Gesetzlichen Vaterschaftsurlaub gibt es in Deutschland ausdrücklich noch nicht mal für den Tag der Geburt. Häufig stimmen Arbeitsgeber einem Tag Urlaub zu. Das ist dann Sonderurlaub. Danach hat der Vater entweder Elternzeit oder geht sofort wieder arbeiten.
Nun hat sich eine Initiative zum Ziel gesetzt, dies zu ändern: Verschiedene Organisationen und Multiplikator*innen wollen gemeinsam durchsetzen, dass Väter nach der Geburt eines Kindes zehn Tage bezahlt von der Arbeit freigestellt werden. Dafür haben sie eine Online-Petition gestartet.
Koordiniert von Papaseiten.de wird die Petition von vielen verschiedenen Personen, Unternehmen und Vereinen unterstützt (auch mein Statement findet sich auf der Seite).
Auch ich unterstütze die Kampagne ausdrücklich. Dennoch möchte ich, bevor ich euch unten die Möglichkeit gebe, die Petition ebenfalls zu unterstützen, den Petitionsvorschlag ein weniger genauer unter die Lupe nehmen und sowohl Argumente zusammentragen, die für diese Regelung sprechen, als auch die Gegenargumente.
Inhalt
Was genau soll durch die Petition „Vaterschaftsfreistellung“ erreicht werden?
Väter, die in einem Anstellungsverhältnis stehen, sollen zur Geburt ihres Kindes zehn bezahlte Urlaubstage erhalten, die die ersten zehn Arbeitstage nach der Geburt des Kindes betreffen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass sich sowohl Mutter als auch Vater voll um die Belange der Familie kümmern können.
Es sollen bis Mitte August insgesamt 50.000 gültige Stimmen gesammelt werden. Dann möchten Die Initiator*innen die Unterschriften an das Bundesfamilienministerium und dem Familienausschuss des Bundestages übergeben, damit diese sich mit der Thematik beschäftigen. Letztendlich ist das Ziel, eine entsprechende EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen.
Das Thema ist übrigens im Bundestag nicht neu. Es gibt einen Antrag der Fraktion DIE LINKE, eine Vaterschaftsfreistellung für 10 Tage einzuführen. Wenn du dir die Expert*innenanhörung im Deutschen Bundestag anschauen willst, kannst du das hier tun.
Argumente für eine solche Regelung
Männer müssen sich nicht mehr trauen: Eine neue Normalität entsteht
Viele Männer geben an, eigentlich mehr Zeit mit der Familie verbringen zu wollen, sich aber nicht zu trauen, dem*der Arbeitgeber*in dies entsprechend zu sagen. Zu groß ist die Sorge vor negativen Auswirkungen im Beruf. Dabei zeigen Studien, dass Männer, wenn sie Elternzeit nehmen, den Karriereknick wesentlich weniger fürchten müssen, als Frauen [siehe Interview (SZ) und Studie (Allensbach-Stiftung)].
Eine gesetzliche Regelung zum Vaterschaftsurlaub würde diese Sorge komplett streichen. Wenn Väter nach der Geburt eines Kindes gesetzlich zu Hause bleiben, ist das eben so. Es hat nichts mehr mit einer Entscheidung gegen den Betrieb zu tun.
Sorgearbeit wird vom Geschlecht entkoppelt
Nach einer Geburt gibt es viel zu tun. Gerade, wenn ältere Geschwister im Haushalt leben, steht das Leben nicht still, nur weil die Mutter im Wochenbett liegt. (Und ja, die Mutter sollte das Wochenbett nutzen, um wieder zu Kräften zu kommen — nicht zum Putzen und Kochen!).
Gerade bei Hausgeburten sind Väter natürlich stark eingebunden und tragen ihren Teil zur Geburt bei (mehr dazu auch in meinem E-book der kompetente Hausgeburtsvater). Doch auch bei Klinikgeburten gibt es danach genug zu tun: Wenn der Vater nach der Geburt sofort wieder arbeiten geht, steht die Mutter nach der Entlassung aus der Klinik zu Hause mit allen Aufgaben allein da, so lange sie keine (meist weibliche) Verwandtschaft oder Bekanntschaft hat, die sich um sie kümmert.
„Das ist halt Frauenarbeit“, heißt es dann immer noch aus manchem Mund — manchmal auch verschleiert als „meine Frau kann das besser als ich“. Klar kann sie es besser, wenn sie es immer macht.
Väter können genauso gut wickeln wie Mütter. Väter können große Geschwister betreuen. Väter können Babys in den Schlaf tragen. Väter können dreckige Stoffwindeln waschen oder die Pampers entsorgen.
In den ersten Tagen können sie das aufgrund ihrer körperlichen Verfassung vermutlich sogar besser als Mütter. (Mein Mann hatte definitiv das Wickeln eher drauf als ich…)
Wenn wir die Papas nicht einfach direkt wieder arbeiten schicken, haben sie viel mehr Gelegenheit, sich einzubringen. Nicht alle Menschen müssen alles mögen. Ich liebe Wäschewaschen nicht. Und nur, weil ich Brüste und eine Vagina habe, mache ich das auch nicht automatisch besser. (Dafür habe ich letzte Woche Beton gegossen. Ernsthaft. War auch nicht nett, aber ich habe mich halt auch nicht gedrückt — wie mein Mann sich auch nicht gedrückt hat vor den Windeln.) Die Automatisierung „Mama macht alles, was zum Baby gehört“ kann leichter unterbunden werden, wenn die Männer ebenfalls zu Hause sind.
Geschwisterkinder können in der neuen Situation aufgefangen werden
Gerade, wenn die Mutter im Mutterschutz vor der Geburt des Babys die Hauptansprechperson für ältere Geschwister war, fällt es manchen Kindern schwer, mit der neuen Situation in der Familie umzugehen. Mama kümmert sich viel um das Baby und braucht Ruhe. Hat sie die älteren Kinder überhaupt noch lieb?
Wenn Papa da ist, kann diese Umgewöhnung leichter fallen. Natürlich ist es sinnvoll, damit nicht erst nach der Geburt anzufangen, sondern bereits während der Schwangerschaft die Kinder auf das neue Baby vorzubereiten. Ein paar Bücher dafür habe ich hier zusammengestellt: Kinderbücher zur Geburtsvorbereitung.
Das Wissen um die Situation der Mutter und des Neugeborenen steigt
Geburten sind heutzutage recht seltene Erlebnisse in unseren Leben. Durchschnittlich wachsen zwischen ein und zwei Kindern in einer Familie auf. Wenn dann die Geburten noch ins Krankenhaus verlegt werden (und wegen der Corona-Pandemie auch noch die Besuchsmöglichkeiten eingeschränkt werden), verschwinden sie komplett aus unserem Alltag. Und damit verschwindet auch die Erfahrung im Umgang und das damit verbundene Wissen.
Und wenn du dann in den ersten Lebenstagen nach der Geburt deines Kindes acht Stunden am Tag weg bist, kannst du natürlich auch lange nicht so viel Wissen aufsaugen wie bei Anwesenheit. (Auch, wenn Bücher da helfen.)
Väter, die nach der Geburt des Kindes wieder arbeiten, verpassen vermutlich auch die Hebammennachsorgetermine. Sie können keine Fragen stellen. Sie nehmen nicht wahr, was da gerade passiert. Sie hören vielleicht nachher das Ergebnis, aber sie sind nicht Teil des Prozesses.
Diese Situation kann wesentlich verbessert werden, wenn Väter nicht arbeiten gehen, sondern tatsächlich anwesend sind in den ersten Tagen nach der Geburt.
Wir respektieren, dass Familien Zeit brauchen
Eine Geburt ist ein einschneidendes Erlebnis — egal ob Wunschgeburt oder traumatische Geburt. Es dauert, sich danach in der neuen Konstellation zurecht zu finden. Es nutzt nichts, davon auszugehen, dass die Familie nach der Geburt eines Kindes sofort wieder zur Mehrung des Wirtschaftswachstums bereit steht.
Familien brauchen Zeit, um körperlich, mental und organisatorisch klar zu kommen. Die Freistellung erkennt das an.
Auch Väter brauchen Zeit, um anzukommen. Auf einmal ist da dieses Wesen. Natürlich war es vorher auch schon da, aber es war im Bauch der Mutter. Nun ist es da, der Vater kann es in den Arm nehmen. Wie sollen wir von Vätern erwarten, dass sie sich liebevoll einbringen, wenn sie das Kind kaum kennenlernen können?
Finanzielle Sicherheit durch bezahlten Vaterschaftsurlaub
Eine bezahlte Freistellung ist finanziell planbar. Die Familie wird also darin unterstützt, sich in dieser Zeit nicht auch noch Gedanken über das Haushaltskonto machen zu müssen.
Argumente gegen eine Regelungen zur zehntätigen Vaterschaftsfreistellung
Wie gesagt: Ich persönlich unterstütze die Petition. Es wäre aber nicht ehrlich, nicht auch die Gegenargumente zu nennen.
Nicht jeder Vater will zu Hause bleiben
Nicht jeder Vater fühlt sich wohl, diese zehn Arbeitstage zu Hause zu bleiben. Es mag ein besonders wichtiges Projekt bei der Arbeit geben, oder es mag auch persönliche Gründe geben. Wir sollten uns nicht anmaßen, diese Entscheidung für die Väter zu treffen.
(Natürlich könnte man nun argumentieren, dass wir das mit dem Mutterschutz ja auch tun… Die Diskussion endet hier nicht.)
Verrechnung mit der Elternzeit und dem Elterngeld
Elterngeld wird nach Lebensmonaten des Kindes ausgezahlt. Will der Vater also den ersten Lebensmonat des Kindes Elternzeit nehmen und Elterngeld beantragen, stellt sich die Frage, ob die Vaterschaftsfreistellung dann praktisch flachfällt, oder zusätzlich zum Elterngeld gezahlt wird. (Die Organisatoren der Petition wünschen sich, dass es zusätzlich gezahlt wird.) Der Elterngeldantrag ist jetzt schon ziemlich kompliziert — ich befürchte, dass eine neue gesetzliche Regelung das nicht vereinfacht. (Andererseits: viel komplizierter kann es auch nicht werden, oder!?)
Übrigens ist die Haltung der (noch aktuellen) Bundesregierung, dass unsere Elterngeldregelung weit über die Vorgaben der EU hinausginge und es deshalb keinen Handlungsbedarf gebe.
Mütter sind im Krankenhaus
In Deutschland ist es die Ausnahme, Kinder außerklinisch zur Welt zu bringen. Die allermeisten Frauen entscheiden sich für eine Klinikgeburt. Zwar werden ambulante Geburten (gerade auch wegen der coronabedingten Besuchsverbote) häufiger, doch bleiben immer noch viele Mütter mit ihren Neugeborenen wenigstens ein paar Tage in der Klinik. Gerade bei Erstgebärenden stellt sich dann die Frage, ob der Vater auch in dieser Zeit ständig am Krankenhausbett sitzen soll, oder ob er nicht lieber die freien Tage für die erste Zeit zu Hause nutzen würde. In diesem Fall könnte die Freistellung dann zum Beispiel erst am 3. Lebenstag beginnen. Wenn diese flexible Handhabung nicht möglich ist, könnte die Regelung gerade mit Corona und ohne ältere Geschwisterkinder ins Leere laufen.
Benachteiligung von Selbstständigen
Wenn es ein reiner Lohnausgleich sein soll, werden Selbstständige davon nicht profitieren. Sie werden somit benachteiligt.
Mehr Stress zu Hause
Nicht immer ist es harmonisch, wenn beide Elternzeile zu Hause sind. Die Arbeit kann ein Ausgleich sein, der nicht fehlen sollte.
Weitere Gedanken
Regenbogenfamilien
Die Initiatior*innen der Petition wollen durch gesetzlichen Vaterschaftsurlaub neue Familienmodelle nicht benachteiligen; allerdings braucht es laut Holger von papaseiten.de „noch mehr Ideen, wie das gelingen kann.“ Es stellen sich zum Beispiel Fragen zu leiblichen Vätern, die kein Sorgerecht ausüben (z.B. bei lesbischen Paaren oder auch bei alleinerziehenden Müttern).
Es ist auch die Frage, wie mit Adoptionen direkt nach der Geburt umgegangen werden soll.
Der Blick über den Tellerrad
Wie gesagt: Es gibt die EU-Richtlinie, die eine bezahlte Väterzeit vorsieht. Die Ausgestaltung ist allerdings immernoch Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten. Und die legen die Richtlinie teils sehr unterschiedlich aus.
Ich zitiere folgend aus einem Beitrag von Men’s Health, die ebenfalls die Petition unterstützen. Hier geht es um die drei Länder Schweden, Frankreich und Spanien.
Jedes Land macht es ein bisschen anders. In Schweden zum Beispiel, das gerne als Vorbild bei diesem Thema herangezogen wird und schon Anfang der 1970er ein ähnliches Elternzeit-System eingeführt hat wie Deutschland, besteht zusätzlich zum Anspruch auf Elternzeit ein Recht auf 10 Tage Freistellung für Väter innerhalb der ersten drei Monate nach der Geburt, bei Lohnersatz in Höhe von 80 Prozent. Im Nachbarland Frankreich besteht zusätzlich zur Elternzeit ein Anspruch auf 11 Tage Freistellung für Väter innerhalb der ersten vier Monate nach der Geburt, der in Höhe des französischen Mutterschaftsgelds bezahlt wird. Zuletzt schauten aber alle bei dem Thema Vaterschaftsurlaub nach Spanien: Seit 1. Januar 2021 haben Väter dort Anspruch auf eine ebenso lange Elternzeit wie Mütter, nämlich 16 Wochen. Die ersten sechs Wochen Elternzeit unmittelbar nach der Geburt sind für die Väter sogar obligatorisch. Zudem erhalten beide Eltern vollen Lohnausgleich.
Aus einem Artikel der Men’s health, abzurufen hier.
Vaterschaftsfreistellung vs. Vaterschaftsurlaub
Ich persönlich finde den Begriff Vaterschaftsfreistellung wesentlich passender als Vaterschaftsurlaub. Denn wer nach der Geburt zu Hause bleibt, hat keinen Urlaub. Dennoch nutze ich in diesem Beitrag beide Begriffe, und zwar aus dem einfachen, aber wichtigen Grund, dass wesentlich mehr Menschen bei Google nach Vaterschaftsurlaub als nach Vaterschaftsfreistellung suchen und ich gerne sowohl die einen als auch die anderen über diese Petition informieren möchte.
Fazit
Es gibt durchaus Gegenargumente, die aber aus meiner Sicht auf individueller Ebene gut gelöst werden können, wenn die gesetzliche Vorgabe ordentlich umgesetzt wird. Ich möchte euch deshalb ermutigen, die Petition unten zu unterstützen.
Wie stehst du zu dem Vorschlag? Ich freue mich auf Kommentare!
Beteilige dich an der Petition!
Du kannst die Petition direkt hier unterschreiben. Dabei akzeptierst du die Datenschutzerklärung von Open Petition. Wichtig ist außerdem, dass du nach deiner Petitionszeichnung in dein Mailpostfach schaust und die Mail bestätigst — nur dann kann deine Stimme gezählt werden. Die Mail kommt dann übrigens mit dem Absender „Katharina Tolle (Ich Gebäre)“, aber der Mailadresse service@openpetition.de, wenn du deine Stimme über das hier eingebundene Widget abgibst.
Wenn du dagegen erst noch mehr Infos brauchst, wirst du auf der Petitionsseite fündig.
Ich finde es richtig und gut, dass die Väter beteiligt und entsprechend unterstützt werden.