpflichthärtefälle für außerklinische und klinische Geburtshilfe
- Hebammenwissenschaft als Forschungsfeld
Quelle: Wahlprogramm der Piraten 2017, Punkt 13.12.8
SPD: Geburtshilfe im Wahlprogramm
Die SPD erwähnt bei der Wahl des Geburtsortes ausdrücklich auch außerklinische Geburtsorte:
Paare, die sich für Kinder entscheiden, brauchen Versorgungssicherheit und die freie Wahl des
Wahlprogramm der SPD, Seite 43
Geburtsortes. Ob nun stationär oder ambulant in der Klinik, im Geburtshaus oder in den eigenen vier
Wänden.
Außerdem erwähnt die SPD folgende Punkte:
- 1:1-Betreuung im Kreißsaal
- Abschaffung der diagnosebezogenen Fallpauschalen
- leistungsgerechte Vergütung freiberuflicher Hebammen
Team Todenhöfer – Die Gerechtigkeitspartei
Die Partei von Jürgen Todenhöfer geht im Wahlprogramm nicht auf die Geburtshilfe ein.
Fazit zur Geburtshilfe in den Wahlprogrammen: Gar nicht, unkonkret, etwas konkreter
Die Wahlprogramme der einzelnen Parteien unterscheiden sich in ihrer Ausführlichkeit teilweise stark voneinander. Doch auch ein sehr umfangreiches Wahlprogramm (wie das der Union) führt nicht unbedingt zu einer konkreten Auseinandersetzung mit dem Thema Geburtshilfe.
Welche Partei dich inhaltlich am meisten anspricht, bleibt dir selber überlassen. Wenn es dir so geht, wie mir, hast du allerdings noch einige offene Fragen. Und auch anderen Menschen und Vereinen ging es so. Deshalb gibt es ein paar Verbände und Vereine, die sich mit Wahlprüfsteinen explizit an die politischen Parteien gewendet haben, um noch einmal nachzuhaken. Welche Vereine das sind und welche Fragen sie gestellt haben, werde ich einer der nächsten Wochen vorstellen. Bis dahin freue ich mich auf deine Rückmeldung: Welche Partei fehlt dir noch? Was überrascht dich, was nicht?
2 Gedanken zu „Wahlprogramme zur Geburtshilfe: Was wollen die Parteien?“