Für Montag, 4. Mai 2020 (möge die Macht mit euch sein…) hatte ich zum ersten online-Erzählcafé über gute Geburten eingeladen. Das Erzählcafé fand statt unter dem Deckel der Aktion Erzählcafé, über die ihr hier mehr erfahren könnt.
[Spoiler: Es wird in Zukunft auch noch ein Interview mit den Macher*innen hier geben!]
Es hatten sich nach einigen Interessierten dann schlussendlich vier Frauen angemeldet. Davon wollten zwei ihre Geschichten erzählen und zwei gerne zuhören.
Aufgrund kurzfristiger Planungsschwierigkeiten schied eine Person aus.
So waren wir 3 angemeldete Teilnehmerinnen und ich. Anfangs war ich über die geringe Personenzahl enttäuscht. Dann aber merkte ich: Eigentlich ist die Anzahl so ziemlich perfekt!
Lucie und Anna-Elisabeth hatten zugesagt, von ihren Geburtserfahrungen zu berichten. Caro hatte sich als Zuhörerin angemeldet.
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Lucie: die Hebamme kam fünf Minuten nach der Geburt bei Lucie zu Hause an
Nach einer kurzen Einleitung ging es los. Lucie erzählte von der Geburt ihrer Tochter. Sie entschied sich relaitv spät, aber dann im vollem Herzen für eine Hausgeburt und fand sogar noch eine Hebamme, die sie bei der Geburt begleiten würde.
Mit der Zeit merkte Lucie aber, dass sie eigentlich gerne komplett allein sein wollte. Ihrem Mann zuliebe blieb Lucie aber bei der grundsätzlichen Entscheidung, eine Hebamme zur Geburt dazuzuholen.
Lucie machte zwei Geburtsvorbereitungskurse: einen bei ihrer Hebamme, einen bei einer Doula, die Yoga für Schwangere gab. Außerdem las sie viele Bücher, zum Beispiel Alleigeburt*, Meisterin der Geburt* oder Geburt aus eigener Kraft*. Außerdem las sie viele Geburtsgeschichten.
Ihre Tochter ließ sich viel Zeit: Erst 10 Tage nach dem errechneten Termin kam sie zur Welt. Lucie empfand das gar nicht als schlimm, aber sie (und ihr Freund) machte sich Gedanken über das nahende Ende der Hebammenrufbereitschaft. Insofern unterstützte Lucie den Geburtsgebinn mental „Baby, du darfst jetzt kommen“ und auch physisch — mit scharfem Essen, heißem Ingwertee und Sex.
Kurz nach dem Liebesspiel bekam Lucie die ersten Wellen.
Lucie erzählte, dass sie sich auf die Geburt gefreut hatte und die Zeit der Wellen als anstrengend, aber auch schön in Erinnerung hat. Besonders schön fand ich an ihrer Erzählung, dass sie die Eröffnungsphsse nicht einfach mit „dann kamen die Wellen“ abschnitt, sondern ausführlich erzählte, welche Bewegungen ihr gut taten, wie sie sich fühlte, als die Fruchtblase platzte und sie ihren Geburtsplatz mit Kerzen und ihrer Geburts-Mantra-CD vorbereitete.
Besonders im Gedächtnis ist mir von ihrer Erzählung der Satz „Es hat mir Spaß gemacht, mich reinzufinden in den Rhythmus, und mich dann ganz meinem Körper zu überlassen.“
Lucies Tochter kam dann im Badezimmer zur Welt. Ihre Hebamme kam circa fünf Minuten nach der Geburt an. Die Hebamme kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Lucie fand es gut, dass die Hebamme mit ihrer „wissenden Präsenz“ da war, mir beim Anlegen half und ein bisschen aufräumte. Entspannen konnte sie in ihrer Anwesenheit aber nicht…
Lucies Geschichte war noch viel ausführlicher — und sie macht wirklich Mut, dass Frauen ihre Kinder unkompliziert und ohne medizinische Eingriffe zur Welt bringen können. Aus Lucies Sicht waren dazu vor allem folgende Voraussetzungen nötig: Vertrauen in sich und ihr Baby, Ruhe und Gelassenheit zu Hause und die Unterstützung ihres Freundes. So hatte Lucie ihre absolute Wunschgeburt zu Hause.
[Tipp zum Weiterlesen: Als Fluchttier bei der Geburt]
Anna Elisabeth: Kaiserschnitt statt Hausgeburt – und dennoch eine gute Geburt!
Als nächstes erzählte Anna Elisabeth von ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihres Sohnes. Sie hatte sich frühzeitig für eine Hausgeburt in der Regentonne entschieden und eine Hausgeburtshebamme gefunden. Als Ziel formulierte sie eine friedliche Geburt. Während der Schwangreschaft gab es nichts, das gegen die Hausgeburt sprach. Sie erzählte, wie sie immer damit gerechnet hatte, über den errechneten Termin zu gehen. Dann platzte 4 Tage vor Termin ihre Fruchtblase. Sie war überrascht, aber vertraute ihrem Körper.
An diesem Tag hatte sie nur leichte Wehen. Diese wurden in der Nacht stärker, am folgenden Tag wieder schwächer und dann in der Nacht wieder stärker. Sie erzählte, dass sie es sich in ihrer Regentonne gemütlich machte, dort die Wehen bearbeitete und sich pudelwohl fühlte. Alles war, wie sie es sich vorgestellt hatte: Es war anstrengend, aber gut zu bewältigen.
Zwanzig Stunden später merkte sie dann, wie ihr Sohn sich sehr stark bewegte. Sie vermutete, dass ihr Sohn ins Becken rutschen wollte, aber nicht konnte. Eine Muttermundkontrolle ergab, dass der Muttermund nur ganz leicht geöffnet war und sogar der Gebärmutterhals noch nicht vollständig verkürzt war.
Nach Rücksprache mit der Hebamme entschied sie deshalb, ins Krankenhaus zu fahren.
In der Filderklinik wurde sie von einer Hebamme und einer Ärztin empfangen. Sie war dort in der Badewanne und konnte sich auch dort gut auf sich selber konzentrieren. Allerdings gab es auch im Krankenhaus keinen nennenswerten Fortschritt in Bezug auf die Muttermundsöffnung — weder durch Oxytocin im Wehentropf noch durch das manuelle Massieren des Muttermundes durch die Hebamme. Durch eine PDA konnte sie wieder Kraft schöpfen, und war positiv überrascht, dass sie sich trotz PDA tatsächlich gut bewegen konnte und auch weiterhin gut ihr Kind spürte. Sie saß auf dem Pezzi-Ball (Werbelink), sie lief alleine zum Klo und konnte gut mit den Wehen mitarbeiten.
Nach einem ganzen Tag in der Klinik wurden die Herztöne ihres Sohnes schlechter. Der Muttermund öffnete sich nicht weiter. Mit ihrem Mann besprach Anna Elisabeth, dass sie in dieser konkreten Situation einen Kaiserschnitt wollte, um ihren Sohn zur Welt zu bringen. Ihr und ihrem Sohn ging es nicht mehr gut. Ihre Hebamme unterstützte sie, und nach einiger Zeit stimmte auch der Oberarzt zu.
Sie erzählte, wie sie das OP-Team instruierte, dass ihr Sohn nach der Geburt sofort zum Papa gelegt werden sollte, um zu bonden. Die Ärztin widersprach ihr: „Nö, das Kind kommt direkt zu Ihnen!“ So wurde Anna Elisabeth positiv überrascht. Ihren Kaiserschnitt erlebte sie dank der PDA voll mit. Es war ein komisches Gefühl, alles zu spüren, aber keine Schmerzen zu haben, so erzählte sie.
Nach dem Kaiserschnitt kuschelte sie mit ihrem Sohn, stillte ihn und konnte auch schon 60 Stunden später aus dem Krankenhaus entlassen werden.
„Es war definitiv nicht meine Wunschgeburt. Aber es war die Geburt meines Sohnes. Ich hatte einen selbstbestimmten Kaiserschnitt. Ich habe mich ganz bewusst und nach Abwägung aller Fakten für den Kaiserschnitt entschieden. Er wurde in der bestmöglichen Weise durchgeführt. Es steht und fällt mit der Betreuung. Dann können auch Komplikationen gut gemeistert werden. Ja, es war wichtig, danach meine Erfahrungen aufzuarbeiten. Aber ich bin nicht unglücklich. Es war die Geburt meines Sohnes. Ohne diesen Kaiserschnitt wäre ich nicht dir Frau, die ich heute bin.“
Anna Elisabeth über ihren Kaiserschnitt
Anna Elisabeth erzählte mit viel Einfühlungsvermögen. Für mich persönlich zeigt ihre Geschichte, dass wir Kaiserschnitte nicht pauschal verurteilen sollten. Außerdem unterstützt ihre Geschichte die Idee von Dr. Ute Taschner, dass die Wunden eines gut geplanten und umsichtig durchgeführten Kaiserschnittes trotz der OP für Mutter und Kind gut heilen können.
Erfahrungsaustausch – allgemein und zu Geburten während Corona
Nachdem Lucie und Anna Elisabeth ihre Geschichten erzählt hatten, gab es noch Zeit für einen Austausch. Wir sprachen über die aktuellen Herausforderungen während der Corona-Einschränkungen. So hat Caro noch keinen Geburtsvorbereitungskurs belegt und weiß auch noch nicht, ob ihr Mann zur Geburt mit in den Kreißsaal kann.
[Tipp zum Weiterlesen: Geburtsvorbereitung während der Corona-Pandemie]
Wir tauschten Tipps für Podcasts aus (Empfehlung: Die friedliche Geburt), und für die Geburtsvorbereitung für Väter.
Für mich persönlich steht am Ende dieses Erzählcafés das Ergebnis:
Es war sehr schön, Geschichten anderer Frauen zu hören. Und das Ziel ist eindeutig erreicht worden: Es wurde deutlich, dass jede Geburt einzigartig ist. Und es wurde auch deutlich, dass es nicht die eine perfekte Geburt gibt.
Gute Geburtserfahrungen haben viele Gesichter.
Meine anfängliche Befürchtung, dass das Café wegen der kleinen Runde langweilig würde, zerstreute sich schnell. Im Gegenteil glaube ich, für online-Runden ist diese Gruppengröße (maximal eine Person mehr) total passend. Bei größeren Gruppen hätte ich als Gastgeberin wesentlich stärker moderierend eingreifen müssen. So konnte das Gespräch relativ frei fließen. Zeitlich haben wir die vorgesehene Stunde nicht ganz eingehalten. Es wurde ein wenig länger. Und vermutlich wäre es auch noch länger geworden, wenn es nicht Zeit für’s Mittagessen gewesen wäre.
Die Einzigartigkeit von Geburtserfahrungen — und auch ihre Vollwertigkeit! – wurde im Erzählcafé sehr schön deutlich. Mich bestärkt die Erfahrung darin, weiterhin Geburtsgeschichten zu schreiben für diejenigen Frauen, die sich nicht allein an die Aufgabe machen wollen. Und außerdem habe ich mich dazu entschlossen, ein weiteres Erzählcafé zum Thema Geburten anzubieten:
Das nächste Erzählcafé auf Ich Gebäre
Da ich davon ausgehe, dass uns die Kontaktbeschränkungen wegen Corona noch weiterhin beschäftigen, setze ich auch das nächste Erzählcafé online an. Es wird in vier Wochen stattfinden, also am 1. Juni 2020, wieder von 10:30 bis 11:30.
Wenn du am Erzählcafé teilnehmen möchtest – zum Erzählen oder Zuhören — gib mir bitte Bescheid: Entweder über das Kontaktformular oder per Mail an meine@geburtsgeschichte.de.
Wenn du selber ein Erzählcafé ausrichten möchtest oder weitere Informationen zur Aktion wünschst, schau mal auf die Homepage der Aktion Erzählcafé. Die Organisatorinnen freuen sich sehr über den Schneeballeffekt!