Anne: Kaiserschnitt nach Schwangerschaftsdiabetes und erfolgloser Einleitung

Am heutigen 8. Tag des Geburtsgeschichten-Adventskalenders teilt Anne ihr Geschichte mit uns. Anne erlebte eine problemlose Schwangerschaft, bis die Blutzuckerrichtlinien ins Spiel kamen. Danach wurde sie mehrfach von Kliniken abgewiesen, erlebte eine erfolglose Einleitung und schließlich einen Kaiserschnitt.

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Die Schwangerschaft

Meine erste Schwangerschaft. Ich, dick, 39 und sehr glücklich, durfte mich auf ein Baby freuen! Es war, zumindest die ersten Monate lang, eine ganz wundervoll einfache Schwangerschaft. Das Baby hat sich toll und unproblematisch entwickelt. Mir ging es gut, ich konnte arbeiten, schmiss bis zum Schluss den Haushalt wie immer, schwamm einmal pro Woche zwanzig Bahnen und genoss mein 1:1-Schwangerschaftsyoga online.

Ich hab mich mühelos gesund ernährt, Stress ganz gut minimiert, mir „Die selbstbestimmte Geburt*“ von Ina May Gaskin als Hörbuch zu Gemüte geführt und ansonsten möglichst wenig gelesen. Trotzdem war ich, wie ich im (überwiegend online stattfindenden) Geburtsvorbereitungskurs feststellen musste, mit am besten informiert.

Schwierige Hebammensuche

Die Suche nach einer Hebamme war schwierig, obwohl ich direkt nach dem ersten Ultraschall zur Bestätigung der Schwangerschaft mit der Suche begann. Ich bekam viele Absagen beziehungsweise konnte online direkt sehen, dass die Kapazitäten ausgeschöpft sind. Nur eine Hebamme in der Region hatte noch freie Termine für alle Hebammenleistungen, also wandte ich mich an sie.

Leider zeigte sich schnell: Sie hatte unglaublich viele Vorurteile mir als „mehrgewichtiger Schwangerer“ gegenüber; war desorganisiert und regte mich auf, statt irgendwie hilfreich zu sein. Ich sagte ihr nach dem dritten Termin, dass ich mir keine weitere Begleitung durch sie vorstellen kann (und das fand sie auch nicht allzu schade).

Die Zweite sagte, ich könne zum Geburtsvorbereitungskurs und zur Rückbildung kommen, aber Wochenbettbereuung sei nicht drin. Ich hatte den Eindruck, dass ihr meine vielen Fragen, die sie teils auch nicht beantworten konnte, ziemlich auf die Nerven gingen.

Nummer Drei – Ihre Kollegin, mit der ich online einen Kennenlerntermin zwecks Wochenbettbetreuung hatte – ließ mich beim zehn Minuten verspäteten Erscheinen in der Videokonferenz noch vor einer Begrüßung wortreich wissen, dass sie es inakzeptabel fände, wie ich ihre Zeit verschwende. Ich entschuldigte mich; meine Verspätung war ja keineswegs beabsichtigt. Sie kam aber einfach nicht über ihren Ärger hinweg und machte mir weiter Vorhaltungen, bis ich in Tränen ausbrach und sagte, dann müssten wir das wohl lassen.

Die vierte Hebamme fragte mich am Telefon, ob ich so schwierig sei, oder warum die Zusammenarbeit mit der Ersten nicht geklappt habe. Ich sagte, ich fände mich nicht schwierig und legte an einigen Beispielen dar, warum es für mich nicht gepasst hatte. „Ah ja, ich verstehe; das ist aber einfach typisch für die Kollegin“, entgegnete sie. Und ab da hatte ich dann endlich eine tolle Hebamme für die Schwangerschaftsbegleitung und das Wochenbett an meiner Seite.

Schwangerschaftsdiabetes

Es war, als wäre mein Körper einfach dafür gemacht, schwanger zu sein. Gesund von Anfang bis Ende, ohne größere Beschwerden. Natürlich hat man allerlei Zipperlein und am Schluss ist es immer belastend, klar. Aber ansonsten fühlte ich mich sehr wohl und war auch gerne schwanger.

Allerdings wurde mir ein Schwangerschaftsdiabetes attestiert, und das zog einen sehr, sehr hässlichen Rattenschwanz nachsich. Schon allein die Diagnose war in meinen Augen lächerlich. Man macht da also einen Test, den oGGT, bei dem Frau nüchtern kommen muss. Der Nüchternwert wird gemessen, dann muss man einen halben Liter ekelhafte Glucoselösung trinken und zwei Stunden stillsitzen, denn nach einer und zwei Stunden wird nochmal gemessen.

Nun war bei mir der Nüchternwert PATHOLOGISCH. Und zwar deshalb, weil er bei 97 lag und der Grenzwert auf 95 festgelegt ist. Aktuell. Und willkürlich. Denn als nichtschwangerer Mensch hast du mit 100 immer noch einen gesunden Nüchternblutzuckerwert. Ich war furios angepisst. Mein Internist, bei dem ich einen jährlichen Checkup machen lasse, meinte, er würde sich da wirklich keine Gedanken machen. Das hab ich auch so gesehen.

Der Gynäkologe allerdings hat dann irgendwann gesagt, wenn ich mit einem unbehandelten Gestationsdiabetes in der Klinik der Nachbarstadt aufschlage (bei uns hier wird nämlich nicht mehr entbunden), kann ich da nicht gebären.

Also schon, denn man ist ja ach so frei in der Wahl der Klinik – aber sollte das Baby einen auffälligen Blutzuckerwert haben, würde es in eine 60 Kilometer von zu Hause entfernte Klinik verlegt, und zwar OHNE mich. Ich war fassungslos. Ich wollte doch eigentlich ins Geburtshaus, und nun sollte es nicht mal im nächstgelegenen Kreißsaal klappen?!

Dergestalt genötigt bin ich dann bei der Diabetologin vorstellig geworden, als ich es nicht weiter hinauszögern konnte. Dort musste ich erst mal eine Woche lang deren Low Carb Ernährungspyramidenplan folgen und meinen Blutzucker messen. Mit dem von ihr verschriebenen Gerät (ich hatte mir eins gekauft, um mich selbst zu testen, weil ich ja mein Kind nicht gefährden wollte und dachte: Ich hab ein Auge drauf, damit nix entgleist und gut).

Diese Woche war elend. Ich war zu nichts mehr in der Lage und habe nur noch geheult. Abgenommen hab ich auch, und zwar rapide, obwohl ich in der gesamten Schwangerschaft schon nur 9 Kilo schwerer geworden bin, wobei Kind, Fruchtwasser, Blutvolumen, Plazenta und Co. allein schon 14 Kilo ausmachen. Man kann es sich also ausrechnen.

Egal, nach dieser Woche jedenfalls hieß es: Alle Werte toll (WAR JA VORHER SCHON SO!), aber der Nüchternblutzucker … den muss man in die Normwerte pressen, damit ich das Kind ohne Probleme in der Nachbarstadt kriegen kann. Da dieser Wert sich aber NICHT über Ernährung oder Bewegung beeinflussen lässt, müsste ich Insulin spritzen.

Top. Ich fand es beschissen, meinen gesunden Körper mit unnötigem Insulin zu traktieren, aber ich wollte nun mal nicht riskieren, dass die mir mein Neugeborenes wegnehmen. Also munter rein mit der Injektion, und tada, da waren die Werte endlich im Rahmen der verdammten Tabelle. Meine bis dahin tadellose Ernährung hab ich dann aber nicht wieder in den Griff gekriegt, ich war einfach zu verwirrt.

Gespräch in der Klinik

Dann kam der nächste Knüller: Mit einem nun ja rot auf weiß bescheinigten INSULINPFLICHTIGEN Gestationsdiabetes wollte mich die Klinik in 20 Kilometern Entfernung nun auch nicht nehmen. Ich wurde von meinem Gynäkologen zum „Geburtsmodus“ hingeschickt, denn die normalen Besichtigungen des Kreißsaals und so gab es ja während Corona nicht.

Meine naive Vorstellung war, dass ich da mit Hebamme und ÄrztInnen besprechen könnte, wie ich mir die Geburt wünschte. Faktisch hat man ein CTG und einen Ultraschall gemacht und mir dann gesagt, ich soll mich besser in der 60 Kilometer entfernten Klinik vorstellen, dürfe aber freilich jederzeit kommen, wenn ich Wehen hätte. Und, als wär’s nicht schon krank genug, die Kirsche:

Die Leitlinie besagt, dass eine Schwangere mit Schwangerschaftsdiabetes am ET, dem errechneten Termin, zu entbinden hat. Tut sie das nicht, muss das Kind geholt werden. Ich grinste mir eins, als der Frauenarzt das sagte, und dachte: Ihr könnt mich ja nicht zwingen. Ich entscheide, ob ich der Empfehlung dieser Leitlinie folgen will oder nicht. Fucking weit gefehlt.

Errechneter Termin bei Schwangerschaftsdiabetes

Die Leitlinie sah vor, dass ich am 11. November 2021 zu gebären hatte. Mein Körper fand das aber zu früh und mein Baby auch. Deshalb wurde da nicht geboren. Mein Gynäkologe, seines Zeichens ein eigentlich recht vernünftiger Mann, hat auch zugestimmt, mich „über Termin gehen zu lassen“, wenn ich tägliche Kontrollen machen lasse.

Das war auch kein Problem. Bis zum Freitag. Da so eine Plazenta angeblich wohl recht plötzlich damit aufhören könnte, das Ungeborene zu versorgen, kann man da als MedizinerIn nicht einfach sagen: Warten wir mit dem nächsten Check bis Montag.

Ich hätte also für die Wochenendkontrollen in die Klinik in der Nachbarstadt gehen müssen, die ja schon durch die Blume deutlich gemacht hatte, dass sie eine alte, dicke Schwangere wie mich nicht haben will. Und dort hätte ich mich mit den ÄrztInnen streiten müssen bis zu dem Punkt, dass ich unterschreibe, dass ich gegen ärztlichen Rat wieder gehe.

Foto: Jessica Baur

Denn die Leitlinie ist nur dem Namen nach eine Leitline. EIGENTLICH ist sie ein Gesetz. Denn wenn MedizinerInnen nicht verklagt werden wollen, dann behandeln sie nach Leitlinie und Punkt (behaupte ich). Da MedizinerInnen sämtlich nicht verklagt werden wollen, wird einfach ausnahmslos nach Leitlinie behandelt (auch eine reine Behauptung).

Ich hatte gedacht, dass ich, wenn ich schon nicht in der nächstgelegenen Klinik entbinden kann, ja auch gleich eine Wunschklinik aussuchen könnte. Es gibt ein für Geburten sehr renommiertes Haus in Baden-Württemberg: Geringe Kaiserschnittrate, man legt Wert auf ungestörte Geburten mit idealerweise nur einer Hebamme, anthroposophisches Klinikum.

Die hatten mir vorab geschrieben, sie könnten in der angeschlossenen Kinderklinik das Baby versorgen falls nötig (wichtig. Obwohl rein faktisch ein Problem bezüglich Zucker ganz und gar ausgeschlossen war, weil ja die Werte im Tabellennormbereich … aber Leitlinie). Ich könne, wenn ich wolle, einen Termin zur Einleitung vereinbaren. Das hab ich nicht gemacht, weil ich ja keine Einleitung wollte.

Nun stand aber dieses Wochenende bevor und ich hatte wenig Lust, mich mit ÄrztInnen zu streiten und mir sagen zu lassen, dass mein Kind vielleicht stirbt, wenn ich durch diese Tür gehe. Und womöglich perspektivisch das ganze System aufgrund einer angeblichen Kindeswohlgefährdung auf den Plan zu rufen (ja, das ist unwahrscheinlich, aber theoretisch möglich, ich habe meinen Frauenarzt gefragt).

Meine Hebamme fragte, was ich denke, wie lange ich den psychischen Druck aushalten könne. Länger als bis Montag? Ich musste mir eingestehen, dass ich das vermutlich nicht sehr lange durchziehen könnte. Also, so dachte ich, hat es keinen Zweck, jetzt wegen zwei Tagen ein Drama zu machen, wenn ich am Montag dann eh nachgeben muss. Dann eben auf in die Klinik zur Einleitung, Scheiße.

Er sei gespannt, am Montag den Geburtsbericht zu lesen und zu erfahren, für welche Klinik ich mich entschieden hätte, sagte mein Doc. Mit der Überweisung könne ich jedenfalls überall hingehen, abweisen dürfte mich keine Klinik, ich hätte die Wahl.

Ich vereinbarte dann einen Termin in der 60 Kilometer entfernten Klinik, denn mein Telefonat mit dem Wunschkrankenhaus verlief überaus ernüchternd: Die Vertreterin der Einrichtung, auf deren Website steht, dass sie davon ausgeht, dass Kinder den Zeitpunkt ihrer Geburt aktiv mitbestimmen, erklärte mir:

Eingeleitet werden hätte ja zum ET müssen, deshalb können sie mir keinen Termin anbieten, der danach liege. Mit Wehen könne ich gerne kommen, aber für eine Einleitung habe man keine Kapazität, Überweisung hin oder her.

Die andere Klinik sagte mir, sie hätte auch keine Kapazität, eigentlich, aber mit einem Gestationsdiabetes und bereits überschrittenem ET müsse natürlich sofort eingeleitet werden und ich könne ja auch nirgendwo anders hin, also … Termin am Samstagvormittag, dem 13. November  – zwei Tage „drüber“.

Geburtseinleitung

Wir fuhren hin, warteten viel und lang, wurden wieder mit Ultraschall und CTG begutachtet und hörten dann: Leider sind schon zu viele Frauen zur Einleitung da, man könne mich nicht aufnehmen, weil so meine Sicherheit nicht gewährleistet sei.

Letztes Bauch-Selfie im Krankenhaus vor dem Kaiserschnitt

Die nächstgelegene Klinik sei auch voll, aber im Schwarzwald sei eine bereit, mich aufzunehmen. Das ist weit. Über eine Stunde Fahrt von meinem Wohnort aus. Wir fuhren heim, tauschten das E-Auto gegen meinen Benziner und machten uns auf den Weg in den Schwarzwald. Dort … warteten wir.

Ewigkeiten. Und immerhin hatte man mir gesagt, man müsse dieses Kind im Prinzip sofort aus mir rausholen, um es nicht zu gefährden. Während ich wirklich, wirklich keine Einleitung wollte. Schon gar nicht dort, in diesem riesigen Krankenhaus mit High-End-Medizin für Babys und Geburtshilfe, weit weg von daheim.

Perinatalzentrum Level 1 heißt das. Und ich wollte doch eigentlich keine Intervention, nur eine Hebamme und wir, alle Zeit der Welt, dämmrige Stille. Aber nichts da. Wieder wurde ein CTG geschrieben. Dann hieß es: Auf die Nacht hin leiten wir nicht ein, das hat sich nicht bewährt. Ich sollte aber aufgeklärt und dann stationär aufgenommen werden.

Wir waren mittlerweile rund 12 Stunden unterwegs von Pontius zu Pilatus und ich mit den Nerven völlig am Ende. Ich weinte und wollte nur noch nach Hause; verlangte schließlich mein Versichertenkärtchen, um gehen zu können.

„Aber es ist doch nichts passiert, sie mussten jetzt eben warten, weil der Arzt sich um einen Notfall kümmern musste, das ist doch nicht so schlimm. So ist unser Gesundheitssystem nun mal, wir haben alle schon mal auf eine OP gewartet oder so.“

Ich bekam meine Karte also nicht und heulte weiter. Auch während des dann endlich folgenden Möchtegernaufklärungsgesprächs, der überaus groben und ziemlich entwürdigenden Untersuchung, dem Ultraschall. „Brauchen Sie nicht heulen“, sagte der Herr Honorardoktor. „Ist unser Ziel: Gesunde Mutter, gesundes Kind.“

Ich hätte berechtigterweise Angst und wolle das alles nicht, erklärte ich ihm. Er ließ mich unterschreiben, dass ich aufgeklärt worden sei. Er machte sich keine Mühe, in meinem Arm eine Vene zu finden, sondern stach ohne Umschweife in den Handrücken. Die Hebamme, die mir mein Kärtchen nicht gegeben hatte, holte ihn anschließend ab. „Bin ich hier erlöst, ja“, sagt er, und war verschwunden.

Ich durfte nach langem Betteln über Nacht dann doch nochmal nach Hause gehen, großzügigerweise – sofern ich am nächsten Morgen wiederkäme. Oder sofort, bei irgendwelchen Komplikationen, Blutungen, Wehen, …

Nervenzusammenbruch

Im Auto hatte ich einen Nervenzusammenbruch und schrie, dass ich auf gar keinen Fall wieder zurück kann, nicht morgen und auch sonst nie. Mein Mann tat das einzig Richtig und sagte, das müsse ich auch nicht. Weder morgen, noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt. Auf dem Rückweg schrieb ich meiner Hebamme in kurzen Worten, was los war. Sie antwortete: „Sie Arme! Ich wünsche gute Entscheidungsfindung!“ Fand ich irgendwie nicht hilfreich.

Meine Mutter kam zu uns nach Hause und redet auf mich ein, während ich mich, frisch geduscht in meine Decke gewickelt, in den Arm meines Mannes schmiegte, weiter heulte und ihre Butterknöpflesuppe löffelte.

Es sei alles scheiße, aber ich solle es einfach durchziehen, sagte sie, es gehe ja kein Weg daran vorbei und ich müsse meinen Widerstand aufgeben, der helfe mir nicht. Sie ging, wir versuchten zu schlafen, ich heulte weiter.

Anderntags telefonierten wir wieder die drei anderen Kliniken ab – mit demselben Ergebnis wie tags zuvor: Keiner hatte Kapazitäten. Außer der Klinik im Schwarzwald. Ich wusste, ich habe keine Wahl.

Natürlich nicht, denn wie sollst du als Erstgebärende entscheiden, dir selbst und deinem Bauchgefühl und deinem Kind zu vertrauen, wenn dir permanent gesagt wird, dass du seine Gesundheit und sein Leben gefährdest, solltest du dich der fortlaufenden Kontrolle entziehen (die am Wochenende nur Kliniken machen können und die lassen dich nicht wieder gehen, es sei denn, du unterschreibst und stellst dich der Diskussion – aber mit welcher Kraft, bitte)?

Sieben Tage Einleitung

Mein Mann brachte mich also zurück und ich heulte weiter. Die Aufklärung und alle Untersuchungen wurden neu gemacht, da der Arzt am Abend vorher schlampig gewesen war. Don’t you say. Die Ärztin war nun zum Glück freundlich, empathisch und zugewandt, was es mir leichter gemacht hat.

Ich bezog ein Zimmer auf der Wöchnerinnenstation und bekam die Anfangsdosis des Medikaments zur Einleitung (besteht im Wesentlichen aus Hormonen, Prostaglandin). Das soll den Muttermund dazu bringen, zu reifen und sich aufzumachen. Meiner tat das nicht.

Nicht an diesem Tag und auch nicht in den nächsten sechs, in denen ich fortlaufend am CTG hing, Blutzuckermessungen vornehmen ließ, immer wieder neue Zugänge gelegt bekam (weil sie ständig kaputt gingen, weil meine Venen keine so große Kanüle tolerieren, wie ich immer wieder vergeblich erklärt habe) und heulte. Ich dachte, ich würde wahnsinnig.



Ich wollte einfach nur raus, weg, die Situation irgendwie beenden, in der ich so entsetzlich gefangen und fremdbestimmt war. Mein Bauchbaby kämpfte tapfer gegen den CTG-Stress an. Es trat und schlug wie wild um sich, was zur Folge hatte, dass die Aufzeichnungszeit immer noch weiter verlängert wurde (und es sich nur schlimmer aufregte).

Ich lag da, viermal täglich bzw. nächtlich, in der einzig möglichen Position und aufgrund dieser Dauerbelastung auch von entsprechenden Schmerzen gequält. Mein Blut wurde dünn wie Wasser vom Prostaglandin, die Blutzuckermessstreifen wollten es gar nicht mehr einziehen. Ich konnte fühlen, wie mein Körper sich wehrte, für sein Baby kämpfte, es um jeden Preis beschützen wollte.

Mein Mann kam, jeden Tag, für die zwei, drei Stunden, die die Coronabesuchszeiten erlaubten. Und während dieser Zeit musste ich teilweise 40 Minuten im CTG liegen. Ich wollte sterben (im übertragenen Sinne). Ich habe mich gefragt, wie ich da hineingeraten bin. Was ich falsch gemacht habe. Wie ich rauskomme.

Gegen welchen übermächtigen Gegner ich da kämpfe – und wie weit es her ist mit meiner ach so großen Freiheit und Selbstbestimmung, wenn man sie mir mit einem Fingerschnippen nehmen kann. Ich fragte mich, wer ich bin, ohne diesen für mich zentral wichtigen Grundwert der Selbstbestimmtheit. Und ich fragte mich, wieso ich zulasse, dass sie meinem geliebten Bauchbaby jeden Tag diese Folter antaten.

Nach drei Tagen auf Prostaglandintabletten wechselte man zum vaginal zu verabreichenden Gel, das durchaus unangenehm in jeder Hinsicht ist. Um mich herum sah ich Frauen in den Wehen und fragte mich, ob ich mir das wirklich wünschen sollte. Ich sah meine Zimmernachbarinnen wechseln und andere Frauen kommen und gehen, nur bei mir, bei mir tat sich – nichts.

Und mir war vollkommen klar, dass ich unter diesem maximalen Stress auf gar keinen Fall ein Kind zur Welt bringen könnte. Mein Bruder schrieb mir, es sei ja auch viel Einstellungssache. Ich solle mich freuen, dass ich ein Baby bekomme, meinem Sohn ein Liedchen vorsingen und meinen Körper das regeln lassen, dafür sei er schließlich gemacht. Die 10.000 Kalorien, die man bei der Geburt verbrauche (ich hatte mich über das Essen beschwert, als ich Karotten mit Karotten und zweieinhalb Brotscheiben bekam), hätte ich ja eh schon mitgebracht. Da war ich sprachlos.

Kaiserschnitt nach erfolgloser Einleitung

Das Baby kam nicht, natürlich nicht. Dafür „dekompensierte ich psychisch“, ich erkannte mich selbst nicht wieder. Am Ende blieb nur der Kaiserschnitt; er wurde eine Woche nach der ach so dringend notwendigen Einleitung gemacht.

Der linke malträtierte Arm

Den ganzen Tag über lag ich – seit dem Abendessen am Vorabend nüchtern – im Kreißsaal herum, meinen Mann neben mir auf einem Stuhl. Erst nach 18.00 Uhr betrat ich den OP, panisch, weil ich schlechte Erfahrungen mit Narkosen gemacht hatte.

Während ich da dann hing wie ein Spanferkel, von den Brüsten abwärts flauschig taub, und man mein Baby aus mir herausschnitt, diskutierte das OP-Team das Phänomen linker Burschenschaften und die Frage, ob gleich noch Sushi bestellt werden sollte. Ich merkte an, das sei etwas befremdlich. „Oh. Entschuldigung!“ sagte jemand. „Nein, ich verstehe, das sind normale Gespräche unter Kollegen“, antwortete ich. „Nur für mich ist es halt seltsam.“

Meinen Sohn sah ich kurz aus der Ferne auf dem Arm der Hebamme, nachdem er aus meinem Körper gerissen worden war. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest, damit ich ihn sehen konnte. Die Nabelschnur hing an ihm herunter, er war voller Käseschmiere und Blut und sah keinem von uns ähnlich, aber schien friedlich zu schlafen. Das ist er also, dachte ich. Und dann hörte ich lange nichts mehr.

Ich heulte und zitterte. Mein Mann hielt meine Hand und redete beruhigend auf mich ein. Nachdem das Kinderarztteam feststellen konnte, dass es meinem Baby hervorragend ging (Sichelfüßchen beidseitig von seiner Lagerung in meinem Bauch, aber unproblematisch), bekam ich ihn „zu sehen“, während das OP-Team hinterm Tuch meinen Bauch auskratzte und zunähte (eine wirklich hervorragende Arbeit haben die da gemacht, denke ich. Mein Gatte hat die Kaiserschnittnarbe kürzlich für eine Druckstelle vom Unterhosenbund gehalten). Im Nachhinein las ich von grünem Fruchtwasser und einer um den Hals gewickelten Nabelschnur, aber das erwähnte niemand.

Ich sah … ein kratziges Krankenhaushandtuch, aus dem dunkle, in nassen Wellen verklebte, feine Härchen auf einem schrumpeligen, roten Kopf lugten. Die OP-Pflegerin machte meinen Arm los, sodass ich ihn streicheln konnte. Ich kraulte diese Härchen, und dann ging mein Mann über den Flur in den Kreißsaal und hielt den neuen Minimenschen auf den Arm, bis ich ihnen schließlich hinterhergeschoben wurde.

„Alles normal verlaufen“ erklärte der Chefarzt mir nach Beendigung seiner Arbeit jenseits des Tuchs, und ich war nie glücklicher, dass auch mal was NORMAL ist bei mir. Ich hab zwischen Köpfchen kraulen und OP verlassen mit der OP-Pflegerin darüber gesprochen, wie lang die Schicht fürs Team bereits ist, wie lang sie noch dauert und dass sie viel zu schlecht bezahlt werden. Sie war mir eine große Hilfe, weil sie präsent war und mich wahrgenommen hat. Selbiges gilt für die Hebamme.

Hallo Baby

Im Kreißsaal sah ich ihn meinen Sohn dann zum ersten Mal wirklich. Er wurde mir von der Hebamme in adäquatem Schummerlicht auf die Brust gelegt. Trinken wollte er nicht, weil sein Bauch voller Fruchtwasser war (bei der natürlichen Geburt wird das unterwegs rausgedrückt).

Dann wurde mir plötzlich ganz kalt und schwummerig und seltsam. Mein Mann stopfte mir ein paar Marzipankartoffeln in den Mund und goß Cola light hinterher. Das half. Die Hebamme klinkte mich an einen Tropf und dann ging es nach einer Weile zurück auf die Station. Mein Mann fuhr heim – Familienzimmer war natürlich auch nicht, Corona.

Ich bekam endlich was zu essen und währenddessen wuschen sie meinem 3.710 Gramm schweren und 51 Zentimeter langen Kind das Blut ab, so dass es nicht mehr nach Männerschweiß und Wildnis duftete, sondern drei Tage lang nur noch nach Bübchenshampoo roch.

Auch die Diabetologin des Klinikums freute sich tags drauf über das keineswegs zu große, kerngesunde Baby. Offenbar habe es für den Kleinen kein Problem gegeben. Aber: So, wie ich das Insulin gespritzt hätte, hätte es eigentlich auch keine Wirkung haben können, lies sie mich wissen…

Entlassung aus dem Krankenhaus

Am dritten Tag nach der Sectio durfte ich gehen. Ich bin aus dem Bett gesprungen und habe geduscht, sobald ich irgendwie konnte. Ich bin im Gang herumgelaufen. Ich hab alles getan, damit sie sehen, dass ich heim gehen kann. Und Gott, war das ein Moment!

Ich hatte Stress ohne Ende an diesem Vormittag, um allen Papierkram zu erledigen (natürlich war die Hälfte umsonst und kam später nochmal per Post), eine Fotografin war da, es musste gepackt werden, etc. Und dann saßen wir beim Bäcker im Krankenhausgebäude, wie viele Tage zuvor, ein allerletztes Mal. Und die Belegschaft kannte uns schon und freute sich über das Baby, das wunderschöne kleine Menschenwesen.

Wir verabschiedeten uns mit viel Winken und dann, dann kämpften wir den ungewohnten Maxi Cosi mit dem ungewohnten Baby ins Auto hinein und fuhren los. Und ich heulte und heulte und konnte nicht fassen, dass wir unser Kind an diesem sonnenhellen Novembertag nach Hause bringen durften. Knapp zwei Wochen nach dem ET.

Ich rechnete jederzeit damit, dass jemand uns aufhalten und sagen würde: „Moment mal, Sie können doch nicht einfach das Baby mitnehmen!“ Und das blieb noch länger so. Ich weckte meinen Mann einmal sogar und drängte ihn, er müsse mit dem Baby fliehen, bevor sie uns wieder holen kommen. Damit sie nur mich kriegen und nicht den Kleinen auch noch.

Trauma nach der Geburt

The Trauma is real, Baby. Stundenlang heulte ich unter der Dusche wie ein angeschossenes Tier, darüber, dass mir mein Bauchbaby herausgerissen und weggenommen worden war. Dass nebenan selbiges Bauchbaby auf Vaters Arm schaukelte, war für mich nicht so einfach überein zu bringen. Es hatte ja keinen Übergang gegeben, keinen „Weg“, nur einen Cut. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Unsere Hebamme war toll. Mit dem Stillen klappte es aber sehr, sehr lange nicht. Die allermeisten Frauen hätten aufgegeben, meinte die Hebamme. Nun bin ich ja nicht wie die Allermeisten und erkämpfte mir unsere Stillbeziehung erfolgreich. Das Buch „Intuitives Stillen“ von Regine Gresens war mir dabei eine große Hilfe.

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Jetzt bin ich also Mutter eines kleinen Jungen. Ohne die Erfahrung einer Geburt. Ohne zu wissen, wie sich Wehen anfühlen. Ich empfinde es so, als hätte man mir das Recht verweigert, mein Baby zu gebären. Ich durfte es nicht auf die Welt bringen, weil irgendjemand eine Leitlinie geschrieben hat, der sich mein Kind, mein Körper und ich zu beugen hatten.

Es ist einfach nicht richtig. Und ich bin traurig. Traurig darüber, dass ich die Geburt meines Sohnes nicht erleben durfte, dass man sie uns als Familie vorenthalten hat, diese wichtige, tiefgehende, einzigartige Erfahrung.

Ich bin wütend. Auch ein Jahr später noch. Die Menschen, die sich in der Klinik im Schwarzwald um uns gekümmert haben, waren mit wenigen Ausnahmen toll, engagiert und kompetent. Ich bin ihnen dankbar. Aber ich kann dem System dahinter nicht verzeihen – und ich will es auch nicht.

Zwei Jahre später

Auch fast zwei Jahre nach dieser Geburtserfahrung, die ich nicht anders als als „Operation“ beschreiben kann, weine ich noch, wenn ich mich zurückversetze. Aber die Zeit hat auch die ‚unsichtbaren‘ Narben ein Stück weit heilen lassen. Ich würde gerne ein weiteres Kind bekommen und es idealerweise auf natürlichem Weg zur Welt bringen, weil ich mir diese einzigartige Erfahrung nach wie vor sehr wünsche.

Auf körperlicher Ebene hielt der Kaiserschnitt verzögert eine unerwartete Überraschung bereit: Ich hatte monatelang Schmerzen in den Knien und konnte teilweise kaum noch gehen. Behoben hat das schließlich meine Osteopathin; über die Behandlung der Kaiserschnittnarbe und des Beckenbodens. Ich gehe seit über einem Jahr alle sechs bis acht Wochen hin und konnte es so in den Griff bekommen, während die Physiotherapie nur marginal geholfen hat. Dass es die ganze Körperstatik durcheinanderbringt, wenn man das Muskelkorsett einmal quer durchschneidet, hätte mir eigentlich klar sein können … war es aber nicht. 

Dass die Rückbildung nicht stattgefunden hat (aber auch nicht abgesagt wurde), hat meiner Erholung wohl auch nicht sonderlich geholfen. Trotzdem bin ich wieder deutlich besser auf den Beinen als noch vor einem halben Jahr. Unser kleiner Sohn wird in ein paar Tagen zwei Jahre alt und es ist immer noch ein bisschen so, als wären wir frisch gebackene Eltern. Ich stille nach wie vor und bisher macht er keine Anstalten, davon Abstand nehmen zu wollen. Dabei isst er gerne und das auch schon ziemlich lange: Mit fünf Monaten hat er ein Stück Banane aus meinem Müsli gegriffen und es sich mit Begeisterung in seinen Mund geschoben. Seitdem wird gefuttert, was das Zeug hält. 

Obwohl es uns scheint, als wären wir gerade erst Eltern geworden, ist schon ein richtig großer kleiner Mensch aus dem winzigen Bündel geworden, das aus meinem Bauch geschnitten wurde. Das fällt uns besonders dann auf, wenn er quer im Familienbett liegt. 😉 Und bei allem, was an Unversöhnlichkeiten offen ist und bleiben wird, wenn wir als Familie auf diese ‚Geburtserfahrung‘ zurückschauen: Dem Söhnchen merkt man sie nicht an. Und das ist für mich ein Grund, ausgesprochen dankbar zu sein.

Alle Geschichten im Adventskalender 2023

An dieser Stelle werde ich alle bereits veröffentlichten Geburtsgeschichten des Adventskalenders 2023 auflisten. Aus technischen Gründen kann das ein paar Tage dauern. Du findest aber auch alle Geschichten hier.

  1. Michèle: Elisas Hausgeburt
  2. Lea: Beckenendlagengeburt nach erfolgloser Äußerer Wendung
  3. Manon: Hausgeburt von Claire
  4. Sarah: Hausgeburt von Max Benedikt
  5. Barbara: Ungewollter Kaiserschnitt
  6. Wanda: 103 Stunden Geburt
  7. Anna: Anouks Geburt im Geburtshaus mit Notfallverlegung
  8. Anne: Kaiserschnitt nach Schwangerschaftsdiabetes und erfolgloser Einleitung
  9. Martina: 2 mal Kaiserschnitt, VGA2C, Hausgeburt
  10. Bea: Aufgeben ist nicht das Ziel
  11. Gerit: Im Krankenhaus gibt’s keine Decken
  12. Verena: Persönlichkeitsentwicklung hoch Drei
  13. Julias Sternenkind: Geburt zuhause
  14. Marion: Loreley wurde tot geboren
  15. Maranda: Today my baby will be born
  16. Natalie: Hausgeburt einer Sternenguckerin
  17. Natalie: Mit Kaiserschnitt im Reinen
  18. Magdalena: Hingabe an den weiblichen Körper
  19. Sabine: versöhnliche Krankenhausgeburt nach außerklinischen Geburten
  20. Patricia: Hausgeburt im Wasser oder an Land?
  21. Stefanie: Dominik lebte nur fünf Tage
  22. Melissa: Wenn das Körpergefühl verschwindet
  23. Laura: Alleingeburt nach Kaiserschnitt
  24. Tanja: Der Kreislauf der Natur
  25. Bonus: Maria: Ungeplante Alleingeburt

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1 Gedanke zu „Anne: Kaiserschnitt nach Schwangerschaftsdiabetes und erfolgloser Einleitung“

  1. Liebe Anne.
    Danke dir fürs teilen deiner Geschichte! Es hat mich wieder einmal sprachlos gemacht, berührt und betroffen und irgendwie auch einfach total wütend.
    Ich bin selbst gelernte Krankenschwester und für mich war von Anfang an klar, dass ich niemals in diese Mühle geraten will.
    Hut ab vor dir und deinem Mut, nicht aufzugeben und für dein Baby zu kämpfen! Ich wünsche euch viel Heilung und solltest du noch ein Kind bekommen, das Vertrauen das ohnr die Ärzte und Kontrollen zu schaffen (bei meiner zweiten SS hat mich aus gutem Gtund kein Gynäkologe gesehen).
    Alles Liebe für dich und deine Familie,
    Michèle

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