Als erstes: Offiziell heißen Männer, die den Hebammenberuf ausüben, Entbildungspfleger. „Männliche Hebammen“ bringt es aber genauer auf den Punkt, denn es schwingt direkt die entscheidende Frage mit: Dürfen und sollen die das!? Obwohl sie Männer sind?
Ich finde: Ja, sie dürfen. Und ja, sie sollen.
Und hier sind meine Gründe dafür:
1.) weibliche und männliche Frauenärzt*innen
Wenn wir als Frauen argumentieren, dass wir lieber Frauen haben, die bei der Geburt unserer Kinder anwesend sind (zumindest jenseits des Kindsvaters), dann sollten wir diese Einschränkung auch für das ärztliche Personal machen. Ja, ein Arzt hat unter der Geburt eine andere Rolle als ein Entbindungspfleger. Im Zweifelsfall würden aber beide testen, wie weit der Gebärmuttermund bereits geöffnet ist. Und laut der Ärztestatistik zum 31. Dezember 2018 von der Bundesärztekammer (hier herunterzuladen) sind von 18622 Ärztinnen und Ärzten in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe genau 12694 weiblich. (Quelle: Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2018, Seiten 4 und 5.) Das sind 68,17%, also gut zwei Drittel. Ein Drittel sind also im Umkehrschluss Männer. Diese haben bisher noch nicht geklagt, dass ihnen die Patientinnen fehlen. Gut, wenn es genau eine gynäkologische Praxis am Ort gibt, ist es nicht immer eine Wahl im eigentlichen Sinne, aber dennoch — genug Frauen sagen zumindest, dass es ihnen egal ist, zu einem männlichen Gynäkologen zu gehen; manche entscheiden sich bewusst dafür.
2.) Ein Chirurg muss keinen gebrochenen Arm gehabt haben, um einen Armbruch operieren zu können
„Der hat ja selber kein Kind auf die Welt gebracht — wie soll er da ein guter Entbindungspfleger sein?“ Tja. Gute Frage. Wie kann ein Arzt ein Herzchirurg sein, wenn er selber nie einen Herzfehler hatte? Die Antwort ist natürlich ebenso offensichtlich, wie die Frage rhetorisch ist: Wer Hebamme oder Entbindungspfleger ist, hat eine Ausbildung durchlaufen. Am Ende ist die Person eine ausgebildete Fachkraft und als solche berechtigt, den Beruf auszuüben. Längst nicht alle Hebammen, die Geburten betreuen, haben selber geboren. Das tut für den Beruf erstmal nichts zur Sache. (Anders ist das übrigens bei Doulas: Um zertifizierte Doula zu sein, muss die Frau auch selber Mutter sein.)
Abgesehen davon gibt es noch einen anderen Aspekt: Nicht alle Hebammen arbeiten in der direkten Geburtshilfe. Es gibt auch viele, die „nur“ die Vorsorge, Wochenbettbetreuung oder Kurse (Geburtsvorbereitung, Rückbildung etc.) anbieten. Gründe dafür gibt es viele (von Bezahlung über Terminmanagement bis hin zu persönlichen Vorlieben). Ein Entbindungspfleger kann also genauso gut all diese Aspekte übernehmen, dann fällt das Argument „der hat noch nie ein Kind geboren“ weg.
3.) Vertrauen über Geschlecht
Geburt, aber auch Geburtsvorsorge und -nachsorge sind intime Momente. Das persönliche Vertrauen zwischen der betreuten Familie und der Hebamme oder dem Entbindungspfleger wiegt wichtiger als die Frage, ob die Person einen Penis hat oder nicht. Das führt mich direkt zum nächsten Punkt:
4.) Männergespräche
Stellen wir uns folgende Situation vor: Frau und Baby liegen zu Hause im Wochenbett. Die vorbereitete Liste mit Fragen (Link folgt) liegt bereit. Die Hebamme kommt, beantwortet die Fragen der frisch-gebackenen Mutti, untersucht das Neugeborene. Die Chemie stimmt. Die Mutter fragt zu allem Möglichen. Nur nicht zu dem, was den Vater, der mittlerweile dazugekommen ist, bewegt. Das kann reichen von „schau mal bitte, ob ich richtig wickel“ bis hin zum Klassiker „wie schnell nach der Geburt darf meine Frau wieder Sex haben“ (Antwort: sofort, siehe den Beitrag, der hier verlinkt werden wird)?)
Es wäre doch schön, wenn ein Mann die Gelegenheit bekommt, sich zu trauen, diese Fragen zu stellen. Wenn männliche Entbindungspfleger diese Hürde senken, finde ich das ein gutes Argument! (Und für alle anderen gilt: Sucht das Gespräch mit anderen Männern, wenn ihr nicht mit Frauen darüber reden wollt. So wie diese beiden Herren.)
Und noch eine andere Art von Männergesprächen ergibt sich vielleicht durch männliche Entbindungspfleger:
„Du bist Hebamme?“ – „Ja, aber es heißt eigentlich Entbindungspfleger.“ – „Wow. Ich könnte das nicht. Geburt ist nichts für Männer. Ich überlasse das lieber meiner Frau“ – „Tja, gebären können wir Männer normalerweise nicht (Ausnahmen bestätigen die Regel… Link folgt), aber es ist trotzdem gut, wenn wir wissen, was abläuft. Wir können unseren Frauen die Geburten sehr versüßen…“ Ach, was wäre das schön. So würden vielleicht auch mehr Paare kurz vor der Geburt nochmal im Bett landen.
5. Nicht mehr nur ein Frauenproblem
Stellen wir uns mal vor, die Menge der männlichen Entbindungspfleger bekäme eine politisch wirksame Bedeutung. Dann wären die überfüllten Kreißsääle, die schließenden Geburtsstationen, die mangelnde Versorgung und die schlechte Bezahlung nicht mehr nur ein Frauenproblem! Das wäre doch politisch höchst interessant, denn bisher sind die Themen ja doch eher immer noch „Gedöns“, wie Gerhard Schröder mal Frauen- und Familienthemen nannte. Es wäre doch schön, wenn die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Geburt nicht mehr nur ein Problem von Frauen wären.
Fazit: Ich will keine Frau zwingen, einen männlichen Entbindungspfleger zu engagieren. Es wäre aber auch schade, wenn Frauen und Familien, die aus persönlichen Gründen einen Mann als Entbindungspfleger wünschen, diesen nicht bekämen.
Und, wie geht es euch mit männlichen Entbindungspflegern? Hinterlasst mir gerne einen Kommentar!
In diesem Beitrag referenzierte Beiträge:
- Geheimnisse des Muttermundes, Teil 3: Welche Rolle hat er bei der Geburt?
- Was ist eine Doula?
- Ein überhörtes Bahngespräch – ein Dank an die Papas, denen es nicht egal ist
- Geburt einleiten? – Ab ins Bett!
- Stunden später… Ankunft im Kreißsaal. Das Problem schließender Geburtsstationen
- Das Problem, das nur Frauen haben – und auch die nur selten