Tag 10 des Geburtsgeschichten-Adventskalenders: Bea erzählt uns heute, wie ihr sechstes Kind zur Welt kam. Das freut mich deshalb ganz besonders, weil sie auch letztes Jahr schon beim Geburtsgeschichten-Adventskalender dabei war. Ihr Sohn Benjamin, von dem sie heute erzählt, kam gesund zu Hause zur Welt.
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Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Geburtsgeschichten-Adventskalenders 2023. Alle Folgen sowie Infos zu Gewinnspielen findest du unten.
Bea: Aufgeben ist nicht das Ziel
Geburtsbericht meines 6. Wunderkindes
Nachdem ich eine sehr stressige Endzeit der Schwangerschaft durchgemacht habe und so oft zu meinem kleinen Jungen im Bauch sagte, er solle bitte noch etwas warten, bis wir alle Termine hinter uns gelassen haben, habe ich ihn mir Donnerstag den 20.07. abends bewusst eingeladen, dass er jetzt kommen dürfe. Ich massierte meinen Bauch mit Ölen und streichelte ihn sanft über die Bauchdecke äußerlich und innerlich mit meinem warmen Gefühl und dem Band zu ihm, was ich hatte. Er reagierte auf seine ganz eigene Weise darauf sowohl sichtbar mit Bewegungen, als auch auf anderer Ebene.
Abends merkte ich dann auch schon, dass sich etwas veränderte. Die Nacht war unruhig, ich war rastlos und irgendwie in „Aufbruchsstimmung“; ich konnte zumindest nicht mehr schlafen und hatte erste, noch sehr unregelmäßige Wehen, was mich sehr aufgeregt werden ließ.
Freitag den 21.07. hatte ich dann morgens einen Vorsorgetermin bei meiner Hausgeburtshebamme. Gespannt beobachtete ich mich, wie es sich mit den Wehen entwickelte. Während der Autofahrt merkte ich immer wieder vereinzelte Kontaktionen, aber weiterhin sehr kurz und unregelmäßig. Bei der Vorsorge bat ich meine Hebamme, mal nachzusehen. Das Köpfchen war noch abschiebbar, was aber beim 6. Kind durchaus normal ist, und ich hatte einen etwa zwei Zentimeter durchlässigen Befund. Aber auch meiner Hebamme fiel auf, dass ich an dem Tag anders war. Ich bekam noch die Medikamententasche mit und so fuhr ich wieder zu meinen Kindern nach Hause.
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Ausflug in den Wald als Geburtsvorbereitung
Nachmittags beschloss ich, mit ihnen noch einen Ausflug in den Wald zu machen, um die Aufregung etwas loszulassen und meinen anderen Kindern den Raum zu geben, sich noch etwas auspowern zu können. Wir fuhren in den Wald zu den Iburg Ruinen und die Kinder tobten und spielten ausgelassen.
Ich sagte noch zu meinem Sohn: Wenn unser Kleiner wirklich dieses Wochenende kommt bei uns zu Hause, dann kriegt er noch einen vierten Namen, nämlich den, der hier vorne auf der Tafel der Kapelle steht. Die Tradition in unserer Familie ist eigentlich bei drei Namen, daher lachten meine Kinder herzlich und nahmen das auch nicht allzu ernst.
Ich ließ mich überreden, noch mit auf den hohen Aussichtsturm zu kommen und ich dachte mir, für die Wehen sei das vielleicht gar nicht mal so falsch. Wir gingen dann noch etwas essen, aber ich konnte meinen Kindern nur zugucken. Den ganzen Tag schon war mir nicht nach essen und mein Körper sah eher zu, dass er alles los wurde, was noch da war.
Unsicherheit und leichte Wehen
Zu Hause hatte ich dann nur noch ein ganz großes Bedürfnis nach Ruhe und zurückziehen. Meine Kinder schliefen erst später ein und es fiel mir schwer, mich wieder auf mich zu konzentrieren. Allgemein wurde ich sehr unsicher.
Ich gab zwar meiner Doula und meiner Hebamme regelmäßig Updates, aber ob es jetzt aktiv in Richtung Geburtswehen ging oder nicht, konnte ich selbst für mich noch nicht klar zuordnen. Am späten Abend musste ich ein paar Wehen richtig veratmen und auch im weiteren Verlauf vertönen.
Ich fragte mich, ob jetzt der Zeitpunkt sei, beide zu rufen, gleichzeitig hatte ich Hemmungen, weil ich sie nicht umsonst rufen wollte und sich natürlich alles ändern würde, wenn ich nicht mehr alleine mit mir wäre in der Atmosphäre und wenn man dann nicht über diesen bestimmten Punkt bei sich selbst drüber hinaus ist, dann wird es schwierig sich fallen zu lassen.
Ich wollte nur den Punkt nicht verpassen, denn ich wusste von der Hausgeburt meines letzten Kindes, dass er auch ganz schnell einfach da sein kann.
Unsicherheit gepaart mit „was tue ich jetzt?“, gepaart mit schlechtem Gewissen, wenn es doch zu früh wäre und Überforderung mit der Situation an sich, alleine zu sein und eine Entscheidung zu treffen.
Schlussendlich rief ich beide an. Beide kamen und: es war zu früh.
Die Wehen fingen an so gut wie weg zu gehen nachdem ich die Anrufe getätigt hatte und der Frust und die Scham waren enorm. Es tat mir so Leid, sie umsonst gerufen zu haben. Ich versuchte noch mit einem Löffel Zimt, etwas bewirken zu können, was mehr ekelig als hilfreich war. Schlussendlich fuhr die Hebamme wieder und ich versuchte, mit meiner Doula, die die Restnacht noch bei mir blieb, auf dem Sofa etwas Schlaf zu finden. Es war inzwischen 5 Uhr und ich hatte noch kein Auge zumachen können. Ich war einfach nur müde, kaputt und frustriert. Ich versuchte, in die Entspannung zu kommen und vielleicht etwas Ruhe zu finden. Vereinzelte Wehen hatte ich immer mal wieder, die ich aber möglichst leise für mich veratmete, weil ich keinen wecken wollte. Ich war mega gehemmt und entmutigt.
Halbe Wehen
Samstag morgens standen die Kinder auf und ich ging duschen. Danach versuchte ich zu frühstücken, doch so leer wie mein Magen auch war, ich musste mein hineingezwungenes Frühstück trotzdem erbrechen. Ich hatte die Hoffnung, dass, wie bei der letzten Hausgeburt, mit den Kindern auch die Wehen richtig erwachen würden. Leider stellte sich das als Trugschluss heraus. Immer wieder vereinzelte Wehen, aber nichts halbes und nichts ganzes. Ich ließ meine beiden jüngeren Kinder von der Babysitterin abholen und versuchte dann in Ruhe nochmal ein Geburtsbad zu nehmen. Jedoch blieb die Wirkung dieses Mal auch aus, was den Druck mir selbst gegenüber nochmal erheblich steigen ließ. Ich hätte am liebsten angefangen zu weinen vor lauter Verzweiflung. Es war doch gestern noch so vielversprechend.
Meine Doula fuhr wieder und ich versuchte mich nochmal alleine zu sammeln und vielleicht nochmal hinzulegen. An Schlaf war nicht zu denken. Die Wehen begannen stattdessen wieder stärker zu werden. Mein Körper wollte mir also signalisieren, dass es noch Zeit war alleine zu sein und vorallem den Weg noch ein bisschen alleine zu gehen. Okay, ich verstand. Meine Hebamme beschloss, später noch für ein CTG nach ihren Hausbesuchen vorbei zu kommen und ich vereinbarte mit meiner Doula, dass wir bis dahin abwarten würden.
Überraschung: Wehen!
Als meine Hebamme am späten Vormittag zu mir kam, fand sie mich laut vertönend in der Badewanne vor und sie meinte erfreut, dass sich das doch schon ganz anders anhöre als noch vor ein paar Stunden. Die Herztöne waren gut und der Befund ergab, dass ich bei fünf bis sechs Zentimetern war. Sie rief meine Doula an und sagte, dass es hier jetzt gut voran gehe und sie Unterstützung gebrauchen könne. Endlich schien er da zu sein; der Punkt.
Als meine Doula kam, vertönte ich die Wehen über meinem Gymnastikball und auf den Knien. Ich war schon wirklich kaputt, aber konnte wenigstens gut und viel trinken. Ich wechselte oft die Positionen, was ich so von der letzten Geburt gar nicht von mir kannte. Der Gymnastikball und knien, sowie auf der Toilette zu sitzen war so mit das angenehmste, während es diesmal in der Badewanne gefühlt gar nicht lange auszuhalten war.
Unterstützung: Öffnen der Fruchtblase und Muttermundmassage
Ich fing an unleidlich zu werden und sagte immer wieder, dass ich nicht mehr könne und jetzt Schmerzmittel bräuchte und lieber ins Krankenhaus wollen würde. Einfach nur mein Baby im Arm halten und schlafen, das sehnte ich mir so sehr herbei. Es fiel mir zusehends schwerer, mich auf die Wehen, den Schmerz und das Annehmen einzulassen. Die Hebamme öffnete auf meinen Wunsch hin die Fruchtblase in der Hoffnung, dass es dann mit den Wehen wieder aufwärts gehen würde, die inzwischen einfach zu kurz und nicht kräftig genug waren. Auch ich hatte vorher die Fruchtblase gut tasten können. Das Fruchtwasser war klar und wir wechseln dann wieder vom Bad ins Wohnzimmer.
Die Hebamme massierte mir den letzen Muttermundssaum weg, doch es ging nicht vorran. Die Wehen blieben weiterhin zu kurz und mein Baby rutschte nicht tiefer. Ich konnte nicht mehr und wollte nicht mehr.
So kurz vor der Zielgeraden wurde also in Erwägung gezogen, mit dem RTW ins Krankenhaus zu fahren und mit einem Wehentropf nachzuhelfen. Ich wollte aufgeben und genau diesen Weg gehen aus der Verzweiflung heraus. Wer mich allerdings nicht aufgeben wollte, waren meine Hebamme und meine Doula, die alles daran setzen, die letzte Kraft und Motivation aus mir herauszuholen und die nie aufhörten mich zu ermutigen, zu stützen und zu halten. Auch wenn ich mich inzwischen ganz entkräftet dazu aufraffen musste, bei mir zu bleiben, nicht die Augen zu schließen und mich selbst aufzugeben. Die beiden holten mich immer wieder zurück.
Geburt auf dem Sofa
Nach zig Positionswechseln bin ich auf mein Sofa gewechselt. Meine Doula lockerte mein Becken, was eine enorme Wirkung hatte. Knieend auf meinem Sofa konnte ich nun bei mir selbst den Punkt überwinden und weitergehen. Ich schob alles aus mir raus, ich hatte keine Wahl mehr, es gab kein Zurück, aber es gab Hände, die mich vorne und hinten hielten und mir Kraft gaben.
Das Köpfchen spannte enorm und ich brauchte etwas, bis ich ihn ganz draußen hatte. Mich trieb der Gedanke an, dass es nach dem Köpfchen geschafft war und der Rest einfach hinterher rutschen würde. Meine Hebamme half mir dabei, das Köpfchen zu gebären.
Ich musste das schaffen und ich würde das jetzt auch schaffen und so kam mein Kleiner auf dem Sofa am Nachmittag seines ETs doch noch zu Hause in unsere Mitte. Die Freude und die Erleichterung hätten nicht größer sein können. Ich hatte es geschafft, obwohl ich selbst nicht mehr an mich geglaubt hatte. Aber manchmal braucht man einfach Menschen, die trotzdem an Dich glauben und Dir helfen an den Glauben an Dich selbst und Deine Kraft wieder zurückzufinden, die Dich führen und mit Dir auf dem Weg bleiben, auch wenn Du versucht bist, Deinen Weg zu verlassen, weil er schwierig erscheint. Genau diese Wegbegleiterinnen waren meine Doula und meine Hebamme für mich, ohne die ich mich allemal selbst aufgegeben hätte und eine Intervention im Krankenhaus in Kauf genommen hätte.
So kam mein kleiner Schatz Benjamin Gabriel Leo Wilfried mit 54 Zentimetern, 3960 Gramm und einem Kopfumfang von 35 Zentimetern geborgen geboren im Kreis der Familie am 22.07.2023 um 16.11 Uhr am ET (40+0) zur Welt.
Alle Geschichten im Adventskalender 2023
An dieser Stelle werde ich alle bereits veröffentlichten Geburtsgeschichten des Adventskalenders 2023 auflisten. Aus technischen Gründen kann das ein paar Tage dauern. Du findest aber auch alle Geschichten hier.
- Michèle: Elisas Hausgeburt
- Lea: Beckenendlagengeburt nach erfolgloser Äußerer Wendung
- Manon: Hausgeburt von Claire
- Sarah: Hausgeburt von Max Benedikt
- Barbara: Ungewollter Kaiserschnitt
- Wanda: 103 Stunden Geburt
- Anna: Anouks Geburt im Geburtshaus mit Notfallverlegung
- Anne: Kaiserschnitt nach Schwangerschaftsdiabetes und erfolgloser Einleitung
- Martina: 2 mal Kaiserschnitt, VGA2C, Hausgeburt
- Bea: Aufgeben ist nicht das Ziel
- Gerit: Im Krankenhaus gibt’s keine Decken
- Verena: Persönlichkeitsentwicklung hoch Drei
- Julias Sternenkind: Geburt zuhause
- Marion: Loreley wurde tot geboren
- Maranda: Today my baby will be born
- Natalie: Hausgeburt einer Sternenguckerin
- Natalie: Mit Kaiserschnitt im Reinen
- Magdalena: Hingabe an den weiblichen Körper
- Sabine: versöhnliche Krankenhausgeburt nach außerklinischen Geburten
- Patricia: Hausgeburt im Wasser oder an Land?
- Stefanie: Dominik lebte nur fünf Tage
- Melissa: Wenn das Körpergefühl verschwindet
- Laura: Alleingeburt nach Kaiserschnitt
- Tanja: Der Kreislauf der Natur
- Bonus: Maria: Ungeplante Alleingeburt
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Katharina Tolle
Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Katharina und betreibe seit Januar 2018 diesen Blog zu den Themen Geburtskultur, selbstbestimmte Geburten, Geburtsvorbereitung und Feminismus.
Meine Leidenschaft ist das Aufschreiben von Geburtsgeschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass jede Geschichte wertvoll ist. Ich helfe Familien dabei, ihre Geschichten zu verewigen.
Außerdem setze ich mich für eine selbstbestimmte und frauen*-zentrierte Geburtskultur ein. Wenn du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, schreib mir gern!