Sieben Jahre danach: Veränderte Sicht auf die Geburt

Vor ziemlich genau sieben Jahren gebar ich unseren ersten Sohn. Es war eine anstrengende Geburt, über die ich hier bereits ausführlich berichtet hatte. Es ist Zeit für eine Rückschau und eine Erklärung für meine veränderte Sicht auf diese Geburt.

Anders als gedacht

Während dieser Schwangerschaft fühlte ich mich – die allermeiste Zeit – pudelwohl in meiner Haut.

Ich dachte vor allem auch, dass ich alles unter Kontrolle hätte. Bei ein paar Situationen stellte meine Frauenärztin meine angestrebte Hausgeburt in Frage. Aber sonst war es schon alles okay.

Ich fühlte mich revolutionär, dass wir uns beim Ultraschall das Geschlecht nicht verraten ließen.

Ich las mich ein zu Hypnobirthing*, natürlicher Geburt, Oxitozin und Wassergeburt zu Hause.

Dann kam die Geburt. Es fing morgens mit der geplatzten Fruchtblase an und seit dem Vormittag kamen Wehen dazu. Anfangs bezeichnete ich sie als Wellen. Bloß nicht den Schmerz in den Vordergrund rücken. Dann wurden es doch Wehen.

Die Erschöpfung nahm zu, das Baby kam nicht. Wir fuhren ins Krankenhaus. Meine Hausgeburtshebamme durfte dabei bleiben. Mein Sohn kam vaginal, aber Mithilfe einer Saugglocke, zur Welt.

Als ich später vom Kristeller-Handgriff las, regte sich in mir die Vermutung, dass auch dieser zum Einsatz kam.

Die Geburt war hart, sie war lang. Sie war unerwartet.


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Was diese Geburt für mich bedeutete

Ich schaue heute anders auf die Geburt als vor sieben Jahren. Und auch anders als vor fünf Jahren (nachdem ich unseren zweiten Sohn unkompliziert zu Hause in der Küche geboren hatte).

Die Fakten bleiben. Die Bedeutung ändert sich.

Es gab verschiedene Phasen nach der Geburt meines Sohnes. Ich verleugne sie nichts, denn sie sind Teil meines Entwicklungsweges. Natürlich hat sich durch seine Geburt auch sonst viel verändert. Eigene Kinder sind nun mal ein großer Schritt. In diesem Beitrag will ich mich aber auf seine Geburt konzentrieren.

Reue & Schuld

Was habe ich meinen Sohn durch diese miese Geburt versaut? Wie hätte sich ein sanfterer Start ins Leben auf sein Gemüt ausgewirkt?

Ich verspürte tiefe Reue über die Strapazen, die ich ihm angetan hatte. Ich wünschte mir sehnlichst, ihn sanfter, liebevoller, unproblematischer zur Welt zu bringen. Ich war Schuld daran, dass er wie mit einem Plömpel ins Leben gezogen werden musste. Dieses arme, unschuldige Wesen tat mir unendlich leid.

Wut

Ich fühlte mich nicht nur schuldig; ich war auch wütend. Ich hatte mich schließlich so gut vorbereitet – da hätte das alles ja auch mal glatter laufen können!

Ich wurde auch wütend auf meine Hebamme. Warum hatte sie nicht mehr getan? Warum hat sie nicht dafür gesorgt, dass unser Mini entspannt zu Hause zur Welt kam? Ich schob die Verantwortung von mir weg und war teilweise sogar bockig wie ein kleines Kind. Ich wollte das anders und fand mich vom Universum und allen sehr benachteiligt.

Versagen

Es dauerte, bis ich einsah: meine Hebamme hat genau das getan, was ich von ihr erwartet hatte: in der gesamten Schwangerschaft habe ich davon gesprochen, möglichst wenige Interventionen zu wünschen.

Sie tat genau das. Sie hielt den Raum. Als ich sie stärker einbezog – vielleicht viel zu spät – war sie da. Und tat, was möglich war.

Als ich das verstand, schmolz die Wut dahin. Es blieb das nagende Gefühl des Versagens.

Als ich oben von Reue schrieb, ging es mehr um das, was ich meinem Sohn mit dieser Geburt angetan hatte.

Dieses Versagen nun drehte sich um mich. Ich hatte versagt. Frauen bekommen seit tausenden von Jahren Kinder. Warum war ich nicht in der Lage gewesen, unseren Mini ohne Interventionen zur Welt zu bringen? Warum hatte ich die Schmerzen nicht ausgehalten? Was war falsch an meinem Körper?

Wöchtenliche Updates zu neuen Beiträgen

Freundinnen versuchten, mich zu unterstützen: „Geburten sind nicht planbar.“ „Es war halt ein großes Kind.“ „Du hast doch voll lange ausgehalten!“ „Hauptsache: gesund.“

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Sie half mir nicht. Es war aus meiner damaligen Perspektive keine vollwertige Geburt gewesen. Es gab für mich die tollen Frauen: Außerklinisch, ohne Schmerzmittel, ohne Verletzungen. Und es gab die anderen, die „Opfer“: gewünschte Klinikgeburten, gerätemedizinhörig und unfähig, ein Kind selbstständig zu gebären.

Nun musste ich mich selbst in die zweite Gruppe zählen. Verdammt. Ich hatte versagt.

Angst vor Folgen

Und ich hatte Angst davor, wieder zu versagen. Was, wenn ein zweites Baby auch nicht natürlich zur Welt käme? Was, wenn ich einfach nicht fürs Kinderkriegen gemacht wäre?

Vergebung

Es dauerte, bis ich mich von diesen Gedanken löste. Zum einen vergab ich meiner Hebamme, ohne ihr je davon zu erzählen. Das war wichtig, weil sie mich auch während meiner nächsten Schwangerschaft (und dann auch der dritten und vierten Schwangerschaft) begleiten sollte.

Foto: Brett Jordan

Noch viel wichtiger aber war es, mir selbst zu vergeben. Es war ein langer Prozess und es wäre eine Lüge, zu sagen, er sei einfach gewesen. Ich habe viel geschrieben, viel gekuschelt und meinen Sohn aufrichtig um Verzeihung gebeten. (Daraus entstand das Programm Mamaglück.)

Ich habe mir selber vergeben, dass ich offensichtliche Fehler begangen hatte. Und ich vergab mir, dass ich vorher davon überzeugt gewesen war, es gebe nur eine richtige Geburtserfahrung.

Mit der Vergebung kam die Akzeptanz für das, was war.

Vorbereitung auf die nächste Geburt

Diese neue emotionale Leichtigkeit gestattete es mir, mich nun nochmals mit den Fakten auseinanderzusetzen.

Ich stellte fest, dass ich eine Vertrauensperson als Anker brauchte. Mein Mann und ich entschieden daraufhin, gemeinsam einen Hypnobirthing-Kurs zu absolvieren.

Außerdem ignorierte ich die Erschöpfungssignale meines Körpers nicht länger. In der ersten Schwangerschaft war ich stolz auf alles, was ich leistete. Nun akzeptierte ich meine eigenen Grenzen mehr.

Es waren bestimmt nicht die einzigen Umstände. Kind Nummer zwei war auch kleiner und mein Körper kannte nun bereits den Geburtsprozess.

Doch die bewusste Änderung mancher Abläufe unterstützten mich darin, angstfrei in diese zweite Geburt zu gehen.

Es wurde eine sehr heilsame Wassergeburt in unserer heimischen Küche.

Dankbarkeit

Ich war dankbar für diese heilsame Geburt. Ich war auch stolz auf mich. Ich gehörte also doch zu den „Guten“.

Es dauerte nochmals einige Zeit, bis ich auch dankbar sein konnte für die Geburt meines ersten Sohnes vor nunmehr sieben Jahren.

Wäre die Geburt unproblematisch geworden, hätte ich vielleicht nie so großes Interesse an geburtlichen Abläufen, aber auch an gesellschaftspolitischen Aspekten der Geburtshilfe entwickelt.

Vor allem aber wäre ich hochmütig auf meinem hohen Ross sitzen geblieben und hätte weiterhin hinabgeschaut auf alle Frauen, die (in meinen Augen) weniger selbstbestimmt ihre Kinder zur Welt brachten.

Diese Sichtweise hat sich, auch dank eigener sehr unterschiedlicher Geburtserfahrungen, stark geändert.

Jede Geburtserfahrung ist vollwertig. Jede Geburt verändert uns und bringt uns weiter auf unserem Weg. Das soll natürlich schlechte Rahmenbedingungen wie geschlossene Kreißsäle oder gar Gewalt in der Geburtshilfe nicht rechtfertigen. Es lohnt sich, für eine Gesellschaft einzutreten, in der Geburten als natürlich, faszinierend und unabhängig von wirtschaftlichen Interessen gesehen werden.

Doch nicht jede Geburt verläuft nach Plan. Die „Kontrolle zu haben“, wie ich oben schrieb, ist nur bedingt möglich. So schrieb ich letztens bereits: Bereite dich vor, und dann gib dich hin – egal, was kommt. Dennoch ist sie vollwertig. Es gibt keinen Grund, die eine Geburtserfahrung über die andere zu stellen. Das zu lernen, war für mich ein langer Weg. Ich bin dankbar, ihn gegangen zu sein. Und ich bin dankbar, dass mein Sohn mir mit seiner Stärke diesen Weg so bereitet hat.

Happy Birthday

All das interessiert ihn nicht. Er will einfach nur eine große Wasserbombenschlacht zu seinem Geburtstag.

Es sei ihm gegönnt. Er weiß, wie er zur Welt kam. Und wenn er fragt, erzähle ich ihm die Wahrheit. Denn es gibt keinen Grund, sie zu verschweigen. Jede Geburtserfahrung ist vollwertig.

4 Gedanken zu „Sieben Jahre danach: Veränderte Sicht auf die Geburt“

  1. Hallo liebe Katharina,

    ich finde es super, dass du mit deiner ersten Geburt deinen Frieden gemacht hast. Ich finde auch, du hast dir wirklich nichts vorzuwerfen. Es war deine erste Geburt, du hast das noch nie vorher erlebt, da ist es doch nur natürlich, dass nicht alles so läuft, wie man es sich vorstellt.

    Ich hoffe, dein Sohn hatte eine tolle Wasserbombenschlacht an seinem Geburtstag. 🙂

    Liebe Grüße
    Mimi

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