Vater, Mutter, Kind(er). Das ist die Grundlage der allermeisten Familiengeschichten. Auch die meisten Geschichten, die ich zur Geburtsvorbereitung für Geschwisterkinder vorgestellt habe, gehen von diesem Familienbild aus. (Eine Ausnahme bildet Uwe Spillmanns Buch Erzähl mir nix vom Storch. Da geht es diverser zu.)
Doch Lebensrealitiäten sind verschieden. Das gilt auch für Familien. Und genau deshalb bin ich so endlos begeistert vom Buch So sind Familien* von Judith Allert und Marie Braner.
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Das Buch erzählt in 14 Geschichten von ganz unterschiedlichen Kindern, die in ganz unterschiedlichen Familien aufwachsen. Jede Geschichte ist circa fünf bis sechs Seiten lang und liebevoll illustriert.
Hautfarbe, körperliche Einschränkung, Anzahl der Kinder, Geschlecht der Eltern, Beziehungsstatus der Erwachsenen — all das wird im Buch unaufdringlich und kindgerecht angesprochen. Im Zentrum stehen aber nicht diese Unterschiede zwischen den Menschen, sondern ihre Gemeinsamkeit: Wir sind Familie, und wir halten zu einander — auch, wenn es mal nicht so gut läuft. Familie bedeutet nicht, dass man nicht streiten würde oder es niemals Stress gäbe. Familie bedeutet, dass wir das alles auf der Grundlage von Liebe tun.
In dieser Rezension möchte ich vor allem auf zwei der vierzehn Geschichten eingehen, denn sie beschäftigen sich mit dem Thema Geburt. (Aber ganz ehrlich: ALLE Geschichten sind toll und bringen uns als Erwachsene doch auch immer mal zum Nachdenken…)
Ungewollt Einzelkind
Moritz wächst bei seinen leiblichen Eltern auf. Er wünscht sich gern ein Geschwisterchen: So hätte er immer jemandem zum Spielen und wäre nie alleine.
Als er das Thema seinen Eltern gegenüber anspricht, wird seine Mutter traurig und sein Vater erklärt, dass das nicht möglich sei, weil Vater und Mutter zu alt für noch ein Kind seien.
„Weißt du, es hat ganz lang gedauert, bis Mama mit dir schwanger war. Und irgendwann sind Erwachsene zu alt für kleine Babys.“
Moritz‘ Papa in der Geschichte „Moritz will ein Geschwisterchen“ aus dem Buch „So sind Familien“.
Doch immer, wenn es um das Thema geht, wird seine Mama erst traurig und dann ungeduldig. „Moritz!“, sagt sie. „Es geht einfach nicht.“
Geschichte „Moritz will ein Geschwisterchen“ aus dem Buch „So sind Familien“.
Moritz ist so enttäuscht, dass er von zu Hause wegläuft und sich verläuft. Der Nachbar Herrn Friedrich mit seinem Hund Schnuffel erkennt Moritz und spricht ihn an. Moritz erklärt Herrn Friedrich seine Lage. Dieser bringt Moritz nach Hause und bietet ihm an, bei Langeweile doch mit Schnuffel Gassi zu gehen.
Sollen Kinder immer alles wissen?
Als ich die Geschichte das erste Mal gelesen habe, dachte ich mir: Wow, endlich eine Geschichte, in der deutlich wird, dass ein unerfüllter Kinderwunsch für die Eltern ein schwieriges Thema ist.
Ich finde es toll, dass auch die Eltern in dieser Situation Emotionen zeigen. Als Kind hätte ich vermutlich mit der Frage aller Fragen reagiert: WARUM!? Und genau das hätte ich auch von Moritz erwartet. Vor allem aber hätte ich mir von seinen Eltern gewünscht, dass sie Moritz noch genauer erklären, warum sie kein weiteres Kind mehr bekommen wollen. Denn natürlich ist es ganz allein ihre Entscheidung und es gibt viele gute Gründe: Vielleicht kam schon Moritz dank einer Kinderwunschbehandlung auf die Welt und die Eltern möchten diese Prozedur nicht nochmals über sich ergehen lassen. Vielleicht fehlt auch das Geld dafür. Vielleicht ist bei der Mutter mittlerweile die Menopause eingetreten. Vielleicht spielen andere Krankheiten bei Mutter oder Vater eine Rolle.
In jedem Fall hätte ich mir gewünscht, dass seine Eltern Moritz genauer erklären, warum sie nur ein Kind haben. Denn offensichtlich beschäftigt ihn das Thema sehr.
Geburt auf dem Straßenfest
Die letzte Geschichte im Buch handelt von einem Straßenfest. Die Geschichte rundet das Buch wunderbar ab, denn viele der Familien, die in den Geschichten vorgestellt werden, wohnen in derselben Straße und nehmen am Straßenfest teil.
Hauptperson dieser Geschichte ist Yuki. Yukis Mama ist hochschwanger. Und als auf dem Straßenfest die Wehen einsetzen, helfen alle mit: Ein Taxi wird gerufen, kommt allerdings wegen einer Straßensperrung nicht schnell genug an. Bei Yukis Mutter platzt die Fruchtblase und der Geburtsverlauf ist recht rasant. Sie bittet eine der anwesenden Frauen um Hilfe: Diese ist Hebamme. Zusammen mit Yukis Papa verschwinden die Gebärende und die Hebamme in dem Zelt, das eigentlich als Lese- und Kuschelzelt für die Kinder gedacht war. Und bevor der Taxifahrer ankommt, setzen die Presswehen ein. Also kommt Yukis Brüderchen im Kreise der Nachbarn zur Welt (hier gibt es eine gewisse Parallele zu Lucianas Geburt).
Yukis kleiner Bruder Taro kommt also in einer unkomplizierten außerklinischen Geburt zur Welt. Das allein finde ich schon cool für ein Kinderbuch; immerhin gibt es kaum Kinderbücher, die außerklinische Geburten behandeln.
Einzigartig wird die Geschichte allerdings durch Yukis Perspektive. Denn wir erfahren gar nicht, was genau im Zelt eigentlich vorgeht. Als Leser*innen bleiben wir die ganze Zeit bei Yuki. Yuki wartet vor dem Zelt und wird nach und nach von verschiedenen anderen Personen angesprochen. Und dabei kommen Yukis Gefühle hoch: Seit sie von der Schwangerschaft ihrer Mutter wusste, hatte Yuki sich auf ihren Bruder gefreut. Nun aber hat sie Angst davor, dass sich durch die Geburt des Brüderchens vieles ändern könnte. Davor hat sie Angst, denn „Jetzt war doch neun Jahre lang fast alles gleich.“ (Geschichte „Plötzlich große Schwester“ im Buch So sind Familien)
Zum Glück nehmen die anderen anwesenden Personen sie mit ihrer Angst ernst. Die anderen Kinder erzählen ihr, dass Geschwister nicht immer cool sind, aber eben doch die meiste Zeit. Und dass sie zusammenhalten, wenn es ernst wird. Und dass es natürlich okay ist, sich auch mal doof zu finden und eine Weile aus dem Weg zu gehen.
Als die Hebamme Yuki ins Zelt ruft, spürt Yuki in ihrem ganzen Körper die Kleinebruderliebe — diese Zuneigung, die Geschwister unvoreingenommen zu einander zieht.
Empfehlung: So sind Familien
Ich empfehle das Buch für Kinder ab fünf Jahren — unsere Jüngste hört zwar jetzt mit dreieinhalb schon mit, versteht aber die Geschichten noch nicht ganz.
Wenn du gerade dein Kind auf die Geburt eines Geschwisterkindes vorbereiten willst, gibt es selbstverständlich speziellere Bücher als dieses. Dennoch lege ich dir das Buch aufrichtig ans Herz. Denn es erklärt auch schon sehr kleinen Kindern in liebevollen und abwechslungsreichen Geschichten, wie unterschiedlich Kinder aufwachsen. Und das kann zum Beispiel helfen, wenn dein Kind fragt, warum ein befreundetes Kind keine Geschwister hat oder warum die Kinder einer Familie unterschiedliche Hautfarben haben.
Diese Vielfalt lässt sich leicht auf die Vielfalt von Geburtserfahrungen übertragen: Auch hier gilt schließlich: Keine zwei Geburten gleichen einander. Jede Geburt ist einzigartig.
In der Vielfalt liegt die Einzigartigkeit jeder Geschichte.
Wie gefällt dir das Buch „so sind Familien“?
Falls du das Buch gelesen hast, freue ich mich auf deine Rückmeldung: Wie fandest du es? Welche Geschichte hat dir besonders gut gefallen? Welche Familiensituation hast du vermisst?
Und welche anderen Familienbücher kannst du empfehlen? Gib mir gern einen Tipp, welches Buch ich als nächstes vorstellen soll.
1 Gedanke zu „So sind Familien: Vielfalt auch von Geburtserfahrungen“