Gerit: Im Krankenhaus gibt’s keine Decken

Gerit brachte ihr erstes Kind in der Klinik zur Welt. Davon erzählt sie heute an Tag 11 des Geburtsgeschichten-Adventskalenders.

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Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Geburtsgeschichten-Adventskalenders 2023. Alle Folgen sowie Infos zu Gewinnspielen findest du unten.

Gerit: Im Krankenhaus gibt’s keine Decken

Krankenhaus oder zu Hause?

Wir hatten das beste Hebammenteam am Ort, ich sage „wir“, weil im Geburtsvorbereitungskurs auch Abende mit Vätern-to-be und auch nur für die Väter-to-be stattfanden, so dass wir uns gemeinsam auf die Geburt unseres ersten Kindes gut vorbereitet fühlten. Unsere Hebammen haben uns die durchgehende Betreuung vor, während und nach der Geburt geboten, so dass wir uns jederzeit gut unterstützt fühlten. Sie sind mit unglaublich viel Menschenkenntnis auch bzw. gerade auf unsere persönlichen Ängste und Bedenken eingegangen und haben uns geholfen, positiv auf die Geburt zu blicken. Als sie uns fragten, ob wir eine Haus- oder eine Krankenhausgeburt wollten, sagte mein Mann, dass er es im Krankenhaus sicherer fände. Ich habe mir die Liste der Dinge angeschaut, die man für die jeweilige Geburt braucht. Die 30 Quadratmeter Malerfolie habe ich für alle Fälle zwar besorgt, aber mit der Info war ich mir sicher, dass ich lieber ins Krankenhaus gehen wollte, als zu Hause die Malerfolie auszulegen. Ich wollte in meiner Wohnung nicht 30 Quadratmeter Blutgeschmier haben.

Blasenspung in der Badewanne

Ich bade gerne heiß und das hab ich auch in der Schwangerschaft gemacht. Als ich eines Morgens aus dem Bad aufstand, lief mir sehr viel Wasser die Beine herunter. Ich brauchte eine Weile um zu verstehen, dass die Fruchtblase geplatzt war. Wir riefen die Hebamme an, die uns die Zutaten für einen „Wehen-Cocktail“ diktierte, da das Kind bei offener Fruchtblase innerhalb von 48 Stunden kommen sollte und ich noch keine Wehen hatte.

Also mixte mir mein Mann rohes Ei mit Rizinusöl, Wodka, Sahne und Zucker zusammen zusammen. Das erste Glas schmeckte noch ganz gut, das zweite nach zwei Stunden fiel mir schon schwerer und beim dritten nach 4 Stunden musste ich mich fast übergeben. Aber danach fingen tatsächlich die Wehen an. Kurz vor dem Dunkelwerden fuhren wir ins Krankenhaus, wo unsere Hebamme schon auf uns wartete. Die zwanzig Minuten Fahrt dahin waren kinoreif, denn bei jeder Wehe hasste ich es, im Auto zu sitzen und drehte und wendete mich.

Aufnahme im Kreißsaal

Im Krankenhaus mussten wir in den 5. Stock. Im Aufzug bekam ich eine Wehe, hängte mich an die Handstange und ging in die Hocke. Diese Stellung fand ich klasse. Oben angekommen musste ich erst ans CTG und die Ärztin machte einen Ultraschall, das fand ich unangenehm: schon wieder mit Gurt in der Bewegung eingeschränkt, wie im Auto.

Man sagte mir, das seien „gute Wehen“, die würden den Muttermund öffnen. Man legte mir einen Zugang in den linken Handrücken. Im Kreißsaal suchte ich eine Stange ähnlich der im Aufzug, aber die gab es nicht. Es gab nur eine Sprossenwand. Am liebsten wäre ich zurück in den Aufzug gegangen und hätte mich dort wieder an die Stange gehängt.

Lauwarmes Bad und Antibiotika

Die Hebamme sagte mir, es würde noch etwas dauern, ich könne ein Bad nehmen, sie müsse noch die Papiere erledigen. Sie ließ mir lauwarmes Wasser in die Wanne und ging. Plötzlich war ich mit meinem Mann alleine, das wunderte mich, ich dachte, die Hebamme ist die ganze Zeit bei mir. Ich setzte mich in die Wanne, es war unangenehm, denn keine Position war richtig. Außerdem war mir lauwarm viel zu kalt. Als ich frustriert aus der Wanne stieg, fror ich so, dass meine Lippen blau wurden.

Auf meine Bitte nach einer Decke sagte man mir, dass es im Kreißsaal keine Decken gäbe. Das fand ich unerhört! Ich dachte, ich bin doch ins Krankenhaus gegangen, weil man da alles vorrätig hat, was eine Gebärende braucht! Dann hat mir mein Mann seine Jacke gegeben und versucht, mich warm zu rubbeln. Kalt und enttäuscht sah ich das Kreißsaalbett und legte mich darauf. Die Hebamme kam und gab mir Antibiotika über den Zugang. Sie sagte, dass sei so üblich bei Blasensprung, damit das Kind keine Bakterien bekommt. Auf dem Bett war es unbequem, aber da meine Hand ja nun am Tropf hing, kam ich gar nicht auf die Idee, ich könnte aufstehen.

Erwartungshaltungen und PDA

Die Wehen wurden immer heftiger und ich wand mich auf dem Bett rücklings liegend hin und her. Mir schien, dass es auch zwischen den Wehen nicht aufhörte, weh zu tun. Ich beschwerte mich und hoffte, jemand würde mir helfen. Ich hatte mich komplett in die Hände der Hebamme gegeben, schließlich ist sie die Expertin für Geburten, nicht ich. Ich ERWARTETE, dass sie mir sagte, was ich tun müsste.

Rechts und links von mir versuchten die Hebamme und mein Mann meine Oberschenkel zu massieren. Die Hebamme meinte, es könne sein, dass das Kind beim Rauskommen auf irgendeinen Nerv drückte.

Irgendwann hatte ich zu viel und sagte, ich möchte eine PDA. Dazu musste ich vom Bett aufstehen, im Sitzen oder Stehen zwischen zwei Wehen bekam ich die PDA, was ziemlich unheimlich war. Das Gefühl, eine lange Nadel im Rücken zu haben, machte mir Angst, aber sie sagten, ich könne mich damit normal bewegen und auch drauf liegen.

Ich wollte wieder aufs Bett und nun endlich ohne Schmerzen weitermachen, aber meine Hebamme sagte, sie würde mir jetzt keine Betäubung mehr geben, denn jetzt sei es zu spät, das Kind komme gleich. Da war ich sauer auf die Hebamme, dass sie mich erst die PDA haben lässt und dann sagt, es sei zu spät für Betäubung.

Chefarztbesuch mit Schlachthauscharme zur Geburt

Inzwischen war es Nacht, aber weil ich zu der Zeit privat versichert war, musste der Chefarzt geholt werden. Er kam in den Kreißsaal, sah sich alles wortlos an und kleidete sich komplett in Plastik ein, als sei er im Schlachthaus.

Irgendwann fragte die Hebamme, ob ich mich auf den Gebärstuhl setzen möchte. Klar, was immer sie sagt. Kaum saß ich darauf, kam die härteste Wehe und ich presste den Kopf heraus. Mit der nächsten Wehe kam der Rest des Körpers, die Hebamme nahm das Kind in Empfang und ließ meinen Mann die Nabelschnur durchschneiden.

Ich war froh, dass ich mich dann aufs Bett legen konnte. Während die Hebamme mein Kind wog und wusch, nähte der Oberarzt irgendwas an mir, aber ich spürte nix und es war mir auch alles egal.

Irgendwann gab mir die Hebamme das Kind auf die Brust. Aus Schamgefühl, das ich sonst nie habe, hatte ich während der ganzen Geburt ein T-shirt an, also lag mein Kind auf mir, auf dem T-shirt. Ich weiß nicht mehr, wie es dann darunter kam, aber ich glaube, ich habe es noch dort gestillt.

Die Hebamme kümmerte sich noch um den Mutterkuchen und fragte, ob wir den mitnehmen wollten, nein, wollten wir nicht. Irgendwann war ich fit genug, aufzustehen. Ich ging duschen, die Hebamme half uns, das Kind gut einzupacken und wir fuhren nach Hause.

Alles in allem waren das circa sechs Stunden, die wir im Krankenhaus waren. Es war eine unkomplizierte und schnelle Geburt (besonders für eine Erstgebärende), aber ich hatte den Eindruck, ich hätte unverhältnismäßig große Schmerzen durchgemacht. Ich hatte es mir leichter vorgestellt.


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Hausbesuch der Hebamme

Als die Hebamme am nächsten Tag zum Hausbesuch kam, sagte ich ihr, dass ich in der Nacht nicht geschlafen hätte. Sie sagte, sie hätte sich auch gewundert, wenn ich geschlafen hätte: keine Frau könne nach der Geburt schlafen.

Ich habe mich jeden Tag auf ihren Besuch gefreut, sie ließ sich auch viel Zeit und konnte alle mein Bedenken zerstreuen. Sie gab mir Salbe für die wunden Brustwarzen und versicherte mir, dass ich in ein paar Tagen wunderbar stillen würde. Das war auch so. Seit nach meiner Abtreibung (mit circa 27) Milch aus meinen Brüsten spritzte, wusste ich, dass ich beim Stillen keine Probleme haben würde.

Mein Mann war ein Engel und hat mich mit allem versorgt, aber als er zwei Wochen nach der Geburt mal ein paar Stunden aus dem Haus und auf den Weihnachtsmarkt ging, da war ich fürchterlich eifersüchtig auf seine Freiheit, einfach rausgehen zu können.

Im Nachhinein war ich meiner Hebamme sehr dankbar, dass sie mir keine Betäubung durch die PDA gegeben hat. Ich habe schlimme Geschichten gelesen von Frauen, die ihre Beine nicht mehr spürten, nicht mehr stehen konnten und dadurch auch nicht mehr richtig pressen konnten.

Geburt des zweiten Kindes

Auch mein zweites Kind kam im Krankenhaus mit derselben Hebamme zur Welt. Diesmal, dachte ich, wird hier nicht auf irgendeinem Nerv gelegen! Diesmal warte ich nicht darauf, dass mir jemand hilft, diesmal helfe ich mir selbst!

Trotz angeschlossenem Tropf rannte ich bei der zweiten Geburt immer hin und her. Kam eine Wehe, kletterte ich aufs Bett, kniete darauf und hielt mich mit beiden Händen sehr stark an der Bettstange fest. Gleichzeitig wand ich meinen Hintern hin und her, was vielleicht obszön aussah, mir aber egal war.

Es stimmt: je fester die Hände zupacken und die Arme den Oberkörper festhalten, desto lockerer kann der Unterleib sein. Nach der Wehe konnte ich kurz auf Knien vornüber auf dem Bett entspannen, dann rannte ich wieder los: runter vom Bett, durch das Zimmer und wieder zurück, immer mit kreisenden Beckenbewegungen. Instinktiv schaukelte ich mein Kind in mein Becken hinein.

Ich war sehr energiegeladen und fest entschlossen, diesmal aktiv zu gebären und nicht passiv rumzuliegen und zu leiden. Der Hebamme gelang es, den Tropf immer mit mir zu bewegen, so dass ich fast keine Bewegungseinschränkung wahrnahm. Irgendwann fragte ich laut, ob ich jetzt endlich auf den Stuhl dürfe.

Ich durfte und drückte entschlossen mein zweites Kind heraus. Danach zog ich mein klatschnasses T-shirt aus und legte mich aufs Bett. Die Hebamme gab mir das Kind auf die nackte Brust und diesmal erinnere ich mich daran, wie es zum Busen krabbelte.

Ohne Chefarzt (weil inzwischen wieder gesetzlich versichert) und ohne anderes Personal, das beim 1. Mal zur PDA kam, war die zweite Geburt zwar aktiver, aber auch intimer. Wir waren im kleinen Kreißsaal und die ganze Zeit nur zu dritt.

Auch diesmal durfte ich nach dem Duschen wieder nach Hause fahren. Insgesamt waren es wohl nur fünf Stunden, aber sie kamen mir sehr viel kürzer vor. Es war auch ein gutes Gefühl, hinterher erschöpft zu sein, weil ich „so viel gelaufen“ war und nicht, weil ich so große Schmerzen durchgemacht hatte. Nach einer PDA zu fragen kam mir in keinem Augenblick in den Sinn.

Und den Mutterkuchen nahmen wir diesmal auch mit. Die Hebamme erklärte uns, wie man ihn im Ofen trocknet und warum es gut ist, ihn zu essen. Auch beim ersten Mal hatte sie aus dem Nabelschnurblut durch Schütteln eine homöopathische Arznei gemacht, die ich im Jahr darauf dem Kind gab oder selber nahm, wenn wir krank waren.

Vor allem um meine Wochenbettbesucher zu schocken, aß ich den gesamten Mutterkuchen im Wochenbett auf. Und mit dem zweiten Kind blieb ich brav lange im Bett, froh, mich aus allem anderen rauszuhalten. Ich habe vorher und nachher nie mehr so viele Bücher gelesen, wie in meinem Wochenbett.

Als ich erfuhr, dass unsere beiden Hebammen die letzten ihrer Art sind und nach ihnen keine Hausgeburten in unserer Stadt mehr möglich sein werden, wurde ich zur Geburtsaktivistin. Je mehr ich lernte, desto mehr wünschte ich mir, ich hätte das alles schon VOR meiner ersten Geburt gewusst. Denn dann hätte ich zwei Hausgeburten gehabt und mein erstes Kind hätte eine Geburt miterlebt. Aber dank unserer Hebammen haben wir schon Vieles richtig gemacht.

Dr. Gerit Sonntag

Gerit Sonntag ist Verlagsgründerin und verlegt im Magas Verlag Bücher, die Frauen stärken.

Über ihre Verlagsgründung und Motivation haben wir ein ausführliches Interview geführt. Ein paar der von ihr verlegten Bücher habe ich hier im Blog schon vorgestellt, z.B. Warum Stillen politisch ist und Gebären wie eine Feministin.

Mehr über Gerits Arbeit und alle Bücher erfährst du auf der Seite des Magas Verlags:

Alle Geschichten im Adventskalender 2023

An dieser Stelle werde ich alle bereits veröffentlichten Geburtsgeschichten des Adventskalenders 2023 auflisten. Aus technischen Gründen kann das ein paar Tage dauern. Du findest aber auch alle Geschichten hier.

  1. Michèle: Elisas Hausgeburt
  2. Lea: Beckenendlagengeburt nach erfolgloser Äußerer Wendung
  3. Manon: Hausgeburt von Claire
  4. Sarah: Hausgeburt von Max Benedikt
  5. Barbara: Ungewollter Kaiserschnitt
  6. Wanda: 103 Stunden Geburt
  7. Anna: Anouks Geburt im Geburtshaus mit Notfallverlegung
  8. Anne: Kaiserschnitt nach Schwangerschaftsdiabetes und erfolgloser Einleitung
  9. Martina: 2 mal Kaiserschnitt, VGA2C, Hausgeburt
  10. Bea: Aufgeben ist nicht das Ziel
  11. Gerit: Im Krankenhaus gibt’s keine Decken
  12. Verena: Persönlichkeitsentwicklung hoch Drei
  13. Julias Sternenkind: Geburt zuhause
  14. Marion: Loreley wurde tot geboren
  15. Maranda: Today my baby will be born
  16. Natalie: Hausgeburt einer Sternenguckerin
  17. Natalie: Mit Kaiserschnitt im Reinen
  18. Magdalena: Hingabe an den weiblichen Körper
  19. Sabine: versöhnliche Krankenhausgeburt nach außerklinischen Geburten
  20. Patricia: Hausgeburt im Wasser oder an Land?
  21. Stefanie: Dominik lebte nur fünf Tage
  22. Melissa: Wenn das Körpergefühl verschwindet
  23. Laura: Alleingeburt nach Kaiserschnitt
  24. Tanja: Der Kreislauf der Natur
  25. Bonus: Maria: Ungeplante Alleingeburt

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Katharina Tolle

Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.

Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.

Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!

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