Susa: Das Torpedo-Überraschungsei

Hinter dem heutigen dritten Adventskalendertürchen steckt die Geschichte von Susa. Susas Überraschungsei dachte sich, dass es doch sinnvoll sei, wie ein Torpedo auf die Welt geschossen zu kommen.

Die Vorgeschichte

Unsere große Tochter war als Geburtshausgeburt geplant, wurde (medizinisch notwendig wegen schwangerschaftsinduziertem Bluthochdruck – 160/100) an 40+5 jedoch per Blasensprengung eingeleitet und war noch voller Käseschmiere, als sie 6,5 Stunden später an 40+6 zur Welt kam. Vorangegangen waren 5 Tage erfolglose Einleitung und 1 Woche daheim, ehe radikaler vorgegangen wurde.

Hausgeburt trotz Vorgeschichte?

Nun zu unserem Überraschungs-Ei: Im Oktober 2019 kontaktierte ich ‚die‘ Hausgeburts-Hebamme der Region, um mich zu erkundigen, ob sie uns mit meiner Vorgeschichte prinzipiell betreuen würde. Das Gespräch war sehr ausführlich und die Aussage klar: erstmal kein Thema, aber Definitives kann sie erst sagen, wenn sie die Akte oder den Geburtsbericht gelesen hat. Wir verblieben also so, dass wir uns melden, wenn wir positiv testen und wir dann weiter sehen.

Am 02.02.2020 war es soweit: wir haben positiv getestet (ES+9) und uns direkt bei der Hebamme gemeldet. Ein Termin wurde ausgemacht für die 13. SSW, zu dem ich alle Unterlagen parat haben sollte, damit sie uns sagen kann, ob eine Betreuung durch sie erfolgen wird. Nach Durchsicht der Akte entschied sie: Ja, sie wird uns betreuen, unter der Voraussetzung, dass ich penibel meinen Blutdruck messe. Das tat ich auch.

Komplikationslose Schwangerschaft

Die Schwangerschaft verlief völlig problemlos, ich hatte diesmal nicht mal Wassereinlagerungen, ließ mir aber am 11.09.2020 vorsichtshalber Presinol 500 verschreiben, da mein Blutdruck, der sonst bei 110/65 bis 120/70 lag, auf einmal auf 130/80 hoch ging. Mein Gyn war einverstanden, ich pendelte wieder auf meinen Standardwerten ein und er ging auch nicht weiter hoch. Perfekt! Hürde erfolgreich genommen.

Rumweherei

An 39+5 hatte ich dann die nächste Vorsorge bei unserer Hebamme, seit dem Vorabend 39+4 wehte ich schmerzlos immer mal wieder vor mich hin. Da unsere Tochter ja an 40+6 noch so gar nicht fertig war, hatte ich wirklich Bedenken, ob wir es bis 42+0 geschafft haben würden. Befund: alles weich und fingerdurchlässig, die Wellen bewirken also was, juhu! Vorsorglich Termin für 40+5 ausgemacht, aber sie war schon überzeugt, dass ich diesen höchstwahrscheinlich nicht brauchen würde. Am Wochenende 40+0/40+1 war sie tagsüber 2 Stunden Autofahrt entfernt, sodass wir verblieben, dass wir an 40+0 telefonieren und je nach meinem Befinden sie eventuell nicht weg fährt, da sie mit einer schnellen Geburt rechnete. Es war alles ruhig, also fuhr sie fort.

An 40+0 fing ich an abends wieder rumzuwehen, alles völlig schmerzlos. Da es mich aber nervte, fing ich an, die tiefe Bauchatmung anzuwenden, die Kristin Graf (‚die friedliche Geburt‘) in ihrem Kurs empfiehlt, mit dem ich mich vorbereitet hatte seit ca 16. SSW. Ich konnte mich aber völlig normal unterhalten, als schmerzhaft empfand ich gar nichts.

Die Tage kamen, die Tage gingen. Jeden Abend ging es los, jeden Abend hörte es auf. Spätestens wenn unsere kränkelnde Tochter weinend aus dem Schlaf erwachte und nach Mama verlangte, war alles wieder vorbei.

Ich dachte oft an den 40+9-Termin beim Gyn und dass ich darauf ja überhaupt keine Lust habe – und die Hebamme war ja auch der festen Überzeugung, dass wir diesen Termin nicht erreichen.

40+5 kam und die Hebamme kam zur Vorsorge, überrascht mich immer noch schwanger anzutreffen. Aufgrund meiner Sorge bzgl. 42+0-Frist bat ich nochmals um Untersuchung: die Wellen nerven nicht nur, sie bewirken tatsächlich was: wir sind bei ca 3cm, alles weich und wirklich bereit. Locker lassen, es wird, versichert sie mir. Es folgt ein Aber: am Abend wäre es schlecht, sie versucht bei einer anderen Schwangeren eine Einleitung, vermutlich wird sie da nicht weg können und über Nacht bleiben. Die Vertretung weiß Bescheid. Sollte es losgehen und sie tatsächlich nicht dort weg können, dann kommt G., die wir in der 30. SSW in einem persönlichen Gespräch kurz kennengelernt hatten.

Zeichnung zum Geburtsbeginn

Am selben Abend gegen 18:30 ca habe ich unsere Große ins Bett gebracht. Pünktlich gegen 20:15 auf der Couch fingen wieder schmerzlose Wehen an. Wie auch die 2 Abende zuvor waren sie zwar gut lang mit 00:50 bis 01:30 Minuten, aber nicht sonderlich regelmäßig. Gegen 23 Uhr langte es mir. Ich besprach mit meinem Mann, dass ich der Großen noch eine Flasche mache und dann in die Wanne gehe zum Test. In der Wanne angekommen gegen 23:15 hörten die Wehen erstmal auf. Ich blieb etwa eine Stunde drin, die Wehen kamen wieder, wurden auch unangenehm – aber waren derart unregelmäßig, dass ich meinem Mann sagte das wird nix.

Gegen 00:10 verließ ich die Wanne. Ich wehte rum, es war unangenehm aber mit der Bauchatmung weit entfernt von Schmerzen. Auf Toilette wischte ich ab und sah leichte Blutstreifen auf dem Toilettenpapier, vermengt mit sehr viel Schleim. Nochmal gewischt: ja eindeutig, rosafarben, ich zeichne – juhu!! Es ist 00:50.

Ich bat meinen Mann die Hebamme anzurufen, wohlwissend dass sie vermutlich nicht kommen kann. So war es auch, nach kurzer Rücksprache mit der anderen Schwangeren teilte sie uns mit, wir müssten ihre Vertretung anrufen. Dank Kristins Vorbereitung konnte ich mich wunderbar darauf einlassen und blieb trotzdem völlig bei mir. Um 01:05 rief mein Mann also G. an, sie hat 1 Stunde Anfahrt. Okay, kein Problem.

Ich bat meinen Mann nun den Pool aufzubauen — die Wellen wurden an Land sehr unangenehm und ich sehnte mir wärmendes Wasser herbei. Gegen 01:50 konnte ich endlich rein, welch Wohltat!! Um 02:15 war G. dann da. Sie begrüßte mich kurz und sagte, sie sei jetzt da und beobachte erstmal nur. Durch unsere Hebamme war sie ja vorbereitet zu unserer Vorgeschichte und so war vereinbart, dass vorsichtshalber ein Zugang gelegt werden würde, womit ich aber absolut im Reinen war.

Ungeübte Zugänge

Nach circa einer halben Stunde sagte ich gegen 02:40 ich müsste mal aufs Klo, da ich in der Spitze der Wehe immer das Gefühl hatte zu verkrampfen, weil noch was im Enddarm sei. Auf Toilette kam aber nichts mehr. Zurück am Pool fragte G. ob sie einmal untersuchen dürfe, das war für mich ok. Eigentlich wollte ich den Stand nicht wissen, die Neugierde siegte: 4cm! Oh, na toll, so viel Arbeit für einen cm. Hilft ja nix, ich sagte mir das Mantra auf: es hat nichts zu heißen! So ging ich also wieder in den Pool und G. sprach mich irgendwann (schätze gegen 03:15) an, ob sie den Zugang lieber jetzt legen soll oder ob wir noch warten wollen. Ich hatte die Worte meiner Hebamme im Ohr trotz zuvor ernüchterndem Befund: schnelle Geburt. Ich teilte G. also mit, dass mir jetzt lieber wäre und dass ich gerne im Handrücken gepiekst werden möchte und nicht in der Armbeuge. Kleiner Spoiler: sagt einer Wehenden bitte NICHT dass ihr das ja schon ewig nicht mehr gemacht habt. Das ist echt seelische Folter. Erster Versuch: fehlgeschlagen. Mitten in einer Wehe bat ich sie aufzuhören rumzubohren und die Nadel zu ziehen. Meine Venen seien aber auch dünn (sorry, das hörte ich echt zum ersten Mal, noch nie hatte jemand Probleme mich zu stechen – auch unsere Hebamme konnte immer problemlos Blut abnehmen). Egal, noch ein (letzter) Versuch. Der saß, puh, Glück gehabt.Die Position über den Rand des Pools hängend war nicht meine, ich wollte wieder im Pool leicht liegend sitzen. Eine Position von der ich nie gedacht hätte, dass ich sie nach der traumatischen Käfer-Rückenlage-Geburt meiner Tochter freiwillig einnehmen würde. Aber es war eine Wohltat. Jede Welle nahm ich an.

Mitschieben?

Irgendwann hatte ich Kristins Geburtsbegleitung im Ohr: zu jeder Welle ja sagten und so sagte ich mir immer wieder: 3-4 Atemzüge bis zur Spitze, beim schnellen ausatmen sagte ich immer wieder JA! um dann direkt wieder tief und langsam in den Bauch zu atmen und so den Druck des Zwerchfells gegen den Dehnungsschmerz des Muttermundes anzuwenden.

Die Wellen nahmen Fahrt auf, die Kopfhörer habe ich beiseite gelegt. Die Spitzen stufte ich schnell als eine 8 von 10 auf der Skala ein, viel ginge nicht mehr bis ich verkrampfen würde. Gegen 03:50 sprach G. mich an, wie ich die Wellen einschätzen würde, da sie es von außen überhaupt nicht beurteilen könne. Ich sagte dass mich die Spitzen ziemlich umhauen, es aber noch ginge. Ob ich das Verlangen hätte mitzuschieben in den Spitzen? Ich überlegte kurz, nein eigentlich nicht. G. sagte, so hätte sie es nun auch eingeschätzt. 2-3 Mal während der gesamten Zeit hörte sie nach den Herztönen, alles wunderbar. Blutdruck wurde übrigens nicht 1x gemessen.

Ich höre meinen Mann und G. sich leise im Hintergrund flüsternd unterhalten. 04:00, ich habe eine Welle, wo ich kurz meine zu verkrampfen, musste ich etwa gerade kurz mitschieben? Nur ein Bruchteil einer Sekunde? Nein, Blödsinn, das wäre doch nur 1,5 Std nach dem 4cm-Befund. Die Spitze ist vorüber, ich beruhige mich. Es folgen 4 Wellen ohne Abstand, eine Spitze flacht ab und geht sofort wieder in die nächste Spitze über. Ich frage was das denn jetzt soll, ich brauche Pause. G. sagt ruhig, diese Restspannung brauchen wir. Ich denke: ‚FUCK welche Restspannung, das ist NICHT normal!!! Das ist Wehensturm!‘ – endlich folgt eine Pause. Ich habe Angst es nicht zu schaffen und verlegt zu werden, äußere die Angst aber nicht, sondern bin ganz bei mir. ‚Du wolltest diese Hausgeburt, also reiß dich gefälligst zusammen!‘, denke ich mehrfach kurz hintereinander.

Plopp. Das Überraschungsei ist da!

G. fragt ob sie nochmal untersuchen dürfe, ich bitte die nächste Welle abzuwarten. Unsere Tochter wacht auf, es ist 04:07. Mein Mann bringt sie rüber zu meiner Schwiegermama (wir haben eine Verbindungstür, zwischen uns lag eine Etage, aber mit Sichtweite), ich spüre die nächste Welle anrauschen. Weder Mann noch G. sind bei mir als ich auf einmal den Drang habe zu pressen und ein kurzes PLOPP merke. Viel zu schnell rauscht unser kleines Ü-Ei nach dem unerwarteten Blaensprung in den Geburtskanal, ich schreie kurz auf. Ich höre G. hinter mir 3 Schritte entfernt ‚Nanu, was ist denn jetzt los?’Ich denke ‚Verdammte scheiße, was soll los sein‘ und schreie kurz: ‚ES KOMMT!!!‘ Blitzschnell steht mein Mann hinter und G. am Poolrand vor mir.

Unser Wunder hat keine Zeit zum langsamen Dehnen, sondern dreht sich direkt ein. Es brennt wie die Hölle, ich kann nicht anders als Schieben, ich kann es nicht aufhalten. G. sagt ich solle mal tasten. Ich will so gerne, aber ich muss mich festhalten, ich kann die Arme meines Mannes gerade nicht loslassen. Mein Anker! Ich kralle mich fest während der Kopf sich einfach weiterschiebt und ich meine zu zerreißen. 04:10 – wie ein Torpedo schießt unser kleines Überraschungs-Ei durch den Geburtskanal und Kopf und Körper sind in einer Welle geboren.

Umzug ins Bett

Die Nabelschnur liegt stramm um seine Schulter als G. ihn mir auf die Brust legt. Es ist etwas schlapp, vermutlich genauso überrascht und überrumpelt wie wir. 2-3 Minuten dauert es und unser Wunder schreit endlich nachdem G. es aus seiner Nabelschnur gepellt hat. Kurze Zeit später bittet G. mich wegen des großen Blutverlusts bei der ersten Geburt aus dem Pool zu kommen (war so verabredet), ich fragte ob wir kurz gucken dürfen, wen wir da eigentlich gerade bei uns begrüßen. Kurz hochgehoben: ein Junge!! Also ein kleiner Ole, beim Zweitnamen müssen wir nochmal diskutieren.

Mit etwas Zögern steige ich recht problemlos aus dem Pool und ziehe ins Bett um. Oxytocin liegt vorsichtshalber parat, kommt aber nicht zum Einsatz. Kuschelnd gebäre ich noch die Plazenta und der Tastbefund ergibt eine rasche Rückbildung der Gebärmutter. Die Blutung ist mit geschätzt 200-300ml fast lächerlich (bei der Tochter ca 1,3l), es ist einfach alles gut gegangen.

Ein Dammriss 1. Grades und eine Abschürfung an der Innenseite der äußeren Schamlippe sind der Befund des leichten Brennens der südlicheren Gefilde. Offenbar ist ein Teil der Naht des Dammschnitts der letzten Geburt wieder aufgerissen. Die Wunden bluten aber nicht großartig, genäht wird erst abends beim Kontrollbesuch, bis dahin soll ich Otriven per Kompresse auflegen.

Wir sind immer noch völlig überwältigt ob dieses rasanten Auftritts.

Selbst wenn ich in die Klinik gewollt hätte, hätten wir uns bei meiner Einschätzung erst gegen 03:15 auf den Weg gemacht, um wegen der bestehenden Coronamaßnshmen bloß nicht zu früh dort aufzutreten. 1 Std Fahrt hätten wir gebraucht… Das wäre eine Parkplatzgeburt geworden. Also: alles richtig gemacht – wir sind überglücklich und ruhen uns jetzt erstmal ein wenig aus. Vorm Nähen nachher habe ich aber tatsächlich Angst…

Und deine Geschichte?

Diese Geschichte habe ich nicht geschrieben, durfte sie aber veröffentlichen. Hast du deine Geburtsgeschichten aufgeschrieben? Oder fehlen mir dir die Worte? Willst du dazu meine Unterstützung in Anspruch nehmen, um die richtigen Worte zu finden? Ich helfe dir beim Schreiben der Geburtsgeschichte. Achtung, sie wird lang. Viel länger als diese hier. Das liegt alleine schon daran, dass du nicht schreiben musst, sondern erzählst. Hier gibt es mehr Informationen!


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Wie kannst du dich als werdender Vater auf eine Hausgeburt vorbereiten? Dieses Ebook führt dich mit kurzen Texten und vielen Checklisten im Praxisteil durch die Vorbereitung.

Weitere Informationen

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Der komplette Adventskalender

Hier findest du alle Geschichten, die ich im Geburtsgeschichtenadventskalender 2020 veröffentliche bzw. bereits veröffentlicht habe:

  1. Tina: Badewannengeburt mit Glückshaube
  2. Annika: Hausgeburt trotz hohen Blutdrucks
  3. Susa: Torpedo-Überraschungs-Ei
  4. Mirabella: Ein Wehentag mit großem Geschwisterkind
  5. Laura: So schnell kann keine Hebamme sein
  6. Anna: Heilsame Hausgeburt
  7. Anja: Silvesterknaller
  8. Anja: Anstrengende Geburt zu Hause
  9. Viola: insertio velamentosa bei der Hausgeburt
  10. Anja: Drei Tage Rumgewehe vor der Wassergeburt
  11. Katharina: Geburtshausgeburt mit Schlafmangel
  12. Anja: Schlechte Laune und gute Geburt
  13. Katharina: Steigerung von „Keine Verletzungen“
  14. Natalie: Langes Rumgewehe und plötzliches Plopp
  15. Sabine: Hausgeburt nach vier Krankenhausgeburten
  16. Linda: Hausgeburt nach Kaiserschnitt
  17. Barbara: Erst lag das Baby quer
  18. Julias Zwillinge
  19. Natalie: Auf einmal waren die Presswehen da
  20. Anna-Christina: Selbstbestimmt im Krankenhaus, bis auf die letzten Minuten
  21. Kristina: Ich kann gebären!
  22. Irene: Kurze, heftige Hausgeburt
  23. Anna-Christina: Druckvolle Hausgeburt
  24. Kristina: Natürlich eingeleitete Hausgeburt

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