[Serie: Geburten und Feminismus] Teil 3: Feministische Geburtsvorbereitung

Dies ist Teil 3 der Serie zu Geburten und Feminismus.

Die Serie besteht aus folgenden Beiträgen (bereits erschienene Beiträge sind verlinkt):

  1. Mein Feminismus
  2. Was hat eine Geburt mit Feminismus zu tun? Geburten aus gesellschaftlich-feministischer, machtsystemischer Sicht
  3. Feministische Geburtsvorbereitung
  4. Hebammen jenseits des Systems
  5. Die Praxis: Gleichberechtigung und Geburt — überhaupt möglich?
  6. Geburten und Corona: Die Gesellschaft unter dem Brennglas der Pandemie

Feministische Geburtsvorbereitung?

Wenn Frauen* sich ihrer Geburten wieder bemächtigen wollen, geht das aus meiner Sicht nicht ohne Wissen. Das alte Wissen, das viele weibliche Personen hatten, weil sie in ihrem engsten Umfeld Geburten miterlebt haben, ging und geht uns immer weiter verloren. Wir gliedern die Geburten und den Tod aus unserem Familienleben aus. Was das für unser Familienbild bedeutet, habe ich hier schon mal ausführlicher aufgeschrieben.

Wissen ist aber Macht. Das Wissen um Geburten liegt heutzutage nur noch sehr selten bei den werdenden Müttern. Obwohl wir in einer Welt leben, in der mehr Informationen als je zuvor für alle frei verfügbar sind (ich empfehle an dieser Stelle immer gern den Blog von Jaja Friedrich: Hebammenblog – altes Wissen frisch gebloggt), entscheiden sich viele werdende Mütter dafür, ihre Zeit lieber in andere Informationen zu stecken. „Ich vertraue da einfach dem medizinische Personal„, sagte eine Schwangere in meinem letzten Geburtsvorbereitungskurs zu mir.

Vertrauen in die Medizin ist gut. Für eine Geburt unter feministischen Gesichtspunkten reicht das aber nicht aus. Stattdessen braucht es Wissen, und zwar in verschiedenen Themenbereichen:

Medizinisches Wissen

Aus meiner Sicht muss nicht jede Frau* eine Hebamme oder Gynäkologin sein, um ein Kind selbstbestimmt zur Welt bringen zu können. Sie sollte aber wissen, wie eine Geburt normalerweise abläuft und welche Anzeichen es gibt, dass etwas nicht normal ist. Dieses Wissen vermitteln viele gute Bücher, aber auch Geburtsvorbereitungskurse.

Die Frage, was noch wichtig ist zu wissen, und was nicht, ist sehr individuell. Tendenziell gilt: Je unabhängigier du sein willst, desto mehr musst du selber wissen und auch können. Es zählt hier also nicht nur das Wissen, wie schnell sich ein Muttermund normalerweise so öffnet, sondern auch die Frage: Kannst du deine Muttermundsöfnung selber ertasten? Oder muss eine andere Person das für dich übernehmen?

Wissen um den eigenen Körper

Mit „Wissen um den eigenen Körper“ meine ich nicht bloß die Anatomie des weiblichen Beckens, sondern auch ganz persönlich die Verbindung zwischen Körper und Kopf. Wenn dein Körper eine bestimmte Reaktion zeigt, solltest du wissen, warum. Wenn du deinen Körper gut kennst, erkennst du auch leichter, ob etwas normal ist oder nicht.

Auch dieses Wissen ist uns vielfach verloren gegangen. Wir nehmen lieber eine Pille, statt über Ursachen und Wirkungen nachzudenken. Das gilt für unseren Menstruationszyklus genauso wie für die weibliche Lust. Welche Frau spricht schon offen – wirklich offen – darüber, was ihr beim Sex gut tut und was nicht?

Eigentlich werden wir ja von Klein auf darauf getrimmt, einfach immer gleich zu funktionieren. Einer zyklischen Natur kommt das nicht gerade entgegen. Zum Thema Menstruation, Geburt, Gesellschaft und Arbeitsplatz habe ich hier mehr Informationen gesammelt. Es ist aber halt einfacher, wenn Menschen immer die gleichen Bedürfnisse haben… Also funktionieren wir und lernen unseren Körper eben nicht kennen.

Auch beim Thema Sex halten wir uns daran, was uns die meisten Mädchen- und Frauenzeitschriften erklären: Mach dein Ding, aber nur, so lange es deinem Kerl gefällt. Wer eine andere Herangehensweise an Sex erwartet, ist übrigens beim Missy Magazine gut aufgehoben.

Spätestens mit der Schwangerschaft sollte also bei jeder Frau* auch eine Innenschau und eine Konzentration auf das Wesentliche stattfinden. Es gilt, eine Menge Mythen und Sozialisationen über Bord zu werfen. Selten ist das einfach, aber es lohnt sich – auch jenseits der Schwangerschaft! Ob der Weg zu einem stärkeren Körperbewusstsein über Sport, Meditation oder Gespräche führt, ist dabei sehr individuell. Als bewusste Geburtsvorbereitung kann hier zum Beispiel Hypnobirthing* ein guter Schritt sein, aber auch bewusste Ernährung und Meditation können helfen. Mehr Infos hierzu bieten die folgenden Bücher:

Hypnobirthing

Im Buch Hypnobirthing von Mary Mongan geht es um Übungen, die der Schwangeren helfen, ihre Konzentration auf sich selbst und ihr Baby zu lenken und in einen trance-ähnlichen Zustand zu fallen. Beim Hypnobirthing werden häufig explizit die werdenden Väter mit eingebunden.

Flowbrithing

Flowbirthing (Affiliate-Link) geht eigentlich über Geburten hinaus. Es Ich sehe das Buch als ein Manifest für die Verbundenheit mit dem weiblichen Körper an.

Der weibliche Weg

In diesem Buch aus Frankreich (Affiliate-Link) geht es um Yoga und andere Körperübungen, die bewusst auf die Geburt vorbereiten. Dabei steht das Zusammenwirken zwischen Psyche und Körper im Mittelpunkt.

Wissen, was der*die Partner*in leisten kann

Aus meiner Sicht ist es außerdem essentiell, nicht nur zu wissen, was ich selber kann. Wenn ich möchte, dass mein*e Partner*in mich bei der Geburt begleitet, sollte ich auch wissen, was er*sie leisten kann! Gerade bei außerklinischen Geburten sind die Partner*innen häuig aktiv in die Geburt eingebunden. Aber auch bei Krankenhausgeburten können sie eine wichtige Rolle übernehmen – wie uns jetzt zur Coronazeit schmerzlich bewusst wurde. Dazu werde ich in einem weiteren Teil der Serie noch mehr schreiben.

Wissen zu rechtlichen Themen

Wie gesagt: Geburten sind in den westlichen Ländern so systemisch engezwängt, dass eine selbstbestimmte Geburt nur dann möglich ist, wenn die Schwangere um diese systemischen Zwänge weiß. Wann muss eine Hebamme bei einer Hausgeburt zum Beispiel die Verlegung ins Krankenhaus anordnen? Wer ist verantwortlich, wenn du dich im Krankenhaus gegen eine bestimmte Maßnahme entscheidest? Was passiert im schlimmsten Fall – dass dein Kind tot geboren wird?

Dieses Wissen ist nicht geheim. Es wird aber in den meisten Geburtsvorbereitungskursen nicht angesprochen. Zu einfach ist die Annahme, dass alle ja schließlich das Beste wollen. (Ja, meistens wollen alle „das Beste“. Nur leider wurde dieses „Beste“ nie ausformuliert.)

Schmerzfreie oder gar orgiastische Geburten als Ziel feministischer Geburtsvorbereitung?

Das Ziel feministischer Geburtsvorbereitung ist also eine selbstbestimmte Geburt. Allerdings haben wir hiermit noch keine Einordnung getroffen, wie genau denn so eine Geburt nun ablaufen soll. Ist es feministisch, wenn ich Schmerzmedikamente bekomme? Kann ein Kaiserschnitt feministisch sein? Muss es eine orgiastische Geburt sein?

Emilia Smechowski schrieb auf taz.de:

Eine PDA kam nicht in Frage. Nicht wegen möglicher Nebenwirkungen, die jedes Schmerzmittel hat. Sondern weil ich glaubte: Eine richtige Frau kann auch ohne. Betäubung ist wie Doping. Und wer sich dopt, wird disqualifiziert. Wer sich dopt, ist ein Schisser.

Emilia Smechowski im Beitrag Es ist ein Ziegelstein auf taz.de

Das ist nicht gerade eine feministische Einstellung zur Geburt. Es geht nicht um Doping oder um einen Wettkampf. Es geht darum, zu wissen, was zur Wahl steht. Welche Alternativen gibt es, was bedeuten sie jeweils?

Eine PDA kann ein gutes Hilfsmittel für manche Frauen sein. Und deren Geburtserfahrung ist genauso valide wie die anderer Frauen.

Ist ein Kaiserschnitt feministisch?

Es gibt Menschen, die sehen die „normale Geburt“ (was auch immer sie damit assoziieren) als überholt an. Während Frauen* früher unter den Geburten litten (was für eine Verallgemeinerung), könnte doch heute ein geplanter Kaiserschnitt dieses Leid umschiffen — so die Meinung. Ist ein Kaiserschnitt also feministisch?

Ja, ein Kaiserschnitt kann feministisch sein. Ich habe bereits Geburtsgeschichten für Frauen geschrieben, die sich aus freien Stücken und gut informiert für einen Kaiserschnitt entschieden haben. Kaiserschnitte grundsätzlich als Lösung der Geburt zu sehen, ist dagegen aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Nach wie vor ist ein Kaiserschnitt eine Operation, und selbst als Kaisergeburt ist diese OP auch ür das Neugeborene nicht einach.

Aus meiner Sicht gehört zu einer feministischen Sicht auf einen Kaiserschnitt deshalb auch der Blick auf das Kind. Wenn es Mutter und Kind mit dem Kaiserschnitt besser geht, kann er die richtige Wahl sein.

Und nun zum anderen Extrem:

Die schmerzfreie Spontangeburt

Es gibt auch Frauen, die eine schmerzfreie Spontangeburt hatten. Sie haben ihr Baby also durch den Geburtskanal geboren (statt per Kaiserschnitt) und dabei nach eigener Wahrnehmung keine Schmerzen empfunden.

Ist das nun also das Ziel jeder feministischen Geburtsvorbereitung?

Schmerzfreie Geburten sind prinzipiell möglich. Wehen können wahrgenommen werden, ohne als Schmerz zu gelten. McKayla erzählt in ihrer Geburtsgeschichte davon. Sind also nur solche Geburten feministisch, weil sie dem weiblichen Körper möglichst wenig abverlangen?

Aus meiner Perspektive sind Schmerzen nicht der Tod einer feministischen Geburt. Viel mehr geht es um den Ursprung und den Umgang mit den Schmerzen: Kommen die Schmerzen durch Eingriffe von außen, die die Schwangere vielleicht gar nicht wollte? Zum Beispiel können Wehen als sehr schmerzhaft wahrgenommen werden, wenn sie mittels eines Wehentropfes verstärkt wurden. Oder aus der Überprüfung der Muttermundsöffnung wird eine manuelle – und meist sehr schmerzhafte – Dehnung des Muttermundes. Solche Schmerzen sind tatsächlich aus feministischer Sicht ein Problem, wenn sie durch nicht gewollte äußere Eingriffe ausgelöst werden.

Die körperliche Anstrengung bei einer Geburt dagegen ist aus meiner Sicht kein Problem für einen feministischen Anspruch an eine Geburt. Die Geburt ist für viele Frauen* eine Grenzleistung, die mit entsprechender Erschöpfung einhergehen darf.

Fazit: Feministische Geburtsvorbereitung

Für mich bedeutet feministische Geburtsvorbereitung, die Zügel in die Hand zu nehmen. Es bedeutet, die eigenen Grenzen zu kennen und sich über die Konsequenzen einer Handlung bewusst zu sein.

Feministische Geburtsvorbereitung bedeutet deshalb nicht zwingend die Vorbereitung auf eine Alleingeburt. Feministische Geburtsvorbereitung bedeutet im Gegenteil, die eigene Rolle im System zu kennen und so zu füllen, wie es der eigene Wunsch ist. Das schließt einen Kaiserschnitt genauso wenig aus wie eine Alleingeburt und alles dazwischen.

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