Am heutigen Nikolaus-Tag teilt Marion mit uns den Brief, den sie nach der Geburt ihres Sohnes an ihre Hebamme schrieb.
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Um denjenigen gerecht zu werden, die sich mit den Worten „Frau“ oder „Mutter“ nicht identifizieren können, obwohl in ihrer Geburtsurkunde „weiblich“ steht, habe ich mich dazu entschlossen, in meinen eigenen Beiträgen „Mutter“ und „Frau“ jeweils mit dem Inklusionssternchen zu versehen. Ihr werdet also Frau* oder Mutter* lesen (falls der Text von mir kommt und nicht von anderen Menschen). Geschlechtergerechte und inklusive Sprache ist mir ein Herzensthema, allerdings ist (meine persönliche und die gesellschaftliche) Entwicklung dazu noch lange nicht abgeschlossen. Mal sehen, wie ich es in Zukunft angehe. Mehr zum Thema liest du unter anderem hier: Sollte ein Geburtsblog geschlechtsneutral sein, Gebären wie eine Feministin und Sex, Gender, Geburten und die deutsche Sprache.
Alle Adventskalender-Geschichten 2024
Alle Geschichten des Adventskalenders erscheinen nach und nach hier im Blog. Ob ich wirklich alle Tage füllen kann, weiß ich noch nicht. Einen Überblick erhältst du hier (und nach und nach funktionieren auch die Links.) Alle Geschichten aus den vergangenen Jahren findest du hier.
Adventskalender 2024: Alle Geschichten
(bitte zum Lesen aufklappen)
- Anna: Selbstbestimmte Klinikgeburt
- Jule: Mutter mit 17
- Marisa: Hausgeburt mit Kerzenschein und Plazenta-Smoothie
- Anna: Alleingeburt in der Badewanne
- Corinna: Selbstbestimmte Geburt in der Klinik
- Marion: Die 48-Stunden-Spontangeburt
- Theresa: Geschichte eines Schwangerschaftsabbruchs
- Julia: Geburt vor Termin
- Julia: Selbstbestimmte Geburt mit Einleitung
- Claudia: Geburten einer Doula
- Mandy: Urvertrauen und eine leichte PDA
- Katharina: Das Osterhäschen
- Elisabeth: Hausgeburt mit Geschwisterkindern
- Tara: Vaginale Geburt nach zwei Kaiserschnitten
- Eileen: Hausgeburt mit halbvollem Pool
- Luise: Eingeleitete Geburt in England
- Julia: Geburten meiner Söhne
- Christine: Asthma in der Schwangerschaft
- Diana: Wassergeburt zu Hause
- Eileen: Friedvolle Geburt im Familienkreis
- Nadine: Der gut gelaunte OP-Arzt
- Eileen: Alleingeburt mit ausführlicher Vorbereitung
- Freya: Traumgeburt in Rückenlage
- Eileen: Hausgeburt trotz Hüftschmerzen
Marion: Die 48-Stunden-spontane-Geburt
Auch in diesem Jahr gibt es einen Geburtsgeschichten-Adventskalender und ein paar Adventsverlosungen. Sei dabei!
Personalwechsel im Krankenhaus als Kennenlernmoment
Liebe Hebamme,
es sind 5 Monate vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben. Heute schreibe ich dir diese Zeilen, weil du bisher nur einen kleinen Ausschnitt von vier Stunden meiner Geburtsgeschichte kennst. Ich will ein paar Lücken schließen – für dich und mich.
Wir beide sind uns am 12. Juni 2024 kurz nach 22 Uhr das erste Mal begegnet.
Du hattest gerade die Schicht von deiner jüngeren Kollegin übernommen und warst die Leiterin im Kreißsaal.
Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, wie du mit deiner Hebammenstudentin reingekommen bist.
Du warst hochmotiviert.
Voller Energie.
Während sich mein Akku dem Ende zuneigte. Bei meinem Telefon hätte das Akkuzeichen rot geleuchtet und geblinkt. Ich hatte so richtig miese Laune.
Ich war voller Angst und geflutet von Hormonen und du warst voller Wissen und durchströmt von Autorität.
Ich meine, was sollte das werden?!
Wir prallten wie zwei Welten aufeinander.
Schwanger: Neue Hosen müssen her
Noah David, so lautet der Name unseres kleinen Sohns, steckte noch in mir drin. Ich hatte Schmerzen und seit Stunden das Gefühl, dass es nicht weitergeht. Du hast mir geholfen, meinen Sohn gesund auf die Welt zu bringen. Dafür bin ich dir unendlich dankbar. Heute will ich mit dir teilen, was vorher geschah und wie ich unsere Stunden wahrgenommen habe.
Aber lass uns ganz vorne anfangen.
Wir waren in den Herbstferien 2023 in Leipzig im Urlaub.
Auf dem Weg nach Leipzig hielten wir in einem Outlet. Du musst wissen, ich bin sowieso die einzige meiner Familie, die Shopping nicht mag. Doch dieses Mal war ich besonders mies gelaunt.
Warum?
Das sag ich dir gerne.
Ich hatte mich nach der stillen Geburt von Loreley im Fitnessstudio angemeldet und trainierte fleißig mehrmals die Woche.
Die ersten Erfolge waren sichtbar und ich freute mich.
Doch in den letzten vier Wochen hatte ich trotz Sport wieder zugenommen und meine Hosen wollen einfach nicht mehr passen.
Ich kaufte Hosen in Größe – ach, das tut jetzt nichts zur Sache.
Jedenfalls hatte ich am Abend einen Jieper auf Cola, die ich sonst total ekelhaft finde.
Mein Mann fragte mich: „Sag mal, kann es sein, dass du schwanger bist?“
„Näh! Das kann nicht sein! Das hätte ich doch wohl gemerkt!“ war meine Antwort.
Eine Woche später, am Samstag, den 28.10., saß ich vollkommen aufgelöst auf der Couch und heulte – wegen einer Sache, die heute nicht mehr der Rede wert ist.
Meinem Mann reichte es und er fuhr in die Apotheke, um einen Schwangerschaftstest zu kaufen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich überwinden konnte und auf den Streifen pinkelte. Es dauerte noch einmal eine Weile, bis ich einen Blick riskierte.
Wieder schwanger, ob mit oder ohne Mutterpass
Na, jedenfalls war der Test positiv.
Ich freute mich riesig!
Bei meiner Frauenärztin hatte ich in der nächsten Woche einen Termin, bekam aber noch keinen Mutterpass.
Aufgrund meiner Vorgeschichte wollte sie noch ein wenig abwarten.
War ein echtes Scheißgefühl.
14 Tage später bekam ich meinen Mutterpass.
Dieses Mal war ein Umschlag dabei auf dem die Worte prangten „Mommy To Be“.
Ich war zuversichtlich gestimmt.
Der errechnete Geburtstermin war der 24.06.2024.
Das war noch voll lange!
Die Schwangerschaft: ein mentales Trainingslager
Im Großen und Ganzen hatte ich eine richtig schöne Schwangerschaft.
Was trotzdem total blöd war, war, dass ich vor jedem Arztbesuch Angst hatte. Angst davor, dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung sein könnte.
Was du nämlich nicht weißt, dass ich vor Loreley noch drei Verluste im ersten Trimester hatte. Vielleicht kannst du dir ein wenig vorstellen, dass meine gesamte Schwangerschaft ein einziges großes mentales Trainingslager war.
Richtig schlimm war der Termin zur ersten Feindiagnostik.
Das war am 15.12.2023.
Mr Magic und ich gingen wieder mit weichen Knien hin. Schon bei Loreley hatten uns alle wegen der erhöhten Wahrscheinlichkeit für Trisomien verrückt gemacht. Beziehungsweise wir haben uns verrückt machen lassen. Dieses Mal war es einfach wieder ein total doofes Gefühl. Ich fühlte mich machtlos und vollkommen ausgeliefert. Das Vertrauen ins Leben durfte ich erst noch verinnerlichen.
Auf dem Bildschirm war jedenfalls alles in Ordnung.
Keine Auffälligkeiten.
Alles da, wo es hingehört.
Tutti kompletti.
Mir wurde noch Blut abgenommen.
Sicher ist schließlich sicher.
Außerdem wollten wir wissen, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen bekommen.
Wobei ich mir schon sicher war, dass es ein Junge wird, denn ich hatte ihn schon vor Loreley im Traum im Arm gehabt. Deshalb war ich vor einem Jahr auch so überrascht, als der Arzt in der Feindiagnostik sagte: „Kaufen Sie rosa. Sie verstehen schon.“
Dieses Mal warteten wir eine Woche auf den Anruf, der uns sagen sollte, dass alles okay sei.
Der blieb allerdings aus.
Nun gut, es war kurz vor Weihnachten gewesen.
Trotzdem hatte ich ein komisches Gefühl.
Freitag vor den Weihnachtsfeiertagen rief ich selbst in der Praxis an. Da niemand abnahm, sprach ich auf den Anrufbeantworter. Wenn etwas nicht okay wäre, würde es mir besser gehen, wenn ich es sofort wüsste und nicht über die Weihnachtsfeiertage warten müsste.
Der Rückruf kam auch. Allerdings machte ich gerade Mittagsschlaf, denn die Schwangerschaft machte mir in diesen Tagen extrem zu schaffen. Ich war permanent müde und hatte wenig Energie. Ich konnte also nicht rangehen und rief stattdessen nach dem Mittagschlaf zurück. Doch ich erreichte niemanden mehr.
Vielleicht kannst du dir vorstellen, dass die Nachricht auf dem AB mich nicht beruhigte, sondern das Gegenteil der Fall war. „Wir sind jetzt im Weihnachtsurlaub. Aber gleich am 27.12. können Sie uns ab 8.00 Uhr erreichen.“
Meine Alarmglocken spielten das vollständige Glockenspiel des Horrors und das zu Weihnachten.
Diese Unsicherheit.
Unerträglich.
Am 27.12. klingelte das Telefon in der Arztpraxis noch vor 8 Uhr Sturm.
Die Schwester schaute in die Testergebnisse. Nach einem Zögern sagte sie, dass sie „zufällig“ gerade keinen Zugriff hätte, aber ich würde im Laufe des Vormittags zurückgerufen werden.
Ja, ‚Danke für gar nichts!‘ dachte ich.
Trisomie 13?
Der Arzt rief mich persönlich an, um mir mitzuteilen, dass der NIPT bei Trisomie 13 angeschlagen hatte. Meine innere Welt brach zusammen.
Ich dachte an Loreley. Andere Diagnose, doch das gleiche Gefühl.
Da half es auch nicht viel, dass der Arzt sagte, ich sollte erstmal Ruhe bewahren, weil es sich um einen der häufigsten Fehler des Tests handeln könnte.
Die einzige schöne Botschaft des Telefonats war, dass wir einen Jungen bekommen würden. Wir gaben ihm sofort den Namen Noah David.
Nach diesem Telefonat mussten wir weitere zwei Wochen in diesem hässlichen Zustand der Unwissenheit verweilen, denn die Fruchtwasserspiegelung konnte noch nicht gemacht werden. Unserem Umfeld erzählten wir von alldem nichts. Ich meine, was willst du da auch sagen und dir dann anhören?!
Am 09. Januar wurde endlich die Fruchtwasserspiegelung durchgeführt.
Sehr unangenehm.
Nach 24 Stunden hatten wir das Expressergebnis, weil sich der Arzt persönlich für uns eingesetzt hatte.
Ein negativer Befund und wir atmeten auf.
Nach der Aktion konnte ich über ein möglicherweise bestehenden Schwangerschaftsdiabetes nur müde lächeln.
So vergingen die Wochen und Monate.
Radieschen, Sport und Akupunktur
Ich hatte großes Verlangen nach Radieschen und ging regelmäßig zum Sport.
Meinen letzten Trainingstag hatte ich am 10. Juni 2024.
Das war auch der Tag, an dem ich zur zweiten geburtsvorbereitenden Akupunktursitzung war.
Das war auch die Nacht, in der ich um 23.53 Uhr wach wurde und überlegen musste, ob ich einen Pipitraum hatte, denn zwischen meinen Beinen war es klatschnass. Mir fiel dann wieder ein, dass ich schwanger war und es sich vielleicht um den Blasensprung handeln könnte.
Ich weckte Mr. Magic, er schaltete verschlafen das Licht an und wir sahen den riesigen feuchten Fleck auf dem Lacken.
Erstmal Ruhe bewahren war angesagt, denn wir hatten einen Plan, den wir ganz entspannt abarbeiteten.
Meine Mama anrufen, damit sie zum Kinderhüten vorbeikam. Ab da hatten wir mindestens 90 Minuten Zeit bis zu Übergabe.
Duschen gehen – wer weiß, wann das wieder möglich sein würde.
Bett abziehen und auslüften – wer weiß schon, wann wir wiederkommen.
Essen – wer weiß, wann es wieder was gibt.
Tasche packen.
Die Checkliste lag seit Wochen im Flur und die vorbereiten Klamotten in Noahs Zimmer auf der Wickelkommode.
Ich prüfte meinen Terminkalender und sagte mitten in der Nacht die drei Termine ab, die ich mir noch gemacht hatte. Einer davon war bei meiner Frauenärztin. Ein weiterer im Fitnessstudio. Mein Abo konnte jetzt auf „ruhen“ gesetzt werden.
Dann stellte ich noch ein Buchprojekt für eine Kundin fertig. Alles weitere musste liegenbleiben. Immerhin waren wir 14 Tage vor dem errechneten Entbindungstermin.
„Zeiten setzen. Zeiten halten.“- aber unser Motto interessierte unser Baby nicht.
Mit Blasensprung ins Krankenhaus
Als meine Mutter ankam, waren die Zwillinge schon wach und aufgeregt – mehr als ich. Wir trafen alle Absprachen, setzten uns ins Auto und fuhren zur Klinik nach Potsdam.
In meiner Welt sah es so aus, dass ich fest davon ausging, dass ich gegen 10 Uhr vormittags mein Baby im Arm haben würde. Immerhin war ich ja zwei Mal bei der geburtsvorbereitenden Akupunktur gewesen.
Als wir im Krankenhaus ankamen, gingen wir direkt auf die Kreißsaalstation. Dort wurde ein CTG geschrieben. „Der Muttermund ist einen Zentimeter geöffnet. Das dauert noch ein wenig.“ Wir wurden auf die Mutter-Kind-Station geschickt und checkten ins Familienzimmer ein. Es war Zeit zum Weiterschlafen.
Nach dem Frühstück wurde wieder ein CTG geschrieben.
Dann kam die Pressesprecherin des Krankenhauses, denn wir wurden während der Schwangerschaft von einer Redakteurin eines großen Fernsehsenders begleitet.
Für die Geburt hatten wir uns jedoch gegen die Fernsehkameras entschieden und wollten lieber eigene Aufnahmen machen.
Die Pressesprecherin sagte uns, dass sie gerade aus dem Kreißsaal käme und dort mit der Hebamme gesprochen hatte.
„Das ist eher ein Fall für die Spätschicht“ war ihre Aussage gewesen.
Du kannst dir vorstellen, dass aus meinem 10-Uhr-Plan nichts wurde.
Ich zog eine Schnute und musste mich noch weiter gedulden.
Wehen anregen
Ich sollte essen, Treppen steigen und spazieren gehen, um die Wehen weiter voranzubringen. Davon war ich echt genervt, weil ich am liebsten nur rumliegen wollte, denn ich war wirklich kugelrund.
Aber statt Bettgechille ging es treppab, eine Runde übers Gelände, treppauf, zehn Runden über den Flur, kurz ausruhen und dann wieder von vorne.
Ätzend!
Denn es passierte nichts.
Außerdem bekam ich alle acht Stunden Antibiose in den Tropf.
Gegen 18 Uhr fragte ich die diensthabende Ärztin, wie es im Programm weitergehen würde.
„Na heute leiten wir keine Geburt mehr ein. Schlafen Sie mal lieber und dann sehen wir morgen in der Visite weiter.“
Ich war echt genervt, als sie das sagte, und ging ins Bett zum Schlafen. Je schneller ich schlief, desto eher würde „morgen“ sein.
Geburtseinleitung mit Zäpfchen
Am Mittwoch wurde nach der Visite um kurz nach zehn mit einem Zäpfchen die Geburt eingeleitet.
Dass hieß für mich: weiterwarten.
Was mich an dem Tag ablenkte war mein 12 von 12-Live-Life-Blogartikel auf meiner Webseite. 12 Fotos zeigen meinen Tag. Ich kann dir sagen, dieser Blogartikel ist der bisher erfolgreichste.
Um 17 Uhr kamen die Wehen alle 5 Minuten.
Ich freute mich schon riesig.
Jetzt konnte es jawohl nicht mehr lange dauern.
Ich stelle mir gerade vor, dass du zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich gedacht hättest „Wenn du wüsstest…“. Aber da kannten wir uns ja noch nicht.
Jedenfalls bereitete ich mich mit einem Zäpfchen auf meine Wannengeburt vor.
Ist schon besser, wenn das S.C.Heiße-Thema vorher geklärt wird.
Malediven oder Kreißsaal?
Dann kam die Ärztin rein und fragte, an welchem Ort ich mich jetzt am wohlsten fühlen würde. In meinem Kopf erschien ein 5 Sterne-Hotel auf den Malediven, doch dieses Bild schob ich zur Seite, denn diesen Ort konnte sie unmöglich gemeint haben.
Ich sagte ihr, dass ich gerne in die Geburtswanne im Kreißsaal wollte.
Die kam dem Spa des fünf-Sterne-Hotels noch am nächsten und schien realistisch.
Dann hörte ich die Worte: „Mir wäre es lieber, wenn Sie duschen würden.“
Mal ehrlich, wieso fragt sie mich was ich gerne hätte, wenn ich es dann nicht haben kann?!
Ich argumentierte mit Nachhaltigkeit und Wasserverschwendung, denn stundenlanges Sitzen unter heißem Wasser kann wohl nicht im Interesse von was weiß ich nicht wie vielen Interessengruppen sein.
Sie lenkte zum Glück ein, wir packten ein paar Sachen und stiefelten eine Etage höher in den Kreißsaal.
Dort wurde wieder ein CTG geschrieben und in der Zeit die Wanne vorbereitet.
Herrlich war es, dieses warme Wasser.
Nach zwei Stunden sollte ich die Wanne mal verlassen, und die Schwerkraft arbeiten lassen.
Hatte ich auch keinen Bock drauf, aber ich wollte keine Spielverderberin sein und hievte mich aus der Wanne.
Auf dem Flur hörte ich währenddessen die Kreißsaalführung, die jeden zweiten Mittwoch abends stattfindet.
Tolles Timing!
Wenigstens kamen sie nicht rein, als ich da so rumstand und wartete, dass die Schwerkraft endlich ihre Arbeit tun würde.
Nebenan war auch eine Gebärende zu hören.
Immer wenn ich eine Wehenpause hatte, legte sie los.
Das war schon witzig.
Sie brachte um 22.08 Uhr ihre Tochter Johanna auf die Welt.
Ich lag zu der Zeit auf der Liege im Kreißsaal.
Du weißt schon.
Da hast du mich später auch gefunden.
PDA gewollt, aber nicht gegeben
Was du nicht wusstest: dass ich echt fiese Schmerzen hatte und eine PDA wollte.
Die bekam ich allerdings nicht.
Weshalb ich sie nicht bekam?
Naja, die Hebamme vor dir war noch nicht so erfahren wie du.
Ich bin mir wirklich sicher, dass sie ihre eigenen Worte glaubte.
Sie sagte nämlich immer wieder „Wir haben es gleich geschafft.“
Vielleicht sah sie aber auch den Schichtwechsel kommen und meinte mit „wir“ nur sich selbst.
Wir werden es wohl nie erfahren.
Ich wollte jedenfalls zurück in meine Wanne.
Mr. Magic brachte mich wieder in den Nebenraum.
Das Wasser war ganz frisch.
Dafür war ich dankbar.
Und jetzt kommt’s.
Du kennst ja diese Geburtswannen.
Die sind extra breit und geräumig.
Sie haben einen sehr hohen Rand, damit der Babybauch auch wirklich im Wasser ist und nicht wie eine Insel rausguckt.
Praktisch ist dabei die Tür in der Wanne, durch die die Bauchträgerin bequem in die Wanne einsteigen kann, wenn das Wasser noch nicht so hoch ist.
Den Weg habe ich auch gewählt, denn beim ersten Einstieg war es schon sehr anstrengend mich selbst über den Rand zu hieven.
Beim zweiten Mal war dann zwar der Einstieg leichter, allerdings auch viel schmerzhafter.
Beim Hinsetzen hatte ich mich sicherheitshalber am Rand beim Einstieg festgehalten. Beim Schließen der Tür, waren dann meine Finger dazwischen.
‚Alles Gute ist eben nie zusammen!‘, hätte meine Oma gesagt.
Ehe ich geschnallt hatte, dass das ein anderer Schmerz als die Wehen waren, hat es eine Weile gedauert.
Ich schrie wie am Spieß.
Die Tür wurde wieder geöffnet.
Ich plumpste wie ein fetter Fisch unbeholfen ins Wasser und dieses schwappte mit einem riesigen Schwall auf den Boden.
Die Hebamme und Mr. Magic wischten erstmal den kompletten Kreißsaal trocken, während ich weiter fleißig die Wehen weg atmete.
Mr. Magic war ein toller Cheerleader zu der Zeit und so wie beim Boxen, stand er in meiner Ecke hinter mir und reichte mir in den Wehenpausen das Wasser.
Ich trank über drei Liter.
Geburt ist nicht normal
Deiner Kollegin sagte ich mehrfach, dass wir nicht vorankamen.
Ich hatte das Gefühl, dass die Wehenabstände größer statt kleiner wurden.
Sie meinte, dass es an meiner vollen Blase liegen würde.
Ich war der Meinung, dass ich merken würde, wenn ich mal müsste und einfach ins Wasser pieschern würde.
Unter normalen Umständen würde ich das weder sagen noch tun.
Aber so normal ist eine Geburt wohl nicht.
Sie wollte jedenfalls, dass ich aus der Wanne rauskomme und mir einen Katheter legen. Hatte ich auch wieder keinen Bock drauf.
Ich wollte einfach meine Ruhe haben.
Immerhin hatte ich mich ja gegen das Geburtshaus und für das Krankenhaus entschieden, weil ich auf Verlegung keine Lust hatte.
Das schließt die Verlegung von einem Zimmer ins nächste mit ein – zumindest, wenn ich aktiv daran beteiligt bin.
Ob sie einen Katheter gelegt hat, kann ich dir gar nicht sagen, denn ich hatte Schmerzen, die auch heute noch unbeschreiblich sind.
Die Geburtsvideos, die wir gemacht haben, habe ich mir bis heute nicht vollständig angesehen.
Schichtwechsel
Um 22 Uhr war dann der Schichtwechsel und wir zwei lernten uns kennen.
‚Auf dem falschen Fuß‘ sag ich mal.
Ich war nämlich auf 180, weil ich mich mit meinen Bedürfnissen ignoriert fühlte und dann kamst du hochmotiviert rein und wolltest mir erzählen, dass es nicht mehr lange dauern würden. WTF!
„Das habe ich die letzten 3 Stunden schon gehört. Es reicht mir. Ich habe keine PDA bekommen. Ich habe Schmerzen und will sofort einen Arzt sehen!“ knallte ich dir an den Kopf.
Du begannst deinen Satz mit „Jetzt hören Sie mir mal zu …“
Den Satz konntest du nicht beenden, denn ich hatte dich wütend unterbrochen „Nee, jetzt hören Sie mir mal zu!“ und dann wiederholte ich nur noch, was ich schon gesagt hatte, nämlich, dass ich einen Arzt sehen wollte, und zwar sofort.
Du hast mir dann trotzdem dein Lagebild gegeben und mich gefragt, wieso hier noch kein Wehentropf angeschlossen wäre.
An der Stelle fragte ich mich, ob ich die Fachkraft sein müsste.
Ich sagte dir nochmal, dass ich der vorherigen Hebamme gesagt habe, dass ich das Gefühl hätte, dass es nicht weitergeht und etwas nicht stimmt.
Du konntest dir nicht erklären, was schiefgelaufen war.
Das sagtest du zu mir. Ich bekam richtig Angst und mein Baby.
Dann hast du der Hebammenstudentin die Anweisung gegeben „Drei links, drei rechts atmen und dann sehen wir, wo wir stehen“ und bist abgezogen.
Ich also wild am Atmen.
Mr. Magic hin und hergerissen, denn auch ihn traktierte ich mit „hol mir einen Arzt!“
Und die Studentin? Die war superruhig und kümmerte sich ganz toll um mich.
Du kamst dann mit der Ärztin im Schlepptau zurück.
Sie verschaffte sich einen Überblick und erzählte mir das Gleiche wie du, nur anders.
Ihr habt mir dann einen Wehentropf angeschlossen. Dann habt ihr mir gesagt, dass wir besser mal Gas geben, denn meine Gebärmutter hatte keine Lust mehr. Ihr musstet sie von außen stimulieren.
Ist eben meine Gebärmutter und die hatte noch genauso viel Bock wie ich. Keinen!
Ich hätte in der Situation auch einen Kaiserschnitt genommen.
‚Hauptsache dieses Baby kommt aus mir raus!‘, dachte ich.
Dann habt ihr damit begonnen mich vaginal zu dehnen.
Eins muss ich euch wirklich lassen, das habt ihr großartig gemacht.
Nicht gerissen.
Nicht geschnitten.
Nicht verletzt.
Dafür bin ich euch so dankbar.
Ich wollte derweil wissen, ob Noah überhaupt noch lebt, denn nach jeder Wehe musstet ihr mit dem Sensor den Herzschlag neu suchen.
Ich hatte noch nie so viel Angst, denn ich hörte keine Herztöne.
„Hier ein ganz entspanntes und regelmäßiges CTG. Kann man mit in die Vorlesung nehmen. Er ist ein Vorzeigebaby“, beruhigtest du mich.
Später sagte mir Mr. Magic, dass ihr den Ton vom Gerät ausgeschaltet hattet.
Mal ehrlich!
Nach einer stillen Geburt kann das nicht euer Ernst sein und wenn doch, dann sagt es der Gebärenden doch bitte!
Die Herztöne des Babys zu hören, ist in der Situation des Ausgeliefertseins die einzige Kontrolle, die sie hat.
Ich wünsche mir für alle anderen Gebärenden mehr Achtsamkeit und Kommunikation im Kreißsaal.
Viele dunkle Haare
Die Zeit verging.
Nicht wie im Flug, sondern unter Schmerzen im Schneckentempo.
Ich wollte es nicht glauben, als die Ärztin sagte, dass der Kopf schon zu sehen sei.
Zwischen die Beine sollte ich mir fassen.
Pfff!
Das lehnte ich ab.
Ich mache, was ich will.
Stattdessen wollte ich wissen, ob sie Haare sehen könnte.
Das zu überprüfen war mir wichtig, denn der Pränataldiagnostiker konnte Haare in der letzten Untersuchung sehen – viele und lange Haare.
Das wollte ich vor vier Wochen gar nicht glauben.
Und dann habt ihr staunend gesagt „Ja, viele dunkle Haare. Taste mal.“
Das habe ich dann doch gemacht.
Komisches Gefühl.
Mich ergriff die Panik, als ich tasten konnte, dass das Köpfchen von Noah gequetscht wurde.
Das gab mir die nötige Motivation ihn rauszubringen.
Nach der nächsten Wehe war der Kopf da.
Dann hast du gesagt „Das Schwerste ist geschafft. Jetzt noch maximal drei Wehen mit drei kräftigen Atemzügen und dann habt ihr es geschafft.“
Es brauchte nur eine Wehe und Noah quakte herum.
So laut begrüßte er uns alle.
Stolze 3.130 Gramm und 50 cm Baby wurden mir von dir auf die Brust gelegt.
Baby da, Schmerzen weg
Mr. Magic durchtrennte die Nabelschnur und die Schmerzen waren weg als hätte es sie nie gegeben.
Das hat die Natur schon super eingerichtet.
Sieben Minuten später wurde die Plazenta geboren.
Die wollte ich sehen. Ihr habt sie mir gezeigt und erklärt.
Sah aus wie ein großes unpaniertes blutiges Schnitzel mit Schnur.
„Einmal einpacken zum Mitnehmen bitte“ rutschte es mir raus.
„Plazenta to Go“, so wie von mir gewünscht, um sie in unserem Garten an Mutter Erde zurückzugeben und einen Schmetterlingsstrauch für Loreley zu pflanzen.
So war das jedenfalls aus meiner Perspektive.
Kompetenz und Abgrenzung
Ich habe noch unter der Geburt reflektiert, dass ich deine Kompetenzen nicht in Frage stellen wollte.
Meine Abgrenzung hatte auch nichts mit Hormonen und Ausnahmezustand Geburt zu tun.
Ich hasse es einfach, wenn ich meine Gefühle und Bedürfnisse kommuniziere und das Gefühl habe, dass ich ignoriert werde.
Noch schlimmer ist es, wenn mein Gegenüber eine Autorität darstellt, was du als Fachkraft für mich bist.
Was ich großartig fand, ist die Tatsache, dass wir noch bevor ich den Kreißsaal gegen 2.30 Uhr verließ, mit dir darüber sprechen konnte und du mir nicht böse warst, sondern mich verstehen konntest.
Ich fand es auch gut, dass du deine Kollegin nicht in Schutz genommen hast, sondern ganz sachlich sagtest „Sie hätten nicht so lange leiden müssen, das kann ich klar sagen. Was hier schiefgelaufen ist, nehmen wir mit zu unserer internen Besprechung.“
Ich weiß bis heute nicht, was da rauskam.
Es ist mir auch egal, denn es ist Vergangenheit.
Noah und mir geht es heute sehr gut.
Wir sind glücklich und gesund und das ist jawohl die Hauptsache.
Ich danke dir von Herzen für deine Arbeit, dein Wissen, deine Führung und dein Sein.
Mögest auch du an dieser schweren Geburt wachsen.
Herzlichst,
deine Marion
P.S. Ich muss jedes Mal lachen, wenn ich höre „Sie hatten eine spontane Geburt“. Ja, super spontane 48 Stunden mit Tabletten und Wehentropf! Hey, kleiner Scherz! Du kennst mich. Ich weiß schon, was mit „spontaner Geburt“ tatsächlich gemeint ist.
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In meinem Telegram-Kanal erfährst du von allen Gewinnspielen und ich schicke dir einen Link zu jeder neuen Geburtsgeschichte.
Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen
Marion Glück
Mein Name ist Marion Glück. Ich bin 4-fache Sternenmama, Marineoffizier und Mentorin für (Selbst-)Führung. Meine erste Trauer nach dem Pränatalen Befund habe ich in meiner Form der Buchtherapie mit dem Buch Schwere Entscheidungen leicht treffen* (https://amzn.to/3CRaeM0) bearbeitet. Das zweite Buch zur stillen Geburt und der Verarbeitung des Verlustes erschien unter dem Titel Priorität Nr. 1 nach der stillen Geburt: Trauerarbeit um dein Sternenkind* (https://amzn.to/4dz6wqS).
Mehr über mich erfährst du auch in diesem Interview: https://www.zdf.de/gesellschaft/volle-kanne/schwere-entscheidung-schwangerschaftsabbruch-100.html
Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!