Anna-Elisabeths Geschichte habe ich für sie aufgeschrieben. Im Rahmen des Adventskalenders darf ich die gekürzte und anonymisierte Fassung veröffentlichen. Hinter dem heutigen 19. Türchen des Adventskalenders steckt die längste Geschichte in diesem Jahr, in der Anna-Elisabeth von ihrer abgebrochenen Hausgeburt erzählt.
VORGESCHICHTE
Nach meiner Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin verbrachte ich zwei Jahre im Ausland. Zunächst war ich in Australien, um dort bei einer Missionsorganisation über die Betreuung von Geburten zu lernen. Danach war ich in Indien und arbeitete dort in einem Krankenhaus. Von dort ging es weiter nach Afrika: Zunächst war ich in Tansania, dann in Uganda und schließlich auf eigene Faust auch noch in Sambia.
Während dieser Zeit arbeitete ich als Geburtsbegleiterin in Kreißsälen und habe unglaublich viel gelernt. Die Frauen dort gebären unter ganz anderen Umständen als in Europa. So begleitete ich zum Beispiel einige unproblematischen Beckenendlagengeburten. Ein CTG dagegen wurde nur ein einziges Mal geschrieben — und es konnte niemand die Ergebnisse interpretieren. Über die Auswertung von CTGs lernte ich also nichts. Die Intuition der Frau half mehr als jedes Instrument. Die Frauen vor Ort erlebten mich als hauptverantwortliche Hebamme. Hier in Deutschland müsste ich, um als Hebamme zu arbeiten, allerdings noch mal zwei Jahre Ausbildung absolvieren.
Ich hatte in Afrika auch Kontakt zu Hausgeburtshebammen. Denn viele Frauen lebten so weit entfernt von Krankenhäusern, dass für sie nur eine Hausgeburt in Frage kam.
In diesem Umfeld habe ich dann beschlossen, was ich wollte. Ich wollte keinen Kreißsaal, in dem die Frauen zusammen lagen, nur durch einen Sichtschutz getrennt (so war es in dem afrikanischen Krankenhaus, in dem ich gearbeitet hatte). Ich wollte keine Fließbandabfertigung. Ich wollte aber trotzdem die Vorteile, die ich bei den Geburten dort kennengelernt hatte, auch bei der Geburt meiner Kinder umsetzen. Denn eine Sache, die ich dort lernte, war: Die allermeisten Frauen gebären ihre Kinder ohne größere Probleme, wenn man sie denn lässt. Komplikationen waren fast immer bereits im Vorhinein absehbar. Gab es die nicht, konnte der Großteil der Frauen ohne nötige Eingriffe von Außen ihre Kinder gebären. Meine Aufgabe bestand dann lediglich darin, gut zuzusprechen und Mut zu machen. Übrigens hatten die Frauen ein extrem gutes Körpergefühl. Wenn irgendetwas mit ihnen oder ihren Kindern nicht stimmte, wussten sie es selber und haben uns darauf aufmerksam gemacht. Mütterliche Intuition in Kombination mit unserem ausgefeilten Hormonsystem hat den Anhaltspunkt geliefert.
Mein Wunsch nach einer Geburt ohne Eingriffe von außen wurde in Deutschland noch konkreter: Ich wollte auch keinen Einzelkreißsaal in Deutschland. Ich lernte den deutschen Krankenhausalltag und die Wochenbettstation auf der ich arbeitete mit allen Interventionen und Komplikationen kennen. Und ich beschloss: Ich will lieber zu Hause gebären. Ich war der festen Überzeugung, dass ich meine Kinder genauso unproblematisch auf die Welt bringen könnte, wie ich es bei vielen Frauen in Afrika gesehen habe.
UNSERE SCHWANGERSCHAFT
Da ich schon länger wusste, was ich wollte, hatte ich bereits vor der Schwangerschaft eine Liste mit Hebammen aus der Gegend im Handy gespeichert. Ich habe auch tatsächlich bereits einige Hebammen angeschrieben, bevor ich überhaupt den positiven Test in der Hand hatte. Schnell war klar: ich wünschte mir eine Wassergeburt, und ich wünschte mir eine aufrechte Geburt. Da kam eigentlich nur die Geburt in der Regentonne in Betracht. Ich wusste, dass C. solche Geburten als Hebamme betreute.
Ich wollte die Vorsorgeuntersuchungen bei C. machen, nicht in einer gynäkologischen Praxis oder gar im Krankenhaus. Nur ein einziger Ultraschall sollte gemacht werden, um sicherzustellen, dass unser Baby keinen Herzfehler hätte und auch unsere familiäre Vorbelastung mit Spina Bifida kein Problem darstellen würde. Um das auszuschließen, wollte ich zur Feindiagnostik bei einem Spezialisten gehen. Hätte die Feindiagnostik solche Probleme aufgezeigt, wollte ich in ein Krankenhaus mit Neugeborenenversorgung gehen. Gäbe es diese Probleme nicht, stand mein Entschluss fest: Hausgeburt im Wasser!
Mir war klar, dass es Umstände gibt, unter denen eine medizinische Geburtshilfe im Krankenhaus sinnvoll und nötig ist. In einem solchen Fall würde ich mich auch nicht auf die Hausgeburt versteifen. In meinem Kopf war dieses Szenario immer damit verbunden, dass es meinem Kind nicht gut ginge. Der Gedanke, dass meinetwegen eine Krankenhausgeburt sinnvoll sein könnte, kam mir nicht.
Zunächst ging mein Plan auf. Unsere erste Vorsorge fand in der achten Schwangerschaftswoche statt. Zwischen unserer Hebamme C. und mir hat es wirklich gut gepasst, auch menschlich. Mein Mann war nicht so ganz überzeugt, zog aber mit. Wir besprachen mit C., dass sie die Vorsorge im Schwimmbad machen würde, weil ihre schwangeren Frauen regelmäßig zum Schwimmen kamen. Das Schwimmen sollte einerseits die Kindslage optimieren und andererseits eine gesunde Gehirnbildung unterstützen. In meinem Fall würde ich alle zwei Wochen schwimmen gehen, weil in den jeweils anderen Wochen der Kurs zu weit von mir entfernt stattfand.
Die frühe Schwangerschaft
In der zwölften Woche hatte ich plötzlich eine leichte Blutung. Ich stellte sie beim Umziehen im Krankenhaus fest, als ich bei der Arbeit war. Zum Glück war meine gute Freundin S. da, die mitbekam, was los war. Gemeinsam mit ihr ging ich direkt hoch in den Kreißsaal. Es wurde ein Ultraschall durchgeführt. Ich sah das Herzchen meines Kindes schlagen. Bei ihm war alles in Ordnung. Die Blutung kam wohl durch eine leichte Muttermundreizung. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Die Angst, unser Baby zu verlieren, war das schlimmste Gefühl, dass ich in meinem Leben je erlebt habe. Vorher hatte ich großes Vertrauen in unser Kind und mich; in uns und unsere gemeinsame Reise. Mein medizinisch geschultes Hirn verband mit der Blutung aber sofort alle möglichen Komplikationen.
Deshalb tat es mir sehr gut, das kleine Wesen im Ultraschallbild wohlauf zu sehen. Danach ging es mir wieder sehr gut. Ich hatte auch in der weiteren Schwangerschaft keine Blutungen dieser Art mehr.
Nach Absprache mit C. ging ich zu „ihrem“ Frauenarzt– also dem Frauenarzt, den sie all ihren Hausgeburtsfrauen empfiehlt, weil er Hausgeburten nicht ablehnt und auch sonst wenig invasiv arbeitet. Früher hat er auch selber Hausgeburten begleitet, allerdings das dann aus Versicherungsgründen aufgegeben. Seine Praxis lag zwar zwei Stunden entfernt, aber die Vorsorgetermine dort taten mir trotzdem gut.
Alle sechs Wochen war ich bei ihm. Er führte auch den Test auf den CMV-Titer durch und stellte fest, dass ich keine Infektion durch Cytomegalieviren gehabt hatte. Das Ergebnis kannte ich allerdings schon vorher, weil ich vor der Schwangerschaft einen stark geschwollenen Lymphknoten hatte und in diesem Zusammenhang auf alles mögliche getestet worden war. Weil ich den CMV-Titer nicht hatte, sollte ich unbedingt den Kontakt mit Kindern unter zwei Jahren und vor allem deren Ausscheidungen vermeiden, denn eine Ansteckung während der Schwangerschaft hätte eine Gefahr für dich bedeutet.
Die späte Schwangerschaft
Meinem Arbeitgeber habe ich erst ziemlich spät gesagt, dass ich schwanger war. Ich wollte nicht von der Station ins Büro versetzt werden. Eine Versetzung weg von der Wöchnerinnenstation wäre aber mit meinem negativen Cytomegalievirentest die logische Folge gewesen. Also sagte ich erst mal nichts, sondern war einfach besonders vorsichtig, um eine Ansteckung zu vermeiden. Als ich dann letztendlich Bescheid sagte, wurde ich entgegen meiner Erwartung nicht ins Büro versetzt, sondern in die Onkologie, also die Station für die Behandlung von Krebserkrankungen. Davon war ich überhaupt nicht begeistert. Die Patientinnen und Patienten dort bekamen schließlich Chemotherapie und Strahlentherapie. Zwei Tage später hatte ich einen erneuten Termin beim Frauenarzt. Zu meiner Erleichterung beschloss er, dass ich nicht mehr in der Onkologie arbeiten sollte. Er sprach das schwangerschaftsbedingte Beschäftigungsverbot aus. So war ich also ab der 22. Schwangerschaftswoche zu Hause.
Während der Schwangerschaft fanden keine Überprüfungen der Wehentätigkeit mittels CTG statt. Das war für meinen Frauenarzt auch vollkommen in Ordnung. Ich hielt von CTGs nicht viel; er auch nicht.
Während der 37. oder 38. Schwangerschaftswoche ging ich zu einem Kontrolltermin zu einer Osteopathin. Sie kontrollierte, dass mit meinem Becken alles in Ordnung war. Da sie mir bestätigte, dass mein Becken vollkommen gesund und gebärfähig war, freute ich mich weiterhin auf unsere Hausgeburt. Nichts stand ihr im Wege.
Ungefähr zur gleichen Zeit habe ich Briefe geschrieben, und zwar an mein ungeborenes Kind, meinen Mann, und auch an meine Freundin S. Falls ich unter der Geburt sterben würde, wollte ich ihnen etwas hinterlassen. Ich wollte sie wissen lassen, dass ich das Restrisiko einer Geburt kannte. Und dass sich niemand Vorwürfe machen sollte. Denn ich war mir sicher: Ich würde merken, wenn es unserem Baby nicht gut ginge. Für das Kind bliebe immer noch Zeit genug, zu handeln. Bei mir selber allerdings könnten die Dinge theoretisch auch doof laufen. Deshalb schrieb ich, dass ich glücklich und erwartungsvoll in die Hausgeburt ginge, und wüsste, dass es meinen Lieblingsmenschen gut gehen würde. Denn die Schwangerschaft war die schönste Zeit in meinem Leben.
Ich hab immer damit gerechnet, erst frühstens eine Woche nach dem errechneten Termin zu gebären. Übrigens war auch unsere Hebamme C. der gleichen Meinung. Ich war deshalb überrascht, als am 3.12.2018 die Fruchtblase platzte.
Ein paar Vorbereitungsmaßnahmen waren aber natürlich schon getroffen: Wir hatten ein Laken unter dem Bettzeug für den Fall eines Blasensprungs, wir hatten die Regentonne für die aufrechte Wassergeburt besorgt und uns auch sonst mit allem eingedeckt, was wir für unsere Hausgeburt brauchen würden.
TAG 1: MONTAG, 3. DEZEMBER 2018
Unsere gemeinsame Geburtsreise im engeren Sinne begann am 3. Dezember 2018. Ich wachte nachts um halb 3 auf und hatte Senkwehen. Diese merkte ich im unteren Bauch und sie fühlten sich an wie relativ starke Regelschmerzen. Ich wärmte mir ein Kirschkernkissen auf, um mich zu entspannen.
Um 2:48 platze meine Fruchtblase. Es gab einen Knack, dann war es auf einmal nass und warm. Das Gefühl war vor allem überraschend. Ich war zu diesem Zeitpunkt ja erst drei Tage vor dem errechneten Geburtstermin und damit noch lange nicht in dem Bereich, in dem ich mit der Geburt gerechnet hatte. Meine Reaktion war auch entsprechend: „Echt jetzt?!“
Das Fruchtwasser war klar und warm. Meinem Baby ging es also gut. Ich ging in die Dusche. Schließlich war ich ja so oder so schon nass… Schon während der Schwangerschaft lag ich gerne in der Badewanne und duschte mit warmem Wasser. Auch jetzt tat es mir wieder gut. Auch das Gefühl, einfach überall sauber zu sein, war großartig für mich. Eine Kontrolle des Gebärmutterhalses ergab, dass dieser schon ziemlich weich war. Der Muttermund war zu diesem Zeitpunkt zwischen einem und zwei Zentimetern geöffnet. Ich freute mich total auf die Geburt.
Ab circa 3 Uhr hatte ich regelmäßige Wehen. Diese waren nicht schmerzhaft, es zog nur einfach im Bauch. Ich wollte mich bewegen und begann, die Küche zu putzen. Es ist wohl tatsächlich so, dass Frauen noch mal in eine wuselige Phase fallen, um das Nest für das Neugeborene zu bereiten… So lenkte ich mich mit dem Putzen ab. Danach versuchte ich, nochmals zu schlafen. Mir war klar, dass ich Kraft sparen sollte, wenn es ginge. Gegen 5:45 lag ich also wieder im Bett.
Ich hatte allerdings nicht lange Ruhe. Um 6:08 veratmete ich die erste schmerzhafte Wehe. Es war wirklich ein großer Unterschied zu den Wehen davor. Bei dieser Wehe floss auch noch mal reichlich klares Fruchtwasser. Ich konnte nicht mehr einschlafen. Also legte ich mich gegen 6:20 in die Badewanne. Das warme Wasser soll ja einerseits entspannen und andererseits die Wehen positiv verstärken. Es tat mir auch tatsächlich sehr gut. Ich konnte die Wehen gut veratmen. Ich saß quer in der Wanne. So konnte ich mich am besten entspannen und mit den Wehen mitschunkeln. Das Licht war aus. Die Wehen waren intensiv, und ich hatte das Gefühl, dass es gut voran ginge. Ich genoss diese Zeit mit mir und meinem Kind. Ich freute mich auf die weitere Entwicklung.
Ein Wehentag zu Hause
Gegen halb 7 schrieb ich, in der Badewanne, eine Nachricht an C. und erzählte ihr, dass ich einen Blasensprung gehabt hatte und die Geburt somit wohl doch jetzt schon los ginge. Eine halbe Stunde später, gegen 7 Uhr, wachte mein Mann auf. Ich besprach mit ihm die Lage: Der Blasensprung, die Wehen, dass ich C. informiert hatte. Wir entschieden gemeinsam, dass wir gerade wegen des Blasensprungs nicht in die Klinik fahren würden. Die Infektionsgefahr war dort schließlich deutlich höher, als zu Hause. Wir entschieden deshalb auch, dass ich möglichst wenige vaginale Untersuchungen haben wollte. Es sollten einfach so wenige fremde Keime wie möglich zu unserem Nachwuchs gelangen. Mir war es wichtig, dass mein Mann von vornherein mit in die Entscheidungen eingebunden war. Ja, ich gebar unser gemeinsames Baby. Und ja, damit er mich gut unterstützen könnte, müsste er sich auch wohlfühlen. Es brachte also nichts, über seinen Kopf hinweg zu entscheiden.
Ich prüfte nochmals die Muttermundsöffnung und meine Körpertemperatur. Die Werte waren unverändert. In Bezug auf die Körpertemperatur war das gut, denn es bedeutete, dass ich keine Infektion bekam. Über den Muttermund machte ich mir noch nicht so viele Gedanken: Ich wusste, dass sich der Muttermund bei der ersten Geburt fast immer nur langsam öffnete.
Dann beschlossen wir, dass mein Mann normal zur Arbeit gehen könnte. Ich kam bis hierher ja gut alleine klar und als Erstgebärende würde die Geburt schließlich vermutlich noch eine ganze Weile dauern. Zu dem Zeitpunkt war ich auch glücklich mit mir, dem Nachwuchs und den Wehen. Ich hatte kein Bedürfnis danach, betreut zu werden. Meinem Mann war es dennoch wichtig, dass ich nicht komplett alleine war. Das Baby zählte nicht als potentielle Betreuungsperson. Also rief ich um 7:20 meine Freundin S. an und besprach mit ihr die Lage. Sie sagte zu, zu uns zu kommen. Sie war genauso freudig erwartungsvoll, wie ich.
Danach telefonierte ich (immer noch in der Badewanne) nochmals mit C. und gab ihr über unsere Planung Bescheid. Ich erzählte ihr von dem Blasensprung, der Muttermundsöffnung und dass es mir gut ginge. C. fragte mich, ob ich sicher sei, dass ich wirklich einen Blasensprung gehabt hätte. Ja, ich war mir sicher. „Vielleicht ist es kein Blasensprung“, warf sie ein. Doch, es war ein Blasensprung, antwortete ich. Denn ich hatte ja in der Pfütze gelegen. Ich erzählte ihr, dass ich mich viel bewegte und leichte Wehen hatte. Sie sagte mir, ich solle mich melden, wenn die Wehen stärker würden oder ich etwas von ihr bräuchte. Und sie machte eine Vorhersage: „Wenn es Tag wird, werden die Wehen aufhören. Sie kommen dann um 18 Uhr wieder.“
Das Gespräch war komisch für mich. Zum einen war ich mir hundertprozentig sicher, dass ich einen Blasensprung hatte und war verwirrt, dass sie mir das nicht glaubte. Ich kannte mich dafür schließlich genug aus. Außerdem war ich überrascht über die Vehemenz ihrer Aussage, dass die Wehen den Tag über aufhören würden. Das hatte ich so noch nicht gehört und während meiner Zeit in Afrika auch nicht erlebt. Sie ließ allerdings keinen Interpretationsspielraum, sondern blieb dabei. Wir beschlossen, dass wir zu Hause bleiben würden, um zu sehen, wie sich alles entwickelte. Würde ich 72 Stunden nach dem Blasensprung immer noch keine Geburtswehen haben, würden wir wegen der steigenden Infektionsgefahr ins Krankenhaus verlegen. Aber bis dahin war ja noch sehr lange Zeit. Ich war guter Dinge, dass unser Sohn vorher schon längst geboren wäre.
Mein Mann fuhr gegen 7:30 Uhr zur Arbeit. Nach etwa anderthalb Stunden kam ich dann gegen 7:45 aus der Badewanne. Diese anderthalb Stunden waren schön. Ich habe die Wehen zu dieser Zeit noch nicht mitgetönt, sondern eher gesummt. Es waren noch nicht die berühmten Walgesänge. Als ich aus der Wanne kam, wurden die Wehen nicht unbedingt schwächer, aber weniger.
Ich putzte die Regentonne: Ich wischte sie mit Essig aus, um sie möglichst keimfrei zu halten. Dann bezog ich das Bett neu. Die Wehen waren in dieser Zeit recht stark, aber verhältnismäßig selten und gut zu veratmen.
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Was Freundinnen so tun
Gegen Viertel vor 9 traf S. bei uns ein. Sie war euphorisch, aufgeregt und glücklich. Sie versprühte sofort gute Laune. Vielleicht war sie sogar aufgeregter, als ich. Ihre positive Energie tat mir total gut. Die Wehen waren zu diesem Zeitpunkt immer noch selten und hatten an Intensität wieder abgenommen.
Um 9:30 begannen wir damit, die Tonne zu füllen. Die Idee war, die Tonne bereits zur Vorbereitung halb voll mit warmem Wasser zu füllen. Bei Bedarf könnte sie dann mit heißem Wasser aufgefüllt werden, so dass ich schnell in die Tonne könnte, wenn ich wollte. Das Füllen der Tonne dauerte ungefähr eine halbe Stunde.
Gegen halb 11 machte ich mich mit S. auf zu einem Spaziergang. Während der gesamten Schwangerschaft hatte ich mir gewünscht, ein Brot mit Teewurst und Zwiebeln zu essen. Doch das schied natürlich aus, weil in der Teewurst rohes Fleisch ist. Jetzt freute ich mich darauf, bald wieder ein solches Brot genießen zu können. Wir gingen deshalb beim Bäcker Brot einkaufen und danach noch spazieren. Wir konnten ja nicht ahnen, dass das Brot schon alt wäre, ehe das Baby auf die Welt käme. Die Wehen waren in dieser Zeit kaum zu spüren.
Nach dem Spaziergang schrieb ich eine Nachricht an C.: „So, ich war jetzt 1,5 Stunden spazieren. Ergebnis: praktisch keine Wehen mehr. Versuche jetzt mal, einen Mittagsschlaf zu machen. Melde mich später wieder.“ Ich aß noch ein Croissant. Danach legte ich mich zum Mittagsschlaf hin. Ich brauchte die Zeit allein mit mir und dem Baby. Ohne Ablenkung, ohne andere Leute. Es war so gegen 12:30 Uhr. S. fuhr dann auch wieder heim. Das tat mir gut. Ich wollte alleine sein. Ich konnte gut schlafen und wachte erst anderthalb Stunden später, gegen 14 Uhr, mit leichten Wehen wieder auf. Ich begann, ein wenig Kolostrum auszustreichen. Das hatte ich bereits während der letzten Wochen immer mal wieder getan, damit unser Nachwuchs diese wertvolle Muttermilch auch dann trinken könnte, wenn ich aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage wäre, zu stillen. Außerdem fördert die Brustwarzenmassage auch die Wehen, was mir recht war. Am Ende der drei Tage Geburt hatte ich übrigens 70 Milliliter Kolostrum ausgestrichen — was wir dann ja gar nicht brauchten. Ich massierte auch meinen Bauch noch mit Ut-Öl. Diese Mischung verschiedener ätherischer Öle soll die Wehen unterstützen. Danach schlief ich nochmals ein und wachte um 16:20 wieder auf. Mein Mann war in der Zwischenzeit wieder nach Hause gekommen.
Der Abend: Wieder mehr Wehen
Ab 18 Uhr hatte ich immer mal wieder unregelmäßig Wehen. Ich konnte sie gut veratmen. Um 18:15 informierte ich C. über den aktuellen Stand: Dass die Wehen unregelmäßig kamen und gingen. Ich kontrollierte nochmals die Muttermundsöffnung. Es hatte sich in dieser Hinsicht nichts getan. Das war okay für mich. Auch ohne weitere Öffnung wusste ich, dass die Wehen gut waren. Die Geburt ging voran. Es ging mir gut, es ging meinem Baby gut. Es gab keinen Grund, etwas zu übereilen. C. schrieb zurück, dass die Geburt spätestens 72 Stunden nach dem Blasensprung losgehen sollte. Nach 48 Stunden sollten wir spätestens anfangen, regelmäßig Fieber zu messen. Damit habe ich schon früher angefangen. Erstmal beruhigte mich ihre Nachricht: Es gab keinen Grund, hektisch zu werden. Danach informierte ich auch D. Sie würde sich bereithalten, falls wir am nächsten Tag auf ihre Unterstützung zurückgreifen wollten.
Um halb 8 abends begann ich unsere Nachbarrunde. Wir hatten für die Nachbarsfamilien kleine Geschenktütchen vorbereitet. Darin waren Oropax, eine Piccolo-Flasche mit Sekt und Schokolade für die Kinder. Außerdem war ein kleiner Zettel darin, dass wir ein Baby erwarteten und dass sie sich nicht wundern sollten, falls es lauter würde. Wir hatten ihnen von der Hausgeburt absichtlich nichts erzählt, allerdings auch nicht bewusst gelogen. Wir haben einfach wenig Gelegenheit geboten, genauer nachzufragen. Unter uns wohnte ein älteres Ehepaar. Ich befürchtete, dass sie vielleicht die Polizei oder den Krankenwagen rufen würden, wenn sie hörten, dass ich die Wehen laut vertönte. Auf solche Unterbrechungen hatte ich gar keine Lust.
Um 21 Uhr ging ich noch mal duschen. Der Check ergab, dass der Muttermund weiterhin circa zwei Zentimeter geöffnet war. Um zehn vor zehn lag ich dann wieder im Bett. Der erste Tag war um. Ich fühlte mich gut und freute mich darauf, meinen Sohn bald in die Arme schließen zu können.
TAG 2: DIENSTAG, 4. DEZEMBER 2018
Ich schlief bis 1 Uhr nachts. Dann weckte das Baby mich. Es war sehr aktiv und wuselte herum. Ich nahm es sehr positiv. Es versuchte, sich weiter ins Becken zu schieben! Die Wehen waren eher unregelmäßig und vereinzelt.
Um meinen Mann nicht zu wecken, legte ich mich auf die Couch und blieb bis halb 2 dort. Ich hatte mir ein Kissen unter die Brust gelegt und lag dann auf der Seite mit angehockten Beinen — also wie ein Paketchen. So war es bequem. Dann musste ich etwas anderes tun. Ich ging ins Arbeitszimmer und begann mit Wachsbügeln. Ich hatte mir nämlich in den Kopf gesetzt, Bienenwachstücher als Weihnachtsgeschenke zu gestalten. Es war eine Mischung aus Meditation und praktischer Veranlagung. Ich hatte wenige Wehen — irgendwas zwischen Senkwehen und Eröffnungswehen — und es war schön, etwas zu tun zu haben. Denn diese Phasen, in denen ich kaum Wehen hatte, waren für mich zwar körperlich nicht so anstrengend, aber mental haben sie doch Energie geraubt. Um das Warten erträglicher zu gestalten, war es deshalb sinnvoll für mich, auch Dinge zu tun zu haben. Das Wachsbügeln war allerdings auch nur kurzzeitig das Richtige. Um 2:45 ging ich wieder ins Bett. Dort blieb ich bis 3:20, dann verschlug es mich wieder in die Badewanne. Das Wasser entspannte mich. Die Wehen blieben sporadisch. Trotzdem blieb ich nicht so lange wie am Tag zuvor. Bereits um 3:45 war ich wieder auf der Couch und schlief viel. Vereinzelt wurde ich von Wehen geweckt, die aber immer noch relativ schwach waren.
Viertel vor 7 ging ich wieder ins Bett. Ich hoffte, doch noch ein wenig zu schlafen und Energie zu tanken. Um 7 schickte ich noch eine Nachricht an C. („Update: Unruhige Nacht. Immer mal wieder ein paar Wehen, aber nix Bleibendes. Hab verschiedenes probiert (z.B. Bügeln) und bin immer wieder eingeschlafen.“) und besprach mich mit meinem Mann, dass er auch heute erst einmal wieder zur Arbeit fahren würde. Danach schlief ich dann tatsächlich noch mal bis 9:40. Als ich aufwachte, war mein Mann schon wieder da. Sein Kollege hatte ihn nach Hause geschickt, weil er ja wegen der Geburt seines Sohnes so oder so mit den Gedanken nur bei uns wäre statt zu arbeiten. Ein Telefonat mit C. ergab, dass ich noch mal zum Frauenarzt gehen sollte, um den Blasensprung bestätigen zu lassen.
Erledigungen
Dann stand ich auf. Wir erledigten verschiedene Dinge außer Haus: Zuerst gingen wir zum Kinderarzt. Wir brauchten noch eine Unterschrift, damit wir nach der Geburt die Blutprobe zum Neugeborenenscreening nehmen und einsenden könnten. Danach fuhren wir zum Frauenarzt. Auf dem Weg dorthin überlegten wir, in welches Krankenhaus wir nach Ablauf der 72 Stunden verlegen würden, falls ich keine Wehen hätte. Das Krankenhaus, in dem ich arbeitete, kam auf keinen Fall in Frage. Dort wurde standardmäßig zwölf Stunden nach dem Blasensprung eingeleitet — das wollte ich auf gar keinen Fall. Deshalb fiel die Entscheidung auf die Filderklinik. Sie hatte eine niedrige Kaiserschnittrate und das Personal dort galt als zurückhaltend in Bezug auf Eingriffe aller Art.
Beim Frauenarzt war die Arzthelferin ziemlich von der Rolle, als ich sagte, dass ich einen Blasensprung gehabt hatte. Sie war sehr nervös, dass das Baby ja jetzt dann unterwegs geboren werden könnte. Ich habe sie beruhigt, dass es bestimmt nicht einfach aus mir herausfallen würde. Es war schon komisch — eigentlich hätten unsere Rollen eher vertauscht sein sollen. Mit einem uralten Ultraschallgerät schaute der Frauenarzt dann, wie es dem Kind ging. Allerdings war der Schall nicht besonders hilfreich. Außer dem Kopf konnten wir eigentlich nichts erkennen. Ich hatte nur noch wenig Fruchtwasser. Vorher war es immer ziemlich viel gewesen und jetzt eben nur wenig. Er stimmte zu, dass sich auch mein Bauch verändert hatte. Er bestätigte, dass die Fruchtblase gesprungen war. Er stimmte unserem Zeitplan zu und bat darum, dass wir am Mittwoch noch einmal ein CTG schreiben ließen.
Auf dem Heimweg riefen wir bei C. an. Wir sollten bei ihr vorbeikommen und das mobile CTG-Gerät abholen, damit wir dann im Fall der Fälle das CTG schreiben könnten. Wir haben also bei ihr erst einmal Tee und Kaffee getrunken. Sie tastete mich auch noch mal ab. Sie stimmte zu, dass sich der Bauch doch merklich verändert hatte und kam zu dem Schluss, dass ich tatsächlich einen Blasensprung gehabt hätte. Das war das erste Mal, dass sie mir in dieser Hinsicht wirklich glaubte. Sie sagte, wir sollten abends noch mal ein CTG schreiben.
Danach gingen wir noch einkaufen, so dass wir eine ganze Weile unterwegs waren. Während des ganzen Zeitraumes hatte ich kaum Wehen. Der Tag war lang. Und ich hatte Hunger. Wir hatten bis dahin noch nichts gegessen. Also hielten wir auf dem Rückweg bei Mc Donalds an. Dort gab es tatsächlich Vanilla Coke, die ich total liebte! Gegen fünf Uhr nachmittags waren wir wieder zu Hause. Ich strich dann auch noch mal Kolostrum aus.
CTG ohne AUswertung
Um 19,30 schrieb ich dann, wie mit C. besprochen, das CTG. Ich konnte das technisch auch, wusste aber nicht, wie ich das auswerten sollte. Ich schickte ihr deshalb ein Bild auf ihr Handy. C. erklärte, das CTG ergab keinerlei Wehentätigkeit. Das verwunderte mich nicht, denn ich spürte selber ja auch keine Wehen zu diesem Zeitpunkt. Sie gab mir daraufhin den Rat, schlafen zu gehen. Ich fand das Schreiben des CTGs vollkommen sinnlos. Man macht es halt, um es gemacht zu haben. Aber mir hat es keinerlei Aufschluss darüber gegeben, was ich zu erwarten hatte.
Um 22:30 ging ich ins Bett. Ich sprach meinem Kind gut zu. Ich wusste, dass eine Geburt normalerweise spätestens 48 Stunden nach dem Blasensprung beginnt — und dass ich ja noch über 24 Stunden Zeit hatte. Mein Gefühl war gut, dass sich diese Nacht etwas tun würde. Ich war des Wartens überdrüssig. Eine Mischung aus Vorfreude, Vorahnung und Hoffnung durchflutete mich. Ich sollte Recht behalten. Es ging los. Meine Verbindung zu meinem Sohn war auch an diesem Tag immer gut. Wir waren immer ein Team. Wir waren immer ein Team, bis andere Leute begannen, mir einzureden, dass etwas mit dir nicht stimmte. Da gab es dann Momente, in denen ich nicht mehr wusste, was wir waren. Doch dazu später mehr.
TAG 3: MITTWOCH, 5. DEZEMBER 2018
Auch dieses Mal wurde ich mitten in der Nacht geweckt. Um 1:45 weckte mich eine Wehe, die kräftig, aber angenehm war. Ich hatte für diese Wehen den Begriff „Arbeitswehen“. Es war Arbeit, aber es ging voran! Außerdem hatte ich das dringende Bedürfnis, zum Klo zu gehen. Ab da hatte ich regelmäßige Arbeitswehen. Diese waren schmerzhaft, aber auch gut. Ich konnte mit ihnen arbeiten. Jede Wehe brachte mich näher an mein Kind. Ich freute mich über die Wehen und konnte mich hingeben. Ich veratmete diese Wehen im Wohnzimmer mit Musik. Mein Mann schlief seelenruhig. Übrigens hatte ich den Bewegungsmelder im Klo abgeklebt, weil ich im Dunklen sein wollte. So fühlte ich mich am Wohlsten.
Gegen 4:00 ging ich in die Dusche. Das warme Wasser war wieder einmal eine Wohltat. Der Muttermund war fingerdurchlässig, also nach wie vor zwei Zentimeter geöffnet. Um 5 Uhr beschloss ich, in die Tonne zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wehen schmerzhaft, und ich erhoffte mir aus der Kombination von Wasser und aufrechter Haltung, dass das Baby gut rutschen könnte, während ich mich entspannen würde. Um 5:15 weckte ich deshalb meinen Mann. Er kümmerte sich dann darum, die Tonne mit wohltemperiertem Wasser zu befüllen.
Ich schickte in der Zeit, gegen 6:10, eine Info an D. Ich gab ihr Bescheid, dass sie noch in Ruhe frühstücken könne, danach aber bereit sein solle. Denn es dauerte zwar noch, aber heute würde irgendwas passieren! Es passierte jetzt schon was! Ich freute mich sehr darauf! Und um 6:40 informierte ich auch C. Wir besprachen unter anderem, dass die Geburt jetzt wirklich begonnen hatte und dass also der Blasensprung kein Grund mehr war, ins Krankenhaus zu verlegen.
Wehen verblubbern
Um viertel vor 7 konnte ich dann endlich in die Tonne. Da habe ich die Wehen „verblubbert“. Dazu wandte ich eine Technik an, die sich Aquabreathing nennt. Die hatte ich von C. gelernt. Dort hielt ich mich die nächsten zwei Stunden auf. Ich fühlte mich stark, ich konnte gut mitarbeiten. Ich hörte meine Musik. Das Frühstück ließ ich ausfallen — ich hatte keinen Hunger und war zu sehr mit dem Baby und mir beschäftigt.
C. schickte mir ihren Tagesplan, aus dem hervorging, dass sie den ganzen Tag eingeplant war: Besprechungen vormittags, nachmittags die Enkel. Es ging ihr dabei darum, dass wir in etwa wussten, wo sie war, und einschätzen konnten, wie lange sie von dort zu uns bräuchte. Ich hab mir erst einmal nichts weiter dabei gedacht. Um 8:45 stieg ich wieder aus der Tonne. Ich war müde und wollte schlafen. Immerhin war ich ja schon seit mitten in der Nacht wach. Ich legte mich hin und konnte auch wegdösen. Das tat mir sehr gut! Kurz darauf wachte ich wieder auf, als D. gegen neun Uhr zu uns kam. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt wieder nur schwächere Wehen, wie schon zwei Tage zuvor: Tagsüber wurden die Wehen seltener, schwächer, kaum bemerkbar.
Gegen 12 Uhr entschied ich, noch mal spazieren zu gehen. Ich wollte Treppenlaufen, was bei uns im Dorf gut ging. So wollte ich die Wehen ins Rollen bekommen. Das Wetter war kalt — es war immerhin Dezember. Ich hatte meinen geliebten Mamalila-Wollwalk-Mantel an. Die Sonne schien zwar nicht, aber es war trocken. Es war ein guter Tag, um draußen zu sein. Während des Spaziergangs mit D. hatte ich allerdings nur ganz wenige Wehen. Mein Mann arbeitete von zu Hause aus noch. Anderthalb Stunden später, gegen halb 2, waren wir wieder zu Hause.
Kaum war ich zu Hause, wurden die Wehen wieder stärker. Yeah! Ich freute mich! Ich aß auch etwas. Mein Mann hatte asiatisch gekocht. Hunger hatte ich eigentlich nicht — ich war wohl zu beschäftigt mit dem Baby und mir. Aber mir war klar, dass ich noch Energie bräuchte. Und das Essen schmeckte ja auch echt gut!
Ich merkte leichte Rückenschmerzen. Deshalb stellte ich mich mit einem kleinen Massageball gegen die Wand und massierte mir das Kreuz. Das tat gut. Um 14.30 telefonierte ich mit C. Sie wollte gerne ein Update. Ich beschrieb ihr, dass mein Darm sich langsam entleerte, was ich als gutes Zeichen sah. „Mir geht es gut. Ich hab nicht das Gefühl, dass wir schnell durch sind, aber es läuft.“ Ich war entspannt. Es lief langsam, ja, aber das war kein Problem. Danach verbrachte ich die Zeit mit entspannter Bewegung, bis ich gegen 15:30 wieder ins Bett ging. Ich konnte auch tatsächlich schlafen und mich ausruhen und erholen.
Eine Stunde später, um 16:30, war ich wieder wach und ging zur Toilette. Ich hatte Durchfall, den ich als gutes Zeichen ansah: Diese Art der Geburtsvorbereitung ist weit verbreitet und normalerweise ein Hinweis darauf, dass die Geburt gut voran geht. Dann ging ich noch mal in die Tonne. Unser Schlafzimmer hatte ich komplett abgedunkelt. Ich saß im Dunklen in meiner Wassertonne, nur mit wenig grünem Licht. C. war mit ihren Enkelkindern im Zirkus. Danach wollte sie zu uns kommen, weil ihre Enkelkinder bei uns in der Stadt wohnten. Wir lagen also auf dem Weg. Die Idee war, dann zu schauen, wie wir die Nacht angehen würden.
Ich war mehrere Stunden im Wasser und habe die Wehen verblubbert. Mein Mann lag auf der Couch; D. lag im Gästezimmer und schlief. Diese Zeit war wirklich toll. Ich war ganz beim Baby und bei mir. Ich brauchte niemanden. Wir beide waren ein super Team. Die Wehen gaben mir eher Kraft, als dass sie sie mir raubten. Ich freute mich auf die Geburt. Ich hatte das Gefühl, dass ich so noch stundenlang weitermachen könnte. So, genau so, sollte Geburt sein! Mutter und Kind, in Ruhe und Frieden, mit Kraft und Vertrauen. Ich war eine Gebärgöttin.
Noch ein CTG
Ich telefonierte abends aus der Tonne heraus mit C. Sie war gerade auf dem Rückweg von ihren Enkelkindern. Es war ungefähr kurz nach acht. Sie fragte, ob ich schon einen Pressdrang verspürte. Ich verneinte. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass es unserem Nachwuchs gut ging, aber dass die Geburt noch dauern würde. Es wunderte mich, als sie sagte, dass sie in diesem Fall nicht mehr vorbeikommen wollte. Eigentlich war schließlich ausgemacht, dass sie noch mal zu uns kommen sollte. Stattdessen beschloss sie, nach Hause zu fahren und dort zu schlafen. Wir sollten aus Versicherungsgründen noch mal ein CTG schreiben. Sie bräuchte es aber erst einmal nicht sehen.
Ich kam also aus der Wanne heraus und schrieb das CTG. Wie gesagt, konnte ich das zwar technisch anlegen, aber ich konnte kein CTG lesen. Das wusste C. auch. Die halbe Stunde am Wehenschreiber fand ich nicht besonders angenehm. Vielleicht hatte ich deshalb auch nur vier Wehen in dieser Zeit. Und diese vier Wehen hat man auf dem CTG noch nicht mal gesehen. Während der Wehen veränderte sich der kindliche Herzschlag. Die Wehentätigkeit an sich dagegen war nicht sichtbar. Es sah so aus, als hätte ich gar keine Wehen. Dabei habe ich mir allerdings noch nicht viel gedacht. Es passiert schließlich öfter mal, dass Wehen auf dem CTG nicht angezeigt wurden. Manchmal sitzt der Gurt nicht richtig, manchmal ist das Gerät falsch eingestellt… Deshalb fand ich CTGs auch noch nie besonders hilfreich. Aber gut, C. wollte das CTG haben, und ich sah keinen Grund, es ihr zu verweigern.
Danach hüpfte ich wieder in meine Tonne. Na ja, hüpfen ging natürlich nicht mehr. Ich stieg in die Tonne. Das Wasser fühlte sich nach wie vor total gut an. Es war warm, kuschelig, angenehm. Ich verblubberte meine Wehen und freute mich auf unser Baby. Mein Mann war in dieser Zeit, glaube ich, eher gelangweilt. Er war da, und das war gut. Für mich war klar, dass er da sein würde, wenn ich etwas bräuchte. Wenn nicht, war er gelassen und ließ mich machen. Er lag viel auf dem Bett, hat ein wenig am Computer gearbeitet, und strahlte Ruhe aus. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich machen lies und nicht unruhig oder aktionistisch war.
TAG 4: DONNERSTAG, 6.DEZEMBER 2018
Gegen Mitternacht wollte ich mich noch mal selber untersuchen: Einfach mal schauen, wie weit so der Stand war. Ich stieg also aus der Wanne und ging in die Dusche, um den Muttermund zu ertasten. Er war nach wie vor bei zwei bis drei Zentimetern. Also unverändert. Auch der Gebärmutterhals war noch teilweise erhalten, circa einen Zentimeter. Es hatte sich also nicht wirklich was getan. Die Abstände zwischen den Wehen wurden auch wieder größer. Den ganzen Tag über hatte ich gute Wehen gehabt. Ich war deshalb auch der festen Überzeugung gewesen, dass diese Wehen effektiv gewesen waren — dass sich dabei also der Muttermund geöffnet hätte und dass das Baby immer weiter in den Geburtskanal gerutscht wäre. Die Wehen waren tagsüber im Abstand von drei bis vier Minuten gekommen.
Nachts dann lag der Abstand zwischen den Wehen bei sieben bis acht Minuten. Ich merkte: Irgendetwas wollte nicht. Dass der Muttermund sich noch nicht weiter geöffnet hatte, fand ich okay. Das kann ja lange dauern und dann auf einmal plötzlich ganz schnell gehen. Aber zumindest der Gebärmutterhals hätte meiner Erfahrung nach mittlerweile vollständig verkürzt sein müssen. Ich fühlte mich alleine nicht mehr wohl. Ich brauchte Unterstützung und Hilfe. In dieser Phase war unser Kind ausgesprochen aktiv. Hin und her, immer weiter bewegte es sich. Als wolltest es weiter ins Becken rutschen und konnte nicht.
Die Kindslage
Um 0:36 schrieb ich C. deshalb eine SMS. Ich rief nicht an, weil ich ihren Mann nicht wecken wollte. Übrigens hatte ich mich da aus der Dusche schon lange wieder in meine Tonne bewegt. Ich schrieb ihr: „Hi, brauche deinen Rat. Bin seit Mitternacht wieder im Wasser, weil die Wehen draußen sehr schmerzhaft waren (ca. 45 Sekunden alle 5 Minuten). Hab davor nach dem Muttermund getastet, der ist circa 2-3 cm und der Gebärmutterhals ist definitiv noch da. Der Kleine ist gerade sehr, sehr aktiv, draußen schon und jetzt im Wasser auch; hab das Gefühl, dass er nicht richtig ins Becken findet. Hast du einen Rat?“
Zwar hatte ich mich ja den ganzen Tag viel bewegt, aber es gab bestimmt noch gezielte Übungen, die die Kindslage verbessern könnten. An eine Verlegung dachte ich in diesem Moment überhaupt nicht. Denn ich hatte ja Wehen, und uns ging es gut. C. bat per Nachricht um das CTG, das wir abends geschrieben hatten. Wir schickten es ihr. C. schrieb eine Nachricht zurück: „Wollt ihr in die Fildern?“ — Also: Sie fragte, ob wir ins Krankenhaus verlegen wollten. Ich war baff. Krankenhaus? Nein, ich wollte Turnübungen! Warum sollte ich ins Krankenhaus fahren? Uns ging es gut!
Mein Mann schrieb die Antwort-Nachricht an C: Nein, wir wollen hier bleiben. Als Reaktion darauf rief sie an. Sie begann damit, uns zu erklären: „Das CTG ist eingeengt. Das CTG ist nicht gut. Ich will, dass ihr sofort in die Klinik fahrt!“ Sie erklärte uns, dass unser Kind sich die Nabelschnur vermutlich um den Arm oder um die Hand gewickelt hätte und deshalb nicht tiefer ins Becken rutschen könnte. Das würde dann dazu führen, dass sich bei jeder Wehe die Nabelschnur ein wenig zusammenzöge.
Krankenhaus
Wie gesagt, hatten wir das CTG ungefähr vier Stunden früher geschrieben. Als mir bewusst wurde, was C. da sagte, breitete sich ein bis dahin unbekanntes Gefühl in mir aus. Wenn es stimmte, dass das Kind wegen der Nabelschnur nicht weiter ins Becken rutschen konnte, wenn tatsächlich irgendetwas im Wege wäre, dann wäre das nun schon seit einer ganzen Weile so. Seit vier Stunden ging es unserem Baby also nicht gut. Und ich hatte nichts gemerkt.
Sie sagte, wir sollten uns melden, wenn wir in der Klinik Unterstützung bräuchten. Für mich brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Krankenhaus. Ich war mir absolut sicher, dass es unserem Sohn gut ging. Es gab keinen Grund, in die Klinik zu fahren. Schlagartig hörten meine Wehen auf. Von jetzt auf gleich — keine einzige Wehe mehr. Mein Fluchtinstinkt schlug voll zu: Unangenehme Situation, vielleicht sogar Gefahr. Alles einstellen, was nicht überlebenswichtig ist. Geburt unterbrechen. Erst fliehen, und dann an geschütztem Ort die Geburt weiter vorantreiben.
Allein der Gedanke ans Krankenhaus, und dass es dem Nachwuchs nicht gut gehen könnte, führte schon dazu, dass mein Körper beschloss, die Wehen einzustellen, obwohl ich mich immer noch in meinem geschützten Zuhause befand. Panik breitete sich aus… D. war aufgeregt und sehr verunsichert, und auch mein Mann wurde arg nervös. In diese Panik mischten sich Schuldgefühle. Meinem Kind ging es schlecht, und ich hatte es nicht gemerkt!?
D. packte die Kreißsaaltasche. Ich hatte nichts gepackt. Wenn ein absoluter Notfall eingetreten wäre, hätte ich im Rettungswagen so oder so nichts gebraucht. Und bei einer normalen Verlegung wäre noch genug Zeit gewesen, zu packen. Unser Aufbruch war nun aber ein Zwischending: Kein RTW-Notfall, aber auch keine ruhige Stimmung mehr. Ich war D. deshalb sehr dankbar, dass sie diese Aufgabe für mich übernahm. Denn ich war darauf in keinster Weise vorbereitet. Ich war auf viele Situationen vorbereitet — darauf nicht. Trotz allem war ich noch mal duschen. In meinem Körper tobte ein Kampf: Mein Bauchgefühl sagte mir nach wie vor: Es ist alles gut! Dem Nachwuchs geht es gut, mir geht es gut. Und mein Kopf, der auf Logik pochte, erwiderte: Die Hebamme sagt, das CTG ist Mist. Also stimmt irgendwas nicht. Also geht es dem Kind nicht gut, denn mir selber geht es ja gut.
Nachdem D. alles gepackt hatte und ich wieder angezogen war, fuhr ich mit meinem Mann los. Mitten in der Nacht. Ich spürte zu diesem Zeitpunkt absolut keine Wehen mehr. Noch mehr beunruhigte mich, dass ich während der Fahrt in die Filderklinik auch keine Kindsbewegung mehr spürte. Das Baby war absolut ruhig. Im Nachhinein glaube ich, dass es einfach entspannt hat: „Oh, keine Wehen mehr. Dann mache ich jetzt auch mal Pause!“ Vielleicht ist es sogar eingeschlafen. In der Situation jedoch hatte ich ganz andere Gedanken. Ich fürchtete um unser Kind. Ich dachte sogar daran, dass es vielleicht gar nicht mehr lebte. Diesen Gedanken meines Hirns stand allerdings nach wie vor mein Bauchgefühl gegenüber, das fest davon überzeugt war, dass es dem Baby gut ging.
Unterwegs besprachen mein Mann und ich noch, wie es in der Klinik laufen sollte: Ich wollte gut informiert werden und auch Zeit zum Abwägen bekommen, statt vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Sie sollten uns Vor- und Nachteile nennen. Ich wollte eine Behandlung auf Augenhöhe.
Aufnahme in der Filderklinik
Mein Mann war in Rekordzeit in der Filderklinik. Gegen 2 Uhr waren wir dort. D. kam hinterher, nachdem sie zu Hause die Tonne geleert hatte. C. hatte uns angeboten, dass wir sie auch aus dem Krankenhaus heraus bei Fragen kontaktieren könnten. Wir nahmen ihr Angebot nicht in Anspruch. Durch die mangelnde Betreuung während der Zeit zu Hause und das Telefonat über das CTG hatten wir das Vertrauen in sie verloren. Wir wurden von einer jungen Hebamme, Sonja, empfangen. Ich erklärte ihr, dass ich eine „abgebrochene Hausgeburt“ sei und dass das CTG unsere Hebamme beunruhigt hatte. Ich verwies darauf, dass unsere Hebamme uns deshalb hergeschickt hatte. Sonja brachte mich ins Vorbereitungszimmer, tastete meinen Bauch ab und legte das CTG an. Das war mir sehr recht. Ja, lasst uns auf Nummer Sicher gehen und danach alles weitere in Ruhe besprechen. Genau während dieses Gesprächs setzten die Wehen wieder ein. Mein Fluchtmodus war beendet. Ich fühlte mich wohl, ich konnte mich entspannen, also begann der Körper auch wieder, die Geburt voranzutreiben. Bei Sonja war alles gut. Ich erklärte ihr: „Ich mache alles, was sinnvoll ist!“ Sie lächelte mich an. „Ja, aber vieles ist halt nicht sinnvoll.“ Wir verstanden uns.
25 Minuten lang lief das CTG. Sobald das CTG lief, erklärte Sonja mir, dass alles super aussähe. Dem Kind ging es gut. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich zeigte ihr das andere CTG, das wir von zu Hause mitgenommen hatten. Aus ihrer Sicht waren die Werte gar nicht so schlecht. Nach dem CTG untersuchte sie mich noch mal. Sie fragte, ob sie meinen Muttermund abtasten dürfe. Ich war damit einverstanden. Auch bei dieser Untersuchung war sie sehr sanft. Ich fühlte mich bei ihr gut aufgehoben. Der Muttermund war zwei Zentimeter geöffnet und weich. Wir gingen dann die ganzen Aufnahmepapiere und Aufnahmefragen gemeinsam durch.
Gegen 2:45 Uhr kam eine junge Ärztin, Miriam, herein und nahm Blut ab. Wir besprachen zusammen, wie es weitergehen sollte. Der Blasensprung lag ja mittlerweile schon mehr als 72 Stunden zurück. Wir beschlossen deshalb, dass ich mit der Gabe von Antibiotika beginnen sollte. Der Ärztin war das auch sehr wichtig, denn erst ein paar Tage vorher hatten Eltern ihrem Kind die Medikamente ersparen wollen, was allerdings zu weiteren Komplikationen geführt hatte. Ich nahm ihre Empfehlung an. Ich sah den Sinn darin, das Baby vor möglichen Keimen zu schützen — gerade natürlich in der Klinik, in der ja noch ganz andere Keime schlummerten, als bei uns zu Hause. Mein Mann stimmte mir zu. Die Ärztin erklärte uns auch, dass sie normale Kaiserschnitte im Operationssaal außerhalb der Geburtsstation durchführten, während Notkaiserschnitte meist direkt im Kreißsaal durchgeführt wurden, um keine Zeit zu verlieren. Bei Kaiserschnitten im OP dürften die Väter normalerweise auch dabei sein; bei Notkaiserschnitten im Kreißsaal müssten sie allerdings draußen bleiben. Wir nahmen die Info einfach auf — wir würden ja keinen Kaiserschnitt brauchen, also was das erst mal nicht so wichtig.
Wohlfühlatmosphäre
Im Wehenzimmer gab es ein Bett, zwei Stühle, einen kleinen Tisch und einen Schrank. Hinter einer Tür war ein Bad, in dem ein Klo, ein Waschbecken und eine Badewanne standen. Über der Wanne hing ein Tuch zum reinhängen. Über einen Zugang im rechten Unterarm habe ich dann Antibiotika bekommen. Trotz der Krankenhausroutine fühlte ich mich mit der Ärztin und der Hebamme total wohl. Auch meinem Mann ging es so. Im Nachhinein erzählte er mir nämlich, dass er so froh war, in der Klinik jemanden zu haben, der sich um uns und auch um ihn kümmerte. Obwohl mir die ganze Zeit über vollkommen klar war, dass er keine Verantwortung für das trug, was passierte, hatte er dieses Gefühl unterbewusst wohl trotzdem. In der Klinik wurde ihm diese Last ganz offiziell abgenommen.
Als D. zu uns stieß, hing ich noch am CTG. Dann stieg ich in die Badewanne. Laut Geburtsbericht war das gegen 5 Uhr, meiner Erinnerung nach allerdings schon viel früher. Die Wehen verblubberte ich wieder und döste vor mich hin. Die Wehen kamen in diesem Zeitraum im Dreiminutenabstand. Zu der Zeit hing ich übrigens nicht mehr am CTG. Ich war einfach ganz alleine und das tat mir extrem gut. Die Wanne war mir ein wenig zu niedrig, aber ich kam klar. D. und mein Mann versuchten ebenfalls, zu schlafen und wieder zu Kräften zu kommen. Leider waren sie zu schüchtern, um sich in „mein“ Bett zu legen und saßen deshalb auf den Stühlen. Bequem war das nicht.
Unangenehme Untersuchungen
Bis 6 Uhr morgens war ich in der Wanne. Dann stieg ich raus, weil ich mich vergewissern wollte, wie die Geburt voran ging. Außerdem wusste ich aus meiner eigenen Erfahrung, dass bald die Frühschicht kommen würde. Da wollte ich nicht in der Wanne sitzen. Die Frühschicht kam dann gegen 7 Uhr: Eine Ärztin, eine Hebamme, eine Hebammenschülerin und eine Praktikantin. Der Raum füllte sich also. Ich wurde ziemlich überfallen. Es war mir eigentlich zu viel. Die Ärztin wollte mich untersuchen. Das fand ich okay, immerhin war ich schon ein paar Stunden da. Ich war überzeugt davon, dass der Muttermund sich weiter geöffnet hätte, denn ich hatte in der Wanne gute Wehen gehabt.
Die Untersuchung dieser Ärztin war grausam. Ihre Berührungen waren extrem schmerzhaft für mich. Ich bin dabei tatsächlich fast vom Bett gesprungen. Mein Fluchtreflex war wieder da. Ich habe auch geschrien. Vermutlich hat sie sogar während der Wehe noch getastet. Diese Untersuchung war eine Demütigung: Eine Demütigung für mich als Gebärende, die sich gegen die Schmerzen nicht wehren konnte, und auch eine Demütigung für mich als Mutter, deren Urvertrauen und Instinkt nicht ernst genommen wurden. Jetzt, im Nachhinein, vermute ich, dass sie versucht hat, den Muttermund aufzumassieren oder aufzudehnen. Das war mit mir allerdings nicht abgesprochen. Wir haben überhaupt kaum kommuniziert.
Der Befund war unverändert: Der Muttermund war zwei Zentimeter geöffnet. Außerdem sagte sie mir, es gäbe eine Geburtsgeschwulst. Unser Nachwuchs hätte also ein Hämatom am Hinterkopf. Das deutete darauf hin, dass das Kind seit einiger Zeit immer wieder mit dem Kopf gegen die gleiche Stelle drückte und weder vor noch zurück käme. Dadurch wäre sein Kopf angeschwollen. Dieser Befund schockte mich. Verdammt. Eine Geburtsgeschwulst. Und ich habe es nicht gemerkt. Der gleiche Vorwurf wurde in meinem Kopf wieder laut: Meinem Kind geht es nicht gut, und ich habe es nicht gemerkt. Denn nach wie vor ging das gegen mein Bauchgefühl, gegen mein ureigenes Wissen, dass es meinem Nachwuchs gut ging. Ich wusste: Es ging ihm gut. Das Baby hat keinen Stress. Später stellte sich ja dann auch heraus, dass es keine Geburtsgeschwulst gab und mein Bauchgefühl absolut Recht hatte: Dem Kind ging es gut! Ich bin mir nicht sicher, ob die Ärztin uns absichtlich falsch informierte, oder ob sie unabsichtlich eine falsche Diagnose stellte. Sie war sehr unfreundlich und rabiat. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich unbedingt überzeugen wollte, lieber ihr statt meinem Instinkt zu vertrauen.
Wehentropf
Sie drängte auf einen Wehentropf. Ich fragte, was es sonst noch für Möglichkeiten gäbe. Als Fachperson war mir bewusst, was es bedeuten würde, über Hormone das Gleichgewicht der Geburt zu manipulieren. Ich wollte das nicht. Ihre Reaktion war schlicht: Es gibt keine andere Option. Cytotec, ein Prostaglandin in Tablettenform, wollte sie mir nicht geben. Dafür sei der Befund nicht gut genug. Das war komisch, denn eigentlich kannte ich es so, dass man den Wehentropf mit dem Hormon Oxytocin erst ab einer Muttermundsöffnung von drei bis vier Zentimetern gibt. Davor gibt man eben Prostaglandine, die den Muttermund weich machen sollen. Sie ließ mir keine Wahl. Wehentropf. So beschloss sie es. Die Begründung war, dass meine Wehen nicht stark genug wären. Ich würde keine guten Wehen produzieren. Daraufhin verließ sie mit der Hebamme und den Schülerinnen das Zimmer.
Ich brach zusammen. Ich kam mir vollkommen entmündigt vor. Nach der Demütigung durch die Untersuchung entschied sie jetzt über mich hinweg — und zwar sowohl über meinen medizinisch denkenden Kopf, als auch über meinen Bauch, der mir nach wie vor sagte, dass es dem Baby gut ging, dass meine Wehen gut waren und dass wir uns aufeinander verlassen konnten. Ich hatte keine Kontrolle mehr über das, was passierte.
Kurz darauf kam die Hebamme noch einmal herein, sagte „Mund auf!“ und schob mir ein Quarzpulver in den Mund. Das sollte die Wehen anregen. Abgesehen davon, dass es nicht mein Mittel der Wahl gewesen wäre, fand ich ihre Vorgehensweise extrem übergriffig. Ich wurde von ihr genauso überfahren, wie von der Ärztin zuvor. Dadurch verlor ich auch mein Vertrauen in sie. Zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass sie zusätzlich zu mir noch drei andere Geburten betreute. Für diese Umstände hat sie relativ häufig nach uns geschaut. Ich fühlte mich allerdings nicht gut betreut. Es gab nur ihre Sichtweise, sonst nichts. Sie sprach mir ab, dass meine Wehen gut waren. Sie erzählte stattdessen von ihren eigenen Kindern und bekam gar nicht mit, dass ich das alles gar nicht wissen wollte. Ihre Kinder waren bereits einige Tage über dem errechneten Geburtstermin gewesen und sollten dann motiviert werden, zu kommen. Das war für mich allerdings alles komplett irrelevant. Sie hat wohl versucht, eine Verbindung zu mir aufzubauen; das hat aber überhaupt nicht funktioniert. Dafür habe ich mich von ihr nicht ernst genommen genug gefühlt. Sie drängte mich zum Oxytocintropf, und sagte beim Rausgehen noch „der Tropf ist doch nicht so schlimm, dann machen wir halt eine PDA.“ Sie versuchte mit allen Mitteln, mich zum Tropf und der PDA zu drängen. Meiner Ablehnung gab sie keine Berechtigung. Als ich versuchte, ihr zu erklären, dass ich von der Situation total überfahren war, sagte ich: „Das war halt nicht der Plan!“ Ich wollte damit ausdrücken, dass ich mir etwas anderes gewünscht hätte, dass ich Zeit und Unterstützung brauchte, um mit dieser veränderten Situation klar zu kommen. Anstatt auf mich einzugehen, wiegelte sie ab. „Geburten laufen halt nicht nach Plan.“ Das half mir allerdings gar nicht, mich in der Situation zurecht zu finden.
Im Geburtsbericht steht übrigens, dass meine Wehen zu dieser Zeit wieder schwächer waren. Das finde ich sehr verständlich: Ich war so überfahren von der Situation, dass mein kluger Körper nicht auch noch Wehen produzierte… Im Nachhinein erfuhr ich, dass bereits für diese Zeit im Geburtsbericht steht, dass die Geburt mittels Wehentropf vorangetrieben werden sollte. Da hatte ich, wohlgemerkt, diesem Vorgang noch nicht zugestimmt! Manchmal ist es so, dass die Geburtsberichte erst am Ende der Schicht geschrieben werden und entsprechend das eingetragen wird, was dann später tatsächlich passierte. Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass im Bericht steht, es würde bereits eingeleitet. Denn dies war nicht so. Vielmehr passierte Folgendes:
Spazieren statt Tropf
Mein Mann griff in die Situation ein. Er ging zu der Hebamme und stellte sie in Bezug auf den Wehentropf vor vollendete Tatsachen: „Meine Frau bekommt jetzt gar nichts. Wir gehen spazieren.“ Die Hebamme sagte ihm noch, wir sollten spätestens in einer Stunde wieder da sein. „Ja, mal gucken“, sagte er. Daraufhin nahm er mich mit. Wir gingen spazieren. D. wartete in der Klinik auf uns. Mein Mann war für mich in dieser Situation der Retter. Er befreite mich aus meinen negativen Gedanken, aus meinen Zweifeln, aus meiner Aussichtslosigkeit. Wir gingen spazieren. Ich war, und bin, ihm unendlich dankbar.
Wir verließen die Klinik. Ich brauchte Abstand, auch physisch. Unterwegs besprachen wir, wie wir weiter vorgehen würden. Ich versicherte ihm, dass ich mich nicht gegen notwendige medizinische Hilfe wehren würde. Ich wollte aber keine medizinischen Eingriffe dulden, nur weil sie Standard waren. Sprich: Wenn dieser Tropf nötig wäre, würden wir das auch machen. Dafür wollte ich aber wissen, warum. Ich wollte wissen, welche Schmerzmittel ich bekommen könnte, falls ich den Tropf nicht aushielte. Wir besprachen noch mal, dass ich auf keinen Fall wollte, dass unser Baby mit einer Saugglocke oder Zange geholt würde, während ich mit einer PDA in Rückenlage da lag. In der Klinik, in der ich arbeitete, kam das sehr häufig vor. Und sehr häufig hatten diese Kinder schlimme Geburtsverletzungen. Da wollte ich lieber einen Kaiserschnitt. Die PDA schied für mich als Schmerzmittel also aus, denn ich wollte nicht ans Bett gefesselt sein. Am liebsten wäre mir diesbezüglich Lachgas gewesen. Das bot die Filderklinik allerdings gar nicht an.
Mein Mann und ich beschlossen, dass wir einen leichten Wehentropf annehmen wollten. Vorher wollte ich in Erfahrung bringen, welche Schmerzmittel mir zur Verfügung standen. So könnte ich, wenn ich etwas wollte, auch davon ausgehen, dass ich das tatsächlich bekommen würde. Außerdem war mir klar, dass wir unseren Zwerg zwar die erste Zeit während der Oxytocin-Gabe beobachten mussten (sprich: ich würde wieder ans CTG gehängt), ich danach aber unbedingt wieder ins Wasser wollte. Ich war immer gut klar gekommen mit dem Wasser. Das Wasser war meines. Es war für die Wehen gut und für die Schmerzen gut. Die Badewanne in der Klinik war auch wie eine kleine Schutzschicht, denn da konnte ich mich bewegen, nicht ohne Absprache angefasst und untersucht werden und leichter ganz bei mir sein.
Doch ein Wehentropf
Wir gingen also wieder ins Krankenhaus. Das war gegen 9:30 Uhr. Die Hebamme kam auf uns zu und fragte: „Wie können wir Ihnen denn helfen?“ Ich erklärte ihr daraufhin, dass ich einfach wissen möchte, welche Optionen ich habe. Und dass meine Entscheidung respektiert wird. Ich wollte mitarbeiten. Deshalb wollte ich dem CTG auch nur so lange zustimmen, wie nötig. Ich wollte wissen, welche Schmerzmittel wann zur Verfügung stünden. Buscopan und Paracetamol schieden für mich wegen zu geringer Wirkung aus. Von Meptid riet sie mir ab — zu viele Kinder bekamen durch das Mittel Atemprobleme. Da stimmte ich ihr vollkommen zu. Es war für mich nie Mittel der Wahl. Und dann, sagte sie, gäbe es ja noch die PDA; genauer gesagt: eine Walking-PDA. Nun kannte ich aus meiner Arbeit ja verschiedenste PDA-Verläufe. Fast immer wird eine PDA so anvisiert, dass die Frau sich dann noch bewegen kann. Leider ist es in der Realität dann aber eben oft so, dass sie sich doch überhaupt nicht mehr bewegen kann. Es ist also eher eine „Schieß-mich-ab!“-PDA, als eine Walking-PDA. Ich sagte ihr also, dass ich keine PDA wollte. Ich wollte mitarbeiten.
Ein weiterer Grund gegen die PDA war, dass ich damit definitiv nicht mehr ins Wasser könnte. Der Oxytocin-Tropf an sich war übrigens in dieser Hinsicht kein Problem: Auch mit Wehentropf dürfte ich ins Wasser. Das hat mir die Hebamme versprochen. Ich dürfte bald wieder ins Wasser. Das war mir ausgesprochen wichtig.
Wir sprachen auch über die Zange und Saugglocke. Ich sagte ihr: „Ich möchte nicht, dass mein Kind mit der Saugglocke geboren wird!“ Und ich wollte das Risiko, am Ende eine Saugglockengeburt zu haben, nicht durch eine PDA erhöhen. Sie verteidigte die relativ hohen Werte an Saugglocken- und Zangengeburten der Filderklinik: Das läge nicht an der PDA, sondern daran, dass sie so wenige Kaiserschnitte machten. Sprich: Wo in anderen Kliniken schon längst ein Kaiserschnitt durchgeführt würde, nutzte die Filderklinik lieber Saugglocken und Zangen. Mir war die Begründung ziemlich egal. Ich wollte keine Saugglockengeburt. Und deshalb auch keine PDA.
Dosierungen
Bevor mir der Tropf angehängt wurde, ging Tante Diana nach Hause. Ich war froh, dass sie mich nicht so sehen musste. Dann bekam ich den Wehentropf mit 10 Millilitern Oxytocin pro Stunde und wurde wieder an das CTG gehängt. Die Herzfrequenz des Babys lag bei 130 Schlägen pro Minute, war also gut. Die Wehen nahmen an Intensität zu. Mein Mann entlastete mich durch starken Druck auf den unteren Rücken. Ich vertönte die Wehen in der tiefen Hocke. In die Wanne konnte ich ja des CTGs wegen noch nicht. Und eine Schlaufe, in die ich mich hätte hängen dürfen, gab es in dem Zimmer nur über der Wanne. Die Hocke war also die einzige Position, in der sich die Wehen aushalten ließen. Sie waren jetzt wirklich sehr heftig.
Die Hebamme kam immer mal wieder herein, während ich wehte. Sie stellte dann auch direkt während der Wehe den Tropf hoch. Am Anfang ist mir das gar nicht aufgefallen. Nach einer Weile bemerkte ich dann, dass wir bei 30 ml pro Stunde waren. In der Geburtsakte stehen übrigens niedrigere Oxytocin-Werte — sowohl für diesen frühen Zeitpunkt, als auch für später. Lange war ich mir unsicher, ob meine Erinnerung denn so falsch sein kann. Aber ich habe mit mehreren Hebammen das Gespräch gesucht und es wurde mir bestätigt, dass solche Fehler in den Geburtsberichten oft vorkamen. Auch in diesem Fall war das so! Wir waren bei 30 ml. Mein Mann informierte C. später noch per Handy darüber, deshalb weiß ich die Werte noch. Die Wehen wurden unerträglich. Ich begann, an mir zu zweifeln. Ich konnte nicht mehr. Mein Mann sprach mir wieder Mut zu. Ich konnte das. Ich würde es schaffen. Ich würde unseren Sohn auf die Welt bringen.
Irgendwann lag die Dosierung dann sogar bei 40 ml. Und bei mir im Kopf war immer noch die Gewissheit: Gleich geht es wieder in die Wanne! Bald muss es so weit sein! Als die Hebamme wieder ins Zimmer kam, sagte sie mir allerdings, dass in der tiefen Hocke die Herztöne nur schlecht abgeleitet würden. Ich sollte deshalb jetzt eine halbe Stunde lang liegen, damit die Herztöne ordentlich aufgezeichnet werden könnten. Es wurde nicht zur Diskussion gestellt. Also lag ich in der Seitenlage und versuchte, mit den Wehen klar zu kommen. Es ging nicht. Es war hart. Ich war genau in der Situation, in der ich nicht sein wollte: Wehentropf, CTG, ans Bett gefesselt, keine Badewanne, keine Selbstbestimmung. Es war sehr, sehr hart. Irgendwie hielt ich es aus. Ich hielt mich an dem Gedanken fest, dass ich nach dieser halben Stunde ins Wasser dürfte. Die kindlichen Herztöne waren übrigens super. Unser Nachwuchs war wach, entspannt — bereit, geboren zu werden.
Walking- oder Schieß-mich-ab-PDA?
Um 11:30 Uhr kam die Hebamme und entfernte das CTG. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es keinerlei Wehentätigkeit aufgezeichnet. Ich bat, ins Wasser zu dürfen. Mein Mann lies schon mal das Wasser ein. Er war vermutlich froh, überhaupt irgendetwas tun zu können. Die Ärztin kam wieder ins Zimmer und erklärte mir, dass ich wegen der Infektionsgefahr nicht mehr ins Wasser dürfe. Der Blasensprung sei schon zu lange her. Mein Argument, dass ich auch nachts schon in der Wanne gewesen war, ließ sie nicht gelten. Die andere Hebamme war da wohl einfach „mutig“ gewesen — sie meinte wohl „unvorsichtig“. Das hätte sie nicht machen dürfen. Und dann ging sie wieder. Sie hatte mir ein Buscopan-Plus-Zäpfchen auf den Tisch gelegt, weil mein Muttermund straff und verhärtet wäre. Im Nachhinein betrachtet ist diese Entwicklung spannend, denn nachts war der Muttermund ja noch weich gewesen. Ich persönlich glaube, dass diese Entwicklung mit der unglaublich schmerzhaften und psychisch belastenden Untersuchung morgens zu tun hatte. Dadurch hatte ich extrem verkrampft und konnte das einfach nicht mehr los werden. Diese Erkenntnis kam mir aber erst später, als unser Baby schon längst geboren war.
Ich war durch. Ich war so fertig. Ich konnte nicht mehr. Ich konnte das auch nicht verstehen: Der Blasensprung war ja nun doch schon einige Zeit her, und ich war andauernd im Wasser gewesen. Außerdem waren im Wasser, das frisch aus der Leitung kam, ja wohl weniger Krankenhauskeime als im Rest der Räumlichkeiten. Im Nachhinein wundert es mich sehr, dass eine solche Ärztin in der Filderklinik geduldet wird. Entweder war sie inkompetent oder wollte mich bewusst meiner eigenen Entscheidungen berauben.
Ich lag also wieder auf diesem dummen Bett. Ich brauchte neue Motivation. Wenn der Muttermund sich durch den Wehentropf weiter geöffnet hätte, wenn die Öffnung mittlerweile sechs oder sieben Zentimeter betrüge, würde ich das auch weiterhin durchhalten. Wenn nicht, würde mir die Kraft fehlen. Dann bräuchte ich Schmerzmittel. Dann bräuchte ich die PDA. Als die Hebamme wiederkam, bat ich darum, dass sie den Muttermund untersuchte. Sie brachte kurz ins Spiel, dass sie es wegen der Infektionsgefahr eigentlich lieber nicht täte, außer, es sei mein ausdrücklicher Wunsch. Ich erklärte, dass sie untersuchen solle, weil sich für mich daraus eine Konsequenz ergäbe. Sie untersuchte mich. Der Muttermund war weiterhin zwei bis drei Zentimeter geöffnet. Wie die ganze Zeit vorher auch schon. „Das kann nicht wahr sein!“, dachte ich mir. „Das kann einfach nicht wahr sein.“ Ich traf die Entscheidung: „Ich brauche die PDA. Ich will sie nicht, aber ich kann diese Situation sonst nicht aushalten. Ich schaffe diesen Wehentropf nicht ohne PDA.“ Es war zwischen 12 und 13 Uhr, als die Entscheidung fiel. Die Hebamme ging daraufhin aus dem Zimmer, um alles für die PDA vorzubereiten.
Kurz darauf, gegen 12:50 Uhr, kam eine andere Hebamme herein. Weil diejenige Hebamme, die mir eigentlich zugeteilt war, gerade bei einer anderen Geburt war, würde mich also diese neue Hebamme bei der PDA unterstützen. Um die PDA zu legen, müssten wir in den Kreißsaal umziehen. Mir war bewusst, dass ich bei einer PDA keine Wassergeburt haben könnte. Da die Ärztin mir das Wasser ja aber so oder so verboten hatte, war das auch egal.
Ich füllte also den Aufklärungsbogen aus und wir zogen in den Kreißsaal um. Der Chefarzt der Anästhesie, Dr. Poppe, statte mir einen Besuch ab. Der Mann war echt lustig und hatte gute Laune. Ich setzte mich auf das Bett und erwartete, dass er schauen würde, wo er am besten stechen würde. Denn ich musste ja vorher noch aufgeklärt werden und musste auch noch die Aufklärung unterschreiben. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nichts unterschrieben, nur meine Daten ausgefüllt. Er forderte mich auf: „Machen Sie mal einen Buckel“, ich buckelte, er sagte „jetzt sticht’s kurz“, und dann, um 13:52, lag die PDA. Ich war ziemlich perplex und fragte, ob er denn keine Unterschrift von mir wollte. Überrascht fragte er, ob ich noch nicht unterschrieben hätte, und ich antwortete, dass ich nicht unterschrieben hätte, weil er mich ja noch nicht aufgeklärt hätte. Er beschloss daraufhin, dass er Aufklärungsbogen damit auch ins Altpapier könnte. Genauso schnell, wie er drin gewesen war, ging Dr. Poppe dann auch. (Ich habe den Aufklärungsbogen dann im Nachhinein noch unterschrieben).
Kreislaufprobleme
Dann kam die Hebamme der Spätschicht. Ich lag auf dem Kreißbett mit erhöhtem Oberkörper. Ich erzählte der Hebamme, dass ich müde wurde, dass mir schwarz vor Augen wurde, dass es in den Ohren klingelte. Irgendetwas passte nicht. 14:06 war es. Ich bat die Hebamme, nach mir zu schauen. Die Krankenschwester in mir war sofort aktiv. Alle sprangen auf. Eine junge Ärztin kam herein und spritzte mir etwas zur Kreislaufstabilisation. Mein Blutdruck lag zwischenzeitlich nur noch bei 60/30, also extrem niedrig. Die Herztöne des Kindes gingen da auch ganz schön in den Keller — bis auf 100 Schläge pro Minute. Zum Glück stabilisierte sich der Kreislauf wieder, nachdem ich ein Medikament bekommen hatte. Auch die kindlichen Herztöne normalisierten sich wieder.
Ich war so fertig. Zum Glück konnte ich dann erst mal auf dem Kreißbett in Seitenlage für zwei Stunden schlafen, bis circa 17 Uhr. Als ich wieder aufwachte, merkte ich, dass ich zum Klo musste. Eigentlich hatte ich erwartet, dass mir ein Katheter gelegt werden würde, denn schließlich kannte ich eine PDA nur als Bett-PDA. Ich hatte aber keinen Katheter. Ich sagte der Hebamme der Spätschicht, Caroline, also Bescheid, und ihre Antwort war: „Jap, das Klo ist auf dem Flur.“ Ich sollte also aufstehen. Ich probierte es, und es klappte. Ich schnappte mir meinen Infusionsständer, der übrigens anzeigte, dass wir zu diesem Zeitpunkt bei 60 ml pro Stunde waren. Dann ging ich mit der Hilfe meines Mannes zur Toilette.
Ich spürte meinen Körper; ich spürte, dass sich was tat. Ich aß die Reste des Mittagessens. Danach saß ich auf einem Gymnastikball. Die Wehen wurden da stärker und ich spürte sie wieder mehr. Jetzt wurden die Wehen auch tatsächlich auf dem CTG angezeigt, während sie vorher nicht zu sehen waren. Ich konnte gut mit den Wehen mitarbeiten. Es war wirklich gut. Ich habe mit allem gerechnet, als mir die PDA gelegt wurde, aber nicht damit, dass ich mit den Wehen mitarbeiten könnte. Die PDA war deutlich besser als alles, was ich erwartet hatte. Ich hatte viel mehr Angst davor gehabt.
Die PDA gibt Mut
So half mir die PDA, wieder Mut und Kraft zu schöpfen. Ich konnte mich ausruhen. Ich konnte mit den Wehen mitarbeiten. Dem Baby ging es zu diesem Zeitpunkt auch super. Ich dachte da ja immer noch, dass es eine Geburtsgeschwulst hätte und es ihm deswegen vielleicht nicht so gut ginge. Aber mein Bauchgefühl war nichtsdestotrotz gut, und die Messung seiner Herztöne bestätigte das. Viel mehr als die PDA störte mich in der Verbindung zum Kind das Dauer-CTG. Es war zwar kabellos, aber der Monitor mit den Herztönen war sehr störend für mich. Meine Wahrnehmung war massiv eingeschränkt. Interessanterweise sollte unser Baby von der Untersuchung 8 Stunden vorher zur letzten Untersuchung übrigens einen Zentimeter hoch gerutscht sein, statt runter.
Irgendwann bekam ich starke Schmerzen im unteren Rücken. Das waren wohl Rückenwehen. Im Kreißsaal gab es eine Klimmzugstange über dem Bett, an die ich mich in jeder Wehe heran gehangen habe. Ich hab also praktisch bei jeder Wehe halbe Klimmzüge gemacht. So konnte ich das Steißbein immer ein wenig entlasten. Das war die einzige Position, in der sich die Wehen halbwegs aushalten ließen. Kurz vorher hatte ich einen Knacks gespürt — als würde noch mal etwas in die richtige Richtung rutschen. Unser Sohn rutschte also nochmals weiter ins Becken. Und dann steckte er da. Ich hatte das Gefühl, als sollte ich einen Tennisball auskacken. Es war eine Fülle und Dehnung, die ich bisher nicht gekannt hatte. Die halbe Belastung durch den Klimmzug war die einzige erträgliche Option.
Schmerzhafte Muttermundmassage
Die Hebammen haben mich in dieser Zeit immer wieder untersucht und mir auch angeboten, den Muttermund aufzumassieren. Ich habe es ihnen erlaubt. Ich war informiert und traf diese Entscheidung selber. Ich kann sagen: Selbst mit PDA tut eine Massage des Muttermundes noch saumäßig weh. Durch diese Massage öffnete sich der Muttermund aber tatsächlich. Schließlich war er fünf Zentimeter geöffnet. In diesem Stadium wurde der Druck für mich unerträglich. Um 17:35, um 18:10 und um 20:25 wurde jeweils die PDA aufgespritzt; ich bekam also neues Schmerzmittel. Das Aufspritzen hat allerdings bei der 1. Gabe nicht viel gebracht. Vielleicht war das Mittel nicht stark genug.
Später kam eine andere Hebamme, weil meine eigentliche Hebamme im Kreißsaal neben mir eine Geburt betreute. Ich hörte sogar, wie dort das Kind geboren wurde. Zwischendurch ging ich immer wieder auf die Toilette, versuchte aber weiterhin, die Wehen möglichst mit meinen halben Klimmzügen zu veratmen.
Die zweite Hebamme sagte mir irgendwann nach einer Untersuchung, dass der Muttermund nun sechs Zentimeter geöffnet sei. Gegen 19 Uhr war das. Zur anderen Hebamme sagte sie dann noch leise, dass es in der Wehe eigentlich eher straffe vier als sechs Zentimeter gewesen wären. Es ist ja sinnvoll, die Frauen nicht zu entmutigen, aber trotzdem fand ich das ziemlich daneben — wenn sie sich schon so besprechen wollten, dann doch bitte außerhalb des Kreißsaals, damit ich tatsächlich nichts mitbekäme!
Die kindliche Herzrate verschlechterte sich — das Baby war also mittlerweile auch schwächer geworden und konnte die Wehen nicht mehr so gut verkraften. Um den Muttermund weiter aufzuweichen und zu entspannen, bekam ich Buscopan. Die Hoffnung war, dass er sich dadurch weiter öffnen würde. Im Geburtsbericht steht, dass ich zu diesem Zeitpunkt mit den Wehen mitgetönt hätte. Na ja, ich würde eher sagen, ich habe den Kreißsaal zusammengebrüllt. Die Wehen waren für mich nicht erträglich. Der Tennisballdruck ging auch außerhalb der Wehe nicht weg. Und gegen diesen Druck wirkte auch die PDA nicht; die wirkte ja nur gegen den Schmerz.
Wir maßen auch regelmäßig meine Körpertemperatur, um sicher zu gehen, dass ich mir keine Infektion eingefangen hatte. Die Temperatur ging innerhalb von vier Stunden um ein Grad hoch. Sie war noch nicht im fiebrigen Bereich, aber mein Körper signalisierte mir eindeutig, dass ich etwas ändern sollte. Gegen 19 Uhr bekam ich Schüttelfrost. Ich zitterte und bibberte. Das war der nächste Hinweis darauf, dass wir etwas verändern mussten. Die Herzrate des Babys, meine Temperatur, der Schüttelfrost: Es ging nicht voran. Das Fruchtwasser war immer noch klar. Aber es musste sich etwas ändern. In dieser Phase sagte ich zu meinem Mann: „Wir müssen auch an ihn denken!“ — und zeigte nicht zu meinem Bauch, sondern auf den CTG-Bildschirm. Seitdem ich am Dauer-CTG hing, hatte ich einfach kein Gefühl mehr dafür, wie es meinem Kind ging. Ich vertraute mir selber nicht mehr uneingeschränkt.
Wollen wir einen Kaiserschnitt?
Mein Mann und ich schauten uns an. Was wir hier machten, funktionierte nicht. Wir beschlossen, nach einem Kaiserschnitt zu fragen. Die Idee kam uns tatsächlich gleichzeitig. Es war wie Gedankenübertragung. Das machte es für uns beide einfacher: Niemand brauchte den anderen zu überzeugen. Wir hatten uns beide unabhängig von einander unser Bild gemacht und waren zu dem gleichen Schluss gekommen. Er sagte dann noch: „Na gut, dann bin ich halt nicht dabei. Dann ist es halt so.“ Ich widersprach allerdings sofort: Es gab keinen Grund für einen Notkaiserschnitt. Wenn wir hier einen Kaiserschnitt machten, dann würde das zwar ein „sekundärer“, aber trotzdem ein ganz ruhiger Kaiserschnitt werden — also ein Kaiserschnitt, der zwar vorher nicht geplant war, aber eben auch kein Notfall. Mein Plan war klar: Mein Mann würde dabei sein, ich würde wach sein und wir würden unser Kind sofort kuscheln!
Die Hebammen waren zu diesem Zeitpunkt mit den anderen Gebärenden sehr beschäftigt und deshalb nur selten bei uns im Kreißsaal. Als dann wieder eine Hebamme bei uns drin war, haben wir sie darauf angesprochen, wie es grundsätzlich mit der Geburt unseres Kindes aussähe. Uns war klar, dass sich etwas tun musste — die Muttermundsöffnung lag nach wie vor zwischen fünf und sechs Zentimetern, und auch das ja nur durch das mehrmalige Aufmassieren. Mir ging es immer schlechter, dem Baby auch.
Die Hebamme antwortete, dass sie sich auch schon überlegt hätte, ob ein Kaiserschnitt angebracht sei. Und dann sagte sie: „Der Chef will nicht!“ Ich war ziemlich perplex. In jeder anderen Klinik hätte ich vermutlich schon vor Stunden auf dem OP-Tisch gelegen; ich hätte vermutlich noch nicht mal etwas anderes versuchen dürfen! Ich war also total baff… „Ja, der Chef meint, das CTG ist noch okay, wir können es noch weiter probieren.“ Aha, okay. Ich forderte, dass meine Entzündungswerte überprüft würden. Denn die waren schon seit der Aufnahme im Krankenhaus nicht mehr kontrolliert worden, und mittlerweile sagte mir ja auch mein Bauchgefühl, dass es meinem Kind und mir nicht mehr besonders gut ging.
Die junge Ärztin aus der Spätschicht kam herein und nahm mir Blut ab. Sie erklärte, dass der Schüttelfrost auch vom Buscopan kommen könnte. Das war mir klar. Trotzdem dachte ich nun vom Ende her: Auf was wollten wir hinaus? Wir könnten das noch weitere zehn Stunden durchziehen und wären dann vielleicht bei einer Muttermundsöffnung von acht Zentimetern. Vielleicht wäre der Muttermund dann auch vollständig geöffnet. Das nützte aber alles nichts, wenn das Baby nicht ins Becken gleiten könnte. Und ich merkte ja, dass es eben nicht weiter ins Becken rutschen konnte. Die Ärztin sagte mir zu, noch mal mit dem Chef zu sprechen. Das war zwischen 20 und 21 Uhr. Die Herztöne des Babys lagen mittlerweile zwischen 180 und 190. Meine Entzündungswerte wurden kontrolliert, um das AIS-Syndrom auszuschließen. Das ist eine Krankheit, die durch aufsteigende Keime nach einem Blasensprung verursacht werden kann. Den betroffenen Kindern geht es danach richtig schlecht. Die Untersuchung meiner Blutwerte ergab, dass der Wert der weißen Blutkörperchen erhöht war. Es war noch nicht im kritischen Bereich, aber mein Körper hatte bereits damit begonnen, eine angehende Entzündung zu bekämpfen. Ich wollte deshalb nicht länger warten.
Vorbereitungen auf den Kaiserschnitt
Gegen 22 Uhr kam die Ärztin wieder und erklärte uns, dass der Chefarzt jetzt auch einen Kaiserschnitt empfehlen würde. Die Oxytocin-Gabe wurde eingestellt. Wenn ich einverstanden wäre, würde sie mich schon mal entsprechend aufklären und die Kollegin der Nachtschicht würde dann dem Chefarzt assistieren. Bei dieser Aufklärung machte ich deutlich, dass unser Kind sofort nach seiner Geburt zwecks Bonding zum Papa kommen sollte. Die Ärztin erklärte mir, dass sie die Neugeborenen normalerweise direkt zur Mutter auf die Brust legen. Das fand ich sogar noch besser — hatte aber damit einfach nicht gerechnet. Ich war erleichtert, um diese wichtige Kuschelphase nicht kämpfen zu müssen, sondern sicher zu sein, dass diese Vorgehensweise in der Filderklinik offenbar zum Standard gehörte. Wir vereinbarten auch, dass eine Kinderärztin unser Baby einmal direkt nach deiner Geburt durchchecken würde. Immerhin war der Blasensprung nun schon echt lange her und wir wollten sicher gehen, dass es ihm wirklich gut ging. Danach sollte es dann zu mir. Leider würde es nicht möglich sein, die Nabelschnur auspulsieren zu lassen. Das hätte die anderen Abläufe im OP zu lange verzögert und damit das Risiko für das Kind und auch für mich erhöht. Leider habe ich in diesem Moment nicht daran gedacht, das so genannte Vaginal Seeding anzusprechen. Bei einer vaginalen Geburt gleiten die Neugeborenen durch die gesunde Scheidenflora der Mutter und werden durch die dort vorhandenen Keime gestärkt. Bei einem Kaiserschnitt ist es möglich, die Neugeborenen nach der Geburt mit diesen Keimen praktisch einzureiben, um den gleichen Effekt zu erzielen. Leider gehörte diese Vorgehensweise nicht zum Standard in der Filderklinik. Da ich vergaß, es anzusprechen, wurde es auch nicht praktiziert. Im Nachhinein denke ich, dass es aber in unserem Fall so oder so nicht so dringend gewesen ist, denn durch den lange zurückliegenden Blasensprung konnten die Keime der Vaginalflora ja auch schon hoch wandern zum Muttermund. Die Ärztin verließ den Kreißsaal, um alles vorzubereiten.
Als die Tür wieder aufging, kam die Nachtschicht herein: Das waren die gleiche Hebamme und die gleiche Ärztin, die uns in der Nacht zuvor auch betreut hatten — Sonja und Miriam. Ich war in diesem Moment unbeschreiblich froh. Ich sah sie und freute mich aufrichtig. Ich hatte mich bei ihnen so gut aufgehoben gefühlt! Wenn schon Kaiserschnitt, was ich nie wollte, und jetzt doch, weil mir klar war, dass es die beste Lösung wäre — dann mit ihnen! Es tat mir so gut, Menschen dabei zu haben, denen ich vertraute. Sie kamen rein mit den Worten: „Na, unsere Löwenmutter, Sie sind ja immer noch da!“ Ich erklärte, wie die Situation stand, und freute mich, dass die beiden bei dem Kaiserschnitt dabei sein würden.
Um 22:28 wurde das CTG abgenommen und ich wurde auf die OP vorbereitet. Der Befund zum Entschluss, einen Kaiserschnitt durchzuführen, lautete: „Sekundäre Sectio bei Geburtsstillstand in der Eröffnungsphase, pathologischem CTG und Blasensprung über 90 Stunden.“
Kaiserschnitt mit PDA
Im OP zog ich auf die OP-Liege um. Der Anästhesist kam und erklärte mir ganz genau, was passieren würde. Er war sehr ruhig. Seine Ruhe übertrug sich auch auf mich. Ich fühlte mich bei ihm sehr gut aufgehoben. Er stand auch während der OP die ganze Zeit am Kopfende und erklärte mir alles. Wie das dann bei Operationen so üblich ist, stellten sich mir allerhand Leute vor, die bei deiner Geburt dabei sein würden. Der Chefarzt der Gynäkologie leitete die Operation. Dazu kamen meine Hebamme und meine Ärztin, eine Kinderärztin und eine Kinderkrankenschwester sowie eine Anästhesieschwester. Die Party konnte beginnen.
Mir wurde erneut das CTG angelegt. Deine Herztöne hatten sich stabilisiert. Sie wurden ja auch nicht mehr durch den Wehentropf beeinflusst. Die PDA wurde aufgespritzt. Ich berichtete noch kurz, dass ich beim ersten Mal abends gemerkt hatte, dass mein Kreislauf abgesackt war. „Ja, kein Problem“, antwortete mir der Anästhesist. Er erklärte mir, dass er zwar die PDA hoch spritzen würde, ich aber trotzdem alles spüren könnte. So war es auch — eine wirklich komische Erfahrung. Durch diese Erfahrung verstehe ich jetzt auch bei meiner Arbeit die Frauen auf der Wöchnerinnenstation viel besser, wenn sie von ihren Kaiserschnitten erzählen: man spürt alles. Es tut nicht weh. Die Schmerzen sind ausgeschaltet, die anderen Empfindungen aber spürbar. Das CTG wurde wieder abgenommen. Ich habe gespürt, wie sie mir den Katheter gelegt haben. Ich spürte, wie der Arzt das Skalpell ansetzte und wie er seine Hände in meinem Bauchraum bewegte. Ich spürte es, als mein Kind aus meinem Körper gehobelt wurde.
Geburt eines lebensfrischen männlichen Säuglings
Um 22:55 war es geboren und schrie. „Geburt eines lebensfrischen männlichen Säuglings“ steht im Geburtsbericht. Ich war nicht mehr schwanger. Unser Baby war geboren. Leider konnte ich nichts sehen. Die Kinderärzte untersuchten ihn in einem Wärmebettchen, ungefähr drei Meter von uns entfernt. Seine APGAR-Werte waren 9/10/10, also fast perfekt — und sehr gut für eine solch lange Geburtsreise! Ich schaute links zu ihm rüber. Mein linker Arm wurde losgebunden, damit ich mein Baby gleich halten könnte. Die folgenden ein bis zwei Minuten fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Ich konnte es nicht erwarten, ihn endlich zu halten. Klar, die Untersuchung war wichtig — und trotzdem schrie alles in meinem Körper danach, ihn endlich im Arm halten zu dürfen. Mein Mann stand am Wärmebettchen und schaute zu, wie die Ärzte den Sauerstoffgehalt im Blut unseres Sohnes maßen und seine anderen Vitalwerte kontrollierten. Das Ergebnis: Er war gesund und munter. Es ging ihm gut.
Endlich kam er zu mir auf die Brust. Ich schaute ihn an und sagte zu ihm: „Spatz, hör bitte auf, zu weinen. Jetzt ist alles gut.“ Es dauerte aber noch eine ganze Weile, bis er aufhörte, zu weinen. Mein Sohn lag auf meiner Brust und weinte. Er war in Handtücher eingepackt, ich wurde zugenäht und mein Mann brach in Tränen aus. Unser Baby war da — das Ereignis war für ihn sogar noch einschneidender als der Abstieg des VfB. Ich hatte immer gedacht, dass ich diejenige sein würde, die weinte. Aber ich war ganz ruhig, und versuchte auch, unser Kind zu beruhigen. Ich sprach ihm gut zu. Die Mutter in mir war da. Ich würde alles tun, damit es ihm gut ginge.
Unser Baby hatte den schönsten und gleichmäßigsten Neugeborenenschädel, den ich je gesehen habe. Okay, ich bin vielleicht nicht ganz objektiv. Aber dennoch war sein Köpfchen makellos. Von einer Geburtsgeschwulst, wie sie uns die Ärztin morgens verkündet hatte, war nichts zu sehen. Er hatte ein paar Kratzer, mehr nicht. Und physiologisch gesehen wäre es unmöglich gewesen, dass er morgens die Geschwulst gehabt hätte, und sie sich unter dem Wehentropf zurückgebildet hätte.
Ich kann ehrlich sagen, dass wir einen selbstbestimmten Kaiserschnitt hatten. Es war nie mein Wunsch, mein Kind mit einem Kaiserschnitt zur Welt zu bringen. Doch die medizinische Lage war so, dass ich für uns beschloss, dass ein Kaiserschnitt die beste Option war. Niemand drängte oder überredete mich. Zusammen mit meinem Mann trafen wir die Entscheidung ohne den Einfluss anderer Menschen. Ich habe diese Entscheidung aus Liebe getroffen. Aus Liebe, aus Schutzinstinkt für mein Kind und für mich, und aus Verantwortungsbewusstsein. Ich bereue sie nicht. Ich hatte es mir nicht gewünscht, aber ich bereue es nicht. Für seine und meine Entwicklung, auch für mich ganz persönlich, war dieser Kaiserschnitt ein einschneidendes Erlebnis. Ich wäre ohne ihn nicht die Frau, die ich heute bin. Die Narbe des Kaiserschnitts ist für mich wie ein Tattoo, das mir mein Sohn auf den Körper gemalt hat.
Mein Mann bekam Gelegenheit, unseren Sohn zu halten, während ich vom OP-Tisch ins Bett umgelagert wurde. Dann verließen wir den OP-Saal in Richtung Aufwachraum. Da war es gegen Mitternacht. Ich packte ihn aus den ganzen Handtüchern aus und legte ihn mir auf die Brust. Er suchte schon eine ganze Weile nach der Brustwarze, also habe ich ihn angelegt und gestillt. Wir entschieden, dass unser Sohn Moritz heißen sollte.
TAG 1 NACH DER GEBURT: 7. DEZEMBER 2018
Mein Mann ging irgendwann aus dem Zimmer, um frische Luft zu schnappen und der Familie Bescheid zu geben, dass Moritz auf der Welt war. Die zuständige Krankenschwester aus dem Aufwachraum musste in dieser Zeit immer wieder im Kreißsaal aushelfen, weil dort so viel zu tun war. Deshalb wollte das Personal der Intensivstation mich dann mit betreuen. Weil ich Moritz mit dem Sauerstoffmessgerät am Finger nicht richtig stillen konnte, machte ich es ab. Natürlich kam sofort jemand schauen — die Werte kamen nicht mehr an! Ich beruhigte sie, dass ich es nur zum stillen abgenommen hatte.
Gegen 1:00 nachts wurden wir dann zurückverlegt in den Kreißsaal. Unser Neugeborenes war „rosig und stabil“, steht in unserer Akte. Unser ganzer Kram lag auf dem Bett; wir lagen in einem Abstellraum. Moritz kam zu seinem Papa auf die Brust, und ich schlief erst mal ein. Es war perfekt: Sie konnten kuscheln, ich konnte schlafen. Mein Mann fuhr dann gegen 2 Uhr nachts heim, denn der Bezug eines Familienzimmers war nicht möglich.
Irgendwann kam unsere Hebamme Sonja und fragte, ob sie Moritz wiegen dürfe. Sie sagte, dass sie das eigentlich gerne mit mir zusammen machen wollte, aber dass das gerade logistisch schwierig wäre — ich lag schließlich in einem Abstellraum… Ich vertraute ihr, und so nahm sie unser kleines Glück mit zum Wiegen. M war übrigens 53 Zentimeter lang, 3280 Gramm schwer und hatte einen Kopfumfang von 35 Zentimetern. Das war das einzige Mal in unserer Zeit im Krankenhaus, dass er von mir getrennt war. Als sie zurück gekommen war, schob Sonja uns zusammen aus dem Abstellraum auf unser Zimmer in der Wöchnerinnenstation. Ich lag auf der Seite, weil ich so stillen konnte. Die Krankenschwester auf der Station fand das verwirrend, weil ich ja nun mal gerade einen Kaiserschnitt gehabt hatte. Es ging aber so ganz gut. Gemeinsam schliefen wir ein.
Am Morgen kam noch eine zweite Frau mit ihrem Neugeborenen zu uns auf‘ das Zimmer. Wir schliefen alle vier. Auf der Station war genauso viel los, wie im Kreißsaal. Deshalb hatte ich keine Hilfe mit meinem Sohn. Ich konnte allein nicht aufstehen — immerhin hing ich noch am Katheter und den Schläuchen der PDA. Ich fragte deshalb die Putzfrau, ob sie mir eine Windel herüberreichen könnte. So konnte ich wenigstens im Bett wickeln. Bis Abends steckte Moritz also in einer Mullwindel und in einem Handtuch die meiste Zeit direkt bei mir am Körper.
Mittags stand ich das erste Mal auf. Der Katheter wurde gezogen und die PDA aufgespritzt. Das war echt klasse. Mir war nicht bewusst, dass man die PDA am nächsten Tag einfach noch mal bei Bedarf aufspritzen konnte. Es tat mir sehr gut. Mein Mann kam erst nachmittags wieder. Er hatte sich zu Hause erst mal ausgeschlafen. Das war auch enorm wichtig. Dann hat er eingekauft, Sachen gepackt und kam zu uns. Abends ging ich das erste Mal duschen. In der Zeit kuschelte Moritz mit seinem Papa. Wir wollten an diesem Tag bewusst keinen anderen Besuch haben. Der Tag sollte Moritz und seinem Papa gehören.
Ich wollte wieder mobil werden. Auch wenn ich vorher wusste, dass das erste Aufstehen nach einem Kaiserschnitt nicht einfach sein würde, wollte ich aufstehen. Je schneller ich mich aufraffte, desto besser würde ich auch mit den Schmerzen klar kommen. Es klappte, und wir gingen einen Runde durch die Wöchnerinnenstation spazieren.
TAG 3 NACH DER GEBURT: 9. DEZEMBER 2018
Sonntagmorgen fuhren wir alle nach Hause. Der Kaiserschnitt lag circa 60 Stunden zurück. Der Kinderarzt führte noch kurz die U2, also die zweite Vorsorgeuntersuchung, durch, dann fuhren wir los. Ich war ein wenig verwundert, dass Moritz Entzündungswerte nicht mehr kontrolliert worden waren. Aber okay, es ging ihm ja auch gut.
Entlassen hat uns die Ärztin, die mich auch aufgenommen hatte. Sie hatte die Naht noch mal kontrolliert und meinte, ich solle in sieben bis zehn Tagen die Fäden ziehen lassen. Im Schlussgespräch fragte ich sie, ob beim Kaiserschnitt gesehen wurde, warum du nicht ins Becken gerutscht warst. Denn das war jetzt klar: Du warst definitiv nicht so ins Becken gerutscht, wie es nötig gewesen wäre.
Die Ärztin vermutete, dass der Blasensprung dazu beigetragen hatte, dass Moritz sich verkeilte. Sie glaubte jedenfalls nicht an eine Wehenschwäche: Die Wehen waren effektiv gewesen. Dieser Satz half mir so unglaublich viel! Nachdem die andere Hebamme mir ja effektive Wehen abgesprochen hatte, war diese Gewissheit für meine Heilung sehr wichtig. Ich hatte also nicht versagt. Meine persönliche Theorie, warum Moritz nicht ins Becken rutschen konnte, lautet: Durch den Blasensprung ist er so ungünstig gerutscht, dass er sich verkeilt hatte. Und dadurch konnte sich dann auch der Muttermund nicht weiter öffnen, denn es gab keinen entsprechenden Druck: M.s Kopf war zu weit entfernt, und die Fruchtblase, die sonst auch Druck ausüben kann, war bereits geplatzt.
Vielleicht hätten wir mit guter Unterstützung und den richtigen Turnübungen noch etwas ändern können. Mittlerweile kenne ich noch zwei Manöver, die ich vielleicht hätte anwenden können. Andererseits bin ich auch schon viel geturnt, was offensichtlich nicht so geholfen hat, wie es nötig gewesen wäre. Leider war die Betreuung nicht so, wie ich sie mir gewünscht hätte. Das war für mich lange schwierig zu akzeptieren. Und auch jetzt noch sage ich: Das war nicht okay. Gerade von C. hätte ich mir eine andere Betreuung gewünscht. Ich mache keine Hausgeburt mit Hebammenbetreuung, um dann während der Geburt nicht ein einziges Mal die Hebamme vor Ort zu haben.
Ein Nachgespräch
Mir war deshalb wichtig, dass wir mit C. ein Nachgespräch führten. Auch meinem Mann war das sehr wichtig, denn auch er war sehr, sehr enttäuscht. Am Freitag eine Woche nach der Geburt unseres Sohnes kam C. zu uns nach Hause, zur Nachsorge. Ich sagte ihr ganz offen, dass wir unsere Geburt noch mal besprechen sollten. Dein Papa war bei dem Gespräch dabei, und das war auch sehr gut so. Sie war entgegen ihrer Art sehr mitgenommen von der Schilderung. Es tat ihr auch Leid und sie entschuldigte sich, obwohl das eigentlich gar nicht ihre Art war. Sie hat ihre Abwesenheit bei der Geburt mit der Gewissheit erklärt, dass Moritz nicht spontan geboren werden würde. Sie war sich sicher, dass es ein Problem gab — vor allem, nachdem sie an dem Dienstag, als wir bei ihr gewesen waren, meinen Bauch abgetastet hatte. Sie wollte uns aber trotzdem die Möglichkeit geben, so lange wie möglich die Geburt zu erleben und so viel wie möglich zu probieren. Sie wollte uns Zeit geben, damit sich der Muttermund möglicherweise noch über 5 Zentimeter öffnete. Denn so erhöhten sich die Chancen, dass bei einer weiteren Schwangerschaft das nächste Kind vaginal geboren werden könnte.
Meiner Meinung nach hätte sie, als Fachperson, dann um so mehr nach mir schauen müssen, wenn sie der Meinung war, dass es letztendlich nicht funktionieren würde. Sie entschuldigte sich dafür, dass sie uns Angst gemacht hatte. Das sei nicht ihre Absicht gewesen. Ich glaube ihr, dass das so war. Hätten wir vorher gesagt, dass wir in die Filderklinik fahren würden, hätte sie vermutlich das CTG auch gar nicht so schlechtgeredet, wie sie es dann tat. Ich hege mittlerweile keinen Groll mehr gegen sie. Beim Babyschwimmen sehen wir uns ja auch. Ich sehe aber auch die Dinge, die nicht gut gelaufen sind, und deshalb steht für mich auch fest, dass sie bei weiteren Geburten nicht meine Hebamme sein wird. Das Vertrauensverhältnis wurde dafür zu stark beschädigt.
Die ersten Wochen nach dem Kaiserschnitt waren für mich sehr schwierig. Obwohl ich den Kaiserschnitt selber gewollt und durchgesetzt hatte, fühlte ich Scham und Unzufriedenheit. Ich hatte das Gefühl, versagt zu haben: Ich konnte unser Kind nicht zur Welt bringen. Der Muttermund ist nicht aufgegangen. Jetzt weiß ich: Es ist einfach nur doof gelaufen. Ich bin nicht undankbar für den Kaiserschnitt, denn ich habe in Afrika auch gesehen, dass solche Situationen für Mutter und Kind mit wesentlich schlimmeren Folgen enden können. Dennoch habe ich lange mit mir gehadert. In unserer Familie und im Freundeskreis war ich umgeben von Frauen, die spontan ihre Kinder geboren hatten. Mich hat es auch wirklich gewurmt, weil ich gut vorbereitet war und nicht weiß, was ich hätte anders machen können. Es gab für mich keinen Grund, anzunehmen, dass sich der Muttermund nicht öffnen würde oder dass Moritz nicht ins Becken rutschen könnte. Auf die Idee war ich nie gekommen.
Schon im Krankenhaus war mir klar, dass ich die Geburt aufarbeiten musste. Mit einer Coachin, H., habe ich innerhalb von 15 Sitzungen die Geburt aufgearbeitet. Das hat mir sehr geholfen. Vor allem habe ich in dieser Aufarbeitung die Wahrheit angenommen, dass mein Körper nicht versagt hatte. Ganz im Gegenteil: Egal, was um mich herum passierte: Ich wusste immer, wie es unserem Baby ging. Mein Körper hat ihm und mir die Wehenpausen ermöglicht, die wir brauchten. Mein Körper hat nicht versagt. Und auch mein Sohn hat nicht versagt. Er hast mitgeturnt, er hat versucht, dich ins Becken zu schieben. Er hat auch trotz extrem starker Wehen während des Wehentropfes sehr lange durchgehalten. Er war toll. Er hat alles gegeben, und ich bin sehr stolz auf ihn. Wir hatten einfach Pech. Das passiert. Geburten sind nicht vorhersehbar und nicht planbar.
Und deine Geschichte?
Diese Geschichte habe ich für Anna-Elisabeth aufgeschrieben. Es ist die gekürzte Version. Die komplette Version möchte sie nicht veröffentlichen.
Falls du möchtest, dass ich auch deine Geburtsgeschichte aufschreibe, schreib mir gerne eine E-Mail oder nutze das Kontaktformular.
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