Ich nehme die Blogparade „Storytelling zu Corona-Zeiten“ von Petra Winkler zum Anlass, hier meinen subjektiven Erfahrungsbericht zu Geburten in Corona-Zeiten zusammenzufassen. Vor einiger Zeit erlebte ich Folgendes: Eine werdende Mutter bat mich um Hilfe, die ich ihr nicht geben konnte. Abgesehen davon, dass ich mich persönlich sehr machtlos fühlte, führte die Situation auch dazu, dass sie ihr Kind (vermutlich) mit sehr viel Stress gebar.
Da ich die Privatsphäre der jungen Mutter schützen möchte, ändere ich ihren Namen in Anna und gehe davon aus, dass sich die Geschichte in einem Krankenhaus in Entenhausen zugetragen hat.
Die Vorgeschichte: Gebären in Zeiten von Corona
Bereits relativ früh während der Corona-Pandemie merkte ich, dass sich die Lage für schwangere und gebärende Frauen änderte, obwohl sie aus medizinischer Sicht nicht grundsätzlich zur Risikogruppe gehörten. Einige Zeit weigerte ich mich, das Thema auf meinem Blog aufzugreifen. Ich wollte nicht auch noch mehr den Fokus darauf legen. Lange währte das nicht. Die Fragen nahmen zu, die Gerüchte auch. Ich recherchierte und teilte meine Rechercheergebnisse im Beitrag Corona & Geburt: Gebären im Ausnahmezustand. Außerdem richtete ich eine Linkliste ein, die zwar leider nicht immer aktuell ist, aber dennoch eine Quellensammlung zum Thema Geburten und Corona darstellt.
Und dann kam die Sache mit den Geburtsbegleitungen. Immer mehr Krankenhäuser erklärten, dass sie wegen Corona jetzt keine Partner*innen oder Doulas mehr mit in den Kreißsaal lassen würden. Ich entschied mich, die Aussagen zu sammeln und zu veröffentlichen. Daraus entstand der Beitrag Väter im Kreißsaal – trotz und wegen Corona. Über hundert Kreißsäle sind dort gelistet und die entsprechenden Stellungnahmen verlinkt.
Immer wieder bekam ich Mails, in denen mich Schwangere und werdende Papas fragten, wie es denn im Krankenhaus XYZ aussähe. Ich recherchierte. Manchmal fand ich Infos, manchmal fand ich keine und fragte dann im Krankenhaus nach. Wenn ich eine Antwort erhielt, trug ich sie ebenfalls in die Liste ein.
Vor wenigen Wochen erreichte mich eine Zuschrift mit der Frage, ob das Krankenaus in Entenhausen Väter zur Geburt zuließ. Die Klinik fehlte noch in meiner Liste. Ich recherchierte und fand heraus: Eine ständige Begleitperson ist zugelassen. Ich schrieb der Mutter die Antwort.
Am folgenden Tag bekam ich eine Mail zurück: „Ich bin gerade im Krankenhaus in Entenhausen. Laut Hebmamen darf erst jemand dabei sein, wenn der Muttermund 10 Zentimeter geöffnet ist. Was bringt das einer Frau, die ihr Kind bekommt? Die Security weiß davon auch nichts und verwehrt den Eingang ins Krankenhaus. Vielleicht kannst du da etwas regeln?“
Blinder Aktionismus oder tatsächliche Hilfe?
Diese Mail brachte meinen kompletten Tagesablauf durcheinander. Ich informierte die entsprechende Regionalgruppe Entenhausen von Mother Hood e.V. und außerdem auch noch eine Gruppe befreundeter Doulas. „Vielleicht kennt jemand jemanden und kann im Krankenhaus in Entenhausen eine Änderung der Regelung anstoßen“, dachte ich mir.
Eine befreundete Doula telefonierte mit Anna. Sie wirkte ziemlich aufgelöst, weil sie ihren Mann unbedingt dabei haben wollte.
Eine befreundete Hebamme rief eine andere Hebamme an, die im Krankenhaus in Entenhausen arbeitete. Vielleicht könnte die dann etwas in Bewegung bringen.
Ich schrieb mit Anna SMS hin und her: Ich wollte sie ermutigen. In ihre Mitte bringen. Sie schrieb, dass sie noch auf der Wöchnerinnenstation wäre und bald runter in den Kreißsaal sollte und dass sie sich alleine nicht wohl fühlte. Sie war nervös. Vielleicht sogar panisch.
Eine Bekannte hatte mir viel gutes Material geschickt, dass Gebärende auch während der Corona-Zeit ihre Partner*innen im Kreißsaal brauchten. Weltgesundheitsorganisation, verschiedene Psychologinnen, Doula-Verbände, Ärzt*innen. Ich schickte ihr das alles als Argumentationsbasis per Mail.
Eine Freundin schickte mir eine Meditation, die ich Anna vorlesen wollte. Doch als ich sie anrief, war ihr Handy aus. Ich weiß nicht, ob sie es bewusst ausgemacht hat, oder ob einfach ihr Akku leer war.
Das war vor drei Wochen. Seitdem habe ich nichts mehr von Anna gehört.
Sie hat weder auf meine SMS, die ich danach im Stundentakt mit positiven Affirmationen schickte, noch auf meine Email geantwortet.
Mein Erfahrungsbericht zur Geburt während der Corona-Pandemie endet also unbefriedigend. Denn ich weiß nicht, was aus ihr wurde. Vielleicht kam ihr Baby total entspannt zur Welt. Vielleicht durfte ihr Partner dabei sein. Vielleicht war sie am Ende auch so durch, dass sie einen „Lasst-es-endlich-vorbei-sein-Kaiserschnitt“ hatte.
Ich weiß nicht, ob sie die Geburt in guter Erinnerung behält oder aus einer schwierigen Geburt sogar ein traumatisches Erlebnis wurde.
Mein Wunsch ist es, dass sie in einem Jahr sagt:
Ach ja, hehe, zu Beginn hab ich mich ja ganz schön aus der Fassung bringen lassen, aber dann hab ich einfach meinen Mann angerufen, ihm gesagt, dass ich jetzt einfach alles alleine mache und ich mich melde, wenn unser Kind da ist. Danach hab ich mein Handy ausgemacht. Als ich runter in den Kreißsaal kam, habe ich den Ortswechsel genutzt, um ein ganz neues Mindset aufzufahren. Ab da war ich wieder in meiner Mitte. Die Hebammen und die Oberärztin um mich herum habe ich ausgeblendet, mich mit meinem Baby verbunden und gemerkt, dass wir das können. Schmerzmittel und Untersuchungen habe ich einfach abgelehnt. Als gerade Schichtwechsel war und die eine Hebamme der anderen erklärte, was ich gerade so tat, gebar ich einfach mein Baby und alles war gut.
Anna, hoffentlich, zu ihrer Geburt in Corona-Zeiten im Krankenhaus von Entenhausen.
Und deshalb weiß ich auch nicht, ob es ihr was gebracht hat, dass ich den ganzen Tag mit meinen Gedanken bei ihr war. Vielleicht war es sogar eher negativ, weil ich ihr meine chaotischen Energien geschickt habe!? So gesehen könnte ich fast froh sein, wenn das Ergebnis meines (vielleicht) blinden Aktionismus einfach nur war, dass ich eine Geburtsgeschichte, die ich mir für den Tag vorgenommen hatte, nicht geschrieben habe.
Ich persönlich fühlte mich an diesem Tag absolut machtlos. Immer wieder trete ich für selbstbestimmte Geburten ein. Subjekt statt Objekt ist mein Motto. Egal, ob das dann eine Alleingeburt in Indien oder ein geplanter Kaiserschnitt ist. (Spoiler: Nächste Woche (20. Mai 2020) veröffentliche ich eine solche Geschichte!) Die gebärende Frau entscheidet. Aus meiner Sicht entscheidet sie auch, mit wem sie ihr Kind zur Welt bringt. Doch sobald du ein Krankenhaus betrittst, hat das Personal dort das Hausrecht – erst recht in solchen Zeiten.
Hätte die Frau also die Entscheidung treffen müssen, ihr Kind anderswo zur Welt zu bringen, dafür dann halt mit ihrem Mann? Ich weiß es nicht. Ich kenne ihre Vorgeschichte nicht. Ich weiß nicht, ob sie medizinisch vorbelastet war. Ich weiß nicht, warum sie sich ursprünglich für eine Krankenhausgeburt entschieden hatte. Also werde ich nicht über ihre Entscheidung urteilen. Ebenso wenig steht es mir zu, die Entscheidung des Klinikpersonals rundheraus für falsch zu erklären. Sie haben ihre Gründe.
Aus dieser Situation habe ich vor allem gelernt, dass die politische Arbeit, u.a. von Mother Hood e.V., aber auch von anderen Vereinen und Initiativen, so verdammt wichtig ist. Hätten wir in „normalen“ Zeiten eine bessere Versorgung der Gebärenden (nicht medizinisch intensiver als jetzt, aber individueller und rücksichtsvoller), dann wären uns vielleicht auch solche Geschichten jetzt erspart geblieben. Je mehr Frauen selbstbewusst und informiert in ihre Geburten gehen, desto besser.
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Was hat diese Geschichte nun mit Storyelling zu tun? Nun ja, in ihrem Aufruf stellt Petra Winkler ein paar Fragen, die ich am Beispiel von Annas Geschichte beantworten will:
Wie wirkt sich die Corona-Krise beruflich bei Dir aus?
Ich arbeite verstärkt kurzfristig, um Menschen wie Anna zu helfen und ihre Fragen zu beantworten. Mein schöner Plan mit Ebook, Nischenwebseite und vielen Geburtsgeschichten ist erst mal auf Eis gelegt. (Wenn du wissen willst, wann es mit dem Ebook weiter geht, abonniere meinen Newsletter.)
Arbeitest Du als Freelancer oder Dienstleister für Kunden? Welche Auswirkungen hat Corona auf sie? Welche #CoronaGeschichten können Eure Kunden erzählen?
Als Dienstleisterin schreibe ich Geburtsgeschichten für meine Kundinnen. Da ergeben sich momentan zwei Herausforderungen: Zum einen ist bei vielen gerade die Zeit knapp. Viele haben auf einmal die Kinder rund um die Uhr zu Hause und versuchen, nebenbei noch einen Job zu wuppen. Da bleibt keine Zeit für so ein Extra wie eine Geburtsgeschichte. Hinzu kommt natürlich, dass bei einigen auch das Einkommen wegbricht. In so einer Zeit gibt es dann keinen Spielraum für zusätzliche Ausgaben.
Auf dem Blog dagegen ist einiges los. Viele Schwangere informieren sich zu Corona, und mein Blog wird hier viel gelesen. Und, wie gesagt: Ich bekam einige Mails so wie die von Anna, dass ich bitte noch bei bestimmten Kliniken nachhaken sollte, wie deren Väter-im-Kreißsaal-trotz-Corona-Policy aussähe.
Ich habe als Reaktion auf viele negative Geschichten außerdem eine Aktion ins Leben gerufen: 15 Tage positive Geburtsgeschichten. Außerdem gab es ein Erzählcafe über gute Geburten.
Hast Du bereits Strategien für Dich entwickelt, wie Du die Corona-Krise geschäftlich meistern kannst? Oder hast Du genug Rücklagen und kannst Dich entspannt zurücklehnen?
In der Tat zehre ich gerade von Rücklagen. Ich hoffe sehr, dass es einen gewissen Nachholeffekt gibt, was die Geburtsgeschichten angeht.
Kannst Du die Pause nutzen, um in aller Ruhe liegengebliebene Erledigungen in Angriff zu nehmen? Oder nutzt Du die Zeit für die eigene Fortbildung oder Weiterentwicklung?
Wir haben drei kleine Kinder zu Hause. Wann immer ich Zeit habe, schreibe ich Blogbeiträge, um auch ein wenig vorzuplanen für die Zeit, in der ich wieder viele Geburtsgeschichten schreibe. Mehr Zeit als vor Corona habe ich aber definitiv nicht.
Was schätzst Du oder was hoffst Du, wie es in den nächsten Wochen weitergeht?
Mittlerweile weiß ich, dass meine Kinder vermutlich erst nach den Sommerferien wieder in die Kita gehen werden. Insofern plane ich für die Zeit bis dahin nur von Woche zu Woche – gemeinsam mit meinem Göttergatten. Wir unterstützen uns, wo immer wir können. Einfach ist es nicht, andererseits weiß ich, dass es auch schlechter geht. Insofern ist mein Wunsch klar: Ich verkaufe viele Gutscheine für Geburtsgeschichten, die ich zwar jetzt schon anfange, aber ohne Zeitdruck auch später fertig stellen kann.
Für die Frauen, die gerade schwanger sind oder vor kurzem ihr Kind geboren haben, wünsche ich mir vor allem, dass sie sich nicht verunsichern lassen. Ohne soziale Kontakte bricht vieles weg, was uns Menschen ausmacht. Ich wünsche den Schwangeren und Müttern, dass sie sich virtuelle Räume suchen, in denen sie sich austauschen können. Und ich wünsche dem medizinischen Personal das nötige Feingefühl, um zwischen medizinsch nötig und psychologisch schwierig abzuwägen. Ich bin mir sicher, dass die allerallerallermeisten Mediziner*innen in Entenhausen und überall genau das wollen: Nötige Corona-Maßnahmen umsetzen, und gleichzeitig eine entspannte Schwangerschaft, eine gute Geburt und ein harmonisches Wochenbett ermöglichen.
Deshalb ende ich diesen Beitrag in der ehrlichen Hoffnung, dass Anna eine gute Geburt hatte, und sie von kompetentem Personal sinnvoll begleitet wurde.
3 Gedanken zu „„Kannst du was tun?“ – Erfahrungsbericht einer Geburt während der Corona-Pandemie“